Es war einmal, da gab es zwei Wirtschaftstageszeitungen in Deutschland. Eine war so neoliberal, das der Präsident des BDI dort seine Reden abschreiben lassen konnte. Und die andere war so Unternehmer-hörig, dass in ihr die Reden des Präsident des BDI täglich in sprachlich veränderter, aber inhaltlich nur unwesentlich variierter Form als Kommentare erschienen.
Eine davon war die F.A.Z. Die andere war das Handelsblatt. Was sie gemeinsam hatten: Abgesehen von der Titel- und der Meinungsseite bestand ihre Wirtschaftsberichterstattung primär aus der geringfügigen Veränderung (aber nicht unbedingt Verbesserung) von Agenturmeldungen und Pressemitteilungen. Und das war gut so, denn das liebten die mitteilenden Unternehmen und die von ihnen unterstützten Verbände. Und so schalteten sie dort fleißig Anzeigen.
Wer damals Volkswirtschaft studierte und neben Fachliteratur auch etwas über die Realität lesen wollte, konnte sich mit solcher Verschwendung von Papier nicht zufrieden geben. Der Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung (und der Economist) waren damals die einzigen (unbefriedigenden) Möglichkeiten, der stumpfen Firmenhofberichterstattung zu entfliehen.
Dann kam der Aktien-Boom und damit ein vermehrtes Interesse der allgemeinen Öffentlichkeit an Wirtschaftsnachrichten. Und plötzlich eine neue Zeitung. Eine positive Entwicklung: Die Financial Times Deutschland (FTD) machte aus journalistischer Sicht von Anfang an alles richtig. Eine moderne Schreibe, gutes Layout, eine internationale Ausrichtung, sowie fundierte und kritische Hintergrundberichte. Kaum Abtippen von Pressemitteilungen und Abdrucken von Lobby-Reden. Ein Blatt, das jeder Wirtschaftsinteressierte gern las und anregend fand. Und das sogar von der Konkurrenz gelobt wird. Was sollte da schief gehen?
Jetzt hat die FTD ihr Erscheinen eingestellt, die Redaktion ist entlassen, die Druckmaschinen erkaltet, die Abos gekündigt. Was ist schief gegangen? Gibt es keinen Bedarf für eine moderne, journalistische Wirtschaftszeitung in Deutschland?
Die Wahrheit ist: Doch! Aber der Markt für Zeitungen ist kein Markt für Qualitätscontent. Über die verkaufte Auflage kann sich keine Zeitung in Deutschland finanzieren. Der entscheidende Markt, über den sich Zeitungen finanzieren, ist der Anzeigenmarkt. Dabei geht es nicht etwa darum, einfach nur freie Werbeplätze zu vertreiben, sondern darum positive Aufmerksamkeit der LeserInnen an die werbenden Kunden zu verkaufen. Dazu gehört nicht nur ein als Anzeige gekennzeichneter Kasten, sondern ein von der Berichterstattung her positives Umfeld. Und vielen Firmen war die journalistische Aufmerksamkeit, die die FTD generierte, aus ihrer Sicht nicht freundlich genug. Zumindest im Vergleich mit den Eingangs genannten willigen Werbe-Alternativen.
Natürlich hat die Financial Times Deutschland Anzeigen erhalten – ich will hier keineswegs unterstellen, dass sie von der Wirtschaft boykottiert wurde. Aber sie hat eben doch deutlich weniger Anzeigen erhalten, als das Handelsblatt oder die FAZ. Wer mal am gleichen Tag in allen drei Zeitungen geblättert hat, wird das bestätigen können. Insbesondere der besonders lukrative Handelsregisterauszugs-, Ausschreibungs- und Stellenanzeigenmarkt ist der FTD weitgehend verschlossen geblieben.
Die Financial Times Deutschland ist nicht an zu geringen Abo- und Verkaufszahlen eingegangen. Es gibt zahlreiche „Zeitungen“ in Deutschland, die deutlich weniger Leser vorweisen können, als die Financial Times – und dass, obwohl sie sogar kostenlos verteilt werden. Dennoch überleben diese Blätter und werfen sogar Gewinne ab. Weil sie genug Anzeigenkunden haben, denen sie ein „positives Umfeld“ bieten. Dass sich diese Druckwerke keine „Redaktion“ leisten, die diesen Namen aus journalistischer Sicht verdient, scheint dem „positiven Umfeld“ dabei keineswegs abträglich zu sein.
Bei der Financial Times Deutschland kam erschwerend hinzu, dass es hier nie um das reine Überleben der Zeitung ging. Die FTD sollte auch Gewinn abwerfen. Und zwar doppelt: Für die Lizenzgeber der Mutterzeitung in England und für den herausgebenden Gruner + Jahr Verlag. Der G+J Mutterkonzern Bertelsmann ist dafür bekannt, von seinen Töchtern eine Umsatzrendite von mindestens 10% zu verlangen.
Wenn der Anzeigenmarkt jedoch Qualität in der (Wirtschafts-)Presse nicht honoriert: Ist dann qualitativ hochwertiger Wirtschaftsjournalismus in Deutschland überhaupt möglich? Ich meine: Nein. Zumindest nicht, solange dafür Tonnen von Papier bedruckt und durch die Republik geschickt werden müssen.
Mit neuen Finanzierungskonzepten und Zielgruppen-orientierten Angeboten auf Basis von Online-Diensten sehe ich dagegen durchaus ein Potential, eine gute Wirtschaftspresse zu etablieren. Denn Bedarf und Zahlungsbereitschaft für gutem und exklusiven Wirtschaftscontent gibt es durchaus – nicht aber für den Pressemitteilungsabdruck oder dpa -News.
Wie das aussehen könnte? Das ist eine andere Geschichte. Die ich vielleicht demnächst mal hier diskutiere. Zunächst muss ich aber wieder häufiger auf den Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung zurückgreifen. Denn Handelsblatt oder FAZ werde ich mir (auch heute) nicht antun. Da hat sich in den letzten 12 Jahren – wie meine gelegentlichen Stichproben zeigen – herzlich wenig getan.
#1 by Daniel Lücking on 11. Dezember 2012 - 14:05
Sicherlich kein adäquater Ersatz, aber bei Facebook ist die Redaktion noch aktiv!
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