Antje Schupp hat einen neuen Newsletter verschickt. Passiert selten in letzter Zeit (es sei denn, mein Spam Filter zensiert sie). Gute Frau, mit der ich einige weltanschauliche Schnittmengen habe. Hab sie schon öfter weiterempfohlen.
Also bei aller jetzt folgender Kritik sei bitte klar, dass Antje Schupp eine Gute ist. Und ich ein ziemlich alter, weißer Sack (i.S.v. Walter Moers).
Aber Antje Schupp schreibt in ihrem aktuellen Newsletter:
Wir verwenden all unsere Aufmerksamkeit und Energie auf die 20 Prozent “bösen Männer”, während wie uns viel viel dringender mit den 80 Prozent “nicht bösen” beschäftigen sollten. […]
Dass rund 80 Prozent aller Männer in diese Kategorie fallen, ist natürlich eine grobe Schätzung, unter den männlichen Abonnenten meines Newsletters sind es hoffentlich 99 Prozent, aber ich denke, so ungefähr wird das schon hinkommen. Aber genau die, die “nicht bösen” Männer, sind, finde ich, ein Problem.
Antje Schupp Newsletter
Als Subscriber ihres Newsletter und jemand, der sich zu den „nicht-bösen“ Männern zählt, fühle ich mich dadurch jetzt mal angesprochen. Und möchte gerne kein Problem sein. Aber wie?
Denn der Hass auf freiheitsliebende Frauen und generell auf Menschen, die ihre Sexualität und Geschlechtsidentität anders ausleben, als eine von rechtsaußen verkündete “Norm” es vorschreibt, geht nicht nur Frauen was an. Es geht euch was an. Weil “Anti-Gender” sich zu einer handfesten Gefahr für die Demokratie gemausert hat. Aber immer noch kriegen viel zu wenige von euch Arsch hoch und treten aktiv und eigenverantwortlich für feministische Positionen ein.
Antje Schupp im Newsletter
Jetzt bin ich irritiert: Warum sollte ich als Mann für feministische Positionen eintreten?
Ihr seid auch dafür, dass es mehr Geld für Frauenhäuser und Gewaltprävention geben sollte, theoretisch. Praktisch fallen euch dann aber, wenn es konkret an Budgetverteilung geht, tausend andere Sachen ein, die auch wichtig sind. Klar, ihr macht selber keine sexistischen Witze, jedenfalls nicht wissentlich, aber [wenn] andere welche machen, widersprecht ihr auch nicht. Ihr greift nicht ein, wenn euer Chefs Frauen unfair behandelt, ihr benutzt geschlechterinklusive Sprache nur, wenn Feminist*innen im Raum sind, ihr lest keine feministischen Bücher, sondern verschenkt sie höchstens zu Weihnachten an eure Freundinnen. Und so weiter und so weiter. Die Beispiele mögen variieren, aber ich denke, ihr versteht, was ich meine. […] Beim Kampf der Rechtsextremen gegen die weibliche Freiheit steht ihr irgendwie unbeteiligt an der Seitenlinie, so als wäre das nicht euer Spiel. Sicher, ihr drückt den Frauen die Daumen und würdet euch freuen, wenn sie gewinnen. Aber ihr spielt nicht mit.
Antje Schupp im Newsletter
Auch wenn ich das für keine treffende Darstellung meiner persönlichen (männlichen) Realität halte, gilt das ´möglicherweise für einige Männer, die ich kenne und viele andere mehr und ich habe erstmal kein Problem mit dieser (sicherlich bedenkenswerten) Darstellung. Und was nun? Der Titel des Newsletters gibt die Antwort:
Liebe Männer, kommt aufs Spielfeld!
hatte Antje Schupp im Titel ihre Newsletters gefordert. Platzsturm sozusagen? Doch sie greift das (aus guten Gründen?) in der Conclusio nicht wieder auf und verzichtet auch, unsere Rolle auf diesem Spielfeld näher zu spezifizieren. Sollen wir Verteidigung spielen? Oder Mittelfeld? Oder aktiv in den Angriff gehen? Oder doch per Platzsturm für einen Spielabbruch sorgen?
