So eine Schwangerschaft hat durchaus Nachteile. Aber sie gehören dazu und dienen dem Ziel. Ein bisschen Schwangerschaft geht nicht.
Genauso ist das mit dem Rechtsstaat. Der ist ein juristisches Konstrukt, das die BürgerInnen vor der Willkür des Staates schützen soll. Geboren aus den schlechten Erfahrungen mit der Monarchie. Erfahrungen, die auch Georg Büchner machen musste.
Bei den Prinzipien des Rechtsstaates ist das wie mit der Schwangerschaft: Ein bisschen geht nicht. Das unterscheidet die Rechtsstaatsprinzipien übrigens von den Grundrechten, die untereinander konkurrieren können und ggf. gegeneinander abgewogen werden müssen.
Das Gegenteil von Rechtsstaat ist staatliche Willkür. Nun hat in Darmstadt Bürgermeister Rafael Reißer (CDU) versucht den Rechtsstaat zeitweise außer Kraft zu setzen. Damit ist er nicht durchgekommen. Zum Glück. Schaden ist nur monetär entstanden (Steuergelder, die an das Verwaltungsgericht und Rechtsanwälte transferiert werden).
Nun gibt es Rücktrittsforderungen gegen Herrn Reißer. Sollte ich mich denen anschließen? Ich habe darüber nachgedacht und zwei Argumentationslinien identifiziert:
- Strafe
- Prävention
zu 1.) Es gibt da einen schönen Witz über einen Jungmanager, der einen Fehler gemacht hat:
Ein Jungmanager hat eine absehbare Fehlentscheidung getroffen, die dem Unternehmen eine Millionen Euro gekostet hat. Er wird zum Unternehmensinhaber einbestellt und dieser macht ihn nach allen Regeln der Kunst zur Schnecke. Zerlegt seinen Fehler bis ins kleinste Detail und erklärt ihm, was er hätte erkennen müssen und was richtig gewesen wäre. Anschließend ist der Manager am Boden zerstört und sagt mit gebeugtem Kopf:
„Sie werden mich jetzt bestimmt entlassen.“
Doch der Unternehmensinhaber erwidert irritiert:
„Ich bin doch nicht verrückt. Ich habe gerade erst eine Million Euro in Ihre Ausbildung investiert!“
Rafael Reißer ist von der Ausbildung Betriebswirt, kein Jurist. Ich habe keine Zweifel, dass er mit seiner Fehlentscheidung das Beste für Darmstadt wollte (es ging ja “nur” gegen die Frankfurter) und dass er unter einem hohen (externen) Druck stand. Unser OB Partsch war nicht im Land (dazu fällt mir dann spontan auch gleich noch Schillers Zauberlehrling ein) und er wollte möglicherweise nach den CDU-Verlusten bei der Kommunalwahl Stärke zeigen. Nicht klug, aber menschlich.
Ich bin deshalb durchaus bereit, das Thema in die Kategorie Ausbildung zu verbuchen. Schließlich gäbe es auch bei einem Rücktritt keine Gewähr dafür, dass ein Nachfolger juristisch qualifizierter wäre (außer wir nehmen nur eineN JuristIn, aber das wollen wir alle – hoffentlich – nicht).
Ich könnte daher ohne Probleme auf einen Rücktritt verzichten – unter einer Voraussetzung:
zu 2.) Ich erwarte zumindest, dass Herr Reißer erkennt und bekennt, dass er einen schweren Fehler gemacht hat, als er versuchte, dass Urteil des Verwaltungsgerichtes auszuhebeln. Denn der Rechtsstaat und damit das Urteil des Gerichts gilt für alle, nicht nur für jene, die Zeit und Geld haben, sich dagegen zu wehren. Selbst wenn Herr Reißer das Urteil für falsch hält (dann wäre der Rechtsweg der richtige Schritt) und wenn es für ihn (und Darmstadt) unbequem ist.
Insbesondere als hauptberuflicher Beamter auf Zeit (§ 44 HGO) wurde Herr Reißer durch Handschlag auf die gewissenhafte Erfüllung seiner Aufgaben verpflichtet (§ 46 HGO). Dazu gehören eben ganz zentral auch die Regeln und Verfahren des Rechtsstaates – anders als für Privatpersonen und ehrenamtliche Politiker.
