Loch NessAm 18. September 2014 findet die spannendste Wahl dieses Jahres statt und dann (abhängig vom Ergebnis) könnte eines der spannendsten ökonomischen Experimente der seit der deutschen Wiedervereinigung beginnen. Denn morgen (b.z.w. wen ihr das lest, vermutlich heute, oder sogar gestern) stimmen die Schotten ab, ob sie weiter zu Great Britain gehören wollen. Und die Umfragen sagen zur Zeit einen (denkbar knappen) Sieg der Unabhängigkeitsbewegung voraus.

Aus rein wirtschaftswissenschaftlicher Sicht kann man sich das – aus sicherer Entferung – nur wünschen. Denn die daraus resultierende Entwicklung dürfte allemal spannend werden – egal wie sie verläuft.

Leider erzeugt jede solche politische wie wirtschaftliche Veränderung Verlierer. Und wie immer, wenn Nationalismus im Spiel ist, werden das vor allem die normalen Menschen sein. Insofern würde ich – kurzfristig und konservativ gedacht –  mir einen Verbleib Schottland in Großbritannien wünschen.

Mich erinnert jedoch der ganze Konflikt weniger an eine Frage politischer Macht oder ökonomischer Ratio, sondern vielmehr an eine langjährige Ehe, in der die – wie auch immer geartete – Zuneigung (trotz allen wirtschaftlichen Vorteile) unter einem Mangel an ehrlicher Wertschätzung  gelitten hat. Bis zu einem Punkt, an dem – trotz aller wirtschaftlicher Argumente – keine gemeinsamer Weg mehr vorstellbar ist.

Scottland - SchottlandDer emotionale Bruch mag weit zurück liegen. “Die späte Rache der Schotten an Thatcher” nannte neulich eine Zeitung die Abstimmung, doch die kalten, verlogenen englischen Machtpolitiker Toni Blair und David Cameron haben sicherlich nicht geholfen, eine neue Liebe zu entfachen. Im Gegenteil: David Cameron can’t help the No campaign argumentiert Charlie Brooker in einem sehr unterhaltsamen Artikel im Guardian.

Und dann ist da noch der Verdacht, dass die ganze Situation komplexer ist und eine Dynamik in Gang setzen könnte, die – sagen wir mal – noch viel spannender ist als die rein ökonomische Analyse.

Denn ein unabhängiges Schottland wird sich – soviel ist schon jetzt klar – sofort um die Mitgliedschaft in der Europäischen Union bewerben. Und auch wenn eine Aufnahme nicht sofort erfolgen kann – sie steht wohl außer Zweifel. Über genau diese Mitgliedschaft aber wird aber das Rest-Großbritannien 2015 abstimmen und zumindest heute gilt ein Sieg der EU-Gegner als sicher.

Schottland 2 - Scottland 2Doch wie kann an den Austritt Schottlands aus einer wirtschaftlich sinnvollen Union kritisieren, aber sich gleichzeitig selbst aus einer solchen verabschieden? Insbesondere, wenn die Schotten dann ausgerechnet dort eintreten? Und würde der EU- Austritt eines geschwächten Rest-Großbritanniens (mit G7 und G8 Mitgliedschaft im Zweifel und der Mitgliedschaft um UN Sicherheitsrat fraglich) überhaupt noch stören? Mit dem Schottland-Austritt reduziert sich das Wirtschaft- und Weltpolitische Gewicht Großbritanniens erheblich – siehe auch: “Die Zeit: Abspaltung Schottlands – Todesstoß für das Empire” (ohne Fragezeichen!).

Ich könnte mir vorstellen, dass die schottische Unabhängigkeit eine Dynamik in Gang setzt, die die Europa-kritische Haltung der Engländer ins Wanken bringt.

Auch innenpolitisch könnte es mittel- bis langfristig zu Überraschungen kommen. Bisher waren es die Schotten, die gegenüber dem mehr Tory-orientierten Süden ein stärker Labour-orientiertes Gegengewicht gebildet haben. Nun fürchten die aufgeklärteren Engländer einen Durchmarsch der Rechten im Rest-Großbritannien. Doch werden die Engländer (immerhin die “Erfinder” von “Checks & Balances”) das tatsächlich zulassen? Und selbst wenn: Werden sie dann nicht schnell einen heilsamen Schock erleben? Ich könnte mir vorstellen, dass plötzlich ganz neue Kräfte auf der politischen Landkarte Englands erscheinen, die sich von der Labour Vergangenheit gelöst haben und eine modernere Politik vertreten.

Immerhin ist Großbritannien das letzte große Land Europas, das (auch aufgrund seine antiquierten Mehrheitswahlrechtes) in den letzten Jahrzehnten keine wirkliche Veränderung auf der politischen Landkarte erleben musste. In Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien haben sich die Mehrheitsverhältnisse längst verkompliziert, aber überall sind auch alte Wahrheiten zerbrochen.

Also: Auch wenn ich mir persönlich (aus nostalgischen und pragmatischen Gründen) einen Verbleib Schottlands im “Königreich” wünsche: Ein “JA” der Schotten zur Unabhängigkeit könnte sehr spannend werden und vieles in Europa in Bewegung bringen.

Und zur Frage im Titel: David Cameron ist in Schottland so unbeliebt wie Windows 8.

 


 

Dieses ist ein Beitrag zu meinem GB-2014 Reise-Tagebuch.

 

 Siehe auch:

 Spiegel online: Unabhängigkeits-Referendum: Wieso wollen so viele Schotten weg von England?

 Die Zeit: Abspaltung Schottlands – Todesstoß für das Empire”

David Cameron can’t help the No campaign – he’s less popular in Scotland than Windows 8

John Oliver Begs Scotland To Stay With The United Kingdom

 

Kategorie Fremde Länder, fremde Sitten

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