„….dass Erziehung wesentlich Führung bedeutet: Erziehung bedeutet liebevolle, aber klare Anleitung.“
schreibt Jochen Krautz in seinem Artikel „Bildung als Anpassung? Das Kompetenz-Konzept im Kontext einer ökonomisierten Bildung“.
Führung ist jedoch ein Begriff mit viele Facetten, die (für mich) in gleich mehrfacher Beziehung zum Bildung und Schule stehen.
Der Begriff wurde (abgeleitet von seiner technischen Herkunft aus dem mittelhochdeutschen: vüerunge = Lenkvorrichtung) ursprünglich intensiv im Militär verwendet und beschreibt die Fähigkeit eines Anführers seine Untergebenen anzuleiten und geht über das klassische Befehl und Gehorsam hinaus (auch wenn dieses seinen Kern beschreibt).
Vom Militär hat der Begriff seinen Weg in die Politik und die Geschäftswelt gefunden. In Deutschland ist der Begriff in der Politik seit dem GröFaZ* ein wenig verpönt- gerade in der CDU / CSU aber immer wieder Thema. In den USA ist das Kriterium, ob ein Kandidat für ein bedeutendes politisches Amt auch gut „führen“ könne, eine Frage, das insbesondere von der US-Presse immer wieder aktiv gestellt wird. Im Kern ist hier das Gegenteil von Basisdemokratie – der führende Politiker weiß, was das (zu ihm heraufschauende) Volk braucht und führt es –Moses gleich – ins gelobte Land.
In der Politik ist heute das militärische Prinzip „Befehl und Gehorsam“ weitgehend abgelöst und durch Öffentlichkeitsarbeit, Rhetorik, Manipulation und gelegentliche Forderung nach „Geschlossenheit“ und „Disziplin“ ersetzt worden (was letztlich nix anderes heißt als: Macht gefälligst, das die Führung will) .
Anders in der Geschäftswelt. Diese hat sich zum Beginn der Industrialisierung sich in vielen Aspekten am Militär orientiert. Durch die Drohung mit Entlassung konnte auch hier das Prinzip „Befehl und Gehorsam“ durchgesetzt werden – einer der Gründe übrigens, warum Unternehmen bis heute kein Interesse an Vollbeschäftigung haben.
Heute gilt das weiter – ein Arbeitnehmer muss das tun, was sein Vorgesetzter ihm sagt. Die Sanktionsmöglichlkeiten sind differenzierter geworden – Gehaltssteig, Ehrungen, „leistungsbezogene“ Gehaltsanteile, Aufstiegschancen, Zeugnisformulierungen, Aufgabenverteilung und Urlaubsbewilligung sind als „Führungsinstrumente“ hinzugekommen.
Doch die militärisch geprägten Strukturen zeigen sich heute – aus verschiedenen Gründen – dem den Anforderungen moderner Geschäftswelt nicht mehr vollständig gewachsen. Neue Methoden, die ohne die alten „disziplinarischen“ Elemente auskommen müssen, sollen Unternehmen (wieder) wettbewerbsfähig machen: Projektmanagement, agile Entwicklung, die Matrix-Organisation, die Projektorganistation.
Hier funktioniert Führung ohne Sanktionen (zumindest ohne direkte Sanktionen) oft auch tatsächlich. Warum?
Betrachten wir Projektmanagement als Beispiel: In Projekten arbeitet ein Team innerhalb bestimmter Rahmenbedingungen an der Erreichung eines Zieles und kann viele Entscheidungen selbst treffen, ungewöhnliche Wege gehen und über die Abläufe, Methoden und Zuständigkeiten selbst entscheiden. Hier wurde die Fremdbestimmung reduziert, was in der Regel zu deutlich höher Motivation führt. Man kann auch einen direkten Zusammenhang zwischen Projekterfolg und Freiheiten bei den Rahmenbedingungen feststellen: Je weniger eng Rahmenbedingungen sind, desto erfolgreicher sind Projekte in der Regel.
