Der (Nicht-ganz-)Darmstädter (nicht-)Historiker S. Peter Brunner (Update 10.1.2016 – siehe seinen Kommentar) deckt in seinem Blog Neues aus Buechnerland einen Skandal auf: Für den hessischen Provinz-Dichter Ernst Elias Niebergall (1815 – 1843) gibt es in Darmstadt inzwischen drei Denkmäler. Für den weltweit geachteten und gespielten Literaten (und Revoluzzer) Georg Büchner dagegen kein einziges.
Soeben hat man in Darmstadt ein weiteres Denkmal für Niebergall enthüllt. Professor Thomas Duttenhöfer hat eine lebensgroße Plastik geschaffen, die wohl eher Datterich als Niebergall darstellt – es ist Darmstädter Allgemeingut, dass Niebergall als einigermaßen verkrachte Existenz selbst durchaus zu Recht in seiner Figur erkannt wird. […]
„Liebe Frooinde“, wie Datterich sagen würde, „en Momend emol“: von mir aus kann für Niebergall, dem bereits mit dem „Niebergall-Brunnen“ von 1930 und einer Datterich-„Installation“, die heute kein Brunnen mehr ist, gedacht wird, noch ein viertes und ein fünftes Denkmal aufgestellt werden […] da halte ich es wie mit dem Fußballstadion – Mehrheiten wollen bedient werden. […]
Georg Büchners Gedenken überfordert dagegen wohl seine kleine Stadt.
Welch eine Überraschung! Da muss man dringend etwas gegen tun! Fordert Brunner:
[…] so lange nicht Georg Büchner auf dem schönsten Denkmal Darmstadts steht – so lange kann Georg Büchners Anerkennung nicht als gesichert gelten.
Wobei ein Denkmal noch der einfachste Weg der „Entsorgung“ wäre – da kann er nicht sprechen und bleibt ein historisches Gespenst. So wie die verschleppten Juden am Güterbahnhof, die Brandnacht auf ihren Tafeln, … Symbole ohne jede Verpflichtung: Kann man so stehen lassen.
Denkmäler sind heute ja geradezu Symbol für die postmoderne Deutungsbeliebigkeit. Da werden Kriegerdenkmäler (die Soldaten Treue und Mut und sonstwas andichten) umdefiniert zu Mahnmalen (damit man jedem inhaltlichen Konflikt entgeht), die angeblich ein „Nie wieder“ vermitteln sollen (während die gleichen Akteure kein Problem damit haben, Soldaten, Bomben und Kampfflugzeuge in alle Welt zu schicken).
Aber: Sind dann die Statuen der Diktatoren Ludwig I. und Ludwig IV. auch Mahnmale, die an die Schrecken der Monarchie erinnern sollen? Nein, so würden das die gleichen Akteure dann vermutlich nicht sehen wollen. Das sind doch Erinnerungen an die Stadtgeschichte, historischen Monumente.
Aber dann kann man doch sicher wenigstens den alten Bismarck am Ludwigsplatz endlich beseitigen, dessen einzige Verbindung zur Stadt darin besteht, dass er „nach 1851 wiederholt in Darmstadt residiert[e]“ (Quelle: Echo) und aus diesem Grunde auch gleich (untertänigst) zum Ehrenbürger ernannt wurde. Skrupel, dafür die Schutzpatronin Darmstadtia (aka Hassia) der Stadt zu opfern, hatte man damals jedenfalls nicht. Es dauerte nur 38 Jahre, 6 Monate und 10 Tage, bis Darmstadt für solchen Untertanengeist die Quittung erhielt. Aber wir ehren / erinnern / mahnen weiter (an/vor) diesen(/m) Bismarck.
Und so huldigt Darstadt auf seinen zentralen Plätzen zwei Monarchisten, einen Militaristen und das Infanterieregiments 115 (unter Aufzählung dessen glorreicher Schlachten). Interessante Botschaft, die wir da an unsere Kinder und natürlich an die Geflohenen und Migranten aus anderen Ländern senden. Über unsere Kultur und Werte.
