Am 28.10.2018 wird in Hessen ein neuer Landtag gewählt. Ich schrieb vor einiger Zeit:
In der Demokratie ist die Verantwortung in unsere Hände gelegt. Und wir bekommen die Politiker und die Politik, die wir verdienen. Je weniger wir uns kümmern, desto schlechtere Politiker bekommen wir.
Aus „Politik ist…„
Hier ist mein „Kümmern“ – meine ganz persönlichen Überlegungen dazu, wen ich am 28.10. wählen werde. So rational, wie mir das möglich ist. Diese Überlegungen waren von Anfang an Ergebnis-offen.
Insgesamt treten bei der hessischen Landtagswahl 23 Parteien an – vier davon allerdings nur in einzelnen Wahlkreisen. Bleiben 19 Parteien. Eine ziemliche Auswahl. Gut für die Demokratie. Zu viele, um sie alle hier zu diskutieren (dann würde ich den Artikel vor der Wahl nicht mehr fertig bekommen). Ich beschränke mich hier daher auf jene Parteien, die ich nicht vorab aus grundsätzlichen Gründen – für mich – ausgeschlossen habe. Was niemanden davon abhalten sollte sie sich näher anzusehen. Demokratie lebt von Vielfalt und Wahlmöglichkeiten!
Eine Landtagswahl ist keine Bundestagswahl. Die Bundesländer haben (von der Verfassung) beschränkte Kompetenzen. Deshalb sind für mich bei der Landtagswahl nicht alle Themen relevant, die ich insgesamt für wichtig halte.
Meine wichtigsten Entscheidungs-Themen für diese Landtagswahl:
- Bildungspolitik
- Aufklärung der VS Verstrickung in die NSU-Morde
- Staatstrojaner
Themen, in denen eine Partei für mich wenigstens erträgliche Positionen vertreten muss:
- Flucht & Asyl
- Sozialpolitik (incl. Wohnungspolitik)
- Umwelt, Verkehrs- und Klimapolitik
Aber zu welcher Wahlentscheidung führt mich das?
Bildungspolitik
Ja, die Bildungspolitik von Schwarz-Grün ist besser, als die von Schwarz-Gelb. CDU und Grüne haben zum Beispiel (nach anfänglichem Zögern) das unsägliche G8 wieder abgeschafft, das CDU und FDP (vor allem die FDP!) kurz vorher eingeführt hatten.
Etwas besser. Ein wenig.
Aber so groß meine Übereinstimmung mit dem bildungspolitischen Programm der hessischen Grünen auch ist: In der aktuellen Koalition haben sie nicht einmal einen Bruchteil ihrer bildungspolitischen Reformansätze umgesetzt. Im Prinzip haben sie hier in Hessen bildungspolitische Reformen aufgegeben – um des Koalitionsfriedens Willen.
Aber auch die Realpolitik hinkt: Ein paar statistische Zahlen haben sie verbessert. Aber an den Schulen (das kann ich auch als Vater eines schulpflichtigen Kindes berichten) kommt davon nichts an. Gar nichts. Zum Beispiel die Lehrerzuweisung von mindestens 105 Prozent im Landesschnitt, die die Grünen gebetsmühlenartig vor sich her tragen: Ich weiß nicht, mit welchen Tricks sie auf diese Zahl kommen, aber an den Schulen, von denen ich weiß, kommt das als Unterversorgung an. Sieht die GEW übrigens auch so. Und das bei Klassengrößen, die individuelle Förderung verhindern und dafür sorgen, das mindestens 1/3 der Schüler abgehängt wird. Das ist keine gute Bildungspolitik.
In der Bildungspolitik gibt es dringenden Handlungsbedarf – aber von den hessischen Grünen gehen dazu keine Impulse mehr aus.
Fazit: Bildungspolitik ist ein Grund, keinesfalls CDU oder FDP zu wählen. Und kein Grund, die Grünen zu wählen.
