Drecksack- Definition

Drecksack- Definition lt. Wiktionary.org

Ich habe den Drecksack bekommen. Und war überrascht. Denn er wird seinem Namen überhaupt nicht gerecht. Er ist sehr sauber, sehr aufgeräumt, ordentlich. Und es ist auch kein Dreck drin. Jedenfalls kein offensichtlicher. Obwohl er aus Berlin zu mir kam.

Etikettenschwindel?

Denn der Drecksack nennt sich im Untertitel auch “Lesbare Zeitschrift für Literatur”. Zur Bewertung, ob hier Volkswagen-like  geschummelt wurde, bedurfte es einer genaueren Analyse der schwarzen Buchstaben auf dem hell-gelben Grund.

Wobei sich schnell herausstellte, das zumindest der Untertitel falsch ist. Er müsste korrekt “Lesbare Zeitschrift für Literatur & Fotografie” lauten.  Ein bisschen lang und unhandlich, gebe ich zu. Während zwar die Literatur den meisten Platz im Heft einnimmt, sind dennoch die Fotografien (in der mir vorliegenden Ausgabe 3, Jahrgang 6 von Siebrand Rehberg) am visuell dominantesten und auch inhaltlich sehr beeindruckend. Auf jeden Fall mehr als nur Beiwerk.

DrecksackGleich im ersten Beitrag geht dann zur Sache – es kommt zu Sex. Doch Saskia Prüß macht schnell klar, dass der zwar anders sei. Aber nicht falsch. Und schon gar nicht dreckig. Nein, der Sex, den uns Saskia hier präsentiert ist rein weiblich und findet dementsprechend – sehr reinlich – im Waschkeller statt.

Auch die folgenden Texte suhlen sich nicht gerade im Dreck. Weder ihre Protagonisten, noch ihre Autoren erscheinen als besondere “Drecksäcke”. Die Texte sind eher spannende Aufzeichnungen von den Rändern der Gesellschaften, berichten von schrägen Typen, seltsamen Ereignissen, schrägen Literaten und erstaunlichen Begebenheiten.

Die Prosa-Texte bewegen sich irgendwo zwischen Subkultur (dazu fehlt ihnen meist die Dichte), Reportage (dazu fehlt ihnen die logische, stringente Story)  und Feuilleton (dazu fehlt ihnen die herablassende Blasiertheit der Besserwisser). Aber sie kommen auf eine  angenehme Weise direkt aus dem Leben, sind authentisch, lebendig, eindrücklich. Literatur zum Querdenken. Noch keine Meisterwerke, aber sehr solides Werkstattmaterial.

Einzig die “Musikbesprechung” bricht aus diesem Muster aus. Sprachlich bewegt sie sich weit weg von literarischer Originalität. Eine Musikkritik kann sie sich auch nicht nennen – dazu fehlt ihr die kritische Distanz zum Objekt der Besprechung. Sie wirkt eher wie eine unbeholfene Lobpreisung eines Fans, der vergeblich klar zu machen versucht, warum er die Band mag und dabei diese als so bekannt voraussetzt, dass er nicht einmal  den Musikstil nennt. Der Musikliebhaber in mir wendet sich da irritiert ab.

Höhepunkt dagegen ist das lyrische Material. das der Drecksack präsentiert. Wobei dieses Urteil unfair ist, da ich die Poesie ja eh für die Krone des literarischen Schaffens halte. Trotzdem: Die 10 Gedichte lockern den ansonsten im strikt vier-spaltigen Blocksatz (geradezu militärisch anmutend) gehaltenen Drecksack nicht nur visuell auf, sondern mischen den geneigten Leser auch sprachlich und inhaltlich auf.
Starke Auswahl.  Insbesondere die Texte von Jóanes Nielsen (aus dem Norwegischen aus dem Faröischen übersetzt)  und von Jonis Hartmann lassen dann doch (auf ganz unterschielichen Weise) Drecksäcke aufblitzen.

OK, und dann ist da noch dieser Text von Matthias Hering “Kynophargie leichgemacht – der Rottweiler Metzgerhund”. Da ist ein echter Drecksack am Werk. Ist das noch Literatur? Oder einfach nur ein Kochrezept? Jedenfalls – für viele – ein schwer verdauliches. Ich habe es genossen.

Nochmal kurz zurück zur Fotographie: Ich hatte die Bilder beim ersten überfliegen – unterbewusst – teilweise in arabischen und russischen Gesellschaften verortet. Bis ich dann den Begleittext mit Infos zu Siebrand Rehberg las. Sie sind aus Deutschland.

Fazit: Geniale Fotos, tolle Lyrik, gute Geschichten, mieser Soundtrack. Das alles in einem Layout, das mir persönlich zu steril, zu kalt ist. ich mir aber immer wieder gönnen werde. Gratulation an den unermüdlichen Herausgeber Florian Günther für die – schon sechs Jahre andauernde – Bereicherung der Welt mit dem Drecksack. Ich wünsche ihm, er möge noch viele weitere Leserinnen und Leser finden. Solche Heft sind so viel mehr wert, als als die kommerziellen, werbe-getränkten Hochglanzmagazine am Kiosk. Nur leider viel schwieriger zu kriegen.

Die hier besprochene Ausgabe Jahrgang 6, Heft 3 enthält:

Prosa von

  • Saskia Prüß
  • Erik Steffen
  • Susann Klossek
  • Matthias Hering
  • Alexander Brener und Barbara Schurz
  • Sebastian Wippermann
  • Matthias Merkelbach
  • Dunkelmayr
  • Franziska Hauser
  • Eric Ahrens
  • Joachim Wendel
  • Erik Steffen
  • Thomas Meyer-Falk

Lyrik von:

  • Michael Arenz
  • Gerd Adloff
  • Daniel M. Petri
  • Jonis Hartmann
  • Gringo Lahr
  • Arthuro de las Cosas
  • Urs Böke
  • Florian Günther
  • Jóanes Nielsen

 

Habe mir gerade die nächste Ausgabe bestellt.

 

Mehr Informationen und Bestellung auf der Webseite der Edition Lükk Nösens oder klassisch unter:

Edition Lükk Nösens

c/o Florian Günther

Kochhannstraße 14

10249 Berlin

 

 

Siehe auch:

Letzte Zuckungen der schnappenden Schildkröte“  bei Darmstadt-Abo  (10 Euro sind für abgedrehte Lyrik gut investiert).

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