Miriam Vlaming - Bildausschnitt

Miriam Vlaming – Bildausschnitt

Es ist sozusagen seine Abschiedsvorstellung. Sie ist grandios geworden. Peter Joch, der Direktor der Kunsthalle wechselte zum 1. Januar  an ein neues Potsdamer Museum. Die letzte von ihm konzipierte Ausstellung ist noch bis zum 16. Februar in der Kunsthalle zu sehen. Gewissheiten lässt uns Joch nicht zurück, sondern vor allem Verunsicherung:

Die Künstler der Schau lassen durch die Verschleifung von Bildebenen, durch Schwebezustände, Brüche in der Perspektive und ungewöhnliche Blickwinkel einen verwirrenden, haltlosen Raum entstehen. Diesen Nicht-Raum nutzen sie, um Grenzen des Erzählens zu überwinden. Sie thematisieren psychische Desorientierung, die bildnerische Darstellung historischer Katastrophen – und künstlerische Inspiration.

So der Anspruch. Und die auf der Web-Seite der Kunsthalle gezeigten Bilder hatten mich neugierig gemacht.

Malerei und, das vorweg: Keine schöne Kunst. Sondern eine, die mehr Abgründe auftut, als Gründe liefert. Und es sind gar nicht so sehr die oben genannten methodisch-technischen Winkelzüge, die irritieren, sondern tatsächlich die gezeigten Motive und die distanzierte, ja kalte, Haltung der Künstler zu den gezeigten Szenen, die mir die mehrfach einen Schauer den Rücken hinunter jagte. Die Art von Schauer, die Dinge erzeugen, die man schon einmal unangenehm gespürt, gefühlt, erlebt hat.

Nicht, das die Maler und die Malerin auf handelsüblichen Horror setzen würden. Ganz und gar nicht. Es sind vielmehr die Gefühle, die ein schräger, düster-unwirklicher Traum zurück lässt. Oder einer dieser Filme von David Lynch. Twin Peaks. Ja, die Bilder von Emmanuel Bornstein, Sven Kroner und Miriam Vlaming enthalten eine ordentliche Portion Twin Peaks. Jenes absurden, unfassbaren Grauens, das hinter ganz normalem Alltag lauert. Jene Abgründe, die sich auftun, wenn man die gesunde Oberflächlichkeit verlässt und etwas zu genau hinsieht.

Bilder von Emmanuel Bornstein

Bilder von Emmanuel Bornstein

Am konkretesten noch ist der Schrecken bei Emmanuel Bornstein. In krassen Gelb-Schwarzen Visionen stellt der Situationen von Angst, Leiden und Terror dar. Grundsätzlich eindrucksvolle Bilder, die jedoch immer da (gewollt?) brechen, wenn seine Darstellung zu konkret wird. Als störend empfinde ich es, wenn

a) sein Bezug auf historischen Nationalsozialismus zu offensichtlich wird. Selbst bei bestem Absichten: Der Schrecken der Zukunft trägt keine SS-Uniformen. Selbst die Nazis von heute tragen entweder Anzug oder sehen aus wie Orks.

b) er zu allegorisch wird. Menschen in solchen komplexen Visionen zu offensichtlich als Esel oder Wölfe zu darzustellen, ist mir zu simplifizierend. Die menschliche Psyche ist komplexer und gerade weil Bornstein sich auf diese Ebene einlässt (s.u.), ist die Simplifizierung seine Schwäche. Zu einem A.Paul Weber passte das, aber wenn man sich sich (wie er) in die Ambiguitäten einesQuentin Tarantinohinein wagt, dann wirken solche wertenden Bilder geradezu banal.

Womit ich  zur Stärke von Bornsteins Bildern komme: Neben der farblichen Intensität sind vor allem jene Bildausschnitte intensiv und wirkungsvoll, in denen er seine Motive weniger eindeutig positioniert: Fliehende, die sowohl Angst, aber auch Stärke und Erotik ausstrahlen, Stimmungen, die gleichzeitig Untergang und Aufbruch verheißen, Bilder., die zwischen Absurdität und Realismus schwanken  oder Figuren, die sich nicht entscheiden können, ob sie Menschen oder Tier sein wollen. Da wird Bornstein faszinierend!

Allerdings: Da sich in wirklich jedem seiner Bilder in der  Ausstellung beide Aspekte – die simplifizierenden und die komplexen – mischen, verbleibt der Besucher bei seinen Werken etwas ratlos. Aber vielleicht ist sogar das gewollt. Absolut gefangen hat er mich bei einem Bild, das allerdings nicht in der Ausstellung zu sehen ist, sondern das ich auf seiner Web-Seite fand. Mehr zu erwarten ist von ihm auf jeden Fall: Bornstein ist erst 27 Jahre alt – da ist noch Luft.

Spannendes Detail: Als in Berlin lebender Franzose dürfte ihm die politische Dimension seiner bevorzugten Farbwahl in Deutschland wohl bewusst gewesen.

 

Sven Kroner - Bildausschnitt

Sven Kroner – Bildausschnitt

Mein persönlicher Favorit der Ausstellung ist definitiv Sven Kroner. Seine Bilder sind realistische unwirkliche schräge Stillleben. Eine ebene grüne Landschaft inmitten derer ein Ozeandampfer residiert, ein Knochengerüst von einem Haus mit friedlichen Wanderern , ein Schiff verloren(?) im eisigen Packeis – oft stimmt etwas nicht auf diesen Bildern. Seien es Farben, sei es der Schatten – unauffällig aber verstörend. Kroner spielt mindestens genauso mit unserem Unterbewusstsein wie wie mit unserem Verstand, wenn  er seine Bilder malt.