Um also eine Wiederholung zu vermeiden, sollte Herr Reißer Einsicht in seinen Fehler zeigen (in der Amtsführung – politisch kann er seine Meinung gern aufrecht erhalten). Dazu gehört Mut und Größe.
Dann wäre dokumentiert, dass Herr Reißer aus der ganzen Affäre Geschichte etwas gelernt hat und eine Wiederholung nicht zu befürchten ist. Falls er das aber nicht tut (warum auch immer), dann ist er meiner Meinung nach falsch in seinem Amt, dass er mit seinem Festhalten nur beschädigt.
Und ich werde nicht wissen, ob sich seine Willkür nicht irgendwann gegen mich (oder Andere) richtet. Denn “ein bisschen Rechtsstaat” gibt es nicht. Das mag für Männer schwerer zu verstehen sein, als für Frauen. Aber so viel Verständnis ist notwendig.
Soviel zur Theorie
Inzwischen war Stadtverordnetenversammlung und das Thema wurde dort diskutiert. Mit interessanten Einblicken.
- Herr Reißer hat das Rechtsamt während Entscheidungsphase nicht befragt und es gab auch keine Stellungnahme des Rechtsamts. Das sprich zwar nicht für Reißers Krisenmanagement, aber für meine These, das er sich damals der rechtlichen Tragweite seine Entschlusses, ein Gerichtsurteil zu umgehen, nicht bewusst war.
- Oberbürgermeister Jochen Partsch sieht, das Fehler gemacht wurden. Insbesondere bei der hier von mir monierten Frage:
Bei der Einschätzung der Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung sind Fehler gemacht worden. […] Vieles, was passiert ist, darf so nicht wieder passieren.
- Herr Reißer mag jedoch keinen wirklichen Fehler entdecken (oder hat nicht den Schneid, ihn zuzugeben) und sagte wohl nur ganz unscharf:
Im Nachhinein hätte ich es vielleicht so nicht mehr gemacht.
Deshalb bin ich mir nicht sicher, ob OB Partsch für den Kollegen Reißer spricht, wenn er sagt:
Es ist eine Stärke dieses Magistrats, aus Fehlern zu lernen.
Was bleibt also praktisch? Die Uwiga hält an ihrem Abwahlantrag fest, über den in der nächsten Stadtverordnetenversammlung abgestimmt wird. Passender als das (im Kern richtige, aber zum Teil leider sehr unsachliche) Gepolter von Helmut Klett finde folgende Bewertungen:
Jörg Heléne zieht für sich folgende Erkenntnis:
Fazit also:
Für die Darmstädter CDU ist Rechtsstaat optional.
Schade eigentlich, die Darmstädter CDU war auf einem guten Weg wählbar zu werden. Das haben sie jetzt mit einer einzigen Sache wieder auf Jahre hinweg versaut.
Tim Huß (SPD) schreibt im Gesichtsbuch:
Ich bin immer noch ziemlich schockiert von der Uneinsichtigkeit der CDU-Redner. Das gilt ausdrücklich nicht für die Rednerinnen und Redner der Grünen. Klar ist aber: Für den Rechtsstaat muss man nicht nur an konstruierten Rändern kämpfen, sondern bis tief ins Bürgertum hinein.
(wobei ich die Formulierung “an konstruierten Rändern” grenzwertig finde)
Ich bin im Großen und Ganzen durchaus zufrieden mit der Arbeit der Grün-Schwarzen Koalition in Darmstadt. Meine Position ergibt sich aus grundsätzlichen Erwägungen, nicht aus Macht-politischen Gründen. Und die ist:
Ohne klares Eingeständnis eine Fehlers von Herrn Reißer halte ich ihn als Bürgermeister und Ordnungsdezernenten für nicht mehr tragbar. Denn ein bisschen Rechtsstaat ist dann halt eben doch nur Willkürstaat.
Deshalb möchte ich meine Vertreter in der Stadtverordnetenversammlung bitten, dem Abwahlantrag der Uwiga zuzustimmen, falls sich bis dahin keine Einsicht bei Herrn Reißer durchsetzt.