Ich stelle mir das Spielfeld gerade so vor: Da spielt eine Frauenmannschaft (- äh, ein Frauenteam) gegen eine Männermannschaft, um zu beweisen, dass sie die gleiche Bezahlung verdienen – die sie bekommen, wenn sie gewinnen. Die Frauen haben in der ersten Halbzeit mit intelligenten Spielzügen einige Tore geschossen und liegen derzeit vorn. Doch in der zweiten Halbzeit haben die Männer ihr Spiel „körperlicher“ werden lassen und für die intelligenten Spielzüge selbst ein paar Frauen eingewechselt (u.a. die Schweizerin Alice Weidel mit der Rücken-Nummer 88 und die gerissene Sarah Wagenknecht, die ganz ohne Rückennummer spielt). Sie sind dabei das Spiel zu drehen. Schon steht es unentschieden. Doch Trainerin Schupp hat ein paar Spielerinnenmänner im Ärmel und fordert diese jetzt auf, sich schon mal warmzulaufen. Klare taktische Anweisung: „Die Weidel brutal rausgrätschen und das Ding muss um jeden Preis rein. Das ist es doch, was ihr drauf habt.“ (Männer-Fußball-Sprache hier bewußt gewählt).
Alles geben für den Endsieg?
Soll ich jetzt aufs Spielfeld und für Frauen wie Kerstin Lau, Antje Schupp oder Annalena Baerbock eingewechselt werden? (ja, für Alice Schwarzer gern, aber die hat sich ja selbst per rassistischer roter Karte vom Platz verabschiedet). Und ich hab ein massives Handicap: Als Mann kann ich (auf diesem Spielfeld) Frauen wie Weidel, Wagenknecht oder von der Leyen weder foulen noch widerlegen, ohne als böser Mann oder (zu Recht) als Mansplainer einsortiert zu werden.
Ja, es ist die traurige Realität, dass die Frauenfeinde ihren Hass immer öffentlicher verbreiten, dass die Parteien des Patriarchats dabei sind, Wahlen zu gewinnen, dass immer mehr Frauen auf der Seite der Faschisten in Amt und Macht kommen und den Feminismus attackiern. Schon länger kennen wir das ja: Konservative Frauen kommen in Machtpositionen – ja sogar an die Spitze von Regierungen (von Margret Theacher über Angela Merkel und Liz Tuss bis hin zur Faschistin Giorgia Meloni)1 während Parteien, die sich der Gleichberechtigung verschrieben haben, keine Chance auf haben, ihre Programme durchzusetzen. Selbst wenn sie an einer Regierung beteiligt sind, kann ein Arsch von liberalem Finanzminister ihnen einfach das Geld dafür verweigern, während die feministische Außenministerin Krieg gegen das russische Patriarchat führen darf. Und das auch in demokratischen Gesellschaften, in denen Frauen eigentlich in der Mehrheit sind.
Trotzdem halte ich Antje Schupps Analyse und ihre Handlungsempfehlung für falsch. Das beginnt schon bei ihrer Definition von „guten Männern“:
Nein, wir haben hier keine 80% gute Männer in Deutschland, wie Frau Schupp behauptet, nur weil „nur“ 20% Vergewaltiger, AFD Wähler oder Frauenhasser sind. Wirklich „gute“ Männer wählen nämlich nicht CDU oder FDP oder SPD, wählen also keine Parteien, die Frauen systematisch (und sei es egoisitsch aus Eigeninteresse) von der Gleichberechtigung fern halten. Wirklich gute Männer bleiben auch nicht zuhause und gehen nicht wählen, nur weil ihnen an den weniger schlechten Parteien oder Kandidatinnen irgendein Detail missfällt. Realistisch betrachtet sind rund 90% der deutschen Männer anti-feministisch aktiv oder ausreichend gleichgülitig (was sich letztlich genauso auswirkt).
Ist also Scheiße derzeit, ja. Sieht nicht gut aus für mehr Gleichberechtigung in Deutschland – da stimme ich mit Antje Schupp überein.