In vielen Bildern von Kroner ist vom Menschen geschaffene Technik in eine Natur geworfen worden und die Menschen sind dabei abhanden gekommen. Oder haben aufgegeben angesichts des Konfliktes den sie da entfesselt haben. Oder …? Die faszinierenden Ansichten des von Menschen verlassenen New Yorks im Film “I am Legend” könnten von Kroner stammen – oder von seiner Kunst beeinflusst sein.

Seine Bilder stellen fast immer zwei Fragen: Wie ist es dazu gekommen? Und: Wie geht es jetzt weiter? Und er gibt keine Antworten darauf vor. Es bleibt uns überlassen, die Geschichten zu den Bilder zu erzählen. Im Kopf – oder gemeinsam mit Freunden. Fast geeignet für ein Gesellschaftsspiel. Nur werden selten lustige Geschichten daraus werden, denn Verlassenheit, Aufgabe, Einsamkeit sind die Motive, die sich angesichts der Bilder aufdrängen. Tsunamis, Polarexpeditionen, Erdbeben, Überschwemmungen sind Szenarien, die Kroner offensichtlich inspirieren.

Seine Bilder vermitteln aber auch eine emotionale Tiefe, weil sie dem Menschen seine eingebildete Allmacht nehmen und ihm vor Augen führen, das die Natur ihm auf der Erde nur meistens gnädige Bedingungen anbietet, dass sie aber auch anders kann. Der Mensch – befreit von seiner Rolle als Gestalter – wird zum Individuum, das sich existenziell fragen muss: Wie will ich sein, mich verhalten?

Absolut Spannend!

Wenn auch nicht meine persönliche Favoritin, so ist Miriam Vlaming dennoch vielseitiger als Sven Kroner.  Das liegt auch / vor allem (?) an ihrer Methode: Vlaming übermalt meist Abzüge (oft: historischer) Fotos. Damit begibt sie sich in einen kommunikativen Diskurs mit den Motiven dieser Fotos – Farbgebung, Übermalungen, Nicht-Übermalungen, Pinselstrich verändern, gestalten, manipulieren die zugrunde liegenden Fotos und schaffen so spannende Kunstwerke.

Miriam Vlaming - Bildausschnitt

Miriam Vlaming – Bildausschnitt

Diese passen insbesondere in die Ausstellung und zum Thema, weil Miriam Vlaming mit der Methode bevorzugt die Bilder auf ein Art verfremdet, die die Schärfe und Präzision der Fotografie aus den Bildern heraus nimmt: So öffnet sie die Bilder einem deutlich weiterem Spektrum an Interpretationen und Anregungen. An mehreren Stellen hat sie insbesondere die Gesichter der Abgebildeten unkenntlich gemacht, sodass die Gesichtsausdrücke keinerlei Rückschlüsse mehr auf die Haltung der Personen zur Situation zulassen.

Gleichzeitig gibt Miriam Vlaming mit ihrer Farbwahl natürlich eine grobe Richtung der Interpretation vor – sie ist keineswegs eine Neutralisiererin. Ihre Bilder sind definitiv die düstersten der Ausstellung und dennoch ist ihre tendenziell dunkle Farbgebung keineswegs deterministisch. Sie vermittelt vielleicht Stimmungen von Unsicherheit, Bedrohung, vielleicht Angst, Trauer, Verlust, Tragik – doch es bleibt immer offen, was genau los ist. Ein wenig haben mich ihre Bilder an Filme von David Lynch erinnert – in der Stimmung, wie auch in der darin mitschwingenden Ungewissheit und Haltlosigkeit.

Miriam Vlaming will (ganz im Gegensatz zu Ausstellungskollege Emmanuel Bornstein) keine Botschaft oder Aussage transportieren. Wie viele Werke Yoko Onos sind ihre Bilder ein Stoß in eine Richtung, das was die BetrachterIn daraus macht, bleibt ihr völlig selbst überlassen.

So kann es sein, dass zwei Betrachter des selben Bildes darin völlig unterschiedliche Dinge sehen. Insofern wird Miriam Vlaming dem Titel der Ausstellung sogar am besten Gerecht – weil sie dass, was im Kopf der Besucherin vorgeht, mit in die Haltlosigkeit einbezieht.

Insgesamt ist die Ausstellung “haltlose gründe” ein emotionales Erlebnis – auch – und vielleicht  sogar noch mehr – für Menschen, die sich sonst nicht so für Malerei interessieren. Das haben vielleicht auch die oben mehrfach verwendeten Querverweise auf Filme gezeigt. Wer kann, sollte sie unbedingt noch vor dem 16. Februar 2014 besuchen, bevor diese tolle Zusammenstellung von Bilder wieder in alle Winde zerstreut wird.

Danke jedenfalls an Peter Joch  für dieses Abschiedsgeschenk! Er hat nun die Messlatte für seinen Nachfolger León Krempel ordentlich hoch gelegt. Wir dürfen nun gespannt auf die erste von ihm konzipierte Ausstellung warten.

 

Bilder von Miriam Vlaming in der Kunsthalle Darmstadt

Bilder von Miriam Vlaming in der Kunsthalle Darmstadt (Klick für ne größere Ansicht)

 

Siehe auch weitere Ausstellungsbesprechungen:

Cido Meireles “Rio Oir”

Géricault vs. Brasiliana – 7 : 3

5. September bis 3. Oktober in Darmstadt: Anders sein – anders sehen

 

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