Ein Gastbeitrag von Grit Maroske.
(1) Eine mittelalte Frau geht an einem sonnigen Herbsttag die Straße an der Synagoge entlang. Sie weicht einem Mann aus, der auf dem Bürgersteig steht. Er trägt Kampfanzug und Helm und fuchtelt mit einer Waffe herum.
(2) Die Frau ist in Gedanken woanders. Sie begreift nicht, was sie da sieht, an diesem sonnigen Herbsttag in Halle. Sie erwartet keinen Mörder, der bereit ist, eine Synagoge zu stürmen und wahllos Menschen zu erschießen. Nicht in Halle.
(3) Beim Vorübergehen wendet sie sich ihm zu. Sie lächelt ihn verunsichert an, sagt einen Satz zu ihm, ist an ihm vorbei. Zwei Sekunden später ist sie tot. Der Mann hat ihr in den Rücken geschossen, einfach so.
(4) Später sieht man ihren Körper mit einer blauen Plane abgedeckt auf der Straße liegen. Das Bild erscheint auf allen Titelseiten. Neben ihr steht ihr Rucksack. Ein kleiner Talisman baumelt am Reißverschluss. Eine Wasserflasche für unterwegs steckt in der Seitentasche.
(5) Sie hatte Pläne für diesen Tag, sie wollte irgendwohin, irgendetwas Alltägliches tun. Und dann ist ihr Leben von einem Moment auf den anderen beendet. Sie kann sich nicht mehr von ihren Liebsten verabschieden. Sie wird nie mehr nach Hause kommen.
(6) Du musst nicht links und kein Antifaschist sein, um von einem Menschen zu einem ZIEL zu werden. Es reicht, dass du einem hasserfüllten Terroristen im Weg bist. Dein Menschenleben bedeutet ihnen nichts.
(7) Jeder, jeder von uns kann zum Ziel werden. Befürworter von Klima- und Umweltschutz. Juden. Fremd aussehende Menschen. Frauen mit Kopftuch. Frauen ohne Kopftuch. Antifaschisten. Lokalpolitiker.
(8) Rentner, Bauarbeiter, Schulkinder. Leute an einer Bushaltestelle, Leute in einem Döner-Imbiss, Leute auf dem Heimweg.
(9) Ich bin zornig, so zornig. Der Zorn überwindet meine Trauer. Jahrelange Verharmlosung rechter Gewalt, Untätigkeit d. Regierung, Stigmatisierung antifaschistischer Aktivitäten haben in Halle zu einem weiteren “unfassbaren” Gewaltakt eines Täters geführt, der NICHT allein ist.
(10) Alle diese rechten Einzeltäter sind verwoben in einem Netz aus Hass, Menschenabwertung, Allmachtsphantasien, Führungsanspruch, Rassismus, Antisemitismus. Sie werden geleitet von Politikern in teuren Anzügen, die ganz offen Jagdmetaphern und Vernichtungswünsche aussprechen.
(11) Nach jeder dieser Taten ist das Entsetzen groß. Und immer noch wiegen sich viele von uns in einer falschen Sicherheit. Nur nicht auf dem rechten Radar auftauchen.
(12) Nur nicht auf einer Demo gegen Rechts gesehen werden, nur nicht einem AFD-Politiker, einem Bachmann, einem Stürzenberger oder Sarrazin die Meinung geigen. Wer nicht auffällt, ist nicht in Gefahr. Welch ein Trugschluss.
(13) Politiker beschwören nach solchen Taten immer wieder “Zivilcourage” und die “wehrhafte D emokratie” und tun nichts, sie reden von “Alarmzeichen”, die unsereins seit Jahren als längst alltäglich wahrnimmt.
(14) Sie kürzen Demokratie- und Aussteigerprojekten das Geld, sie küngeln mit den Anstiftern dieser Gewalttaten in Hinterzimmern um die Macht und lassen uns allein.
(15) Medien verhandeln die Frage der Menschlichkeit und stigmatisieren Antifaschisten pauschal als “Steinewerfer” und “linke Chaoten”.
(16) WIR sind der letzte Schutzschild um Moscheen und Synagogen, WIR sind die, die Nazis daran hindern, unsere Straßen und Rathäuser und Medienanstalten als Bühne zu benutzen, WIR sind die letzte Bastion der Demokratie.
(17) Wer nach dem gestrigen Tag nicht begreift, dass er jetzt eine Seite wählen und mit allen daraus folgenden Konsequenzen leben muss, dem ist nicht mehr zu helfen. Entscheidet euch.
(18) Und schließt euch denen an, die Rechtsextremismus bekämpfen. Oder lauft ihnen hinterher und nehmt hin, dass sie weiter Menschen töten werden, die ihnen unwert erscheinen.
(19) Das nächste Mal kann es mich treffen. Oder dich. ALERTA! Kämpfen wir!
Grit Maroske ist ein linksgrünversiffter Antifatroll und schreibt über Medien, Netzkultur, Refugees Welcome, #dasandereSachsen
Siehe auch:
Hajo Funke und die Verschwörung der V-Nazis
The big, fat, fake AfD Swindle: Anti-Euro-Partei mit Identitätsdiebstahl und Urheberrechtsverletzung
AfD Darmstadt aktiv gegen Meinungsfreiheit
#1 by Dagmar Marianne Zeiß on 25. Oktober 2019 - 12:25
Das fnde ich alles wahr. Und richtig.
Einzig die Aufforderung zum Kampf kann ich nicht mehr hören. Aus keiner Richtung. Ein Kriegsbegriff wird inflationär von Politik und Zivilgesellschaft genutzt. Wir können so vieles anderes sagen: “sich einsetzen” “solidarisieren” “engagieren” “empören” “SeeNotRetten” “aufklären” “entlarven” “die Demokratie schützen” “Rechenschaft verlangen von Verantwortlichen” “verurteilen” “Frieden säen” etcpp. Antifaschismus zu leben bedeutet für mich auch das Gegenteil von der gleichen Gewaltbereitschaft, die hier angeprangert wird. Sobald die ersten erwähnten Steine fliegen, Fenster eingeworfen, gespuckt, getreten, Menschen ausgegrenzt oder eine entgleiste sprachliche Diffamierung angewendet wird, wird für mich die linke Szene ebenso inakzeptabel wie das rechte Extrem. Daher finde ich schon den Aufruf zum Kampf ungeeignet. Das geht mir übrigens schon beim “sportlichen Wettkampf” so. Wir müssen aufhören, in den Kategorien von Sieger*innen und Verlierer*innen zu denken. Das ist im Kern schon polarisierend und antipluralisitisch und lässt von Anfang an zu wenig Raum für die Achtung des Andersartigen. Und so unterschreibe ich fast alles aus dem Beitrag von Grit Maroske. Bis auf den Aufruf zum Kampf. Wir dürfen radikal sein, ja. Müssen aber dabei gewaltfrei bleiben. Sprache schafft Wirklichkeiten. Ächten wir gemeinsam den Rechtsextremismus. Und leben die angstfeie Demokratie. Auf der Strasse und in den Institutionen.
#2 by neunmalsechs on 25. Oktober 2019 - 16:44
Guter Punkt! Dem schließe ich mich an.