Ich spüre eine Erschütterung der Macht. Der Macht in Darmstadt. Denn Herr Zitzmann will kandidieren. Zur Kommunalwahl am 14. März 2021.
Bevor ich hier nun über meine – unwesentliche – Meinung dazu und die politischen Implikationen dieser Entscheidung schreibe, möchte ich etwas Grundsätzliches vorweg schicken:
Ich finde das gut! Weil unsere Demokratie darauf basiert, dass sich gegensätzliche und streitbare Positionen auch zur Wahl stellen (mehr dazu in meinem Artikel Politik ist….). Und so möchte ich auch diesen Kommentar dazu verstanden wissen: Als eine kritische Auseinandersetzung mit einem Schritt, den ich ganz grundsätzlich begrüße – auch und besonders weil Herr Zitzmann und ich wohl nie politisch einer Meinung sind und sein werden1.
Herr Zitzmann und ich haben Vergangenheit. Mehr als ihm bewußt ist. Diese ist die Basis meiner Grundsatzkritik an seiner Person und an seinen politischen Positionen. Deshalb will ich sie für alle (auch für ihn) offen legen:
1.) Dieser alte Witz meiner Studienzeit ist der Schlüssel zu unserem ersten Kontakt:
Wer nichts wird, wird Wirt. Wer gar nichts wird, wird Volkswirt.
Ich bin Volkswirt. Zitzmann ist Wirt, Gast Wirt.
In seinem Club „Hillstreet No. 73“ in der Hügelstraße 73 in Darmstadt habe ich ihn das erste Mal (und noch ein paar Mal mehr) getroffen. Anno dazumal. Er wird sich nicht an mich erinnern. Ich gehörte nicht zu den Leuten, mit denen er sich anfreundete.
Coole Location im Gewöbekeller, stylish, hip. Aber auch der Treffpunkt einer Szene, die sich für cooler, für etwas besonderes, für eiltärer, ja überlegen im Vergleich zu den normalen Menschen der Stadt und des Landes hält. Und Alkobhol-gestützt – über die Anderen – ablästert.
Den Hillstreet No. 73 gibt es nicht mehr, Herr Zitzman ist jetzt Berteiber eines anderen Etablissements im/am Martinsviertel. Dieses habe ich noch nie besucht – fühlte mich weder dahin gezogen, noch haben Gelegenheit oder Alkohol-Durst dazu geführt (jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern 😉 ).
2.) Quasi nebenbei hat Herr Zitzmann ein erfolgreiches Online Projet gestartet. Auf einer Social Media Plattform hat er eine „Darmstadt“ Gruppe gegründet2, die heute rund 22.000 Mitglieder hat. Das sind jetzt nicht alle seine Fans (die meisten kennen seinen Namen vermutlich nicht mal) – die Plattform ist grundsätzlich politisch und weltanschaulich offen für alles mögliche.
In dieser Gruppe war Herr Zitzmann als „Moderator“ in Vergangenheit3 sehr schnell darin, Menschen einfach rauszuwerfen, die pointiert Meinungen vertraten, die seiner eigenen zuwieder liefen. Nicht nur bei Verstößen gegen geltendes Recht oder den guten Umgang miteinander – sondern auch in Fällen, in denen der Grund – zumindest für mich als Beobachter – nur durch Ablehnung der Meinung oder der Person erklärbar war. Grundsätzlich ist es natürlich legitim, in dieser Weise das Hausrecht auszuüben. Aber ich fand es (besonders im Vergleich zu ähnlichen Gruppen) schon auffällig – und es zeugt nicht gerade von einer „liberalen“ Haltung.
3.) Im Rahmen dieser Gruppe haben Herr Zitzmann und ich vor ein paar Jahren auch direkt ein paar Diskussionen geführt. Ich diskutiere ja gern und habe durchaus Spass daran, die Argumente auch mal zuzuspitzen – wie Herr Zitzmann es auch gerne tut. Dabei habe ich jedoch die leidige Erfahrung gemacht, dass er gar nicht verträgt, wenn jemand mit gleicher Härte und Schärfe wie er diskutiert und sich schnell, ja sehr schnell beleidigt fühlt. Das kann man Arroganz nennen – oder fehlende Selbstreflexion. Ich hab mich dann immer entschuldigt – und nach ein paar Mal dann gar nicht mehr mit ihm diskutiert. Macht keinen Spass mit so jemandem. Und führt nicht zu Erkenntnissgewinn.
