Staatliche Maßnahmen müssen immer angemessen sein. Das ist nicht nur meine Meinung, dass ist auch die Maßgabe des Grundgesetzes, wie ich zum Beispiel in meinen Überlegungen zur verfassungsmäßigkeit der Lockdown-Regeln dargelegt habe.
Nun wird – bevor überhaupt ein Impfstoff gegen Corona vorhanden ist und wir Details / (klinische) Studien dazu kennen (Update 1.5.2021), heiß über eine Pflicht zu Corona-Schutzimpfungen diskutiert. Dabei wird sehr viel Un- und Halbwissen verbreitet. Deshalb hier meine (derzeitige) Position dazu – auch als Versuch die Diskussion zu versachlichen.
Impfungen sind ein genialer Weg, den menschlichen Körper mit Antikörpern gegen gefähliche Krankheiten auszustatten. Das rettet jedes Jahr Millionen Leben und hat uns ermöglicht, furchtbare Krankheiten fast völlig loszuwerden. Die meisten von uns gäbe es ohne Impfungen gar nicht.
Impfungen haben zwei Effekte: Sie schützen uns vor einem Virus, aber sie verhindern auch, dass wir andere anstecken.
Nun ist es aber so, dass Letzteres dann kein Thema ist, wenn sich diese „Anderen“ selbst durch eine Impfung schützen können. Das nennt sich Eigenverantwortung und kann man von einer mündigen Bürger:in erwarten. Wenn das also möglich ist (eine Impfung also für jeden sinnvoll und möglich ist), dann gibt es keinen Grund zu einer Impfpflicht (und sie wäre m.M. sogar verfassungswidrig – aber das würde ich nicht als Fakt behaupten).
So ist das zum Beispiel mit der Grippe-Impfung: Obwohl jedes Jahr Menschen im zwei-stelligen Tausenderbereich an Grippe sterben, gibt es keine Pflicht zu einer Grippe-Schutzimpfung. Weil sich jede:r der will, dagegen schützen kann. Ich kann also als Ungeimpfter nur Menschen anstecken, die sich ebenfalls gegen eine Grippe Schutzimpfung entschieden haben (unabhängig davon, ob das klug ist).
Nun gibt es aber Fälle, wo das Prinzip Eigenverantwortung nicht greift:
- Untypische Krankheiten: Gelbfieber1 ist ein Beispiel für eine Krankheit, die in Deutschland untypisch ist und daher kann nicht erwartet werden, dass sich alle in Deutschland gegen Gelbfieber impfen lassen. deshalb gibt es für Menschen, die in bestimmte Regionen reisen wollen, eine Impfpflicht gegen solche dort verbreiteten, hier aber untypischen Krankheiten.
- Potentiell tödliche oder sehr schwere Kinderkrankheiten: Weil Kinder ihre Eigenverantwortung nicht selbst wahrnehmen können und sich gezeigt hat, das nicht wenige Eltern das leider nicht ausreichend tun, kann und darf der Staat hier zum Schutze der Kinder eine Impfpflicht beschließen.
- Hoch-ansteckende Krankheiten, bei denen der Impfschutz (die Antikörper) nur sehr begrenzte (und schwer abschätzbare) Zeit vorhält2 und es daher immer wieder zu Epedemien kommt, weil immer ein Teil der Bevölkerung (unbeabsichtigt) über keinen Schutz verfügt – bei uns ein theoretischer Fall, da es m.W. keine solche Krankheit gibt. In dem Fall hielte ich aber eine Impfpflicht für angemessen.
- Wenn es gegen eine hoch-ansteckende Krankheit nur Impfstoffe gibt, die für einen erheblichen Teil der Bevölkerung aus medizinischen Gründen (wissenschaftlich nachgewiesen) nicht in Frage kommen (weil gefährlicher als oder ähnlich gefährlich wie die Krankheit) und dieser Teil der Bevölkerung (der seine Eigenverantwortung nicht wahrnehmen kann) geschützt werden soll.
Gibt es nun hinsichtlich Corona einen Grund, eine Impfpflicht einzuführen, wenn denn mal ein Impfstoff da ist (oder gar vorsorglich)? Nein. Denn:
- Punkt 1 ist offensichtlich nicht erfüllt
- Punkt 2 ist ebenfalls nicht erfüllt – die extrem geringe Zahl von Kindern, die vom Corona-Virus geschädigt wird, rechtfertig keine Impfpflicht
- Punkt 3 kann überhaupt erst beantwortet werden, wenn
ein Impfstoff vorliegt oderder Umgang des Körpers mit den Antikörpern ausreichend beobachtet wurde. Und dann wäre immer noch genug Zeit, eine Impfpflicht einzuführen - Punkt 4
kann erst beurteilt werden, wenn ein Impfstoff gefunden wurde.Update 15.7.2021: Dieses ist bei den vorhandenen Corona-Impfstoffen (soweit bisher zu beurteilen) nicht gegeben.
Update 5.5.2020: Kurz nachdem ein Bekannter den Fall 3 als reichlich konstruiert bezeichnet hat, bin ich über diese Überschrift auf spiegel.de gestolpert:
Der Artikel steht leider hinter der Paywall – aber das „scheint“ in der Überschrift bedeutet: Nicht bewiesen – also (noch) kein Grund, eine Impfpflicht zu fordern.
Es gibt also derzeit keinen rationalen Grund, eine Impfflicht gegen Corona überhaupt nur in Erwägung zu ziehen. Und wer das derzeit fordert (Politiker:innen eingeschlossen) verhält ich genauso unwissenschaftlich und uninformiert wie jenen Menschen, die die sich pauschal gegen Impfungen wehren. Sorry, ihr seid nicht besser.
Sorgen mache ich mir deshalb aber keine über eine Impfpflicht. Und werde auch keine Petitionen dazu und ähnliches unterstützen. Denn ich wette darauf, dass spätestens das Bundesverfassungsgericht eine entsprechende Pflicht ablehnen wird. Nicht angemessen. Punkt. Und dass derzeit unangemessene Lockdown-Vorschriften bereits von (niederen) Verwaltungsgerichten abgewiesen werden, stärkt mein Vertrauen in unser Rechtssystem – übrigens auch da, wo ich anderer Meinung war/bin.
Und eine Impfpflicht gegen den Lockdown und die wirtschaftlichen Folgen?
Ich denke, dass viele die derzeit (mehr oder wenig unreflektiert) die Forderung nach Impfpflicht unterstützen – es deswegen tun. Brauchen wir nicht – denn sobald ein Impfstoff für alle Menschen in Deutschland (die sich impfen lassen wollen) verfügbar ist (was ja eh eine Voraussetzung für eine Corona-Impfpflicht wäre), können wir sämtliche Maßnahmen sofort aufheben – denn dann ist Corona tatsächlich nur noch so etwas wie die Grippe: Eine sehr ansteckende (und potentiell gefährliche) Krankheit, gegen die sich jede:r eigenverantwortlich schützen kann.
Siehe zum gleichen Thema auch:
Meine Corona-Lockdown Tagebuch
Zum Thema Impfpflicht sind – über Social Media – leider auch zahlreiche Falschmeldungen verbreitet worden. Hier zwei Fakten-Checks.
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