Siehe auch meinen Grundsatzartikel Politik ist… .
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Siehe auch:
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#1 by Helmut Klett on 23. Mai 2016 - 13:48
Wortabschrift vom Fernsehbeitrag SAT1:
http://www.1730live.de/darmstadt-und-das-innenstadtverbot-2/
„17:30 SAT.1 LIVE“ – Ihr Regionalmagazin für Hessen und Rheinland-Pfalz
Die Teil-Wortabschrift wurde von mir gefertigt, um die Aussagen etwas deutlicher zu machen. Das Interview mit Herrn Reißer fand um 15.00 Uhr am Montag statt, also gut eineinhalb Tage nach dem VG-Beschluss. Zum Nachdenken vor einem TV-Auftritt also genug Zeit, aber lesen Sie selbst weiter unten die etwas “gaga-artige” Antwort von BM Reißer.
…
Sprecherin:
Ganz so tolerant waren die gegnerischen Fan-Lager nämlich nicht. Am Ende des brisanten Derby Tages hat die Polizei 530 Personen vorläufig festgenommen.
Hochstädter, Pressesprecher Polizei:
Wir waren gut vorbereitet. Der Planungsstab vorher der hat sich da viele Gedanken darüber gemacht. Ich denke, dass die Polizei hier in Südhessen und die ganze hessische Polizei, die ja hier heute auch mit vertreten ist, gut aufgestellt ist.
Sprecherin:
Rund 1.700 Beamte sind im Einsatz. Das ist das größte Polizeiaufkommen, das es in Darmstadt jemals bei einem Bundesligaspiel gab. Die Bilanz: Mehrere Schlägereien zwischen Eintracht- und Darmstadt-Fans. Lautstarke Beleidigungen der gegnerischen Fan-Lager, Pyrotechnik und eine demolierte Kneipe. Solche Szenen wollte Bürgermeister R. R. eigentlich verhindern. Er sprach ein generelles Aufenthaltsverbot für Eintracht-Fans in der Darmstädter Innenstadt aus. Das Verwaltungsgericht kassierte diese Entscheidung, doch der Bürgermeister blieb stur. Erst Samstagmittag lenkte er ein, nachdem noch in der Nacht über 250 Eilanträge von Eintracht-Fans bei Gericht eingegangen waren, hob er das Verbot auf.
Demonstrantin am Luisenplatz:
Ja, wir haben gewonnen – ja endlich. Die Stadt musste doch einsehen, dass es doch wichtig ist, die Grundrechte einzelner Bürger zu gewährleisten; und da sind wir auch stolz und froh drauf, dass wir’s doch noch geschafft haben.
Sprecherin:
Doch das Hin und Her der Stadt könnte jetzt Konsequenzen haben. Die Unabhängige Wählergemeinschaft UWIGA fordert den Rücktritt des Bürgermeisters.
Klett:
Er hat sich an unser Rechtssystem zu halten und kann in dieser Form burschikos einfach nicht vorgehen. Er ist Vorbild, Führungsperson und hat da ein solches Fehlverhalten an den Tag gelegt, dass er meiner Meinung nach nur zurücktreten kann. Wer sollte auf ihn irgendwann bei einer ähnlichen Situation noch Vertrauen haben , dass er das vernünftig händeln kann.
Sprecherin:
Bürgermeister R. R. verteidigt sein Vorgehen.
Bürgermeister R. Reißer:
Man muss auch immer zu Entscheidungen stehen. Weil die Entscheidungen hier abgewogen gefasst worden sind, und dann ist das ein Prozess und eine Lage, die unklar ist und die wird dann zum Termin immer klarer. Und Sie müssen dann auch variabel entscheiden, immer abgestimmt mit Kollegen, die da was von verstehen und mit der Polizei und mit dem Ordnungsamt, um dann zu einer Entscheidung zu kommen, die man dann auch politisch vertreten muss. Und deswegen stehe ich zu den Entscheidungen, das ist richtig.
