Ich rege mich ja über Politik inzwischen seltener auf, als früher. Sondern versuche meist, die Dinge mit einiger Distanz möglichst nüchtern zu betrachten und zu analysieren. Heute ist kein solcher Tag.
Denn heute hat sich der Kandidat der FDP (5%) in Thüringen von den Nazis (20%) zum Ministerpäsidenten wählen lassen. Es war kein Unfall – der FDP-ler hat sich brav beim Möchte-gern Hitler Bernd Höcke dafür bedankt. Ein Tabu-Bruch, der aber keineswegs völlig überraschend kommt.
Lange hat die Partei des Groß- und Finanzkapitals (“FDP”) als eine Partei präsentiert, die sowohl Profit-Gier des (Groß- und Finanz-) Kapitals repräsentiert, als auch eine freiheitliche (“liberale”) Grundhaltung vertritt.
Nun, dass ist vorbei: Seit heute paktiert diese FDP mit einer Partei, die für Ausgrenzung, Zensur, Unterdrückung, Gewalt, Diktatur und Krieg steht. Diese Partei hat den Ministerpräsidenen-Kandidaten der FDP mit ins Amt gewählt – und dieser hat die Wahl nicht nur akzeptert (an sich schon unglaublich!), sondern sich dafür auch bedankt (siehe Bild rechts).
Kleiner Exkurs in die Geschichte
Schauen wir etwas zurück: Bereits in der Weimarer Republik haben große Teil der deutschen Industrie und des Finanzkapitals den Aufstieg der Nazis gefördert und finanziert. Weil sie die Bedrohung ihres Eigentums durch die Sozialisten für schlimmer hielten als die Vergasung von Millionen Juden (von deren Enteignung und an der Ausstattung der KZs und am folgenden Krieg haben sie ja dann auch reichlich profitiert).1
Ich wage zu behaupten: Ohne die Unterstützung durch die Industrie hätte es das 3. Reich und den 2. Weltkrieg nicht gegeben – man kann da aber auch anderer Meinung sein.
Update 8.2.2020: Das Problem ist keineswegs dadurch entschäft, dass Martin Kemmerich seinen Rücktritt angekündigt hat. Weil es, wie ich im Folgenden zeigte, ein systematisches Problem ist.
Was hat das mit der FDP zu tun? Zwei Dinge:
- Nach dem Krieg organisierten sich nicht wenige Nazis und ihre Unterstützer in der neugegründeten FDP
- Die FDP wurde in der Folge schnell zur Vertreterin der Interessen der deutschen Industrie und des Finanzkapitals
Natürlich gab es in der FDP auch den “weltanschaulich-liberalen” Flügel, für den Bürgerrechte, Freiheit, Menschenrechte, Demokratie, … im Fordergrund stand. Doch wenn man sich einmal anschaut, was die FDP in ihren (nicht seltenen) Regierungsbeteiligungen durchgesetzt hat, dann kann man den Einfluss dieses Flügels (spätestens seit 1983) eigentlich völlig vernachlässigen (in der Außenplotik durch die Person Hans-Dietrich Genschers etwas länger)
Daneben gibt es noch einen großen Block von (spießig-konservativen) Kleinunternehmern, die sich von der FDP Steuererleichterungen, Subventionen (z.B. für Hotels) und weniger staatliche Regulierung erhoffen und ansonsten jede Veränderung des Status Quo (Internet, Sozialpolitik, Digitalisierung, …) scheuen. Ebensfalls reine Interessenspolitik.
Und dann gibt es noch jene Rückrat-lose Karrieristen (wie Lindner), denen Erfolg, Macht und Einfluß (und Geld) jeden Preis, jedes Prinzip und jede Lüge wert ist.
Und in dieser Mischung kamen zwei verbundene Ereignisse zustande:
- Die Absage Lindners an die Jamaika-Koalition 2017
- Das informelle Bündnis mit der AfD 2020
Schon die Jamaika-Koalition war den oben genannten Gruppen ein Dorn im Auge, da sie echte ökologische und soziale Reformen bedeutet hätte (zu denen die SPD derzeit nicht in der Lage ist). Und die es deshalb zu verhindern galt.
Und eben jetzt der verzweifelte Versuch, in Thüringen die Minderheitssregierung aus Linken, SPD und Grünen zu verhindern, für den die FDP bereit war, sich auch von Nazis zu unterstützen zu lassen (die das vorher angeboten hatten).
Die ganze FDP? Oder nur eine kleiner unbedeutender Landesverband? Die ganze FDP! Denn die Aktion war, wie inzwischen bekannt wurde, mit Parteichaf Lindner besprochen und abgestimmt. die Thüringer FDP hatte “grünes Licht” aus der Bundeszentrale – auch wenn Lindner jetzt so tut, als sei er überrascht gewesen.