Soweit zu meinen persönlichen Erfahrungen mit Herrn Zitzmann. Damit ist wohl klar, dass ich ihn nicht besonders mag (obwohl ich ihn gelegentlich durchaus unterhaltsam finde). Er mich vermutlich auch nicht. Was ihn noch nicht per se zu einem schlechten Kandidaten macht (fast jedenfalls). Ich will hier aber darlegen, warum ich seine Kandidatur auch aus politischen Gründen nicht unterstütze / für unterstützenswert halte:
Den ersten Grund hat er selbst geliefert: Arroganz.
Laut Presse will er antreten: „Gegen die Arroganz der […] Macht“. Das ist aus meiner Erfahrung mit ihm (siehe oben) erstens lustig, weil „Arrogant“ wohl das eine Wort wäre, mit dem ich ihn beschrieben hätte, wenn ich ihn mit einem Wort hätte beschreiben müssen. Irgendwie kann ich mir ihn beim besten Willen nicht als den toleranten, nach allen Seiten offenen OB vorstellen. Aber das mag an meiner begrenzten Fantasie liegen. Oder an seinem Profil-Banner auf Gesichtsbuch:
In „Gegen die Arroganz der Macht“ liegt aber noch ein zweiter selbstironischer Aspekt: Denn die „Macht“ in Darmstadt haben primär zwei Parteien: Die Grünen und die CDU. Gemeinsam. Aber Herr Zitzmann will ausgerechnet für eine dieser beiden Macht-habenden kandidieren. Nämlich die CDU (siehe auch Jörg Helénes lakonische Feststellung der Absurdität dieses Statements und der Kandidatur).
Nun ist diese CDU… – nein, das ist falsch… Richtig ist, dass die arroganteste Maßnahmen des Magistrats von Darmstadt (die von Gerichten klar als Grundgesetzwiedrig abgeurteilt wurde und btw. der Stadt und damit den Steuerzahler:innen Darmstadts einen ordentlichen Haufen Geld gekostet hat) nun ausgerechnet von einem Referenten der CDU aus ging: Rafael Reißers selbstherrlichem Stadtverbot für Fans der Eintracht Frankfurt. Will Zitzmann also „die Arroganz der Macht“ von innen heraus bekämpfen?
Nein, denn seine Motivation ist eine andere. Es ist der Anti-Grüne Reflex eines alten, weißen Konservativen, der Veränderung ablehnt, die ihm (persönlich) unangenehm ist. Vor allem in der Verkehrspolitik (wo er z.B. mit den GegnerInnen der Lichtwiesenbahn sympatisiert – und nix gegen Radfahrer hat, solange man sie nicht vor agressiven AutofahrernInnen und SUVs schützem will). Und diese grüne Politik – obwohl von einem klaren politischen Mandat getragen – als Arroganz auslegt. Weil sie seine persönlichen Ansichten nicht berücksichtigt. Die von Einem, der fest glaubt, zur Elite zu gehören und jetzt feststellen muß, dass das die Menschen in Darmstadt nicht mal interessiert.
Meine politische Kritik an Herrn Zitzmann geht jedoch noch weiter: Denn in all den Jahren flüchtiger Bekanntschaft habe ich von ihm keinen einzigen konstruktiven Vorschlag im Gedächtnis, kein Vision, nicht mal eine Idee wie oder wohin sich Darmstadt entwicklen soll. Auch die Ankündigung seiner Kandidatur im Echo enthält – auch beim sorgfältigem Lesen – keinen einzigen Hinweis, wofür sich Herr Zitzmann einsetzen will. Oder wie (und welche) der konkreten Probleme der Darmstädter BürgerInnen er lösen will. Es bedarf wenig Scharfsinn, um zu verstehen, dass seine Kandidatur vor allem von einem negativem, ablehnendem Impuls getrieben wird.
Ob sich die Idee von Paul-Georg Wandrey, dem „jungen“ CDU-Kreisvorsitzenden, Zitzmann anzuwerben, also für die CDU lohnt, bleibt abzuwarten. Schon vor der letzten Kommunalwahl 2016 kochte die Stimmung der Lautsprecher in Zitzmanns Social Media-Gruppe massiv gegen die Grünen – nur um diese dann von den WählerInnen erneut deutlich als stärkste Fraktion gewählt zu sehen (2016: 29,7% 21 Sitze). Zitzmann dürfte der CDU (2016: 18,2% 13 Sitze) also kaum neue WählerInnnen bringen. Schon gar keine jüngeren (die die CDU dringend bräuchte).
Und wie lange Herr Zitzmann („der Geist, der stets verneint“) der CDU treu bleibt, bleibt abzuwarten. Denn Kommunalpolitik ist ein eher mühsames Feld, dass dauerhaftes Engagement erfordert – ohne dass damit viel Ruhm verbunden ist.