Die SPD (Programm) und Linke (Programm) haben sich gegenüber der letzten Landtagswahl bildungspolitisch in meine Richtung bewegt (die Linke mehr), aber stehen selbst programmatisch für mich noch ein gutes Stück hinter den Grünen zurück. Sie fokussieren vor allem auf jene Maßnahmen, die viel Geld kosten (was sehr gut investiert wäre!), doch ob sie das dann tatsächlich umsetzen, wage ich zumindest bei der SPD angesichts vergangener Erfahrungen mit der Differenz zwischen Programm und Regierungspolitik zu bezweifeln. Zumal sich die SPD ja weiter nicht zu Rot-Rot-Grün bekennen mag – die einzig derzeit denkbare Koalition, der die notwendigen massiven Investitionen in Bildung zuzutrauen wäre. Dann besser die Linke wählen.
Und dann sind da noch die Piraten, mit denen ich ja schon vor vier Jahren die größte Übereinstimmung in bildungspolitischen Themen hatte. Und habe. Zwar sind die Chancen der Piraten (selbstverschuldet) derzeit gering, im Landtag oder gar in einer Regierung vertreten zu sein – aber das ist kein Grund, sie nicht zu wählen. Sonst gäbe es keine Veränderung – und wir hätten heute noch das Drei-Parteien-System, das ich aus meiner Jugend kenne. Jedenfalls wären die Piraten eine Stärkung für eine Bildungspolitik, wie ich sie für wichtig und richtig halte.
Aufklärung der VS Verstrickung in die NSU-Morde
Die Morde der NSU und die Unfähigkeit der Polizei, diese Morde aufzuklären und vor allem die Verstrickung des sog. „Verfassungsschutzes“ in die Entstehung, Bewaffnung und Morde der NSU sind einer der größten Skandale in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Während die Polizei unfähig war, die Morde an zehn Personen (drunter einer Polizistin), 43 Mordversuche, drei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle aufzuklären und ausschließlich Migranten verdächtigte, hatte der sog. „Verfassungsschutz“ detaillierte Informationen über die Täter, hat diese über V-Leute mit Waffen, Ausweisen und Geld versorgt und hatte Informanten in deren direktem Umfeld. In Hessen war ein „Verfassungsschützer“ (und offener Hitler-Fan) in dem Augenblick in dem Cafe, als die NSU deren Besitzer ermordete. Und er hat es – mit Hilfe seiner Vorgesetzten beim „Verfassungsschutz“ (bis hinauf zum Innenminister) versucht, zu vertuschen.
Die hessischen Grünen hatten die vollständige Aufklärung dieses Skandals gefordert – bis zu dem Moment als sie Teil der hessischen Landesregierung wurden. Ab diesem Moment begannen sie, die Aufklärung aus zu bremsen. Denn der Ministerpräsident, den sie wählen sollten / wollten war während der NSU Morde Innenminister in Hessen – und damit genau für diesen „Verfassungsschutz“ verantwortlich: Volker Bouffier. Nun kann es ja theoretisch sein, dass Bouffier in dieser Affäre nie etwas falsch gemacht hat. Doch das werden wir nun vermutlich nie erfahren. Akten wurden vernichtet oder für Jahrzehnte unter Verschluss gelegt. Aussagen mussten nicht gemacht werden.
Offen bleibt:
- Hat der hessische „Verfassungsschutz“ die NSU geführt, finanziert, gefördert?
- Hat der hessische „Verfassungsschutz“ die Morde der NSU biligend hingenommen?
- Wie viele Nazis und Nazi-Sympatisanten arbeiten noch beim hessische „Verfassungsschutz“?
- Was versucht die hessische CDU zu vertuschen?
- Wie kann verhindert werden, das sowas je wieder passiert?
- Welche Nazigruppen werden derzeit vom hessische „Verfassungsschutz“ unterstützt?
All das, auch und besonders dank der willigen Kooperation der hessischen Grünen. Allein das ist für mich ein Grund die hessischen Grünen nicht zu wählen.
Auch hier ist die SPD keine Alternative. Sie hat den Verfassungsschutz in Hessen in seiner jetzigen Form aufgebaut und in der Vergangenheit und in anderen Bundesländern bewiesen, dass auch sie kein Interesse daran hat, gegen diesen „Staat im Staat“ vorzugehen.
Auch hier bleiben mir da eigentlich nur Linke und Piraten als Alternative. Die Linke hat im Untersuchungssauschuss des Landtages meiner Meinung nach gute Arbeit geleistet und einen (lesenswerten) Minderheitenbericht zum NSU Untersuchungsausschuss verfasst.