Deshalb wäre es in meinen Augen eine Beleidigung gegen Büchner, ihn ausgerechnet mit Leuten wie Ludwig I. & IV., Bismarck, und anderen in Darmstadt bedenkmalten auf eine Stufe zu stellen. Werte sind kein Fußballspiel, bei dem dann ein Büchner-Denkmal einen 4:1 Ehrentreffer für die Kultur markieren kann.
Büchners würdig wäre der Versuch, den Langen Ludwig zu stürzen… oder wenigstens ein Preis, der zivilen Ungehorsam in Tateinheit mit Gesetzesverstößen belohnt (und nicht von irgendwelchen angepassten Honoratioren vergeben wird) und so einen kritischen gesellschaftlichen Diskurs anstößt.
Das Niedergalls Sauf-Komödie in Darmstadt von der satten Oberschicht mit Promi-Gästen inszeniert wird, ist doch Strafe genug für Niedergall – daran würde ich mich also nicht orientieren. Das Stück repräsentiert geradezu famos die heutige DSDS- und Big Brother-Kultur:
Große Leute sprechen über Ideen. Durchschnittliche Leute sprechen über Dinge. Kleine Leute sprechen über Leute.
Quelle: Unbekannt
Eine Stadt definiert sich nicht dadurch, wen sie zuletzt zur geduldigen Denkmalparade hinzufügt, sondern durch das Gesamtbild, das sich durch diese Dinge ergibt. Beginnend mit den großen Statuen auf den großen Plätzen. Und dieses Gesamtbild ist für Darmstadt nicht schön, aber deutlich.
Fotos: Carsten Buchholz
Siehe auch:
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#1 by peter brunner on 2. November 2015 - 12:07
Danke für die aufmerksame Lektüre, aber ich werde schon lieber vollständig zitiert. Meine Bemerkungen über das Verhältnis von Büchner zu Niebergall enden so:
„Es geht nicht darum, das nächste runde Jubiläum abzuwarten, um endlich Georg Büchner Anerkennung zu zollen. Stattdessen kann das nur geschehen, wenn diejenigen, die er bis heute berührt, denjenigen, die über die nötigen Mittel und Wege verfügen, unmissverständlich auf die Sprünge helfen: So lange ein hessischer Wissenschaftsminister öffentlich auftreten kann, ohne dass ihm die Versäumnisse um Büchnerforschung und Gedenken um die Ohren gehauen werden, so lange eine Landesregierung von Kulturförderung reden kann, ohne dass ihr die Lage von Büchners Forschungsstelle und von seinem Geburtshaus entgegengehalten wird, so lange ein Kunstwerk wie die freie Büchnerbühne in Riedstadt nur durch grenzenlose Selbstausbeutung der Künstler und unter prekärsten Umständen bestehen kann, so lange nicht Georg Büchner auf dem schönsten Denkmal Darmstadts steht – so lange kann Georg Büchners Anerkennung nicht als gesichert gelten. Jede Schauspielerin, jede Regisseurin, jede Autorin, jede Germanistin, jede Ärztin, jede Biologin und nicht zuletzt jede halbwegs republikanische Politikerin, die in ihrem Leben je erkannt hat, was Georg Büchner ihr zu bieten hat (und alle Männer in den genannten Tätigkeiten dürfen sich mit gemeint verstehen), ist aufgerufen, Georg Büchner ein Denkmal zu setzen. In Gedanken, Worten und Taten.“
„Denkmal“ verstehe ich also ganz unmißverständlich als „Memento“, das sich nicht auf Stein und Skulptur beschränken muss.
