Neulich kam in Darmstadt ein CDU Politiker argumentativ so sehr in Bedrängnis, dass er scheinbar keinen anderen Ausweg sah, als deren Position dadurch zu diskreditieren, dass er seine Gegner mit der AfD auf eine Stufe stellt.

Michael Gahler, CDU, Mitglied des Europaparlaments

Michael Gahler, CDU, Mitglied des Europaparlaments Bild: Martin Kraft (photo.martinkraft.com) Lizenz: CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

Das ist jedoch

  1. Moralisch sehr zweifelhaft
  2. Politisch gefährlich

Bevor ich meine eher grundsätzlichen Überlegungen (die Anlass für diesen Artikel und mir primär wichtig sind) dazu ausführe, kurz zum konkreten Fall:

Der Täter ist Michael Gahler, Profi-Politiker der CDU Hessen und derzeit einer der hessischen Abgeordneten im Europaparlament. Er war zu einer Podiumsdiskussion zu TTIP geladen und dabei gegenüber Podium und Zuhörern in die Defensive geraten:

Auf die Redebeiträge […] reagierten die ca. 200 Besucher (geschätzt) im fast vollen Saal des Justus-Liebig-Hauses je nach Redebeitrag mit zustimmendem Beifall oder Unmutsbekundungen und Zwischenrufen. Es war unschwer erkennbar, dass die überwältigende Mehrheit der Besucher die Abkommen nicht nur sehr kritisch sieht, sondern sie ablehnt.

Ich saß auf dem Podium neben Herrn Gahler (CDU) und spürte seinen wachsenden Frust ob dieser deutlichen ablehnenden Stimmung von Podiumsteilnehmern und Publikum.

Quelle: Schorsch (Uffbasse)

Also definitiv kein Heimspiel für ihn. Sicher ein wenig frustrierend. Andererseits hätte er bei guter Vorbereitung wissen müssen, was ihn auf dieser Veranstaltung erwartet. Und als Profi sollte er damit umgehen können. Oder wegbleiben. Und ganz unfair war es nicht, denn ihm wurde sogar das letzte Statement der Schlussrunde zugestanden, mit dem er noch einmal sachlich für seine Position hätte werben können. Doch leider nutzte er diese Gelegenheit nicht, sondern griff zu einer völlig unsachlichen Polemik:

Er hatte dann als letzter Redner das Wort in der Schlussrunde und beendete seine Ausführungen mit einer unglaublichen Aussage – er sagte sinngemäß an die Adresse der TTIP/CETA-Gegner „auch die AfD ist gegen diese Handelsabkommen und da sollten sie sich mal überlegen, in welcher Gesellschaft sie sich damit befinden“.

Quelle: Schorsch (Uffbasse)

Update 22.2.2016: Marc Wickel berichtet ebenfalls von der Veranstaltung

Moralisch sehr zweifelhaft ist eine solche Aussage schon deshalb, weil es noch kein Jahr her ist (am 8. Juli 2015), dass die AfD Fraktion im Europaparlament mehrheitlich für TTIP gestimmt hat – gemeinsam mit CDU (einstimmig), FDP (einstimmig) und der SPD (mehrheitlich). Dagegen stimmten bereits damals die Grünen, die Piraten, die Linke und DIE PARTEI (Quelle: Sven Giegold). Erst danach hat die AfD ihre Position zu TTIP geändert.

Es ist also keineswegs so, dass die TTIP Gegner der AfD folgen, sondern umgekehrt hängte die AfD ihr Fähnchen in den Wind.

Mehr noch: Weder damals noch zukünftig hätte / wird die CDU eine Position auf(ge)geben, nur weil diese auch von der AfD geteilt wird. Im Gegenteil haben nicht wenige Mitglieder der Christdemokraten in den letzten Monaten Positionen eingenommen, die zuvor sehr ähnlich von der AfD eingenommen wurden. Seehofers “Unrechtsstaat”-Polemik ist nur der Höhepunkt einer Reihe von Versuchen aus der Union, die AfD nachzuäffen. Wobei man hier die Bundeskanzlerin und ihren engeren Kreis ausdrücklich davon ausnehmen muss. Michael Gahler wäre jedoch extrem weltfremd, wenn all dieses an ihm vorbeigegangen sein sollte.

