Ich lese gern. Ich lese Romane, Krimis, Sachbücher. Und vor allem journalistische Produkte. Schließlich habe ich meinen ersten Text, auf den ich stolz war, als Journalist geschrieben, fast mein erstes Geld mit Journalismus verdient (wenn man großzügig über einen Ferienjob auf dem Bau absieht) und war lange als Journalist tätig. Und bin beruflich weiterhin in der Medien-Branche unterwegs.
Leider werde ich gerade von journalistischen Produkten in letzter Zeit immer häufiger enttäuscht. Ein paar dieser Enttäuschungen habe ich hier im Blog verarbeitet (Auswahl: Nachruf auf die FTD, Wie man aus heißer Luft eine Story für den rechten Zeitgeist macht, Verlegerische Doppelmoral, die Zuckerberg-Blamage, Print vs. Digital, Wie der Hass entsteht… dank Springer, Thomas Müller entlarvt saudumme Journalisten-Frage). Andere habe ich euch (und mir) erspart.
Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass der Journalismus schlechter wird, oder ich anspruchsvoller oder kritischer. Aber es führt ganz klar dazu, dass ich immer weniger journalistische Produkte nutze, kaufe, empfehle. Sie sind mir immer seltener meine Zeit und mein Geld wert. Und ich beobachte ähnliches auch um mich herum – sogar bei aktiven JournalistInnen.
Hier eine kleine (dann doch größer gewordene) Wunschliste, wie Journalismus 2016 viel besser werden könnte. als er heute ist. 16 für 2016. Das kann keinesfalls schaden – selbst wenn Journalismus schon immer so war, wie ich ihn heute wahrnehme und ich ihn früher nur durch die rosa Brille gesehen haben sollte.
Deshalb, liebe Journalistinnen und Journalisten, möchte ich euch für 2016 um Folgendes bitten:
- Weniger Abschreiben (für Copy & Paste brauchen wir keine Journalisten)
- Öfter Fakten prüfen / hinterfragen (egal ob Infos aus Pressemitteilungen oder von der dpa stammen – ihr seit dafür verantwortlich, was ihr verbreitet)
- Weniger Zitate als Überschriften (Ein Politiker-Statement ist echt keine Überschrift!)
- Mehr Konjunktive, wenn ich euch nicht sicher seid (Das ist der Zweck des Konjunktivs im Deutschen)
- Mehr Präzision (Was genau ist geschehen? Wer sagt was? Woher stammt die Information? usw.)
- Mehr Korrekturen (Fehler passieren. Aber korrigiert bitte, wenn sich etwas als Falsch herausstellt. Auch wenn euch keiner verklagt!)
- Mehr Hintergrund (Von den 5 W’s ist das „Warum“ leider euer Stiefkind)
- Mehr Nachhaltigkeit (Aufreger rauschen durch eure Blätter – und werden vergessen. Wie ging es aus? War die Aufregung berechtigt? Was Lernen wir?)
- Weniger aus der Journalisten-Blase (90% der Nachrichten sind identisch, mit identischen Mängeln)
- Mehr raus gehen (viele von euch schreiben, ohne den Schreibtisch zu verlassen – über Orte und Menschen, die sie nie gesehen haben)
- Mehr aus dem echten Leben (Schreibt weniger über die virtuellen Blasen wie Promis, Politiker-Tratsch, Social Media)
- Mehr Informationen mit Relevanz für die LeserInnen (Welche Informationen brauchen meine LeserInnen wirklich? Welche helfen das Leben zu meistern?)
- Mehr Spaß an Sprache (Lesen darf Spaß machen, Schreiben auch)
- Mehr Nähe zu euren LeserInnen, die nicht in der Branche arbeiten (Kennt ihr die? Was sie bewegt?)
- Schreibt mehr Positives – setzt Dinge ins Verhältnis (Die Welt verbessert sich ständig – außer man liest, was ihr schreibt)
Nur weil oben etwas als Verbesserungspotential benannt ist, heißt das nicht, dass es nicht getan wird. Nur – finde ich – viel zu selten. Mehr davon führt mindestens zu besserem Journalismus, wenn nicht sogar zu besser informierten LeserInnen. Und natürlich gibt es 1.000 gute Gründe, warum ihr die Dinge so tut, wie ihr sie tut. Der böse Verlag, der Zeitdruck, Tradition, … Wirklich?
Ich schreibe das in der Hoffnung, dass die Journalisten, die ich kenne, es lesen. Und in der Branche zum Thema machen.Wer mir in allen oder einzelnen Punkten zustimmt, sollte ihnen das durch einen kurzen Kommentar mitteilen. Und diesen Beitrag zu verbreiten, kann sicher auch nicht schaden. Gern könnt ihr den Text – teilweise oder ganz – auch für eure eigene Seite oder in den sozialen Medien übernehmen. Sei hiermit pauschal genehmigt.
Und Verleger dürfen ihn natürlich auch zu Gesicht bekommen. Sie wollen ja schließlich an mein Geld.
Zu all den Punkten gäbe es viel zu sagen. Ich möchte gern zu all dem mehr Schreiben. Werde ich sicher teilweise auch tun. Und dann hier verlinken. Also schaut mal wieder rein.
Ach, und wenn jemandem aufgefallen ist, dass ich zwar 16 Wünsche angekündigt, aber nur 15 geliefert habe, dann ist er/sie bei Punkt 2 schon mal nicht schlecht dabei. Alle anderen sollten vielleicht damit anfangen. 😉
Update 18.3.2017: Siehe auch: Ignatz Worbel über“Standesdünkel und Zeitung“ in: Die Weltbühne, 16.3.1926
Weitere Einträge in der Rubrik Journalismus
Journalismus: Die Zuckerberg-Blamage
Die Welt: Wie man aus heißer Luft eine Story für den rechten Zeitgeist macht
ein furchtbares Beispiel, wie sich die Bild-Hetze im Alltag n Deutschland auswirkt
Kritik an der Kritik an der Ideologie vom totalen Buchmarkt
Schlafende Kulturhauptstadt Darmstadt
Plädoyer für die Einführung von “Medienkunde” in allen Alterstufen und Schulformen
Keinen Neun-mal-Sechs Beitrag mehr verpassen: Das E-Mail Abo nutzen.
Pingback: USA vs. Amerika (FAZ fail) | Neun Mal Sechs