Weit wichtiger als die beiden vorherigen Themen ist mir – weil Zukunfts-gerichtet – das Thema Staatstrojaner. Warum Staatstrojaner eine Katastrophe sind, habe ich hier ausführlich begründet. Doch leider wollen CDU & Grüne die Polizei in Hessen mit eben solchen ausstatten. Das ist in der Koalition bereits beschlossen und soll nach der Wahl umgesetzt werden.
Ganz am Anfang meiner Beschäftigung mit Politik stand das Thema Volkszählung. Ich war damals gegen diesen massiven und völlig unverhältnismäßigen Eingriff des Staates in die Privatsphäre der BürgerInnen. Es war eines der Themen, die mich damals von CDU, SPD und FDP haben abwenden lassen und den Grünen nahe brachten. Denn diese waren damals gegen die Volkszählung. Damals als Jugendlicher war das noch eine grundsätzliche Frage – auch wenn ich mich damals recht schnell und intensiv in das Thema der Gefahren staatlichen Datenmißbrauchs eingearbeitet habe. Aber damals war auch Orwells 1984 sehr aktuell.
Seit damals habe ich mich zu so etwas wie einem Computer-Experten entwickelt (echte Nerds würden das bestreiten, aber für rund 95% bin ich das wohl). Und auch rückblickend halte ich mit meinem heutigen Wissen die damals geplant Volkzählung für durchaus problematisch und abzulehnen – wenn auch manche Argumente und manche Rhetorik von damals – sagen wir: etwas überhitzt waren.
Verglichen jedoch mit dem Eingriff in die Privatsphäre, die Rechte von Menschen, die politische Meinungsbildung und auch den Rechtsstaat, den Staatstrojaner darstellen, sind die damaligen Diskussionen um die Volkszählung Kinkerlitzchen. Staatstrojaner ermöglichen den direkten Zugriff auf alle Aspekte unseres Lebens sobald wir ein Gerät mit Computer Chip besitzen (PC, Laptop, Handy, TV,…). Und zwar nicht nur durch den Staat selbst, sondern auch persönlich durch seine Mitarbeiter und potentiell durch alle Menschen, die diese kleine Software in die Hände bekommen (egal ob offiziell, informell oder gegen Geld).
Staatstrojaner:
- Verwandeln potentiell jedes technische Gerät in die perfekte Spionage-Maschine. Dateneingaben, gespeicherte Daten, Mikrofon, Kamera – alles kann beobachtet werden – ohne dass jemand deine Wohnung betreten muss. Orwells „Televisoren“ in Perfektion – doch das Potential geht weit darüber hinaus:
- Können alle Informationen, die du über deine Geräte erhältst, verändern. Zugriffe auf Webseiten umleiten, E-Mails verändern, Telefonate umleiten, Videos manipulieren, usw.. Du kannst eigentlich nie wieder Informationen, die du über technische Geräte erhältst, vollständig vertrauen. Jedenfalls nicht, solange irgendjemand ein Interesse daran haben könnte, sie zu verfälschen.
- Können „Beweise“ auf deinen technischen Geräten ablegen, die ein Fehlverhaltens belegen. Sei es so was „harmloses“ wie Belege dafür, dass du deinen Partner betrügst. Oder deine Firma. Beweise für Betrug, Insider-Geschäfte, Kinderpornographie, Kriminalität, Terrorismus. wenn dir jemand was anhängen will – Trojaner machen es möglich. Auch wenn du völlig unschuldig bist – kein Gericht wird dir glauben.
- Können in deinem Namen agieren: Kündigen, bestellen, fiese oder illegale Nachrichten verschicken, Stalken, Software installieren, Geld überweisen – alles was du mit technischen Geräten machen, kannst, können Trojaner auch. In deinem Namen.
- Machen sich unsichtbar: Verschleiern ihr Existenz, löschen alle Spuren ihres Handelns, de-installieren sich ggf. selbst. Die Chancen, je nachzuweisen, dass du Opfer eines Trojaners geworden bist, sind nahe Null. Und selbst wenn es möglich ist: Es wird dich verdammt viel Geld kosten.
Das ist die Kurzfassung. Mehr Details hier.
Trojaner selbst sind ein Alptraum – rechtsstaatlich, politisch, kriminell. Sie als Staatstrojaner auch noch aus der Domain der Hacker herauszuholen und zu polizeilichen Zwecken auch für Laien bedien- und nutzbar zu machen, ist eine – von CDU geforderte – Katastrophe. Die auch inzwischen noch von den hessischen Grünen mitgetragen wird. Vielleicht aus technischer Unwissenheit, vielleicht aus reinem Machtkalkül. Vermutlich aus einer Mischung von Beidem.
Auch hier gilt leider: SPD oder FDP sind überhaupt keine Alternative – sie tragen oder trugen ähnliche Gesetzesinitiativen in anderen Bundesländern mit. Bleiben wieder nur Linke oder Piraten.
Bei allen drei mir wirklich wichtigen Themen scheiden CDU, SPD, FDP und (leider auch) Grüne als Wahl aus.
Bleiben Linke und Piraten. Wie werde ich mich entscheiden?
Nebenbedingungen: Beide Parteien haben in ihren Programmen Forderungen und Ziele verankert, die zumindest nicht im Widerspruch zu meinen Ansichten im Bereich Flucht & Asyl, Sozialpolitik und Umwelt stehen. In wie weit sie bereit wären, diese auch durchzusetzen, ist natürlich immer fraglich. Aber zumindest habe ich (anders als z.B. bei der SPD und inzwischen leider auch bei den Grünen, die z.B. die letzten schlimmen Asylrechtsverschärfungen im Bundesrat mitgetragen haben) keine Anhaltspunkte, das anzuzweifeln.
Die Piraten haben sich – nach einer Welle der breiten öffentlichen Zustimmung vor rund 7 Jahren – leider selbst zerlegt, weil sie es nach der sehr erfolgreichen Gründungsphase nicht geschafft haben, die kompromisslosen Ideologen, Psychopathen und Posten-geilen Egomanen an den Rand oder aus der Partei zu drängen (anders als die Grünen damals in den 80ern und 90ern). Dadurch haben sie nicht nur die öffentlichen Sympathien, sondern auch sehr fähige und populäre Menschen als Mitglieder verloren (die zum Teil zu den Grünen oder zur Linken gewechselt sind).
Seitdem – inzwischen für Ideologen, Psychopathen und Posten-geile Egomanen unattraktiv geworden – haben sie sich im Spektrum der „Sonstigen“ als durchaus solide Partei etabliert – haben ein gutes Programm, eine funktionierende innerparteiliche Demokratie und immer noch ne Menge kluger Menschen, die dort aktiv sind.
Allerdings haben sie bisher auch wenig getan, um jene organisatorischen Defizite zu beseitigen, mit denen sie sich selbst ein Bein gestellt haben. Im Erfolgsfall könnte sich das Desaster wiederholen. Muss es aber nicht.
Die Linke halte ich – weil sie als einzige Partei wirklich Druck hinsichtlich sozialer Gerechtigkeit und hin zu einer echten ökonomischen Umverteilung ausübt – für grundsätzlich sehr unterstützenswert. Allerdings habe ich massive Probleme mit den vier Richtungen, die die (öffentliche Wahrnehmung der) Partei dominieren:
- Der rückwärtsgewandten Richtung, der die DDR verherrlicht, die Stasi rechtfertigt, russischen Imperialismus, Kapitalismus und anti-demokratische Bestrebungen verharmlost und kulturell (zum Teil extrem) konservativ (anti-liberal) ist. [Russia today = RT -Fraktion]
- Der sozialistisch-dogmatischen Richtung, der Märkten und Privatwirtschaft jede ökonomische Berechtigung abspricht und einen strikt leninistischen [Revolutions-]Kurs verfolgt.
- Der Links-nationalen Richtung, der bereit ist, humanistische und soziale Werte für die (demokratische) Macht in Deutschland zu vergessen [Links-Populisten – die ich vor allem in der „Aufstehen“ Bewegung (Wagenknecht / Lafontaine) am Werk sehe]
- Die sozialdemokratische Richtung, die – einmal in die Regierung gekommen – jegliche Vision auf- und sich mit sozialdemokratischen Stückwerk zufrieden gibt [ohne an die Ursachen zu gehen]. Siehe Brandenburg und Thüringen.
