Vor einiger Zeit bin ich auf ein seltsames und irritierendes Projekt gestoßen: Titel „Durmstädter Brandnamen“. Brandnacht sagte mir ja etwas. Aber: Durmstädter? Meinen die Darmstadt damit? Und der Name des Veranstalters: Louise Bostanian – das klingt so gar nicht, als wären die von hier. Klingt nach USA (Boston). Fremd.
Also so ganz nach meinem Geschmack. Und nachdem ich mich durch die künstliche Umständlichkeit der Projekt-Beschreibung und ihre akademischen Wortgebilde gearbeitet und sie gedanklich entwirrt hatte, hatte ich folgendes Verstanden:
Es handelt sich um eine Kunstprojekt auf historischer Grundlage und mit politischen Implikationen. Der Künstler Louise Bostanian – gleichzeitig geborener Darmstädter und doch kein typischer Hesse – will die Namen der Menschen zu Papier bringen, die die Darmstädter Brandnacht erlebten oder nicht überlebten. Zu Papier bringen heißt: Eine kaligraphische Niederschrift aller Namen die er in Erfahrung bringen kann – auf einer riesigen Rolle Papier oder Pergament.
„Darmstädter Brandnacht“ ist der Name für das Flächenbombardement der Darmstädter Innenstadt am Ende des 2. Weltkrieges, bei dem am 11. September 1944 ungefähr 11.500 DarmstädterInnen starben und große Teile der Innenstadt zerstört wurden. Die beiden oberirdischen Luftschutzbunker auf der Knell sind stumme Zeugen und Mahnmale an den Schrecken der Bombardements des zweiten Weltkrieges.
So klar mir nun auch das „Was“ war, dem „Warum“ – warum dieses eine historische Ereignis, warum das Aufschreiben der Namen, warum jetzt- war ich nicht nähergekommen. Insbesondere vor dem Hintergrund von aktuellen Bemühungen rechter Kreise, durch Betonung der Opfer des zweiten Weltkrieges in Deutschland die Verbrechen der Nazis zu relativieren und neue nationale Feindbilder aufzubauen, schien mir das Projekt und insbesondere die Verwendung des Begriffes „Mord“ zumindest unangemessen, wenn nicht sogar falsch. Und kritisierte das in deutlichen Worten.
Das war damals als abschießendes Statement gemeint. Doch zum einen erhielt ich aus dem eigenen Freundeskreis Kritik (Tenor: Das Töten in jedem Krieg ist Mord), zum anderen gelang es Louise Bostanian mich davon zu überzeugen, das seine Absichten keineswegs in die Richtung gingen, aus der meine Bedenken kamen. Und dass er ein nachdenklicher und reflektierender Gesprächspartner ist. Was zwar meine Kritik am Projekt nicht beseitigte, aber eine Grundlage für den sich daraus entwickelnden Dialog war. Und bevor ich hier meine Kritik erneuere und – auf Basis des Erfahrenen – schärfe, möchte ich zunächst die Absichten und Ziele, die es Louise Bostanian mit dem Projekt verfolgt, möglichst verständlich darstellen.
Das ist auch notwendig, weil Louise Bostanian für dieses Kunstprojekt erhebliche persönliche Anfeindungen und falsche Unterstellungen von poltischen Zielen erfahren musste. Beides hilft in keiner Weise und steht einer inhaltlichen Kritik unnötig im Weg.
Geboren wurde das Projekt aus Louise Bostanians Erfahrung, das viele Deutsche Probleme damit haben, über die eigenen jüngere Geschichte im Allgemeinen und im besonderen auch das Leid der eigenen Bevölkerung im 2. Weltkrieg überhaupt zu sprechen.
Louise Bostanian fand das erstaunlich. Und problematisch. Psychologisch sei die andauernde Leugnung von Leid problematisch und verhindere, dass Trauerprozess abgeschlossen werde. Darmstadt in dieser Sichtweise in der Leugnungsphase des Trauerprozesses steckengeblieben. Und er beschloss sich diesem Phänomen mit der oben geschilderten Methode zu nähern. Er schreibt selbst dazu:
«Durmstädter Brandnamen» ist ein ent-abstrahierendes Mahnmal [….]
Nur offene, gegenseitige Aussprache des Leids, gegenseitiges Verstehen des Leids, gegenseitige Schuldbekenntnisse, gegenseitige Reuebezeugungen und gegenseitiges Vertrauen vermögen echte Aussöhnung und Vergebung zu erwirken.
«Durmstädter Brandnamen» verweist auf die Faktizität von Leid infolge der Brandnacht, bemüht sich um Geltung und möchte echte Aussöhnung und Vergebung erwirken.
Louise Bostanian ist sich dabei von Anfang an bewusst gewesen, dass an vielen Orten (insbesondere Dresden) neue und alte Nazis versuchen den Terror und die Kriegstreiberei der Nazis mit dem Verweis auf den Schrecken der Bombenangriffe der Alliierten zu verteidigen oder zumindest zu relativieren. Eine perfide Strategie, auf die dümmere Menschen jedoch scheinbar schnell hereinfallen.
Macht das Louise Bostanian zu einem Helfeshelfer der Nazis? Macht er ihr Geschäft? Hilft er ihnen?