Und weiter oben schildere ich, weswegen und wie auch andere Familienmitglieder ein Denkmal verdienen: „Ein Gruppendenkmal für die ganze Familie auf dem Ludwigsplatz, anstelle des von den Büchners nicht besonders geschätzten Bismarck, das hätte was.“
Ich habe mich an verschiedenen Orten bereits damit aus dem Fenster gehängt, dass Strassennamen und Denkmale in Darmstadt verändert oder abgeschafft werden sollten; ich halte „Hindenburgstrasse“ noch immer für eine Schande für Darmstadt, Bismarck in Darmstadt für nicht besonders denkmalwürdig. Unglaublich aber ist, dass auf dem „Friedensplatz“ ein Denkmal des Darnstädter Fürsten steht, dessen größte Tat die Hochzeit mit einer modernen jungen Frau war, während an das nachgerade welthistorische Ereignis der Deutschen Revolution, in der an genau diesem Platz die Darmstädter Aristokratie in Rente geschickt wurde und die hessische Republik ausgerufen wurde, nicht erinnert wird. Der „Lange Ludwig“ dagegen ist ja immerhin auch das Denkmal der Verfassung von 1820, und schon ein paar Sätze auf dem Sockel könnten das deutlicher machen, als es heute ist.
Zu Denkmalen habe ich also ein durchaus mehrdimensionales Verhältnis. Was ein Georg-Büchner-Denkmal angeht, wünsche ich mir eine wirklich internationale Manifestation; eine erneute Krähwinkel-Debatte in Darmstadt kann das nicht erreichen.
Aber ein Luise-Büchner-Denkmal, das kriegen wir bis 2017 hin. Und dann sehen wir weiter.
#2 by Carsten on 3. November 2015 - 18:40
Habe das verkürzte Zitat gewählt, um mich auf das Thema konzeptlose „Denkmal Gesamtlandschaft“ zu konzentrieren.
Welche konkrete (Nicht-)Form ein solches Memento zur beruhigung der Büchnerfreund annimmt, ist mir eigentlich gleich gleichgültig.
Darmstadt sendet mit seinen Denkmälern eine Botschaft. Und die sollte bewußt gestaltet werden – möglichst nicht von Parteien (dann krachts nur wieder) und idealerweise im weitgehenden Konsenz.
#3 by Jörg Bergmann on 3. November 2015 - 19:25
Vom städtischen Kulturreferent Prof. Dr. Ludger Hünneckens habe folgende drei Kriterien für das Aufstellen eines Denkmals genannt bekommen:
1.) Einen historischen Bezug – für G.B. wäre dieser vorhanden.
2.) Der Bürgerwille sollte vorhanden sein – das wäre zu belegen (ist für andere Denkmäler jedoch nicht erfolgt, auch für Niebergall nicht. D.h. es besteht nur die Annahme, dass die Bürger das wollen – mehr nicht. Der Magistrat beansprucht derzeit, den Bürgerwillen zu vertreten. Das ist jedoch dem Parlament vorbehalten.)
3.) Der Standort – für G.B. völlig unklar (bei der „Brezel-Resi“ vergleichsweise ist dieser so gut wie geklärt – vor dem ADAC am Marktplatz natürlich. Ein Standort-Tausch, gegebenenfalls auch ein Abriss anderer Denkmaler für ein neues, anderes Denkmal, was nach der Tagespolitik opportun erscheinen mag, halte ich für absurd kurzfristig gedacht. Aber da kann man anderer Meinung sein. Daher wäre diese Diskussion in einer Stadt wie Darmstadt, die mit dem soziologischen Charakteristikum „Lethargie“ ausgezeichnet wurde, siehe auch: Martina Löw (TU Darmstadt): „Soziologie der Städte“, unendlich zu führen.) Herzliche Grüße, Dipl.-Ing. Jörg Bergmann
#4 by peter brunner on 4. November 2015 - 12:20
Noch ein paar Bemerkungen:
– Ich bin weder Historiker noch Darmstädter
– „Denkmal“ beschreibt vielerlei. Mal zwei Beispiele, zufällig (?) beide aus München:
http://www.literaturhaus-muenchen.de/oskar-maria-graf-denkmal.html
und
http://drhelgawaess.blogspot.de/2015/07/michael-jackson-orlando-di-lasso.html
(dass wir so was in der „Büchnerbiennale“ mit dem Bismarck-Brunnen nicht geschaft haben, tut mir bis heute leid)
Jörg Bergmann, danke für die Recherche. So gesehen müsen wir ja fast fürchten, dass irgendwann irgendein beliebiges Georg-Büchner-Denkmal entsteht.