Gastbeitrag von Antje Schrupp, zuerst veröffentlicht in ihrem E-Mail-Newsletter am 6.1.2025


Screenshot der ARD Mediathek-Webseite
Screenshot der ARD Mediathek-Webseite vom 8.1.2025 (Symbolbild)

Liebe Öffentlichkeit,

ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich kannte Thilo Mischke bis vor ein paar Wochen nicht, und das letzte Mal, dass ich „Titel, Thesen, Temperamente“ (ttt) geschaut habe, ist lange her. Doch die Debatten um Mischkes Berufung und dann wieder Abberufung als Moderator dieser Flaggschiff-Kultursendung der ARD finde ich sowohl aus feministischer als auch aus politikwissenschaftlicher Perspektive interessant.

Für alle, die es nicht mitbekommen haben: Die ARD hat kurz vor Weihnachten den Journalisten Thilo Mischke als neuen Moderator von ttt angekündigt, woraufhin sich schnell Kritik formierte. Annika Brockschmidt und Rebekka Endler belegten in ihrem Kulturpodcast FeministShelfControl mit zahlreichen Beispielen, dass Mischke sexistische, aber auch rassistische und anderweitig problematische Positionen vertreten hat, vor allem mit seinem 2010 erschienenen Buch „In 80 Frauen um die Welt“. Eine Welle feministischer Empörung nahm Fahrt auf, und schließlich erklärten 100 Kulturschaffende in einem offenen Brief, dass sie mit Mischke nicht zusammenarbeiten werden.

Das Thema war ideal für die Berichterstattung zwischen den Jahren, eine relativ nachrichtenarme Zeit, in der die Politik vor dem großen Wahlkampf noch einmal durchschnaufte. Zumal man kein Vorwissen braucht, um zu der Angelegenheit eine starke Meinung zu haben.

Aus feministischer Sicht ist positiv zu verbuchen, dass immerhin nicht darüber debattiert wurde, ob es vielleicht doch eine lustige Idee ist, sich „In 80 Frauen um die Welt“ zu vögeln. Sondern der Streit drehte sich um die Frage, ob Mischke sich inzwischen von seiner damaligen Geisteshaltung entfernt hat; ob er heute anders (respektabel und akzeptabel) geworden ist oder nicht. Die ARD-Programmverantwortlichen beteuerten die Läuterung ihres Wunsch-Moderators, führten aber keine Belege dafür an. Feminist Shelf Control haben in ihrem Podcast Beispiele dafür gesammelt, wo überall Mischke sich auch noch in jüngerer Vergangenheit immer wieder problematisch geäußert hat.

Mische selbst schwieg zu dem Ganzen. Wir normalen Leute, die weder Einblick in die Debatten der ARD haben noch mit Thilo Mischke bekannt sind, konnten daher über seine heutige Meinung zum Thema nur spekulieren. Aber spekulieren, das tun wir ja gerne und ausgiebig: Wurde hier also ein kompetenter und engagierter Journalist von missgünstigen Feministinnen „gecancelt“, nur weil er vor ewigen Zeiten mal ein dummes Buch geschrieben hat, von dem er sich inzwischen längst distanziert? Oder ist hier gerade nochmal verhindert worden, dass ein zwielichtiger Typ, der seine Karriere auf billigem Sexismus aufbaute, eine wichtige Kultursendung moderiert?

Manches an der feministischen Argumentation ist mir übrigens auch bitter aufgestoßen. Mischke würde ja gar nicht „gecancelt“, las ich hier und da, er könne ja weiter Reportagen für ProSieben drehen, nur für die Moderation einer Kultursendung sei er halt nicht geeignet. Für mich klingt das ein bisschen so, als ob die Prolls da drüben im Privatfernsehen so eine Schippe Sexismus durchaus vertragen können, nur wir hier beim öffentlich-rechtlichen Kulturprogramm haben was Besseres verdient. Aber wenn Mischke immer noch die kruden Auffassungen aus seiner „Damals-Zeit“ (die schönste Wort-Perle, die diese Debatte uns beschert hat) vertritt, dann würde ich ihn ehrlich gesagt gleich ganz weg-canceln. Auch die womöglich bildungsferneren Zuschauer*innen bei ProSieben haben doch so jemanden nicht verdient.

