Leeres Rednerpunlt der SPD

Andrea Nahles ist zurück getreten. Andrea Nahles war zwar nicht sonderlich beliebt (auch Angela Merkel war nie sonderlich beliebt – eher im Gegenteil – trotzdem hat sie die CDU zu Wahlerfolgen geführt) und war vielleicht nicht die richtige Person, um die SPD zu führen.

Andrea Nahles war aber nicht das Kernproblem der SPD. Wenn jetzt ein Nachfolger / eine Nachfolgerin gesucht wird, dann wird das vermutlich anders dargestellt. Und ich wage die Prophezeihung, dass – wer auch immer ihrE NachfolgerIn wird, nichts am Grundproblem der SPD ändern wird.

Das Grundproblem der SPD ist, dass sie jede Glaubwürdigkeit verloren hat, dass sie an den grundsätzlichen Verteilungsproblemen und – ungerechtigkeiten in Deutschland etwas ändern will. Das liegt weniger am Programm und an der SPD-Basis, sondern vor allem an einem Zusammenschluss von einflussreichen SPD Politikern, die seit vielen Jahren verhindern, dass wichtige Ziele und Parteitagsbeschlüsse umgesetzt werden, wenn die SPD mit an der Regierung ist:

Dem Seeheimer Kreis (benannt nach dessen regelmäßigen Treffen in Seeheim hier bei Darmstadt).

Dieser erz-konservative, einflussreiche und Lobbyismus-verseuchte Zirkel hat schon in den 80er Jahren die Atomenergie bis aufs Messer verteidigt und Umweltauflagen und -regeln bekämpft und damit die Gründung der Grünen zumindest begünstigt. Auch heute steht er für eine klare Klima-feindliche Politik und verteidigt die Macht der Konzerne. Sogar auf Kosten von Wahlchancen. Und – im Zweifel – ohne Hemmungen auch öffentlich gegen die jeweilige Führung der SPD.

Die Macht des Seeheimer Kreises liegt weniger drin, dass er die Programmatik der SPD bestimmen kann. Sondern in seiner Fähigkeit, die Karrieren von Menschen zu beeinflussen, die in der SPD wichtige Posten anstreben. Er tut das, indem er (in „Hinterzimmer“-Gesprächen – nicht öffentlich) Mehrheiten auf Parteitagen für oder gegen KandiatInnen, organisiseren, gezielte Presseveröffentlichungen orchestrieren und reichlich Spendengelder aus der Industrie besorgen (und entziehen) kann.

Der eigene Kandidaten und Ämterinhaber öffentlich (über die Presse) unter Beschuss nimmt, sobald sie Positionen  vertreten, die den Kernanliegen des Seeheimer Keieses entgegen stehen. Ohne jede Rücksicht darauf, ob das der SPD bei Wahlen oder in Verhandlungen schadet. An die Öffentlichkeit gehen dann oft ehemalige Amtsinhaber, die nichts mehr zu verlieren haben – und denen der Vorwurf der Spaltung und Parteischädigung nicht mehr schadet. Die aber prominent genug sind, um in der Presse Gehör zu finden (wie im Falle Wolfgang Clements).

Gegen den Seeheimer Kreis ist keine Karriere in der SPD möglich. Juso-Vorsitzender kann man noch werden – aber wer danach was werden will, der muss dem Seeheimer Kreis zu Kreuze kriechen. Ich kenne in den mehr als 30 Jahren, in denen ich den Abstieg der SPD schon beobachte, keinen einzigen Politiker und keine Politkerin, die in der SPD GEGEN den Seeheimer Kreis Karriere gemacht hätte.

Für was steht nun der Seeheimer Kreis?

Entstanden ist der Seeheimer Kreis in den 80er Jahren aus dem Glauben viele SPD-Führungskräfte, dass gegen die deutsche Industrie keine Mehrheiten im Bundestag zu gewinnen sind. Unter dem rechten und (im Gegensatz zu Willi Brandt) Reform-feindlichen Kanzler Helmut Schmidt wurde die Führung SPD auf Industrie-freundlich getrimmt und der Erfolg der Deutschland AG zum inoffiziellen Pateiprogramm erhoben.