Politisch gefährlich ist eine solche Aussage jedoch aus viel grundsätzlicheren Überlegungen. Wenn Politiker gemäßigter Parteien – statt sich der Aufklärung und Sachlichkeit zu verpflichten – zu einer Rhetorik wechseln, die Polemik und Unsachlichkeit verbreitet, fördern sie den Aufstieg radikaler Pateien und Politiker. Das für mich nun keine Frage der Debatte über TTIP  (zu der ich selbst nur weniger beitragen kann), sondern eine Frage der politischen Kultur. Aber wer Hetzte betreibt, gehört für mich nicht in die Politik, weil er der Demokratie schadet.

Was kurzfristig vielleicht noch WählerInnenstimmen sichert, führt mittel- und langfristig dazu, dass

  • sich radikale Parolen und Denkmuster verbreiten und akzeptabel werden
  • sich die Anhänger von radikalen Parteien bestätigt fühlen
  • Hass und Wut in der Politik über Rationalität und Aufklärung siegen
  • die extremen Ränder stärker werden und am Ende nichts mehr geht

Bestes Beispiel dafür ist die Republikanische Partei der USA, wo man dieses derzeit sehr anschaulich verfolgen kann.  Die Republikaner haben mit ihrer unsachlichen Rethorik gegen Clinton und Obama die Radikalisierung der eigenen Partei und der gesamten Gesellschaft gefördert. Inzwischen haben dort gemäßigte Politiker kaum noch eine Chance und landen bei den Vorwahlen zur Präsidentschaftskandidatur unter 10% der Stimmen.

Auch in der Weimarer Republik war dieses eine der Ursachen für die Spaltung der Gesellschaft, die den Aufstieg der Nazis erst möglich machte. Mein Learning: Wenn die Mitte die Rhetorik verschärft, profitieren die extremen Ränder. Deshalb müssen Hetzer (egal in welcher Partei) bekämpft werden. Akzeptabel sind für mich nur Politiker. die Aufklärung und Sachlichkeit in den Mittelpunkt stellen. Natürlich darf man mal eine Position zuspitzen. Aber es gibt bestimmte Grenzen, die dabei nicht überschritten werden sollten.

Zurück zum konkreten Fall:

Michael Gahler hat für mich in seinem Schluss-Statement eine solche Grenze überschritten. In meiner ersten Empörung hatte ich seinen Rücktritt gefordert. Nachdem mir jedoch versichert wurde, dass er überwiegend sachlich unterwegs war, bin ich bereit, seine Abschluss-Aussage als einen Ausrutscher unter Stress zu akzeptieren. Um das zu glauben, erwarte ich jedoch von ihm eine Entschuldigung. Ich hoffe, er besitzt die charakterliche Stärke zu so einem Schritt. Ich werde auch versuchen, ihn dazu direkt anzuschreiben.

Falls es weitere Entwicklungen gibt, werde ich hier via Updates informieren. 

 

Siehe auch:

Petition: Darmstädter Bürgerinitiative für eine TTIP-CETA-TiSA-freie Kommune

Meine Kommunalwahl-Splitter

Entwurf Fragebogen Kommunalwahl 2016

Vorschau Kommunalwahl 2016

Ein paar grundsätzliche Überlegungen zu Politik: Politik ist…

 

Weitere Artikel in der Kategorie “Darmstadt

Wie zum Beispiel:

Schlafende Kulturhauptstadt Darmstadt

Georg Büchner. Darmstädter Linksradikaler.

Drama in drei Akten: Wenn der Döpfner in Darmstadt den Datterich…

Georg Büchner per Denkmal entsorgen?

Weitere Artikel in der Kategorie “Politik

Wie zum Beispiel:

Informationsfreiheitssatzung

Analyse des „Asylkompromisses“ von CDU, SPD & Grünen

US Präsidentschaftswahl 2016: Clinton vs. Trump?

Gefährliche patriotische Sex-Phantasien

Putsch-Fantasien

 

Keinen Neun-mal-Sechs Beitrag mehr verpassen: Das E-Mail Abo nutzen.