Wirtschaftswoche Titel 27.11.2020

Ich halte generell nicht so viel von Rankings (und allgemein von übertriebener Wettbewerbsmentalität). Aber, bevor man zu sehr im eigenen Saft gart und besonders, wenn Manche alles schönreden und Andere alles kaputtnörgeln, kann ein bisschen Außensicht durchaus helfen, die Dinge an den rechten Platz zu rücken. Insbesondere angesichts der kommenden Kommunalwahl im März 2021.

Die Wirtschaftszeitschrift „Wirtschafts Woche“ (WiWo) veröffentlicht einmal im Jahr ein Ranking von deutschen Großstädten. Verglichen werden deutsche (kreisfreie) Städte und Stadt-Regionen mit mehr als 100.000 Einwohnern – davon gibt es derzeit in Deutschland 71. Das Ergebnis 2020 wurde in der WiWo von 27.11.2020 veröffentlicht (auch online – kostenpflichtig – lesbar).

Hier hab ich beschreiben, wie Darmstadt dabei abgeschnitten hat (die anderen Städte hab ich weitgehend ignoriert).

Das WiWo Ranking besteht aus drei Rankings: Einem Niveau-Ranking, das den die absolute Situation der Stadt zu beschreiben versucht. Einem Dynamik-Ranking, das die relative Entwicklung in den letzten 5 Jahren darstellt. Und – dieses Jahr erstmalig – einen Nachhaltigkeits-Ranking, das die Nachhaltigkeit des Lebens – und Wirtschaftens in den jeweiligen Städten (und damit deren Zukunftsfähigkeit) beschrieben soll. Das Gesamtergebnis ist erfreulich für Darmstadt und seinen von Uffbasse unterstützten Grün-Schwarzen Magistrat (wenn auch nicht ohne Schwachpunkte, auf die ich anschließend eingehen möchte):

  • Niveau-Ranking: Darmstadt liegt auf Platz 10 (von 71) und damit vor vielen Namen-hafteren Städten Deutschlands. Damit hat es sich um einen Platz gegenüber den Vorjahr verbessert – und das obwohl die Kriterien dieser Kategorie nicht unbedingt „grüne“ Themen favorisieren. Gutes Zeugnis also für die Stadt-Regierung.
  • Dynamik-Ranking: Mit Platz 23 (von 71) liegt Darmstadt auch in Dynamik ganz klar in der oberen Hälfte. Aber die Entwicklung gegenüber dem letzten Jahr (2019: Platz 13) ist etwas, über das ich unten sprechen werde.
  • Nachhaltigkeits-Ranking: Platz 7 (von 71) zeugt von erheblicher Zukunftsfähigkeit der Stadt – allerdings sind die Gründe überraschenderweise ganz andere, als man es bei einer Grün-dominierten Stadt erwarten würde (ich komme darauf zurück).

Kommen wir nun zu schmutzigen Details (wer nix mit langen Texten und komplexen Sachverhalten anfangen kann, kann JETZT aufhören zu lesen und allgemein beruhigt in die Zukunfts Darmstadt schauen):

Niveau-Ranking

Das Niveau-Ranking setzt sich aus folgenden Komponenten (Gewichtung im Ranking) zusammen: Arbeit1 (40%), Wirtschaft2 (30%), Immobilien3 (20%) und Lebensqualität4 (10%). Das wäre nicht meine Gewichtung und man kann darüber diskutieren – aber das macht das Rating nicht gleich grundsätzlich schlecht. Richtig guter Datenjournalismus wäre jedoch, wenn das ein Parameter wäre, den die Leser:innen (online) selbst bestimmen könnten.

Darmstadt ist eine traditionell wohlhabende Stadt im Speckgürtel der Großkapital-Metropole Frankfurt. Insofern ist ein Platz im vorderen Drittel nicht überraschend. Trotzdem ist ein Platz 10 schon bemerkenswert gut. Und die Steigerung von Platz 11 auf 10 trotz schwieriger Haushaltssituation kann sich Grün-Schwarz-Uffbasse schon zugute rechnen.