Sprecherin:
Auch finanziell schlägt die Verbotsdiskussion zu Buche. Für jeden erfolgreichen Eilantrag muss die Stadt Kommune mehrere 100 Euro Gerichtskosten zahlen. Darmstadt verliert auf ganzer Linie. Denn die Eintracht gewinnt auch noch mit 2:1.
Sprecherin: (Bild des Pärchens, sie Darmstadt-Fan, er Eintracht-Fan)
Zumindest für diese beiden ist das zweitrangig.
#2 by Carsten on 24. Mai 2016 - 10:32
Danke für die Abschrift und den Hinweis.
#3 by Jörg on 24. Mai 2016 - 13:32
Was ich mich bei der Aussage frage: mit welchen “Kollegen, die da was von verstehen” will er sich abgestimmt haben. Falls er das wirklich gemacht hat, haben diese Kollegen ja offenbar nix davon verstanden, denn juristisch war die Sache sehr eindeutig. Und immer noch kein: “Wir haben da was falsch gemacht”. Ohne dieses Eingeständnis kann doch niemand erwarten, dass man ihm Vertrauen kann, dass er beim nächsten Mal nicht denselben Bockmist nochmal baut.
#4 by Carsten on 24. Mai 2016 - 14:54
Jörg: Je nachdem, welche Berater er hatte: Er sollte sich neue suchen.
Eingeständnis: Ja, da stimme ich dir voll zu.
#5 by Danny on 31. Mai 2016 - 21:57
Die Beurteilung ist fehlerhaft, oder zumindest sehr unfair:
1. Die zuständige Behörde hat innerhalb ihrer Kompetenz eine polizeirechtliche Anordnung zur Gefahrenabwehr erlassen. Derartige Anordnungen werden sofort rechtswirksam und bindend, unabhängig davon ob Sie ausreichend begründet sind, weil es aus praktischen Gründen nicht anders geht. Als Betroffener kann man Widerspruch einlegen oder ggf. klagen, aber bis zu einem Urteil muss man sich – sofern die Anordnung formal korrekt ergangen ist – erstmal dranhalten, ähnlich wie bei Verkehrsschildern.
2. Sechs Leute aus dieser Gruppe haben geklagt. Das Gericht hat geprüft, ob die Anordnung was die konkreten Personen betrifft begründet ist und das verneint, weil nicht zu erwarten war dass die Kläger eine hinreichende Gefahr darstellen.
Rechtsförmlichkeit (Voraussetzung für den Rechtsstaat) heisst nun, dass das Gericht Urteil und Begründung nicht vermischt, sondern klar die Rechtsfolgen benennt, damit die Vollzugsbeamten wissen was sie zu tun haben. Das hat es getan indem es jeweils die Anordnung für die Kläger aufgehoben hat. Was das Gericht als Begründung angibt ist für die Rechtswirkung irrelevant (es wird ggf. relevant wenn das Urteil angefochten wird).
3. Die Vollzugsbehörde hat die Urteile zur Kenntnis genommen und beachtet. Die Anordnung bzgl. der anderen besteht aber natürlich weiter, zur Aufhebung müsste die Polizeibehörde einen entsprechenden Verwaltungsakt erlassen.
Jetzt sollte man sich erstmal klar machen, dass das so auch erstmal inhaltlich sinnvoll ist, denn das Gericht hat nur die Gefährlichkeit der Kläger geprüft, und nicht die von allen Betroffenen. Es ist also sehr gut möglich, dass die Anordnung für den Rest ganz oder teilweise berechtigt ist; bei Demos ist das sogar eher die Regel. Wer nicht klagt, bei dem kann das Gericht auch nicht prüfen ob er zB Gewohnheitstäter ist.