Für eine gute Analyse ist es notwendig, das ganze Bild zu sehen. Treten wir daher etwas zurück
Das Patriarchat etwas ist, das seit tausenden Jahren reproduziert wird (wann der Scheiß anfing, ist wohl noch umstritten – siehe dafür z.B. Leonie Schöler „Beklaute Frauen“) und wird in Europa erst seit ca. 1789 systematisch hinterfragt und bekämpft. Und seit 1789 sind enorme gesetzliche, ökonomische und gesellschaftliche Fortschritte erzielt worden. Wahlrecht, Berufsausübungsrecht, Unterhalt, … und auch die Vergewaltigung in der Ehe wurde (erst im Juli 1997!) strafbar – gegen die Stimme unseres kommenden Bundeskanzlers Friedrich Merz und anderer CDU Abgeordneter. Zu den Fortschritten gehört auch, dass Frau Schupps Kirche sie nicht mehr als Hexe verbrennen kann – selbst wenn einige ihre männlichen Antagonisten das immer noch gern tun würden.
Was wir heute erleben ist eine Delle, ein kleinerer Setback – erwartbar in den historischen Dimensionen in denen Patriarchat und Feminismus sich bewegen. Gesellschaftliche Veränderungen verlaufen nie linear, sondern sind im Kampf zwischen Modernisierung und Konservativismus oft ein 2-Schritte-vor, 1-Schritt-zurück (oder ähnlich). Dieses Spiel dauert länger als 90 Minuten. Natürlich ist das unbefriedigend, schon weil Menschen darunter – auch existenziell – leiden. Aber solche Einstellungsänderungen lassen sich eben nicht beschleunigen, in dem man anderes oder mehr Personal aufs Feld wirft (das hat Kamela Harris leider gerade erlebt). Die Frage ist, wie wir das beschleunigen können.
Das Problem sind (in meinen Augen) auch gar nicht die Männer (natürlich sind wir es – grundsätzlich, aber in dieser Diskussion nicht für politische Mehrheiten): In Deutschland leben derzeit rund 42,3 Mio. Frauen und nur 42,2 Mio. Männer. Also rund 1,1 Mio mehr Frauen als Männer (im wahlberechtigten Alter ist der Überhang sogar noch größer). Zumindest zur Durchsetzung der konkreten politischen Themen die Frau Schupp im Newsletter anspricht (gleiche Gehälter, Paragrafen 218, mehr Geld für Frauenhäuser und Gewaltprävention) – und viele andere – bräuchten die deutschen Frauen nicht einen einzigen Mann, wenn sie denn alle dafür wären. Siehe dazu auch meinen älteren Beitrag Politik ist.
Es müssten nicht mal alle Frauen sein – es gehen lediglich 75% der Männer überhaupt zur Wahl. Und einige von denen wählen auch noch Parteien und Kandidat:inn:en, die diese Punkte eh unterstützen.
Aber wenn es schon so schwer ist, Frauen dafür zu motivieren, sich für Themen einzusetzen, von denen sie nur Vorteile haben – wie soll das bei Männern leichter sein, die den subjektiven Eindruck haben, sie hätten überwiegend Nachteile (und sei es „nur“ Machtverlust) aus solchen Veränderungen? Oder jene, die glauben, dass sich dadurch nichts zum Besseren verändern würde. Schwierig.
Schwieriger noch – als Mann – jetzt hinzugehen und Frauen zu erklären, dass diese Themen wichtig sind und die sich sich doch bitteschön dafür engagieren sollen (oder wenigstens entsprechend zu wählen). Das wäre Mansplaining at its best.
Und : Wer garantiert mir Mann denn, dass diese Themen überhaupt im Interesse „aller Frauen“ sind, so wie Frau Schupp sie entschieden haben möchte? Ich bin zwar davon überzeugt und wähle und diskutiere durchaus so. Aber sie als „männlicher Teil“ einer Frauenbewegung (Schupp: „treten aktiv und eigenverantwortlich für feministische Positionen ein.“), die derzeit bestensfalls behaupten kann, einen Teil der Frauen zu repräsentieren, für alle Frauen aktiv durchzusetzen, erscheint mir dann doch ein Schritt zu weit. Insbesondere weil seit vielen Jahren von vielen Feministinnen die Ansicht vertreten wird, wir Männer mögen uns doch bitte aus diesen Themen heraushalten (siehe Abb. rechts).