Louise Bostanian ist in Darmstadt geboren und aufgewachsen. Doch seine Eltern sind ägyptisch-armenischer Herkunft und nach langem Aufenthalt in Frankreich nach Darmstadt gekommen. Sein etwas „anderes“ Aussehen hat auch rassistische Reaktionen hervorgerufen.
Trotzdem hat er solche Vorwürfe, den Nazis in die Hände zu spielen – mal mehr, mal weniger aggressiv formuliert – vielfach in privaten Nachrichten erhalten. Zu seinem Bedauern haben nur wenige Kritiker die öffentliche Diskussion über diese Vorwürfe gesucht. Aus einer solchen Diskussion könnte ein öffentlicher Lern- und Denkprozess entstehen, der über einfache Kategorien hinausgeht.
Warum aber bewegt sich einer wie Louise Bostanian dann überhaupt so gefährlich nahe am rechten Rand? Er schreibt:
Jedwedes Leid ist gravierend. Es ist weder messbar noch abwägbar. Die Faktizität von Leid ist nicht an Buße, Reue, Schuld, Sühne, Vergebung etc. gebunden, paradoxerweise allerdings die Geltung von Leid.
Er will ausdrücklich nicht die NS-Greultaten leugnen, will auch auf keinen „Opferstilisierung“ betreiben, will das Leid der Vielen nicht relativieren , in dem er „deutsches“ Leid in den Vordergrund setzt. Sondern er will Leid multiperspektivisch betrachten und die semantische Koppelung von Leid mit Opfer und Nicht-Leid mit Täter sprengen.
Seiner Meinung nach ist es schädlich – für die Betroffenen wie auch das kollektive Bewusstsein – wenn Leid aufgerechnet wird. Das Leid, das die Deutschen im 2. Weltkrieg über die Welt gebracht haben, kann – seiner Meinung nach – nicht verrechnet werden, mit dem Leid das die Menschen in der Darmstädter Brandnacht erlebten.
Und seiner Meinung nach lässt erst die Anerkennung des erlittenen Leides ein Lernen zu, während das zur Zeit überwiegend praktizierte „wegsehen“ ein Lernen verhindert. Jedoch will er – die Ergebnisse, zu der seine Methode führen kann, nicht vorgeben – was mich an meine Besprechung der Yoko Ono Ausstellung in der Schirn erinnerte, die als Vertreterin der Fluxus-Bewegung ebenfalls anregen wollte, ohne konkrete Handlungen vorzugeben
Erst auf meine konkrete Nachfrage, ob diese Beschäftigung mit dem Thema Leid zum Beispiel auch zu einer kritischen Sicht auf den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan führen könnte, wo ja auch der Einsatz von Militär mit humanitären Zielen gerechtfertigt wird, bestätigt Louise Bostanian, dass das ein Ergebnis sein könne – betont aber auch, dass er hier keine Deutung vorgeben wolle.
Das Projekt „Durmstädter Brandnamen“ ist also zunächst ein Kunstprojekt, das ein historisches Thema hat und aus dem sich politische Folgerungen ableiten lassen – aber dieses keineswegs automatisch tun. Eine öffentliche Diskussion über die möglichen Implikationen wünscht sich Louise Bostanian ausdrücklich. Die Verfremdung des Städtenamens und historischer Zitate sollen das deutlich machen.
Für Louise Bostanian selbst ist die eigentliche Arbeit am Projekt eher meditativ, er nennnt es „obsessiv-kompulsives Abschreiben“. Das präzise Abschreiben der Namen erfordere große Ruhe und volle Konzentration.
Sed lib♎ra from Louise Bostanian on Vimeo.
Dass er dabei möglicherweise auch Namen von Tätern und Täterinnen des Dritten Reiches – von Nazis oder Profiteuren der Judenverfolgung – schreibt, bringt ihn nicht aus der Fassung. Ihre Verbrechen könne man seiner Meinung nach nicht abwägen gegen ihren Tod. Und er betont, es sich um „kein gedenkendes Mal, sondern um ein Mahnmal handelt.“
Das fertige Transparent will Louise Bostanian nach Abschluss der Arbeit den DarmstädterInnen zur Ausstellung überlassen. Doch noch ist es längst nicht soweit: Von den ungefähr 11.500 Menschen die beim Bombardement starben sind lediglich rund 4.000 auf der offiziellen Totenliste verzeichnet. verletzt, traumatisiert und rund 66.000 wurden obdachlos. 110.000 Einwohner zählte die Stadt damals – für sie alle hätte Louise Bostanian einen Platz auf seinem Transparent. Doch hat er über die offiziellen Listen hinaus wenig Feedback erhalten. Darmstadt hat sein Kunstprojekt – bisher – weitgehend ignoriert.
Soweit zu den Hintergründen des Projektes. Bisher so wenig kommentiert, wie es mir möglich war. Hier geht es weiter mit meinem persönlichen Kommentar dazu: Wurden doitsche Täter zu deutschen Opfern? – Warum ich das Projekt Durmstädter Brandnamen falsch finde, und dennoch will – jetzt, wo es da ist – das darüber diskutiert wird.
Zusammenfassung der bisherigen Diskussion: 11. September in Darmstadt – die Debatte tobt
Mehr Infos zum Projekt:
Webseite Durmstädter Brandnamen
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