Sehen wir uns nun die Schule an: Auch die Schule ist in vielen Aspekten an der Militär angelehnt. Die Offiziersmesse heißt hier Lehrerzimmer und der Wachdienst Tafeldienst. Führung in der Schule funktioniert nach Befehl und Gehorsam plus etwas Manipulation. Auch die von Krautz gehuldigte „liebevolle“ Führung ändert nichts daran, sondern nimmt dem System nur seine Ecken und Kanten. Grundsätzlicher Dissens und Rebellion kann nicht geduldet werden.
„Erziehung bedeutet, eine Auslese der Welt durch das Medium der Person auf eine andere Person einwirken zu lassen.“ (Krautz, ebenda)
Wenn aber Führung in der Schule so aussieht, das sowohl die „Auslese der Welt“ als auch das Medium anderen Personen aufgezwungen wird – wird sich immer ein Teil der Bezwungenen wehren – sei es durch (wie auch immer geartete Rebellion) oder durch Entzug – die (in Unternehmen weit verbreitete) „innere Kündigung“. Denn es ist wesentlicher Teil unseres Mensch-seins, Fremdbestimmung abzulehnen. Nicht immer und nicht überall, aber immer wieder. Und wo Macht gebraucht wird, um uns zu brechen, weiche wir aus, entwinden wir uns nach Möglichkeit dem Druck.
Ich möchte hier argumentieren, dass der Bildungsbegriff Krauts idealistisch und verkürzt ist, weil er Macht und Fremdbestimmung ignoriert. Das entwertet in keinster Weise seine Kritik der Ökonomisierung und doch bin ich der Ansicht, dass die gegenwärtig Ökonomisierung nur so gut und reibungslos funktioniert, weil Fremdbestimmung an den Schulen bereits vorhanden ist.
Vielleicht können wir aus den Betrachtungen zum Projektmanagement etwas lernen. Ich bin mir sicher, dass der Bildungserfolg dramatisch ansteigen würde, wenn die Schüler erhebliche Mitsprache über die Methoden und Inhalte des Unterrichts bekämen.
Das steht natürlich im krassen Wiederspruch zum bisherigen Bildungssystem, in dem eine ganze Industrie und Kultusbürokratie daran arbeitet, Inhalte, Methoden und Ziele das schulische Lernen haben absolut und für alle haben soll.
* Größter Führer aller Zeiten
#1 by Chris on 19. Dezember 2011 - 10:42
Ich möchte gerne den genannten Halbsatz von Jochen Krautz aufgreifen: Hier wird nicht von liebevoller Führung gesprochen, sondern von liebevoller klarer Anleitung. Unter Anleitung verstehe ich das klare, transparente, begründete, wenn möglich auch gemeinsam beschlossene weitere strukturierte Vorgehen, um in einem individuellen oder sozial-gemeinsamen Aneignungsprozess neue bzw. tiefergehende Erkenntnisse zu erlangen. Dies ist meiner Ansicht nach legitim und kennzeichnet einen typischen Arbeitsprozess in Schule. Abgrenzen möchte ich dies jedoch streng von jedweden militärich angehauchten (und ich befürchte aus drittter Hand Gehörtem): Ein Leherzimmer mit einer Offiziermesse und den Tafeldienst mit Wachdienst gleichzusetzen erscheint mir sehr weit hergeholt. Abgesehen davon, dass auch das Miltitär – insbesondere die Bundeswehr – schon seit fast von Beginn an mit Auftragstaktik arbeitet, die sich eher mit Teamarbeit auf ein gemeinsames Ziel (welches sicherlich gesetzt wird) hin beschreiben lässt. Jeder der nicht nur Grundwehrdienst abgeleistet hat, weiss das.
Trotzalledem möchte ich bezweifeln, dass Teamarbeit -oben beschrieben als Projektarbeit – in irgendeinerweise einen Freiheitagrad erhöht. Hier geschieht lediglich eine Verlagerung von Verantwortung – letztendlich – in die Einzelperson, ” Ich-AG” lässt grüßen; was keineswegs bedeutet, dass es keine Sanktionen geben würde.
LG Chris
Meine bisherigen Arbeitsbegreiche waren bei der Bundewehr (Offizier), in der Industie (als Maschinenbauing.) und als Lehrer, so dass ich ausschließlich aus eigener Erfahrung berichte.