Spannende Nebenfrage: Erlaubt mir Antje Schupp dann auch aktiv und eigenverantwortlich an der Formulierung feministischer Positionen teilzunehmen? Oder würde Trainierin Schupp meinen Einsatz auf dem Spielfeld dann doch nicht soweit gehen lassen?
Vielleicht wäre der bessere erste Schritt auch zunächst die Analyse: Warum die Frauenbewegung(en) ihre Ziele und viele andere Frauen bisher nicht erreicht haben. Weder mit konfrontativen Methoden (Proteste, Schuldzuweisungen, heiße Diskussionen …) noch mit dem Marsch durch die Institutionen. Warum auch in Deutschland viele Frauen lieber einen populistischen, ausgewiesenen Frauenfeind und Arsch wie Merz wählen, als eine freundliche, sachliche und feministische Frau wie Bearbock. Und dann zu überlegen was man sinnvoll dagegen machen kann. Ich habe da durchaus Ideen – aber ich bin zuversichtlich, dass den klugen Frauen in unserer Gesellschaft mehr dazu einfällt, als uns Männer zur Hilfe zu rufen.
Und auch wenn ich mich hier weigere, aufs Spielfeld zu gehen, so ist meine Unterstützung nicht weit, wenn sie gebraucht wird. Den Kampf gegen Nazis und für Freiheit und Demokratie führe ich längst (nicht nur hier im Blog). Ich habe auch klare Ansichten, wie das Geschlechterverhältnis sein sollte – und hoffe, ich konnte diese meinem Nachwuchs auch als Vorbild vermitteln. Ich versuche, diese weiterhin in Wort und Tat in Beruf, Privatleben und Tango zu leben (auch wenn ich sicher nicht perfekt bin und auch Fehler mache).
Falls Antje Schupp genau das mit „aufs Spielfeld kommen“ meint, dann ist ja prima und ich bin schon dabei. Aber es wäre wichtig, das auch klar zu (be-)schreiben (falls sie das in dem Youtube Video tut: Aus vielen Gründen nicht mein Medium für sowas, sorry). Denn nicht nur Männer, sondern zumindest auch Fussballerinnen, verstehen unter „aufs Spielfeld kommen“ durchaus andere Verhaltensweisen. Denn die wollen das Spiel einfach nur gewinnen. Ohne bei den Methoden zimperlich zu sein.
Mit Verweis auf die französische Revolution sei erinnert: Schwänze könnten rollen! Und ja, ich / wir „guten“ Männer könnten aber auch dabei natürlich wieder eine führende Rolle übernehmen. Die des Bonaparte sozusagen.
Zum Thema passendes Fundstück:
„Judith“ – Painting by Georgy Kurasov
Das Buch Judit (hebräisch יְהוּדִית Jəhūdīt, deutsch ‚Judäerin, Jüdin‘) ist eine frühjüdische Schrift und wahrscheinlich im hellenistischen 1. Jahrhundert v. Chr. verfasst wurde. In der römisch-katholischen Kirche und der orthodoxen Kirche zählt es als deuterokanonisches Buch zum Alten Testament. In den evangelischen Kirchen wird es jedoch nicht als Teil des biblischen Kanons angesehen und ist daher nur in manchen Bibelausgaben unter den „Apokryphen“ zwischen Altem und Neuem Testament zu finden.
Das Buch berichtet von der Witwe Judit, die unbewaffnet in das Heerlager des assyrischen Generals Holofernes geht und ihn mit seinem eigenen Schwert enthauptet. Sie übernimmt indirekt die Rolle des Mose und rettet das Volk Israel. Quelle & mehr: Wikipedia
Und ja, ich bin ein ein bekennender alter, weißer Sack.
- Bin zu recht drauf hingewiesen worden, dass es in den nordeuropischen Ländern einen anderen Trend gibt: Ministerpräsidentinnen Mette Frederiksen und Helle Thorning-Schmidt (beide Sozialdemokraten in Dänemark) oder Sanna Marin (ebenfalls Sozialdemokratin in Finnland)? Katrín Jakobsdóttir, die Premierministerin Islands, kommt übrigens sogar von den Grünen[↩zurück ↩]