Im Hintergrund stand der Glaube, dass nur eine bedingungslose Orientierung am Wachstum den Wohlstand (auch für die Zielgruppen der SPD) sichern könne. Wirtschafswachstum, so der Kernglaubenssatz, ginge unendlich weiter und würde alle Probleme heilen. Und da der einzig denkbare Träger von Wachstum die Industrie war, galt es (ziemlich bedingungslos) alles Umzusetzen, was diese vorschlug.

Da wurde in Kauf genommen, dass die Menschen in Deutschland (und die Natur) vergiftet wurden, da wurden Arbeitnehmerrechte geschleift („flexibilisiert“) und die Verstrahlung der Beölkerung in Kauf genommen (die Industrie sagte ja, dass Atomenergie 100% sicher ist).

Das gipfelte in der selbstverliebten Aussage Gerhard Schröders, er sei der „Genosse der Bosse“ und der Tatsache, dass er sein wichtigstes Reformprojekt ausgerechnet einem Vorstandsmitlied eines Automobilkonzerns überließ. Von dem wir inzwischen wissen, dass er kriminell ist. Sowohl der Mann und als auch der Konzern.

Ergebnis solcher Politik: Die Reichen werden immer reicher in Deutschland und die Wohlstands-Schere geht immer weiter auf. Um gleich jeder AfD –Rethorik und Legendenbildung entgegen zu wirken: Den unteren Schichten in Deutschland geht es rein materiell besser als je zuvor in der Geschichte der BRD UND der DDR. Was sich zum schlechteren verändert hat, sind der Umgang mit ihnen und die Perspektiven. Und die Spaltung zwischen Mittelschicht und Reichen. Unumkehrbarer sozialer Abstieg droht allen, die nur einmal etwas länger aus der Wachstum-Mühle herausfallen (sei es durch physische oder psychische Krankheit, Betrreuung von Abhängigen, …), Arbeitslosigkeit.

Über die ideologische Festlegung auf Wachstum um jeden Preis und die Interessen der Industrie sind dem Seeheimer Kreis und damit auch der (von ihm dominierten) SPD die normalen Menschen in Deutschland völlig aus dem Fokus gekommen. Schon in den 80ern haben sie den Intellektuellen und Ökologen so vor den Kopf gestoßen, dass diese die Grünen gründeten (die Seeheimer waren lange entschiedene Gegner eine Rot-Grünen Koalition). In den 90ern verließen Gewerkschafter und Kapitalismus-Kritiker die SPD und gingen zur Linken. Jetzt haben auch die ungebildeten Arbeiter und Arbeitslosen verstanden, dass sie von der SPD nichts zu erwarten haben und wählen „aus Protest“ die AfD. Übrig bleiben der SPD Rentner (die schon immer SPD gewählt haben), ein paar „Besserverdienende“ ohne Abstiegsängste und eben jene lang umworbenen Bosse. Aber Letztere sind nur Wenige. Und wählen lieber FDP und CDU.

Anders als jedoch die CDU, die in einer ideologischen Falle steckt, könnte die SPD ihr Schicksal wenden. Denn für die Themen, die ihre verbliebenen und ehemaligen UnterstützerInnen und Wählerinnen bewegen und die den Kernanspruch der SPD bilden, gibt es durchaus Mehrheiten in Deutschland.

Die Wachstumsideologie hat eine relative Umverteilung von Einkommen und Vermögen zugunsten Weniger – bereits Besitzender – bewirkt. Nicht weil die Einen mehr leisten und arbeiten als die Anderen, sondern aufgrund von (keineswegs zwangsläufigen) Steuer- und wirtschaftspolitischen Entscheidungen  und Gesetzen, die dafür sorgen, dass man mit Kapital  leichter, schneller und mehr Einkommen erwirtschaften kann als mit (ehrlicher) Arbeit.

Diesem sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Unsinn muss die SPD ein Ende setzen (wollen) – statt immer nur veraltete Industrien wie Auto und Kohle zu beschützen, weil jeder Verändung dort ja Arbeitsplätze kosten könnte. Die trotzdem wegbröckeln. Und das ist nicht nur möglich, ohne zu sozialistischer Rethorik und Methodik zurück zu kehren. Sondern auch klüger.