Das wird noch verstärkt durch das, was ich über interne (schmutzige) Machkämpfe so höre. Informell – daher kann ich das hier nicht im Detail wiedergeben. Einen – spannenden- Einblick gibt vielleicht dieser Artikel – der aber auch sehr kritisch gesehen werden muss. Er könnte ebenfalls Teil dieser Machtkämpfe sein.
Dennoch halte ich weder den überwiegenden Teil der hessischen Mitglieder und Sympathisanten der Linken (soweit ich die bisher kennengelernt habe) noch ihre Spitzenkandidatin Janine Wissler zu diesen Gruppen gehörig. Deshalb würde ich die Linke – wie die Piraten – nicht per se ausschließen wollen.
Jedoch: In der Bildungspolitik sind mir die Linken zu sehr klassisch (mehr Geld plus Gesamtschule) und zu wenig reformistisch unterwegs. Und in Sachen Bürgerrechte (Staatstrojaner) haben sie mich bisher nicht von ihrer Leidenschaft überzeugt.
Daher werde ich wohl bei der Landtagswahl Hessen 2o18 für die Piraten stimmen.
Update 25.10.2018: Piratenpartei Hessen beschlossen, vor dem Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde gegen den sogenannten »Hessentrojaner« zu erheben. Sie hat die auf Verwaltungsrecht spezialisierte Kanzlei Spengler mit der Vorbereitung beauftragt. Mehr Infos dazu.
Selbst wenn die Piraten nicht in den Landtag kommen sollten, ist das die richtige Entscheidung. Und ja, falls Schwarz-Grün an den fehlenden Stimmen scheitert, dann ist mir das recht. So kann der Staatstrojaner vielleicht noch verhindert werden.
Nach diesen Überlegungen, die in den letzten Monaten herangereift sind, war es natürlich naheliegend, diese auch einem Plausibilitätscheck zu unterziehen. Der Wahl-o-mat bietet einen Vergleich der eigenen Positionen (zu ausgewählten Themen – der Staatstrojaner z.B. kommt selbst nicht vor) mit den Programmen der Parteien zur Hessenwahl 2018. Da kommen Überlegungen, wie viel die Parteien tatsächlich um- und durchsetzen gar nicht zum Tragen. Trotzdem führen dort – zu meiner Überraschung – bei mir mit 80% die Piraten knapp (nur 1,2%) vor der Linken. Die Grünen kommen nur auf 63,8%. Das diese bei mir knapp vor der SPD liegen ist dagegen keine Überraschung: Bei keiner Partei ist der Unterschied zwischen Programm und Regierungsrealität so groß wie bei der SPD. Wenn sie tatsächlich umsetzen würde, was in ihrem Programm steht, wäre sie sogar wählbar.
Soweit zur wichtigeren Zweitstimme.
Wer noch unentschieden ist und meiner Empfehlung so nicht folgen mag, kann sich mit dem Wahl-o-mat die passende Partei zur eigenen Meinung suchen.
Was mache ich mit meiner Erststimme? Ganz ehrlich: Ich weiß es noch nicht. Da die Erststimme nur darüber entscheidet, wer den Wahlkreis im Landtag vertritt, ist hier das persönliche Profil der KandidatInnen hier wichtiger als das Parteiprogramm. Und mit denen muss ich mich noch ein wenig mehr beschäftigen.
KandidatInnen in meinem Darmstädter Wahlkreis 4911
KandidatInnen im anderen Darmstädter Wahlkreis 49
Falls ich es schaffe, folgt dann ein Update – hier.
Meine dringende Bitte an alle, auch – und besonders die, die nicht meiner Meinung sind: Geht auf jeden Fall am 28.10. wählen. Oder macht Briefwahl.
Warum? Besonders wo es doch die „richtige“ Partei gar nicht gibt? Das habe ich hier ausfühlich begründet: Politik ist…
Update 27.10.2018: Ich habe meine Meinung geändert. Nicht aus inhaltlichen, sondern aus taktischen Gründen. Mehr dazu hier.