Und auch der hessische Landesverband der FDP hat sich sofort hinter den Kurs der thüringischen FDP gestellt – so schnell und ohne Diskussion, dass es auch hier wohl keine Überraschung gewesen ist:
Die FDP ist meiner Meinung nach systematisch dabei, jede fortschrittliche Politik zu verhindern und sich am rechten Rand neue Machtoptionen zu erschließen. Thüringen dürfte nur der erste Schritt in diese Richtung gewesen sein. Und jedeR der heute noch FDP Mitglied oder FDP Wähler ist, unterstützt dieses.
Und die CDU? Die hat doch auch mit den Nazis gestimmt?
Nach allem was bisher bekannt ist, hat die thüringische CDU dieses gegen die ausdrückliche Empfehlung und entgegen jeder Warnung aus der Bundes-CDU getan. Das ist eine Zeichen der systematischen Zerrissenheit der CDU, die vermutlich den kommenden Niedergang der Partei einleiten wird. Aber zumindest kann man der Bundes-CDU nicht vorwerfen, mit den Nazis paktiert zu haben.
Zurück: Die Nazis und das Großkapital
Thüringen ist für mich nur ein Zeichen, dass die Großindustire wieder zum Pakt mit Nazis bereit ist, um soziale und ökologische Reformen in Deutschland (egal, ob durch Grüne, Linke, Piraten oder die SPD) zu verhindern. Weitere Zeichen sind die zahlreichen (anonymen und illegalen) Großspenden für die AfD und auch, dass sich die FAZ (Hausblatt des Finanzkapitals und der Industrie) Peter Gauweiler als Freund hält.
Das halte ich für wesentlich gefährlicher als punktuelle Wahlerfolge der AfD und das muß als Gefahr benannt werden.
Update 7.2.2020: Die erste Meinungsumfrage in Thüringen nach der Skandal-Wahl scheint zu zeigen, dass die Aktion CDU und FDP massiv geschadet hat:
Linke 37 (+6),
Quelle Meinungsforschungsinstitut Forsa
AfD 24 (+1),
CDU 12 (-10),
SPD 9 (+1),
Grüne 7 (+2),
FDP 4 (-1)
Wie ich in Zusammenbruch des politischen “BRD-Systems” vorausgesagt habe, ist für die CDU durch einen Zusammenarbeit mit dem rechten Rand nichts zu gewinnen, da sie dann die bürgerliche Mitte verliert. Und es scheint, dass auch die FDP ihre wenigen wirklich liberalen Anhänger verliert – und sich damit selbst aus den Parlamenten schießt. Ein erfreuliches Zeichen – aber keine Entwarnung. Denn natürlich werden die Lindners und Mörings versuchen, die Öffentlichkeit zu manipulieren.
Update 10.2.2020: Auch eine zweite Meinungsumfrage sieht die FDP in Thüringen jetzt unter 5% und die CDU drastisch abgestürzt:
Einen tieferen Einblick in die letzte Meinungsumfrage gibt der Artikel des MDR. Klares Ergebnis: Die deutliche Mehrheit der Thüringer will Neuwahlen – parteiübergreifend.
Update 11.2.2020: Jetzt kommt Licht ins Dunkel. Denn dieser Tweet deckt auf, was die FDP so sehr gegen die Rot-Rot-Grüne Regierung aufgebracht hat:
Liebe Stefanie Lohaus, für die Besitzer von riesigen Wohnanlgen, Immobilienfirmen und Wohnungsbaukonzerne sowie die Hotellobby (und damit die FDP) ist ein Mietendeckel das wohl zweit-schlimmste Vergehen, dass eine deutsche Regierung begehen kann. Viel schlimmer als der 1. Weltkrieg, schlimmer als der 2. Weltkrieg und verwerflicher als der Holocaust. Und fast genauso schlimm wie eine direkte Enteignung. //Ironie-off
Update 11.2.2020– 2: Kaum habe ich obiges geschrieben, ereeicht mich die Nachricht, dass sich das Finanzkapital (nach dem Versagen der FDP in Thüringen) nun offen zur AfD bekennt:
Berliner Finanzinvestor Krawinkel gibt 100.000 Euro an Höckes AfD
AfD-Spender Christian Krawinkel betreibt in Berlin eine Vermögensverwaltung. Laut eigener Auskunft hat Krawinkel verschiedene Hotel-, Büro-, Wohn- und Geschäftshausobjekte in ganz Deutschland realisiert. Immobilien – welch eine Überraschung!
Vielleicht müßte jetzt die Geschichte des Thüringer-Skandals doch neu geschrieben werden.