Dennoch taten mir die Verantwortlichen der ARD irgendwann ein bisschen leid. Sie hatten sich in ein Dilemma manövriert, aus dem es keinen Ausweg gab. Ihr ursprünglicher Impuls, die Kulturszene ein bisschen zu erden und jeder bildungsbürgerlichen Hochnäsigkeit zu entkleiden, war mir ganz sympathisch. Nur dass Thilo Mischke eben tatsächlich eine ganz schlechte Wahl war, was man eigentlich hätte wissen können.

In dem „Fall“ steckt mehr drin als nur eine Fehlentscheidung von Programmverantwortlichen. Es zeigt sich darin der grundlegende Autoritätsverlust, den die Institutionen des öffentlichen Lebens in den vergangenen Jahren erlitten haben. Früher waren sie „Instanzen“, die den gesellschaftlichen Konsens repräsentierten und absteckten: das öffentlich-rechtliche Fernsehen, die großen Volksparteien (die aus genau diesem Grund heute nicht mehr allzu groß sind) oder die Kirchen (die ebenfalls rasant an Mitgliedern verlieren). Sie hatten Autorität, ihr Wort zählte, und ihre Positionen steckten den legitimen Meinungskorridor ab.

Heute, so zeigt (nicht nur) der Fall Mischke, ist es eher andersherum. Die öffentlichen Diskurse treiben die ehemaligen Autoritäten vor sich her. Es gibt keinen gesellschaftlich akzeptierten Meinungskorridor mehr, sondern nur noch plurale und vielfältige Diskursräume, die nebeneinander existieren. Was in der einen Szene Standard ist, wird von der anderen vehement abgelehnt. Es gibt keine „Mitte“, keinen kleinsten gemeinsamen Nenner, auf den sich alle einigen können.

Und deshalb müssen die altehrwürdigen Institutionen bei jedem wirklichen Konflikt peinlich „Herumeiern“, wie jetzt die ARD: Auf die Kritik an Mischkes Berufung reagierten die Verantwortlichen zunächst mit dem Versprechen „Wir hören euch und werden das genau prüfen“, dann verlautbarten sie, man hätte geprüft und würde an Mischke festhalten (wobei aber unklar blieb, was genau geprüft worden war und was dabei herauskam), später trennten sich sich doch von Mischke (aber nicht wegen seiner sexistischen Positionen, sondern um Schaden von der Sendung abzuwenden), und zu guter Letzt kritisierte Programmdirektorin Christine Strobl die „Diskussionskultur“ (ohne aber zu sagen, was genau sie daran problematisch findet).

So viel Raunen und so wenig Substanz. Augenfälliger lässt sich der Autoritätsverlusts einer ehemals wichtigen Institution wie der ARD kaum dokumentieren. Das Problem geht viel tiefer als dass ein paar Verantwortliche eine schlechte Idee hatten. Die Menschen erwarten heute von öffentlichen Akteur*innen klare Positionierungen, kein Wischiwaschi und nebulöse Andeutungen. Aber klare Positionierungen haben eben ihren Preis: Unweigerlich hagelt es dann von der anderen Seite Kritik. Und zwar harsche.

Aus diesem Dilemma gibt es keinen glimpflichen Ausweg. Sondern wir müssen Öffentlichkeit neu denken. Wir müssen die Frage stellen, wie gesellschaftlicher Konsens und Zusammenhalt funktionieren können, wenn Fernsehen, Parteien und Kirchen als ordnende Instanzen ausfallen.

Müssen wir uns jetzt ständig streiten, ohne dass ein Schiedsrichter da ist, der im Zweifelsfall entscheidet? Oder fällt uns noch was anderes ein? Ich habe keine Antwort, sondern werfe das hier einfach mal in die Runde, verbunden mit lieben Grüße an euch und den allerbesten Wünschen für das neue Jahr, eure

Antje Schrupp


Hätten die ARD-Verantwortlichen die ITV1 Serie Douglas Is Cancelled (Trailer) angeschaut, hätten sie vielleicht was lernen können und klüger agiert.

Ich empfehle den Newsletter von Antje Schrupp zu aktuellen Diskussionen rund um Medien, Feminismus, Parteien und Kirchen.

Guter Beitrag dazu: Die Ordnung des Mischke-Diskurses – von Shoko Kuroe

Siehe auch: