Die meisten Menschen denken an Wohltätigkeit, wenn sie von einer “Stiftung” lesen. Dabei dienen Stiftungen überwiegend zwei Zwecken: Steuerersparnis und Lobbyismus. Es gibt zwar auch wohltätige Organisationen, die sich diese Vorteile zu nutze machen. Aber den meisten Stiftungsgründern geht es lediglich darum, mehr Geld oder Macht anzuhäufen. Das nicht zu wissen, ist kein Problem. Stiftungsrecht gehört nicht unbedingt zum Allgemeinwissen. Es gibt jedoch eine Berufsgruppe, die sollte wissen, wofür Stiftungen benutzt werden und wissen, was keine “Stiftung” ist: Journalisten.
Anfang dieses Monats sind erschreckend viele Journalisten genau an dieser Frage gescheitert und ich musste viele Fehlinformationen in der Profi-Presse lesen – und zwar leider über das ganze Pressespektrum hinweg. Die Top-Schlagzeile des Tages war:
Facebookgründer Mark Zuckerberg spendet 45 Milliarden Dollar an eine Stiftung für wohltätige Zwecke.
So hab ich es gelesen – und so haben es sich die meisten von euch vermutlich gemerkt. An dieser Schlagzeile ist leider alles falsch.
- Das geringste ist noch, das Zuckerberg nur einer der Gründer von Facebook ist. Könnte man zur Not zwar durchgehen lassen, aber: Exakt und aktuell relevant, wäre ihn als “Vorstandsvorsitzender von Facebook Inc.” zu bezeichnen. Diese minimale Ungenauigkeit sei im folgenden aber gar nicht weiter betrachtet.
- Es geht nicht um 45 Milliarden Dollar, sondern um 99% seiner Facebook Aktien. Die sind im Augenblick zwar rein theoretisch so viel wert (mit dem aktuellen Börsenkurs bewertet). Aber wenn er nur anfangen würde, einige davon zu verkaufen, würde der Kurs sinken. Weil das Angebot steigt. Aber vermutlich noch mehr, weil der Aktienmarkt das vermutlich als Ausstieg Zuckerbergs aus Facebook verstehen würde. Und auch andere anfangen würden, ihre Aktien zu verkaufen. Dazu kommt: Die zukünftige Kursentwicklung ist völlig offen ist. Das ist wichtig, denn:
- Er verkauft die Aktien gar nicht jetzt, sondern “im Laufe seines Lebens”. Also irgendwann.
- Er spendet das Geld auch nicht, sondern überträgt es an die Chan-Zuckerberg Initiative, die er selbst gründet und vollständig kontrolliert. Das ist so, als wenn ich Geld von einem Konto von mir auf ein anderes Konto von mir überweise.
- Es gibt keinerlei Garantie, dass das Geld tatsächlich für wohltätige Zwecke verwendet wird. Zuckerbergs blumige Erklärung klingt mehr nach Lobbyismus für eine bestimmte technokratische Weltanschauung. Mit dem Versprechen, dass dadurch die Welt besser würde.
- Die Chan Zuckerberg Initiative ist nicht als Stiftung gegründet worden, sondern als “Limited Liability Company” (LLC). LLC ist in den USA eine Unternehmensform, die am ehesten der deutschen GmbH ähnelt. Wichtig: Das ist erst mal kein wohltätiger Club, sondern ein handfestes, profitorientiertes Unternehmen (1). Was nicht ausschließest, das sie gemeinnützig tätig wird, es aber keinesfalls bedeutet. Die Behauptung, es handle sich um eine Stiftung, entbehrt jeder Grundlage.
muss sich ein Journalist einfach ausgedacht haben – und alle anderen haben es unhinterfragt abgeschrieben.
Leider gibt es nicht ein einziges deutsches Leitmedium, dass alle diese Fakten richtig dargestellt hat. Kein Einziges!
Anja Ettel und Holger Zschäpitz liefern in Springers “Welt” den peinlichsten Artikel, der nicht nur wirklich alle o.g. Fakten falsch hat, sondern auch ziemlich unkritisch die angebliche Selbstlosigkeit Zuckerbergs preisen und fragen, warum es in Deutschland keine solchen “Gönner” gibt – von der (umstrittenen) Bertelsmann-Stiftung haben sie scheinbar nie gehört (2).
Die möchtegern Wirtschafts-Zeitung “Focus Money” hinterfragt zwar kritisch die Motivation Zuckerbergs. Die Redaktion füttert mit den falschen Fakten aber sogar einen Fachanwalt für Steuerrecht, zu dem Ergebnis kommt: “Das ändert aber nichts daran, dass das Geld für Zuckerberg weg ist”. Geld, das einmal in eine Stiftung geflossen ist, könne nicht rücktransferiert werden (3). Tja, wenn es denn eine Stiftung wäre. Geld aus einer LLC kann sich Zuckerberg natürlich nicht nur jederzeit zurückholen, sondern er kann auch noch zusätzlich Gewinn damit machen – während er bei Facebook ja nur Teilaktionär ist. Soviel zu “Fakten, Fakten, Fakten”.
Genauso schlecht stehen Spiegel (4) und Zeit (5,6) da: Sie hinterfragen zwar ebenfalls kritisch die Motivation Zuckerbergs, aber nicht die abgeschrieben Fakten.
Etwas mehr Mühe haben sich Süddeutsche Zeitung (7), F.A.Z.(8) und Handelsblatt (9) gegeben. Sie haben zumindest herausbekommen, dass Zuckerberg eine LLC gründet. Dass sie trotzdem fleißig die Falschinformation von “Spende” und “Stiftung” wiederholen, kann eigentlich nur bedeuten, dass diese Qualitätsmedien nicht verstehen, was eine LLC ist.
Ich habe nur eine einzige Veröffentlichung gefunden, die alle wichtigen Fakten richtig darstellt: Im berühmten und bekannten Web-Portal Finanzen 100. Schon mal davon gehört? Ich vorher nicht.
Christoph Sackmann schreibt hier schon in der Überschrift seines Artikels völlig korrekt, dass Zuckerberg “nicht spendet” und analysiert im Artikel sehr treffend und fachkundig, was dahinter steckt. Lediglich seine abschließende Bewertung “am Ende geben Priscilla Chan und Mark Zuckerberg eine Menge Geld für einen guten Zweck” halte ich für etwas naiv. Doch das ist völlig OK. Denn ich will als Leser lieber die Fakten korrekt und eine Kommentierung, die ich nicht teile, als andersherum.
Was letztlich übrig bleibt, wenn man nur die Fakten berücksichtigt:
Mark Zuckerberg will sein Vermögen schrittweise aus der Aktiengesellschaft Facebook zurückziehen und auf eine nur von ihm und seiner Frau kontrollierte GmbH übertragen.
Warum er die Wohltätigkeitsstory drumherum strickt, ist damit dann auch klar. Alles andere würde der Aktienmarkt als seinen Abschied von Facebook interpretieren. Was es wohl exakt bedeutet. Wer Facebook Aktien hat, sollte vielleicht jetzt anfangen, sie zu verkaufen.
Wir sind darauf angewiesen, das uns Journalisten den Unterschied zwischen Marketing, Propaganda usw. und den wirtschaftlichen und politischen Realitäten aufzeigen. Dafür werden sie ausgebildet und dafür bezahlen wir sie – entweder dadurch, das wir Werbung ertragen oder sogar direkt für ihre Publikationen bezahlen. Und dadurch – so behaupten sie jedenfalls ständig – unterscheiden sie sich von Amateuren wie uns Freizeit-Bloggern. Leider versagen diese Profis erschreckend oft (siehe auch hier).