Was ich aber – bei aller inhaltlicher und stilistischer Kritik – an Herrn Zitzmann, gut finde: Seine klare Abgrenzung zu allen Rechts-Populisten und Rechtsradikalen. Er mag konservativ sein, er mag rechts sein, er mag negativ sein – aber er kennt und hält (soweit ich das bisher beurteilen konnte) bewußt und aktiv sowohl die inhaltliche als auch persönliche Distanz zu allen Nazis und irr(ational)en Verschwörungstheoretikern.
Mit seinem emotionalen Austeilen gegen die Grünen und ihre Politik wird er es wohl sogar schaffen, ein paar Stimmen von der AfD (2016: 9,2%, 7 Sitze) zurück zu gewinnen – aber für CDU-Mehrheiten reicht das in Darmstadt nun lange nicht.
Was natürlich auch die Frage auslöst, wie ich mich zur Kommunalwahl positioniere. 2016 habe ich noch (in langen Nacht-Sessions) Fragebögen erstellt, an alle KandidatInnen verschickt und die Rückläufer ausgewertet. Die dazu nötige Distanz (schon damals grenzwertig) fehlt mir inzwischen. Ich habe – damals und danach bei ganz verschiedenen Anlässen – unterschiedlichste Personen aus der Lokalpolitik kennen gelernt und mir Meinungen gebildet, die zu differenziert und persönlich sind, um jetzt wieder – für meine persönliche Meinungsbildung – auf ein solches Mittel zurück fallen zu können. Und das (mir gegenüber geäußerte) öffentliche Interesse an einem solchen Hilfsmittel war zwar da, aber nicht groß genug, um den Aufwand noch einmal allein zu stemmen4.
Was nicht heißt, dass ich nicht aktiv werden werde. Ich habe einige Ideen und auch schon ein paar Gespräche geführt. Und zwei Domains reserviert. Mehr demnächst hier.
- Ausnahmen würden diese Regel nur bestätigen.[↩zurück ↩]
- keine nähere Info, weil ich es mir zum Prinzip gemacht habe, geschlossene Plattformen hier nach Möglichkeit nicht zu bewerben[↩zurück ↩]
- Heute moderiert ein Team die Gruppe, sodass Herr Zitzmann und seine Ansichten eine geringere Rolle spielen[↩zurück ↩]
- Mitmachen und unterstützen würde ich sowas aber auf jeden Fall[↩zurück ↩]
#1 by Stefan Zitzmann on 29. Oktober 2020 - 16:26
Ich wundere mich,
daß meine Kandidatur so ein großes mediales Echo erfährt. Nach dem Darmstädter Echo und diversen anderen Seiten hast nun auch Du Stellung bezogen, in einem langen Text, den ich über weite Strecken im Übrigen gut, wenigstens aber als sehr gut nachvollziehbar befinde.
Ich möchte nicht zu allem en Detail Stellung nehmen, ohne damit Deine interessanten Ausführungen mindern zu wollen, es ist ganz banal meiner Müdigkeit geschuldet.
Was mir wirklich gefallen hat, weil es mir unglaublich wichtig ist, ist Deine Darstellung meiner klaren Abgrenzung nach rechts!
Ich möchte mit meiner ‚Politik‘ weder dort Gehör finden noch Stimmen gewinnen. Ich habe 35 Jahre lang Grün gewählt, Grün auf vielfältige Weise unterstützt und falls ich mich in der CDU verorten müßte – die im Übrigen deutlich vielfältiger ist als ich dachte! – ist es selbstverständlich am linken Rand.
Schön auch, daß Du grundsätzlich meinen Antritt zur Kommunalwahl gut heißt. Also den eines streitbaren Charakters, der zweifelsohne polarisiert, dem es (dadurch) vielleicht aber auch gelingt, Denkanstöße zu setzen – und sei es, um Bestärkung in der eigenen, von meiner abweichenden Meinung zu finden.
Was die ‚Arroganz‘ betrifft, muß man erst einmal die persönliche Arroganz von der politischen unterscheiden, wenngleich sich Persönlichkeit selbstverständlich in der Politik widerspiegeln kann, Günther Metzger dürfte dafür ein gutes Beispiel gewesen sein.
Du hast recht: Ich bin arrogant, selbstgefällig und hoffärtig. Ich weiß darum und rückblickend würde ich vieles von dem nicht mehr schreiben, was ich gerade in besagter ‚Darmstadt-Gruppe‘ schrieb.
Ich erinnere mich selbstverständlich auch daran, daß es Dich des Öfteren traf. Alex Capgras ist noch so ein Name, auch ein guter Mann, dem ich Unrecht tat.
