Das ständige Gedöns der Darmstädter Bildungsbürger mit der „Revolution“ war mir ja schon immer reichlich suspekt. Insbesondere, weil ich den Eindruck habe, dass viele, die da ihren Georg Büchner hochhalten, sich in ihrem bildungsbürgerlich-kuturellen Wohlstandsgebilde sehr bequem eingerichtet haben und ihnen ein solcher Umsturz der Verhältnisse – sollte er denn tatsächlich kommen – so gar nicht gelegen käme.
Natürlich kann ich mich irren und vielleicht steckt hinter der bürgerlichen Fassade doch eine tiefliegende Unzufriedenheit und eine Sehnsucht nach einer anderen Welt. Immerhin stellen die Grünen in Darmstadt die größte Fraktion im Stadtrat und es gibt eine lange Tradition auch unkonventionelle Gruppen wie Uffbasse oder die Piraten mit Sitzen in dieses Gremium zu entsenden.
Andererseits: Das Motto des – von Büchner maßgeblich mit geprägten – Hessischen Landboten war die Parole „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“. Und wenn ich meinem – hier allerdings nur oberflächlichem Wissen (und der Wikipedia) trauen kann, dann gehörte Büchner eher zum radikaleren Flügel des Landboten.
So gesehen war Büchner ein Linksradikaler.
Würde er heute leben, wäre vielleicht nicht gerade die hessischen Landbevölkerung (der es dank üppiger EU Subventionen prächtig geht) Grund für seinen revolutionären Eifer. Doch es gibt heute Millionen Menschen auf der Erde, denen es noch viel beschissener geht als den gemeinen Hessen zwischen 1831 und 1837. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass Büchner angesichts solcher Zustände heute weniger radikal für deren Wohlergehen streiten würde. Und verglichen mit deren Hütten sind selbst die einfachen Eigenheime der Darmstädter Bildungsbürger fantastische Paläste. Und was mit den Palästen – nach Büchner – doch bitte passieren solle: siehe oben.
So gesehen wäre Büchner wohl auch heute: Ein Linksradikaler.
Folglich wird es zu Georg Büchners 200. Geburtstag in Darmstadt eine offizielle Landesausstellung zu Leben und Werk eines Linksradikalen geben. Was nicht ohne Witz ist. Unter dem Titel „Georg Büchner. Revolutionär mit Feder und Skalpell” wird vom 13. 10. 12013 bis zum 16. 2. 2014 im Darmstadtium eine multimediale Präsentation zu Leben und Werk des Dichters, Revolutionärs und Naturwissenschaftlers zu sehen sein. Unter der Schirmherrschaft des Bundeskulturministers Bernd Neumann und des hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU).
Schon deshalb darf man gespannt auf die Ausstellung sein.
Der Anspruch der Ausstellungsmacher:
Ungefiltert und zugleich wie in einem Brennglas versammeln sich in Büchners Werk die Erfahrungen eines Lebens zwischen Unterdrückung und Freiheitshoffnung, zwischen spekulativer Philosophie und nüchterner Wissenschaftlichkeit, zwischen der Euphorie des Gipfelblicks und klaustrophobischer Angst. Georg Büchner war ein Meister des Wortes und der szenischen Gestaltung. Beides, Worte und szenische
Gestaltungen, aber auch werkzentrale Elemente wie das Lachen waren für Büchner Waffen: Formen der Notwendigkeit, der Notwehr und zugleich Mittel der Befreiung sowie der Freiheit. Diese Erkenntnis ist leitend für die Ausstellung – sie gilt für alle literarischen, politisch-agitatorischen und wissenschaftlichen Aktivitäten Büchners.Die suggestive Ausstellungsinszenierung im Darmstadtium mit Originalmanuskripten, Multimedia-Installationen, zeithistorischen Objekten, Gemälden, Filmprojektionen und Hörstationen wird den Besucherinnen und Besuchern erlauben, sowohl räumlich als auch gedanklich in die Welt Büchners einzutauchen – und zugleich erstmals die faszinierende Möglichkeit eröffnen, einem der großen Schreibstrategen der Weltliteratur bei der Arbeit zuzuschauen. Dank einer eigens für die Ausstellung
konzipierten Medientechnik können Büchners Textmontagen und -collagen unmittelbar nachvollzogen werden und erschließen damit sein Werk auf gänzlich neue Weise. Der zeitliche Bogen der Schau spannt sich von der Leipziger Vielvölkerschlacht, an deren zweitem Tag Büchner geboren wird, bis zur Rezeption des Revolutionärs mit Feder und Skalpell in den Attac- und Occupy-Bewegungen unserer Tage.