Niveau-Ranking 2020: Darmstadt auf Platz 10

Interessant wird es in den Details: Bei Arbeit und Wirtschaft hat Darmstadt gute Platzierungen (beide 12) – noch besser steht es im Bereich „Immobilien“ dar (10) – bis man im Kleingedruckten liest, dass hohe Immoblienepreise und Mieten positiv in die Bewertung der WiWo eingehen. Richtig schlecht sieht es bei der Lebensqualität aus (Rang 27), die aber nur zu 10% zählt – wichtig ist hier, zu wissen, dass die WiWo dabei nur messbare, überwiegend technische Faktoren zugrunde legt (im Artikel genannte Beispiele: Krankenhausbetten, Kitaplätze, Straftaten, Aufklärungsquote, Lebenserwartung, Geburtenrate, Wohnflächen, naturnahe Flächen, Gästeübernachtungen) und nicht verrät, wie dieses Ergebnis zustande kommt. Das ist sehr schade. Ich würde die Lebensqualität in Darmstadt rein subjektiv zum Beispiel höher einschätzen als in Frankfurt (Lebensqualität Rang 3) oder Offenbach (Lebensqualität Rang 9). Hier verwendet die WiWo meiner Meinung nach die falschen Kennziffern oder verwendet eine unpassende Benennung.

Dynamik-Ranking

Im Dynamik-Ranking gelten die gleichen Kategorien und Gewichtungen wie beim Niveau-Ranking, allerdings werden hier nur die Veränderungen der Werte in den letzten fünf Jahren betrachtet – jede Historie bleibt also außen vor. In Darmstadt deckt sich das vollständig mit der Wirkungszeit des aktuellen Magistrats – deshalb kann ihm dieser Rang direkt zugerechnet werden.

MIt Rang 23 liegt Darmstadt hier klar im ersten Drittel der verglichenen Städte – viel falsch gemacht hat der aktuelle Magistrat also nicht. Das Darmstadt letztes Jahr hier noch auf Platz 13 stand, könnte man als Warnzeichen interpretieren – aber wahrscheinlicher ist, dass es daran liegt, das einige Städte neue Dynamik entwickelt haben und an Darmstadt vorbei gezogen sind. Auf hohem Niveau ist es deutlich schwieriger (aufwändiger) eine Dynamik aufrecht zu erhalten.

Dynamik-Ranking 2020: Darmstadt auf Platz 23

In den Kategorien liegt Darmstadt denn auch bei Arbeit auf einem sehr guten Rang 13, bei Wirtschaft auf Rang 24. In der Kategorie Immobilien ist nur ein Rang 36 drin – was vermutlich heißt, dass Mieten und Kaufpreise nicht weiter steigen (sehr gut) und die zweifelhafte Kategorie „Lebensqualität“ zieht Darmstadt mit eine Rang 53 sicher deutlich nach unten. Diese Detailbetrachtung relativiert also die abgeschwächte Dynamik noch einmal deutlich – in den wirklich wichtigen Kategorien steht Darmstadt weiterhin sehr gut da.

Nachhaltigkeits-Ranking

Ein Nachhaltigkeits-Ranking führt die WiWo dieses Jahr erstmalig durch. Es lehnt sich an der Nachhaltigkeitsbegriff der Vereinten Nationen an (gut!) und berücksichtigt 15 gleich gewichtetet Kennzahlen aus den Bereichen Ökonomie, Ökologie und Soziales. Diese sind:

  • Glasfaserversorgung
  • Anteil der F&E Beschäftigten
  • Zahl der Patente
  • Zal der Forschungsinstitute
  • High-Tech-Gründungen
  • Beschäftigungsrate von Frauen
  • Beschäftigte in Nachhaltigkeitsberufen
  • Installierte Solarenergieleistung
  • Installierte Windenergieleistung
  • Haltestellendichte im ÖPNV
  • Zahl der E-Ladestationen
  • Art der Heizenergie
  • Höhe der Jugendarbeitslosigkeit
  • Anteil der Schulabgänger ohne Abschluss
  • Betriebe mit nachhaltigem Fokus (via Crawling der lokalen Firmen Web-Pages nach entsprechenden Schlagworten)

Im Nachhaltigkeits-Ranking belegt Darmstadt einen sehr guten 7. Platz (von 71). Der Blick in die Details offenbart jedoch ein deutliches und erstaunliches Ungleichgewicht:

NAchhaltigkeits-Ranking 2020: Darmstadt auf Platz 7

Während Darmstadt bei der Ökonomie sogar auf Rang 6 kommt und bei Sozialem mit Rang 11 sehr gut dasteht, stellt in unserer Grün-regierten Stadt ausgerechnet die Ökologie mit Rang 27 einen echten Ausreißer dar. Allerdings liegt unsere Stadt selbst hier noch im oberen Drittel der deutschen Großstädte und muß sich daher nicht verstecken. Aber die Grünen sollten sich hier deutlich mehr Gedanken über Ökologie machen – ihre WählerInnen erwarten das von ihnen. In Sachen Ökologie von Städten wie Ingolstadt, Wolfsburg und Ulm, ja sogar von Heilbronn und Kaiserslautern (alle ohne grüne Mehrheit) in den Schatten gestellt zu werden, ist kein Ruhmesblatt. Da geht mehr. Und zur Rettung des Klimas brauchen wir auch in Darmstadt mehr als ökologische Lippenbekenntnisse.

Fazit

Ein paar Radspuren sind noch keine ökologische Politik.

Der Grün-Schwarze Magistrat und (seine Stavo-Mehrheit mit Uffbasse) machen bessere Wirtschaftspolitik als die meisten CDU / FDP regierten Städte Deutschlands und machen eine bessere Sozialpolitik als die meisten SPD regierten Städte Deutschlands. Das kann ich – trotz Detail-Kritik am WiWo Ranking und seiner ärgerlichen Intrasparenz – wohl feststellen. Schwächeln tut unsere Stadt ausgerechnet in der grünen Kernkompetenz: Der Ökologie.

Bei den kommenden Komunalwahlen im März müssen die Grünen daher wohl kaum die konservative Konkurrenz fürchten – aber wohl jene Listen, die – wie nun sogar ein Wirtschaftsmagazin bescheinigt: zu Recht – eine grünere Politik fordern: Linke, Uffbasse und evtl. sogar eine Klimaliste.

Aber auch hier „schwächelt“ die Stadt eben auf hohem Niveau: Platz 27 von 71.

Siehe auch:

Rad-Spuren in Darmstadt

Lichtwiesenbahn in Darmstadt

Radentscheid Darmstadt

Zitzmann’s Revenge

Wer macht die Verkehrspolitik in Darmstadt?

Unterzeichnung Städtepartnerschaft Darmstadt- San Antonio im Darmstadium

Post aus der AfD

Zum Ergebnis der Oberbürgermeisterwahl in Darmstadt

Die AfD Darmstadt & die rumänischen Models

Darmstadt Unverpackt

Die selektive Rechtsstaatlichkeit des Rafael Reißer

Ein bisschen Rechtsstaat geht nicht

With the Partsch in America, oho (*)

  1. Zu Arbeit gehört: Arbeitsplatzversorgung,, Beschäftigungsentwicklung, Anteil der hoch Qualifizierten, Jugendarbeitslosigkeit, Lehrstellenversorgung, Anteil der Schulabgänger ohne Abschluss, Abiturquote, Beschäftigungsrate von Frauen, Arbeitslosen- und Beschäftigungsquote älterer Arbeitsnehmer:innen, Hartz-IV-Dichte[↩zurück ↩]
  2. Zu Wirtschaft gehört: Produktivität, BIP per Einwohner, Gründungsintensität, Insolvenzen, Arbeitskosten, kommunale Steuerkraft, Gewerbesteuerhebesätze, Patentanmeldungen, Jobs in informationsintensiven Dienstleistungen[↩zurück ↩]
  3. Zu Immobilien gehört: Baugenehmigungen, Mieten, Wohnungsneubau, Nachfrage, Preise (hohe Kosten sind positiv!), Anteil Wohnskosten am Einkommen[↩zurück ↩]
  4. Zu Lebensqualität gehört: Nur messbare Faktoren, wie zum Beispiel: Krankenhausbetten, Kitaplätze, Straftaten, Aufklärungsquote, Lebenserwartung, Geburtenrate, Wohnflächen, naturnahe Flächen, Gästeübernachtungen[↩zurück ↩]