Ist es nun so schwierig, Journalismus professionell zu betreiben? Nein, dazu würde nur folgendes gehören:
- Wenigstens die Originalquelle lesen und verstehen (vor allem auch das, was nicht drin steht)
- Unbekannte Fachbegriffe wie “Stiftung” und “Limited Liability Company” wenigstens mal bei Wikipedia nachschlagen
- Sprachlich halbwegs präzise arbeiten – z.B. “etwas tun” und “etwas versprechen” sowie “spenden” und “übertragen” sauber auseinander halten
- Dafür sorgen, dass der Chef vom Dienst (meist ein erfahrener Journalist) zumindest einen kritischen Blick drauf wirft, ob Überschriften und Vorspann auch inhaltlich zu den Texte passen und überfliegen keine so offensichtlichen Fehler drin stehen.
- Wenn Texte auch online veröffentlicht werden, solche krassen Fehler hinterher wenigsten berichtigen, statt sie mit jedem Aufruf weiter zu verbreiten. Die Texte sind Anfang Dezember erschienen – zwei Wochen später stehen sie immer noch so im Web. Es kann doch nicht sein, dass ich der Einzige bin, dem das aufgefallen ist.
So viel Zeit, dass nicht wenigstens dass möglich wäre, kann das nicht kosten. Und falls doch – dann habe ich lieber weniger Informationen, als solche Falschmeldungen.
Update 14.12.2015: Korrektur der Aussage unter 6.
Noch so ein Beispiel: Bildblog: Erschreckend: Nur jeder 50. Journalist erledigt seinen Job
Update 18.12.2015: Thomas Piketty äußert sich im Interview über Zuckerberg (ca. min 9-13)
Siehe auch: Weitere Einträge in der Rubrik Journalismus
Die Welt: Wie man aus heißer Luft eine Story für den rechten Zeitgeist macht
ein furchtbares Beispiel, wie sich die Bild-Hetze im Alltag n Deutschland auswirkt
Kritik an der Kritik an der Ideologie vom totalen Buchmarkt
Schlafende Kulturhauptstadt Darmstadt
Plädoyer für die Einführung von “Medienkunde” in allen Alterstufen und Schulformen
Keinen Neun-mal-Sechs Beitrag mehr verpassen: Das E-Mail Abo nutzen.
#1 by henk on 14. Dezember 2015 - 12:38
Danke für die Aufklärung! Es kam mir schon seltsam vor, aber ich wusste nicht warum..
#2 by Marc B. on 14. Dezember 2015 - 13:20
Nun, sowohl dein Beitrag, wie der auf Finanzen100 sind in wesentlichen Aspekten falsch. Ob Zuckerbergs Unternehmen eine Stiftung nach unserem Verständnis sein wird, hängt in den USA nämlich NICHT von der Rechtsform ab, sondern von den konkreten Statuten (bylaws) und deren Interpretation durch die Steuerbehörde des Bundes (Internal Revenue Service).
Auch eine LLC kann nach 501(c)(3) des tax codes als gmeinnützige Stiftung anerkannt werden, wenn die bylaws den Voraussetzungen entsprechen.
Ohne die bylaws und die Anerkennung des IRS zu kennen, kann man also keinerlei Aussagen darüber machen, ob die Chan-Zuckerberg Initiative gemeinnützig sein wird, ob Zuckerberg in der Lage sein wird, eingebrachtes Vermögen wieder herauszuziehen, ob alle Ausschüttungen an den definierte, gemeinnützige Zwecke gebunden sein werden und ob es weitere Auflagen gibt.
Politisches Lobbying dürfen US-“Stiftungen” übrigens dann machen, wenn sie sich nicht für konkrete Personen bei Wahlen engegieren, sondern für Themen und Sachinteressen. Praktisch alle “think-tanks” sind als 501(c)(3) registriert.