Quelle: Pressemitteilung zur Ausstellung der Stadt Darmstadt (PDF, ab Seite 4)
Siehe auch:
CDU fördert Linksradikalen mit 840.000 €
Interview mit S. Peter Brunner zu Büchner 200
Wer sich nicht ausschließlich auf die Darstellung der Person Büchners durch das Institut Mathildenhöhe als Quelle verlassen will, kann sich vorab schon mal hier informieren:
VHS-Kurs „Georg Büchner & seine ZeitGenossen”, ab Mittwoch, 27. Februar 2013 (ff) im Prälat-Diehl-Haus, Ober-Ramstadt. Ein Kurs über die Frage, was aus Georg Büchner hätte werden können. Mehr Infos geschwisterbuechner.de
Flyer dazu, Einzelheiten und Anmeldung direkt bei der Volkshochschule
Aufführung des Büchner-Films „Eine Deutsche Revolution” , Donnerstag, 16. Mai 2013 , Saalbau-Kino, Pfungstadt.
Deutschland 1982 unter der Regie von Helmut Herbst. Darsteller u.a. Peter Becker, Bazon Brock, Marquard Bohm, Peter O. Chotjewitz. Nach dem Roman von Kasimir Edschmid. Film mit Rahmenprogramm, anlässlich des 200. Geburtstags von Georg Büchner. Saalbau Kino Pfungstadt
Katalog zur Ausstellung: „Georg Büchner : Revolutionär, Dichter, Wissenschaftler 1813 – 1837 “ (1987) Stroemfeld 1987. ISBN: 3-87877-279-3 (Erst seit kurzem beim Verlag vergriffen, aber laut geschwisterbuechner.de leicht und günstig antiquarisch zu finden)
Buch: Hintergrund-Infos und Info zur Lesung am 19.2., Rezension von Peter Brunner, Bericht von der Lesung am 19.2. mit Audio-Hörprobe von Peter Brunner.
Wikipedia-Artikel zu Georg Büchner
#1 by Peter Brunner on 6. Februar 2013 - 9:28
Danke für die Blumen! Die Frage nach Georgs heutiger Position treibt die Forscher und Autoren schon seit langem um, und natürlich erkennt man in ihren Antworten immer auch ihre Hoffnungen. Die Büchnerpreis-Reden sind ein unerschöpflicher Quell dazu. Es ist auch nicht neu, dass seine Werke ohne jeden Bezug zur aktuellen Situation rezipiert werden können; so hat es im Faschismus immer wieder Aufführungen von Dantons Tod gegeben, ohne dass darüber als Akt heimlichen Widerstandes berichtet worden wäre (trotzdem ist es interessant, darüber nachzudenken, was das Publikum sich dabei dachte….). Ich denke allerdings, dass die Verhältnisse auch heute durchaus noch nicht so sind, dass sich die Gesellschaft als mit Büchner versöhnt betrachten dürfte. Und schließlich muss immer berücksichtigt werden, dass er nur 23 Jahre alt wurde; wir haben keine Garantie dafür, dass er seine Revoluzzer-Geschichte später als Kinderkrankheit betrachtet hätte – nur die Hoffnung … Sicher neue und aufregende Erkenntnisse dazu verspricht Jan-Christoph Hauschilds neues Büchner-Buch, das er am 19. Februar, Georgs Todestag, um 19 Uhr für die Luise-Büchner-Gesellschaft im Darmstädter Literaturhaus vorstellen wird: http://www.literaturhaus-darmstadt.de/gesamtprogramm/#event-jan-christoph-hauschild-georg-buechner-verschwoerung-fuer-die-gleichheit-2
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