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Siehe auch:
AfD Darmstadt aktiv gegen Meinungsfreiheit
Gefährliche patriotische Sex-Phantasien
Hajo Funke und die Verschwörung der V-Nazis
Im Flüchtlingscamp in Chemnitz
Nachtgedenken (flüchtig) von Arthuro de las Cosas
Ein Banker, ein BILD-Leser und ein Flüchtling
#1 by Jörg on 10. Oktober 2018 - 11:04
Lustigerweise waren bei meinem Wahl-O-Mat-Ergebnis die Piraten auch ganz vorne, allerdings das erste Mal, bei früheren Wahlen war das eher so 3./4. Platz. Keine Ahnung, was sich seit den letzten Wahlen geändert hat, bei mir oder bei den Piraten. Trotzdem werde ich sie nicht wählen, weil sie keine realistische Chance haben, in den Landtag zu kommen. Diese unsägliche 5%-Hürde gehört endlich abgeschafft, die Argumentation dafür, die stabilen Verhältnisse, hat sich überlebt. Bald werden Dreierkoalitionen nicht mehr die Ausnahme sein, sondern die Regel.
Von einer Stimme für die Piraten profitiert am Ende nur die AfD, weil Piraten-Wähler eher im Bereich Grüne/Linke/FDP angesiedelt sind und denen dann Stimmen verloren gehen. Und nachdem ich mich durch das Wahlprogramm der AfD gekotzt habe (sorry, anders kann man es nicht sagen – schon der allererste Satz ist nachweisbar ein Lüge), in dem nicht nur der erwartete rassistische, nationalistische und antifeministische Unfug zu finden ist, sondern gerade bei den landespolitisch wichtigen Themen wie z.B. Bildung, Umwelt, Wohnungsbau Ideen herrschen, die konsequent umgesetzt, in die Katastrophe führen – und zwar auf allen Ebenen, ist für mich klar, dass da alle anderen Konflikte erst mal hintendran zurückstehen müssen. Die AfD ist das akuteste Problem unserer Gesellschaft. Jeder Abgeordnete zusätzlich, den sie ins Parlament bringen, könnte eine kritische Masse überschreiten, die Teile der CDU oder der FDP dazu bewegen, ihre Distanzierung aufzugeben, in den neuen Bundesländer fängt das schon an.
So sehr ich mit den meisten in deinem Artikel genannten Punkte übereinstimme, vor allem in Bezug auf die sogenannte „NSU-Aufklärung“, die AfD kratzt an jeder hart gewonnen Errungenschaft der letzten Jahrzehnte, die selbst der konservative Flügel der CDU mittlerweile für richtig hält, und dagegen müssen die Reihen geschlossen werden. Das ist wichtiger, als die parlamentarische Vertretung wegen einzelner Programmpunkte zu schwächen.
Es wird am Ende wahrscheinlich eh eine Dreierkoalition, da setzt keiner seine Position 100%-ig durch und gerade bei so Fragen wie dem Staatstrojaner ist – ähnlich wie man das jetzt ja z.B. im Hambacher Forst gesehen hat – nicht so entscheidend, ob da jetzt CDU, Grüne oder SPD den Ministerpräsident stellen, sondern dass Öffentlichkeit und Interessensgruppen den entsprechenden Druck erzeugen. In einer parlamentarischen Republik ist das so – selbst in einer Basisdemokratie, weil sich da anders als bei einer einfachen Ja/Nein-Entscheidung auch die Gewichtung zeigt.
Aber das wird jetzt zu speziell. Der Punkt ist, mit der Wahl einer Partei, die keine realistische Chance hat, in den Landtag zu ziehen, hilft man am Ende nur der AfD. Das bisschen Parteienfinanzierung, dass die Piraten von deiner Stimme bekommen, kannst du ihnen auch spenden, die 2,- Euro sollte man haben. Oder noch besser, wenn jeder potentielle Piraten-Sympathisant 5,- Euro spendet, quasi als Entschädigung dafür, dass er statt dessen doch lieber die parlamentarische Mehrheit gegen die AfD stärkt, dann ist allen viel mehr geholfen. Die Piraten brauchen als APO vor allem mehr Geld, ob sie am Ende 1,5% oder 2,5% der Stimmen bekommen, nützt ihnen rein gar nichts, könnte im Parlament aber schon ein oder zwei Sitze mehr für die AfD bedeuten.
#2 by Carsten on 11. Oktober 2018 - 19:15
Hallo Jörg,
Vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar.