Jeder, der (egal mit welchem Hintergedanken) die SPD vor die Wahl „rechts“ oder „Sozialismus“ stellt, hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden. Die Mehrheit der (jungen) Menschen will keine rechte Scheiße – und sie wollen auch keinen Sozialismus. Sie wollen Marktwirtschaft, wo diese zum Nutzen der Menschen funktioniert – und Enteignungen, wo Konzenre und Industrien ihre Macht missbrauchen. Sie wollen Reisefreiheit und Welthandel, aber ohne Geheimabkommen und Konzernprivilegien. Sie wollen eine EU, aber die Macht der Lobbyisten begrenzen.

Was könnte also die SPD, nein, was müßte sie tun? Hier ein paar Ansätze, die der SPD kurzfristig wieder zu mehrheitsfähigen Positionen verhelfen würden:

  • Besteuerung von unproduktivem Vermögen
  • Dafür sorgen, dass Gängelung und Kontrolle beim Empfang von Sozialleistungen auf ein angemessenes Maß zurück gefahren werden. Sozialleistungsempfänger dürfen nicht weiter schlechter behandelt werden als Steuerhinterzieher. Im Zweifel muss auch hier gelten: Zugunsten des Menschen.
  • Die Kosten für menschenwürdiges Wohnen müssen auf ¼ eines durchschnittlichen Einkommens reduziert werden. Dazu kann auch die Enteignung von ungenutzem Wohnraum und Baugrundstücken ein Mittel sein. Aber auch eine Wirtschafstpolitik, die Arbeitsplätze dort entstehen lässt, wo Wohnraum erschwinglich ist, statt unnötigen Pendelverkehr zu erzeugen.
  • Abschaffung vor Steuerungerechtigkeiten, die den Kauf von Lebensnotwendigem höher besteuern als Luxusgüter und Spekulation.
  • Drastische Maßnahmen im Bildungssystem,. die für echte Chancengleichheit sorgen. Statt sich am (leider immer noch nicht durchsetzbaren) Konzept Gesamtschule ideologisch festzubeißen und dann lieber gar nichts zu tun, andere Maßnahmen angehen. Zum Beispiel Reduktion der Klassenstärke auf max 16 SchülerInnen – zuerst an Hauptschulen.
  • Ausweitung der Steuer- und Sozialabgabenfreiheit von unteren Einkommen.  
  • Garantiertes Grundeinkommen mit Anreizen zu zusätzlicher Arbeit (also der Gegensatz zur Hartz IV Logik, die Zusatzeeinkommen und Vorsorge bestraft und sozialen Abstieg zementiert)

Wobei nicht der Wahlkampf für solche Themen relevant ist (Veränderung hat die SPD oft genug versprochen – da fehlt inzwischen jede Glaubwürdigkeit) – sondern ausschließlich die erfolgreiche Umsetzung zählt. Übrigens ein (unpopuläres) Argument dafür, in der Regierung zu bleiben. Und dort etwas zu ändern.

Aber ich fürchte, die SPD wird solches nicht schaffen. Der Seeheimer Kreis wird auch beim nächsten SPD Vorsitzenden ein erhebliches Wort mitreden und wer auch immer es wird, wird nicht gegen diesen agieren können.

Natürlich erfordern diese Maßnahmen ein erhebliches Umdenken und einiges wird viel Geld kosten. Doch sie nicht anzugehen, wird noch viel mehr Geld kosten. Und wenn die SPD es nicht tut, werden sich die Grünen dieser Themen annehmen und die SPD gänzlich überflüssig machen.

Was jetzt nicht das Schlimmste wäre.

Denn mit der SPD geht es mir wie mit dem HSV: Ganz früher einmal war ich ein Fan. Doch die Führung (nicht die Basis) hat mir den Laden so verlitten, dass mich jede Niederlage mit Schadenfreude erfüllt.

Update 16.6.2019: Nicht allen geht es so:

Zugleich gaben von den Befragten insgesamt aber 59 Prozent an, sie würden es „persönlich bedauern, wenn die SPD in der Bedeutungslosigkeit verschwinden würde“. 36 Prozent wäre dies egal. Auch 70 Prozent der Grünen-Anhänger und 66 Prozent der Unionsanhänger bedauern demnach den Niedergang der SPD

FR, 15.6.2019

Wobei das Bedauern der CDU Anhänger damit zusammen hängen könnte, dass ihrer Partei das gleiche Schicksal droht. In der Umfrage steht die SPD übrigens bei 11% und bei SchülerInnen & StudentInnen bei nur noch 8%.