4. Nun gibt es bei der Frage zwei Aspekte / Möglichkeiten zu beachten:
Inhaltlich: Die Polizeibehörde kann das Urteil zum Anlass nehmen die Anordnung bzgl. der anderen Betroffenen zu überprüfen um sie ggf. zurückzunehmen. Dabei muss sie nach pflichtgemässen Ermessen die Gefahrensituation prüfen. Die Urteilsbegründung kann sie beachten insofern die neue Aspekte aufwirft, die für die Bewertung relevant sind (zB Fehler aufzeigt), weiterhin ist relevant ob sich etwas an der Situation selbst geändert hat (zB Spiel abgesagt, etc.). Die Begründung hat aber nur Hinweischarakter und bindet die Behörde nicht. Erste Pflicht der Behörde ist immer noch die Gefahrenabwehr und da hat ihr der Gesetzgeber einen grossen Beurteilungsspielraum eingeräumt. Im Zusammenspiel mit der Möglichkeit Betroffener vorm Gericht Individualrechtsschutz zu suchen ist das vermutlich die beste allgemeine Lösung, weil die Kompetenz die Gefahr zu beurteilen eben v.a bei der Polizei liegt.
Soweit nun die Behörde die Gefahr weiter für unbeherrschbar hält ist es ihre Pflicht sie aufrechtzuerhalten und durchzusetzen; denkbar wäre auch eine Teilaufhebung, zB bzgl. denen ohne Vorstrafen.
Praktisch: Die Behörde hat erklärt, dass sie die Gefahr weiterhin sieht. Allerdings war wohl absehbar, dass sie vor Gericht einen schwierigen Stand hat und es hab politischen Druck. Deshalb wurde die Anordnung wohl aufgehoben, aus sachfremden Erwägungen. Imho eine klare Pflichtverletzung, sofern man die Anordnung wirklich noch für notwendig hielt. Hätte es dann wirklich eine Katastrophe gegeben (zB Loveparade-artig) stände Staatshaftung und Strafbarkeit der Leitung im Raum; zurecht.
5. Warum sich soviele aufregen:
Mir fehlt die Kompetenz selbst die Gefahrenlage zu beurteilen; allerdings spricht glaub ich viel dafür dass die Situation zur Not mit Hilfe der Bundespolizei oder der Landesbereitschaftspolizei beherrschbar gewesen wäre. Im Prinzip ist das wie bei Demos, nur dass Demos stärker geschützt werden (zurecht) als Fussball gucken. Irgendwer muss das ja dann auch bezahlen. Jedenfalls ist die Sache an sich nicht ganz so klar.
Aufregen tun sich die Leute nun wohl weil sie die Kläger und den Rest mental gleichsetzen und erwarten dass die Verwaltung dann keine Unterschiede macht. Die Gleichsetzung ist unberechtigt, weil die Gefährlichkeit der anderen unbekannt ist, und weil Gefahren auch oft erst in der Masse auftreten. Aus dem Aspekt seh ich da nichtmal grundrechtsdogmatische Probleme. Rechtsstaatlich wär die Aufrechterhaltung auf jedenfall vollkommen unproblematisch; die Behörde hat ihre Kompetenzen nicht überschritten. Zudem ist das genannte Argument an sich auch vollkommen plausibel. Hauptaufgabe der Polizei ist es die öffentliche Sicherheit zu garantieren; für komplexe Individual-Grundrechtabwägungen ist man da eh nicht qualifiziert.
Wenn Sie mal in der Nähe einer Demo+Gegendemo inkl. Antifa waren, dann werden Sie dankbar sein für die grossen Freiheiten die die Polizei hat. Meistens macht die Polizei ihre Arbeit bei der Gefahrenabwehr bei Versammlungen im Vergleich zum Ausland sehr gut, auch weil sie viele Freiheiten hat, selbst wenn das mitunter zu Fehlern führt und der schwarze Block dann meckert. Und Massenveranstaltungen sind keineswegs harmloser als Demos.
Aber dennoch: Wieviele Verletzungen, Gefahrensituationen, etc. gab es denn dann letztlich?
Und waren die ihrer Meinung nach gerechtfertigt durch das zusätzliche Fussballguckvergnügen?
#6 by Danny on 31. Mai 2016 - 23:54
Einer der Beschlüsse wurde mittlerweile veröffentlicht: http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/lexsoft/default/hessenrecht_lareda.html#docid:7540799
“Tenor:
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 28.04.2016 gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 21. April 2016 wird wiederhergestellt.
Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.
Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.”
Es wurde also nichtmal die Verfügung gg. den Antragssteller aufgehoben sondern lediglich die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederhergestellt im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes. D.h. bis sie einen Widerspruchsbescheid erlässt darf die Stadt die Verfügung gg den Antragssteller nicht vollziehen (dann sofort wieder).
