Gastbeitrag von Felix M. Benneckenstein

Podiumsdiskussion Kein Platz für Hate Speech

Podiumsdiskussion Kein Platz für Hate Speech (Klick für größere Ansicht)

In der vergangenen Woche hießen meine Ziele zur Abwechslung nicht “Mittelfranken”, “Niederbayern” oder “Oberpfalz”. Es zog mich über Berlin nach Südpolen und Schlesien, wo ich an der Universität Opole u.a. an einer Podiumsdiskussion teilnahm (siehe Bild rechts).

Wer die NS-Ideologie kennt, der wird sich sicherlich denken können, welchen Stand polnische Menschen seit jeher bei deutschen Rechtsradikalen haben. Nicht zuletzt träumt so ziemlich jeder Neonazi davon, eines Tages “in Breslau”, dass heute Wroclaw heißt, “einzumarschieren”. Vorrangig, um “Land zu erkämpfen”, gehen dann die Massakrierungs-Fantasien ein bisschen auseinander.

Gleiches gilt natürlich auch für die Stadt Opole, die “Oppeln” hieß. Es war schon ein komisches Gefühl, nun genau dort hin zufahren, das muss ich zugeben.
Doch Nationalismus ist grenzübergreifend ( Wortspiel! ) und auch in Polen gibt es quasi selbstverständlich Ablehnung, Ausgrenzung und auch das, was wir heute “gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit” nennen, findet sich dort in Teilen wieder.

Als „große Nährböden“ dienen, ähnlich wie in Deutschland, u.A. Unsicherheit, politische Unzufriedenheit und vor allem die Angst vor dem sozialen Absturz oder großen Konflikten – und nicht zuletzt gerade in Polen eben auch vor einem Krieg, der für die Menschen dort bildlich gesehen „vor der Türe steht“ und bei dem niemand so richtig wissen wird, was uns dort noch erwarten mag.

Ich habe für meinen Teil in kurzer Zeit sehr interessante und völlig kontroverse Beobachtungen und Erfahrungen machen dürfen. Polnische Jugendliche etwa, deren näheres Ziel es sei, in den Krieg “gegen Putin” zu ziehen. Und wenn man sie fragt, was sie sich davon erwarten, dann antworten sie unter Umständen “wir kämpfen dort auch für Europa”? Von so etwas hatte ich zuvor noch nie gehört, aber das waren auch nur Randnotizen.

Universität Opole

Universität Opole

Die “Jugend der deutschen Minderheit in Polen” setzt sich für ein Zusammenleben auf gleicher Ebene ein. Dabei sind sie selbst oft einem Konflikt ausgesetzt. In Deutschland zählen sie als “Polen” und in Polen zählen sie als “Deutsche”.

Dabei sind sie, wenn man sie fragt „beides“, irgendwie, genaugenommen ja sogar “zusätzlich noch Schlesier”. Grenzen und “Volks-Zugehörigkeiten” scheinen dort noch eine viel größere Rolle zu spielen als in meiner Umgebung, aber das hat nichts damit zu tun, dass diese Menschen sich nicht für ein interkulturelles, ja, sogar multikulturelles Zusammenleben engagieren.

Ganz anders, als viele sogenannte „Landsmannschaften“, die ich in meiner Vergangenheit kennenlernte, die aus den Gräueltaten des Krieges bis heute profitieren und die einer Spaltung der Gesellschaft zuarbeiten möchten, versucht man hier die Zweisprachigkeit als Chance zu sehen und die historisch bedingten Konflikte endlich abzulegen.

IOplodech habe mich mit sehr vielen unterschiedlichen Menschen unterhalten. Mit Hilfe der übersetzenden Begleitung konnte ich sogar mit drei verschiedenen polnischen Obdachlosen ins Gespräch kommen. Mal ehrlich: Hat jemand von euch schon mal darüber nachgedacht, wie ein Obdachloser Mensch in Südpolen lebt?! Dort, wo die Grenze zur totalen Armut sowieso schon deutlich zu spüren, quasi zu riechen ist? Scheinbar weit weg vom „neuen Europa“, dass Wohlstand und Fortschritt verspricht?