#3 by Carsten on 14. Dezember 2015 - 13:32
Danke für den Beitrag. Ich bin mir dieser rechtlichen Dinge bewusst, diese hätten aber den Rahmen des Beitrages gesprengt. Zumal sie nicht im Widerspruch zu meinen Aussagen stehen.
Denn das Thema “Gemeinnützigkeit” nach 501(c)(3) wird weder in den kritisierten Presseartikeln noch in meinem Beitrag angesprochen.
Es gibt bisher weder offensichtlich eine Anerkennung von Zuckerbergs Unternehmen als gemeinnützig nach 501(c)(3), noch eine Aussage von Zuckerberg, dass er das anstrebt.
Ich schließe an keiner Stelle aus, das Zuckerberg tatsächlich etwas Gutes mit seinem Vermögen anstellt. Aber bisher ergibt sich aus den Fakten keine Verpflichtung dazu. Oder zumindest geht aus der mir bekannten Berichterstattung nichts dergleichen hervor.
Natürlich hätte die Qualitätspresse eigentlich das Zuckerberg-Konstrukt genau daraufhin abklopfen müssen. Hat sie aber nicht getan.
#4 by Carsten on 14. Dezember 2015 - 13:41
Nachtrag: In einem hast du Recht – ich erwecke den Anschein, als könne eine LLC gar nicht gemeinnützig sein. Das war nicht beabsichtigt – werde ich korrigieren.
#5 by kdm on 14. Dezember 2015 - 17:49
Und wenn man dann “Lügenpresse” zu solche Versagern sagt, sind sie beleidigt und keifen in ihren Blättern oder in den öffentlich-rechtlichen Medien zurück: “alles N’zis”
#6 by Carsten on 14. Dezember 2015 - 18:21
Leider muss ich dir gleich mehrfach wiedersprechen:
1.) „Lügenpresse“ unterstellt Vorsatz. Das ist definitiv falsch. Fehler & menschliches Versagen: zu oft. Faulheit vielleicht, Sparmaßnahmen der Verlage – sicher. Aber kein Vorsatz.
2.) „Lügenpresse“ unterstellt pauschal, dass alles falsch ist. Davon kann nicht die Rede sein. Es gibt in allem Medien sehr gute, sorgfältig arbeitende Journalisten
3.) Wer „Lügenpresse“ schreit, macht sich nicht mal die Mühe, Fehler nachzuweisen.
4.) Und nein: Die Presse kann durchaus zwischen Nazis und Dumpfbacken unterscheiden. Es gibt viele Artikel, die das belegen.
5.) Die Meisten, die das Wort “Lügenpresse” verwenden, übertragen ihre Erfahrungen mit Springers Bild auf alle Medien.
6.) Die Meisten, die das Wort “Lügenpresse” verwenden, meinen, über die einzige Wahrheit zu verfügen. Und verbreiten selbst gerne Lügen. Selbstkritik ist ihre Stärke nicht.
7.) Das Wort „Lügenpresse“ ist inzwischen zum Kampfbegriff der Nazis geworden. Wer es benutzt, stellt sich selbst in deren Reihen.
#7 by comicfreak on 15. Dezember 2015 - 9:56
..Ihren Artikel lese ich so, dass das durch den Verkauf erzielte Vermögen in der neuen Gesellschaft landet.
Bisher hatte ich das so verstanden, dass er die Aktien der neuen Gesellschaft überschreibt, diese also die Dividende zur Verfügung hat, während er seine Aktienmehrheit bei facebook behält.
#8 by Carsten on 15. Dezember 2015 - 10:46
Das wäre eine Möglichkeit, die einige Stiftungen nutzen. Zuckermann sagt nur:
[Hervorhebung von mir]
Dass es irgendwann während seines Lebens sein soll, sprich dagegen, dass er es so machen will. Außerdem:
(Quelle: Handelsblatt, Link 9)
Es wäre die Aufgabe von Journalisten gewesen, da nachzufassen.
#9 by comicfreak on 15. Dezember 2015 - 12:22
ah, danke sehr