Aus der Begründung ergibt sich auch nichts anderes: Das Gericht hat lediglich mitgeteilt, dass es beim vorliegenden Aktenstand hinreichend wahrscheinlich ist, dass die Verfügung aufgehoben werden könnte und deshalb das Interesse des Antragsstellers vorläufig überwiegt.
Über die Rechtswidrigkeit der Verfügung selbst wurde überhaupt nichts entschieden.
Bei so kurzfristigen Anträgen erhält der Gegner meistens nichtmal die Gelegenheit sich zu den Argumenten zu äussern; wie die Hauptsache ausgegangen wär ist also völlig offen; v.a. weil die Begründung imho nicht tragfähig ist. Für linke Chaoten am 1. Mai etc. werden nämlich regelmässig genau solche Verfügungen erfolgreich verteidigt.
Übrigens wurde nur 5 von 6 Anträgen stattgegeben, d.h. einen Antragssteller hielt das Gericht wohl für gefährlich genug.
Kritisiert wird anscheinend, dass die Stadt genau das machen wollte, was das Gericht beschlossen hat.
Wieviele Unbeteiligten deshalb wohl verletzt wurden?
#7 by Jörg on 1. Juni 2016 - 7:28
@Danny: zugegebenermaßen ist die “Juristerei” manchmal etwas undurchsichtig, weshalb nachvollziehbar ist, dass nicht jeder versteht, was das eigentliche Problem ist. Um das alles genauer zu erklären, hab ich grade leider sehr wenig Zeit, aber ich empfehle dazu diesen Beitrag: http://www.schwatzgelb.de/2016-05-04-im-fokus-wie-die-tore-der-stadt-darmstadt-verbarrikadiert-werden-sollten-und-der-sturm-ausblieb.html
Da werden viele wichtige Punkte angesprochen und meiner Meinung auch deutlich gemacht, was Reißer und (zwischenzeitlich muss man das wohl so sagen) auch die komplette Darmstädter CDU nicht verstanden hat und was in einem Rechtsstaat eben nicht geht.
#8 by Jörg on 1. Juni 2016 - 8:09
PS: vor allem, warum die Verfügung nicht aufgehoben wurde, sondern die aufschiebende Wirkung wiederhergestellt wurde, wird da sehr gut erklärt. Und auch, dass das schon an Reißer gerichtet bedeutete: “Lass den Quatsch, du Depp!”
Juristen formulieren nicht so wie der Alltagsmensch, das ist manchmal etwas unzufriedenstellend, hat aber gute Gründe. Jeder Jurist hätte aber verstanden, was gemeint ist. Von daher muss bezweifelt werden, dass Reißer irgendwen gefragt hat. Und wenn, dann hat er ihn falsch verstanden. Ich hab mich mittlerweile mit vielen Juristen darüber unterhalten und eigentlich kann man die Reaktionen in zwei Kategorien unterteilen: die einen schütteln mit dem Kopf, die anderen lächeln mitleidig.
#9 by Helmut Klett on 2. Juni 2016 - 14:13
Aus dem Beschluss auch für Laien verständlich:
“Denn nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Sachlage erweist sich die Allgemeinverfügung vom 21.04.2016 als o f f e n s i c h t l i c h rechtswidrig”.
Also keine Märchen erzählen: die Rechtswidrigkeit der Verfügung gelte nur für die paar Kläger !
Ungewöhnlich deutlich und scharf wurde das reißer(i)sche Verhalten von einem Volljuristen (nicht “nur” Sprecher sondern Richter am VG) kommentiert:
„Das zeugt schon von einem gewissen rechtsstaatsfernen Verhalten“, sagte Gerichtssprecher Jürgen Gasper
(http://www.fr-online.de/rhein-main/innenstadtverbot-fuer-eintracht-fans-darmstadt-ignoriert-das-gerichtsurteil,1472796,34168340.html)
Dass jetzt ein solcher uneinsichtiger Rechthaber von den “Rebellen gegen das Establishment”, den Uffbassern, gestützt wird, ist wirklich toll!
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