Ich selbst habe durchaus auch mal Ablehnung vor Ort erfahren, weil ich als “Deutscher” identifiziert wurde, der kein polnisch spricht. Das reichte völlig aus. Ich habe festgestellt, dass zumindest Patriotismus unter Teilen der (hier süd-)polnischen Jugend “in Mode” gekommen ist, wenn ich zumindest die T-Shirts mit patriotischen Aufschriften, oder etwa die Symbolik einiger polnischer “Ultra-Organisationen” (/Fussballfans) richtig deute.

IPosters in Polench finde es aber auch gerade deshalb bewundernswert, wie sich vor Ort die Menschen darum bemühen, das ganze in richtige Wege zu lenken. Ich habe sehr, sehr viel Zuspruch bekommen, für meine Arbeit in Deutschland. Ich traf auch einige Menschen, die mir erzählten, dass sie „die Deutschen sehr gerne mögen“. In Deutschland selbst müsste man mit dieser Aussage vermutlich aufpassen, nicht missverstanden zu werden, aber diese Aussage bedeutet hier einen riesigen Schritt in der Weiterentwicklung der internationalen Verständigung, die eine Basis für langfristigen innereuropäischen Frieden sein dürfte.

Vorurteile gegenüber polnischen Menschen werden meines Erachtens nach in der Öffentlichkeit nicht immer breit thematisiert, dabei sind, vom „Autodieb“ zum „faulen Lohndrücker“ über diejenigen, die heute im „besetzten Schlesien hausen“ eigentlich viele sehr krasse Ressentiments in unserer Gesellschaft doch für meinen Geschmack noch viel zu weit verbreitet.

Protest in PolenAls problematisch erwies sich die direkte Anreise, da es seit einiger Zeit wohl keine Zug-Direktverbindungen mehr gibt. Ich halte es für einen kleinen Skandal, dass wir Grenzen öffnen, aber die Zugänge erschweren. Die Menschen vor Ort wissen sich aber zu helfen: In einem unglaublich gut organisierten Kleinbus-System ging es mit nur ein paar Umwegen dann nach Hause, gemeinsam mit einigen Damen, die sich jede Woche um 3 Uhr Nachts irgendwo in Polen treffen, um nach bis zu 16 Stunden Autofahrt dann in Deutschland „alte Menschen zu pflegen“. Sie arbeiten hier, als Altenpflegerinnen. Viele von ihnen sind eigentlich in einem Alter, indem man selbst darüber nachdenken sollte, sich nicht mehr zu sehr zu belasten. In der Realität ist die reine Fahrtzeit dieser Menschen zu ihrer Arbeitsstätte schon anstrengender und zeitintensiver als das, was viele Menschen hier in der Woche arbeiten.

Neben dem Interesse an den Schicksalen der einzelnen Menschen – jenseits unserer Wahrnehmung, weil der eigene Horizont, wenn wir ehrlich sind, eben doch viel zu oft mit sprachlichen Gegebenheiten endet -, ereilte mich zwischendurch schon die Frage, ob wir wirklich in der Lage sind, diese innereuropäischen Kontraste so zu lösen, dass sie nicht zu weiteren Konflikten werden. Ich bin mir eigentlich sicher, dass wir das schaffen können, aber fürchte, dass wir alle dafür etwas mehr tun müssen.

Es gibt jedenfalls Orte, die hättest du von selbst nicht besucht, vor allem nicht auf derartigen Wegen – und bist dennoch verdammt froh, dort gewesen zu sein.

Fotos: Alle Bilder von Felix M. Benneckenstein

 

Nähere Infos:
Bund der Jugend der deutschen Minderheit (BJDM)
Institut für Auslandsbeziehungen (ifa)

 

Felix M. Benneckenstein

Felix M. Benneckenstein galt als Führungsfigur der lokalen Neonazi-Szene in Erding (Bayern), bevor er einen langwierigen Ausstiegsprozess durchlief. Er arbeitet heute Videojournalist, berichtet in Vorträgen über seine Ausstieg und ist Vorsitzender der Aussteigerhilfe Bayern (Webseite zur Zeit in Überarbeitung, deswegen kann es zu Funktionseinschränkungen kommen).

 

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