Mit den meisten Punkten stimme ich überein. Insbesondere was die Abschaffung der 5% Hürde angeht. Wer genug Stimmen für ein Mandat sammelt, der sollte auch diese Menschen auch vertreten dürfen.
Ja, die AfD – das hat mich auch zögern lassen. Allerdings stimme ich dir da nicht zu. Aus folgenden Gründen:
1.) Für mich ist die AfD nicht das Problem, sondern nur ein Symptom. Das Problem ist, das es Menschen mit einer Weltsicht gibt, die bereit sind, die AfD zu wählen. Und dass eine Publikation mit Millionenauflage wie Springers Hetzblatt eine solche Weltsicht verbreitet und mit Argumenten unterfüttert. Täglich.
Vor der AfD hat es andere rechtspopulistische Parteien gegeben. Die Republikaner, die Schill-Partei, die DVU. Und ohne dass etwas gegen die Ursachen getan wird, wird es immer wieder solche Parteien geben.
In meiner Jugend habe ich diese Leute vor allem in der CDU erlebt. Und weder die niedersächsische CDU Landesregierung noch der CDU Ortsverein fand was schlimmes dabei, das der Rektor meiner Schule (Dr. Kausch) für die Zeitschrift der ehemaligen der Waffen-SS Aufsätze schrieb. Und mein Deutschlehrer eine Pfadfindergruppe mit Kontakten zur Wehrsportgruppe Hoffmann leitete. So war damals die CDU.
Ob nun die AfD einen Abgeordneten mehr oder weniger im Landtag stellt, macht das Grund-Problem m.M. nicht schlimmer.
2.) Wenn die Bedrohung durch die AfD dazu führt, dass wir nicht mehr die Partei und die Politik wählen, die wir für richtig halten, dann hat sie schon einen erfolgreichen Schlag gegen die Demokratie geführt. Für mich ist der Kern von Demokratie die Vielfalt (der Meinungen). Die AfD will das auf ein „wir gegen die“ reduzieren und entblödet sich deshalb nicht mal CDU und Antifa in einen Topf zu werfen.
Den Volksfront-Gedanken („die Reihen fest geschlossen“) gegen Nazis auf zu postulieren, heißt für mich, sich auf ihr wir-gegen-die Spiel einzulassen. Dagegen stelle ich lieber eine Vielfalt von Ideen und Meinungen – solange diese sich hinterher zum Kompromiss zusammenfinden.
3.) Ich glaube ja, dass dadurch, das mehr Parteien diskutiert werden, insgesamt die Wahlbeteiligung steigt. Denn es gibt leider viele Menschen, die aus Frust über die geringen Unterschiede in der Realpolitik von CDU, SPD, FDP und inzwischen auch (weniger) den Grünen von der Wahl fern bleiben. Die „das bringt nix, die kommen eh nicht rein“ Argumentation sorgt m.M. für eine geringere Wahlbeteiligung und stärkt damit eher die Nazis. Und verringert die Attraktivität und Überzeugungskraft der Demokratie.
Soweit meine Gedanken dazu. Gegen die AfD bin ich natürlich trotzdem aktiv – ich schreibe ja schon seit Jahren hier gegen sie. Und gegen Springers Hetzblatt. DA gäbe es mehr zu tun. Schade, dass ich so wenig Zeit habe.
Mit freundlichen Grüßen
Carsten
#3 by Carsten on 27. Oktober 2018 - 11:22
Ich habe meine Meinung geändert. Nicht aus inhaltlichen, sondern aus taktischen Gründen. Mehr dazu:
http://neunmalsechs.blogsport.eu/2018/ltw-hessen-2018-werd-ich-doch-taktisch-waehlen/
#4 by Jörg on 13. Oktober 2018 - 11:10
zu 1) Es gibt so einige Unterschiede zwischen der AfD und vergleichbarer Vorläufer wie REPs, Schill und DVU. Die AfD ist bundesweit erfolgreich. In gut 2 Wochen werden sie in jedem Landesparlament vertreten sein, das hat sonst nur die SPD und die Union. So einen flächendeckenden Zuspruch hatte keine rechtspopulistische oder rechtsradikale Partei in der Bundesrepublik bisher.