Ihr und einige andere mehr, Ihr seid tatsächlich so etwas wie meine ‚Geister‘, die ich mit mir herumtrage.
Du siehst, ich bin durchaus zur Selbstreflexion fähig. Dies ist auch der Grund, warum ich die Administration besagter Darmstadt-Gruppe weitgehend in andere Hände gelegt habe: Ich mochte meinen Hang zur Arroganz selbst nicht mehr. Ich arbeite an mir! Die vorhergehenden Worte mögen ein Zeugnis davon sein.
Nun zum Punkt der Arroganz der Macht: ein Wort ging sowohl dem Echo als auch Dir verloren, die GRÜNE Arroganz der Macht. Das ist wichtig, inhaltlich und natürlich auch deswegen, weil es ansonsten meine eigene Kandidatur ad absurdum führen würde.
Ja, die Grünen sind arrogant geworden! Die Grünen, leider aber auch unser eigentlich sehr geschätzter OB, betreiben eine ex-cathedra-Politik fern des bürgerlichen Konsens und demokratischer Regularien.
Deswegen meine Entfremdung nach 35 Jahren, deswegen mein Bekenntnis zur CDU als Korrektiv. Ein Bekenntnis übrigens, das ich mir bis vor zwei, drei Jahren nicht einmal ansatzweise hätte vorstellen können!
Wir erinnern uns: die Grünen sind zur Kommunalwahl mit dem Versprechen angetreten, in Dingen von übergeordneter Bedeutung die Bürgerschaft einzubinden. Das waren die Lehren aus der Nordostumgehung und aus dem Museum Sander. Indes, es ist ein Lippenbekenntnis geblieben! Sämtliche IGs, BIs und sonstige Bürgerbegehren liefen ins Leere, Bürgerveranstaltungen verkamen zu bloßen Informationsveranstaltungen, alles war im Vorfeld schon längst entschieden. Das verbittert und hat essenziell zur Bildung neuer Wählergemeinschaften in Darmstadt beigetragen.
Ein weiteres Beispiel: ich finde neue und verbesserte Radwege Klasse! Auch ich bin Radfahrer. Aber ungeachtet der Umsetzungen, über die man streiten kann, empfinde ich die politische Herleitung als einen eklatanten Verstoß gegen sämtliche demokratische Regularien.
Die Rede ist vom runden Tisch, an dem alle saßen / ihre Lobby hatten: die Fußgänger, die Radfahrer, der ÖPNV. Alle, nur die Autofahrer nicht: 38% der Verkehrsteilnehmer, Bürgerinnen & Bürger, Wählerinnen & Wähler, Freunde und Bekannte.
Sie hätten gehört werden müssen! Das ist eine Frage des simplen Rechtsstaatsprinzips.
Noch ein letztes Beispiel: der Oberbürgermeister, auch wenn er dies in einem zweiseitigen Brief an mich bestritt, hat im Alleingang versucht, Darmstadt als Tempo-30-Modellstadt beim Verkehrsministerium durchzudrücken.
Der kleine Koalitionspartner wurde nicht gefragt, die Bürgerschaft wurde nicht geragt.
Das nenne ich die grüne Arroganz der Macht und nur deswegen fühle ich mich berufen, mit meiner Kandidatur ein Zeichen in diese Richtung zu setzen.
Salus publica suprema lex! Das Allgemeinwohl ist oberstes Gebot. Dazu gehört es, die gesamte Bürgerschaft mitzunehmen, mit allen für alle, dieses Gebot hat Grün gebrochen.
Für was stehe ich? Für die Herstellung des demokratischen Rechtsfriedens. Für das Allgemeinwohl. Für eine tatsächliche Einbindung der gesamten Bürgerschaft in Dingen übergeordneter Bedeutung.
Ein paar Beispiele, um mal etwas konkreter zu werden: für bezahlbaren Wohnraum, für eine Verkehrsentwicklung über Anreize statt Verbote, für eine freie Stadtgesellschaft und für eine (nicht politisch) grünere Stadt, die Bäume pflanzt und Plätze begrünt, statt abzuholzen und Steinlandschaften in die Mitte der Stadt zu pflanzen. Gesellschaft vereinen, statt zu entzweien.
So viel dazu, mehr als ich dachte.
Ich verkneife mir Repliken auf Deine Spitzen, ich bin deren weitgehend müde.
Ich wünsche Dir alles Gute, Gesundheit und Deinen Frieden.
Bleib Dir treu. Denn auch wenn wir keine Freunde werden mögen, finde ich Deinen Weg gut!
Geh(t) wählen! Aber bitte nicht grün. 😉
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