Update 23.2.2020: Sehr passend auch die Information, dass die AfD (wie auch CDU und FDP) gegen den Berliner Mietendeckel vor dem Bundesverfassungsgericht klagt. Soviel dazu, dass die AfD die Interessen der kleinen Leute vertritt. Man kann ja (wie ich) die Wirkung des Mietendeckel durchaus kritisch sehen – aber gegen die einzige implementierte Maßnahme einfach nur zu klagen, statt andere Maßnahmen vorzuschlagen. Oder gar (was CDU und FDP könnten) umzusetzen. So aber ist klar: Die AfD vertritt die Interessen der Reichen / Besitzenden.
Update 27.2.2020: In Brandenburg wie in Bayern ist die FDP jetzt in Umfragen auf 3% gerutscht.
Update 1.3.2020: Die Degussa Goldhandel GmbH (Sitz; Franfurt, Main) kooperiert nicht nur mit der AfD beim Goldhandel, sondern arbeitet auch daran mit, eine “bürgerliche Revolution” programmatisch vorzubereiten. U.a. mit dem Vorschlag, dass Arbeitslose vom Wahlrecht ausgeschlossen werden und Subventionen pauschal abgeschafft werden sollen. Letztlich also an der Abschaffung der Demokratie.
- Fußnoten:
Viel hat sich nicht gändert bei der Industrie – z.B. den Rüstungkonzernen sind die Profite wichtiger als die unschludigen Menschen, die ihre Waffen im Ausland töten. Und der Auto- und Lebensmittelindustrie gehen Profite vor der Gesundheit der Deutschen.[↩zurück ↩]
#1 by Werner Nieke on 12. Februar 2020 - 1:01
Ich hab’ Deinen Beitrag gelesen, Carsten. Und halte an meiner Frage fest: Wer ist dann “DAS” Finanzkapital? Ich bestehe auf Klärung der Begrifflichkeiten, weil es für mich von ENTSCHEIDENDER Bedeutung ist, wie wir Sprache i.A. und eben (“Kampf-“) Begriffe im Besonderen verwenden. Denn schon hierdurch wird häufig – eigentlich fast immer – eine Spaltung in Interessenlager hervorgerufen, die dann einen sachlichen Austausch von Argumenten schnell (meistens) unmöglich macht. Stichwort: Gewaltfreie Kommunikation, hier etwas übertragen angewandt auf Politik. (wo aber eben die rhetorische Gewalt in der Setzung bestimmter Begrifflichkeiten schon beginnt – und auch damals GENAU SO BEGANN! Daher ist mir das wichtig und ich finde, der Gebrauch bestimmter Begriffe müsste viel häufiger ZUNÄCHST zentral in der Diskussion stehen bzw. eine Klärung der Bedeutungsinhalte stattgefunden haben – und BEVOR man sich dann ggf. an die “Sachthemen” macht… [die übrigens fast nie nur “Sache” sind, sondern wo es eigentlich immer um Bedürfnisse der jeweiligen Interessengruppen geht, das ist ja eben der Verhandlungsgegenstand der Politik – oder sollte es sein…])
#2 by neunmalsechs on 12. Februar 2020 - 1:05
Ich vermute, dass dich die Antwort “Die 1% die 90% des Reichtums der Welt besitzen” (zu Recht) nicht zufrieden stellen wird.
Dadurch dass diese Besitzenden durch viele Konzerne (an denen sie Anteile besitzen) sowie unzählige Lobby-Organisationen vertreten werden und so direkt oder indirket (begrentzen) Einfluss auch auf die Medien nehmen können, ist kaum persönlich zu bennenen, wer das ist.
Und nein, sie gehören keiner einheitlichen ethnischen, nationalen oder religiösen Gruppe an – auch wenn die meisten von ihnen Weiße sind. Wenn du die Liste der reichsten Menschen (z.B.von Forbes) nimmst, kennst du ein paar von ihnen. wahrscheinlich nicht mal die Wichtigsten. Und viele von ihnen kennen sich untereinander nicht.
Was viele (nicht alle) von ihnen vereint, ist eine Überzeugung: Schädlich ist, was ihren Profit begrenzt, gut ist was den Profit erhöht. Ironisch dabei ist, dass selbst Personen, die solche Überzeugungen nicht unbedingt teilen (z.B. Gates, Soros) trotzdem ihr Vermögen in die Hände von Brokern legen, die nach dieser Devise nicht nur handeln, sondern auch politischen Einfluss nehmen.
Ich benutze diesenb Begriff daher als makroökonomischen Begriff um (nicht Personen, sondern) Mächte zu indentifizieren, die
a) jenseits des vollständigen Wettbewerbs Märkte beeinflussen können, und / oder
b) jenseits des Prinzips “one (wo)men – one vote” einen (potentiell) wahlentscheidenden Einfluss auf die Politik nehmen können.
Regierungen und Parteien sind (nie völlig, aber doch) sehr unterschiedlich beeinflussbar (teilweise Themen-spezifisch) von solchen Interessen – und es ist wichtig zu unterscheiden, wer wie und mit welchem Ergebnis.
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