Dass in der CDU früher Leute saßen, die rechts rausgekippt sind, ist unbestritten. Auch dass die innerparteiliche Aufarbeitung ungenügend war (weil praktisch nicht stattgefunden), ist eindeutig. Allerdings muss man der CDU auch zugestehen, dass sie die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte nicht einfach ignoriert haben. Leute wie Erika Steinbach sind nicht aus einer Laune heraus ausgetreten, sondern weil ihre politischen Positionen auch innerhalb der CDU immer weniger Rückhalt hatten. Wenn man die 70er und 80er Jahre heranzieht, um sie der CDU heute vorzuwerfen, ist das dasselbe wie der Linken immer noch die SED-Vergangenheit vorzuwerfen. So bremst man Entwicklungen zu mehr struktureller Demokratisierung aus.
Und ja, wahrscheinlich macht ein AfD-Abgeordneter mehr oder weniger keinen großen Unterschied, aber es besteht eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass genau dieser eine Abgeordnete eine kritische Masse überschreitet, die dazu führt, dass die rechten Restposten in der CDU sich der AfD annähern, weil das Bilden von Mehrheiten einfacher wird, wenn die Parteienzersplittung auf der anderen Seite sich wieder mal nicht einig ist. Das würde die CDU schrittweise wieder dahin zurückführen, wo sie in deiner Jugend war. Im Osten beginnt das aktuell schon.
zu 2) Unser Wahlsystem können wir nicht ignorieren, und dieses System unterstützt nun mal taktisches Wählen. Es war völlig normal, und ich halte das auch nicht für schlimm, dass in Zeiten des klassischen Lagerwahlkampfes, jemand der eigentlich SPD wählen wollte, die Grünen gewählt hat, weil er eine rot-grüne Regierung einer großen Koalition vorgezogen hat, oder umgekehrt ein CDU-Wähler die FDP gewählt hat. Wenn eine absolute Mehrheit unrealistisch ist, unterstützt man eben eher ein Regierungsmodell als eine Partei. Man könnte sogar argumentieren, dass dadurch politische Positionen besser repräsentiert werden, als wenn jeder stur immer nur „seine“ Partei wählt.
Von daher ist es kein Zeichen eines Demokratiedefizits, wenn man eine Partei wählt, die bei einem persönlich vielleicht nur auf Platz 2 oder 3 steht.
zu 3) Dass zu geringe Unterschiede zwischen den Parteien die Wahlbeteiligung senkt, ist richtig. Allerdings nur dann, wenn es nur diese Parteien sind, die eine realistische Chance haben, die 5%-Hürde zu überspringen. Diese Situation haben wir nicht mehr. Eine Stimme für die anderen Parteien ist auch eine Stimme gegen die AfD. Zumindest aktuell noch, wenn die AfD weiter an Zuspruch gewinnt, könnte sich das schnell ändern.
Einzusehen, dass eine Partei wie die Piraten aktuell keine realistische Chance hat, die 5%-Hürde zu überspringen, ist ja nicht gleichbedeutend mit einer Wahlverweigerung. Was würdest du denn machen, würden die Piraten nicht antreten? Dann würdest du doch nicht zuhause bleiben, sondern die „nächstbessere“ Partei wählen, oder?
Jetzt sorgt also ausgerechnet die Partei, von der du gerne möchtest, dass sie einen größeren politischen Einfluss bekommt, dafür, dass deine Stimme im Parlament nicht repräsentiert sein wird. Das macht nicht wirklich viel Sinn.
Davon hast du nichts, und die Piraten auch nicht… außer 2,- Euro aus der Staatskasse, aber die kannst du – wie gesagt – auch spenden. Falls die Piraten es nicht ohnehin für alle Zeit versaut haben, haben sie nur dann eine Chance, wieder an der 5%-Hürde zu kratzen, wenn sie mehr öffentliche Aufmerksamkeit bekommen, und die bekommen sie nicht, wenn sie statt 1,5% 2,5% holen, sondern was sie brauchen, ist ein verbessertes Netzwerk und dafür brauchen sie Geld.
Und zwar mehr als die 2,- Euro pro Stimme. Auch hinter dem Erfolg der AfD steckt eine Menge Geld, das ist in der öffentlichen Berichterstattung bislang eher untergegangen.