Artikel getaggt mit Rassismus

Puttin‘ on the Ritz – eine Geschichte über Swing, Rassismus – und wie ich über Tango darauf kam

Die erste Aufnahme: Leo Reisman – Puttin’ On the Ritz
Die erste Aufnahme: Leo Reisman – Puttin’ On the Ritz

Beim Petite Folie 2025 (Tango Festival) wird sehr viel Non-Tango Musik gespielt1 – wechselnde DJs spielen ein sehr durchmischtes Musik-Programm, das manchmal toll zu tanzen ist, aber bisweilen (für mich) auch (tänzerisch) herausfordernd bis eher langweilig sein kann.

Als die ersten Takte des Jazz-Klassikers „Puttin‘ on the Ritz“ erklangen waren meine Erwartungen daher auch gering. Ein durchaus nettes Liedchen, dass jedoch eher von uninspirierten BigBands für Kaum-Tänzer:innen aufgespielt wird, als das kreative Jazz-Virtuosen versuchen, daraus ein Meisterwerk zu machen.

Zum Glück war ich bereits auf der Tanzfläche und sollte massiv überrascht werden. Diese Version wurde weder von einer BigBand noch von einer Jazz Band interpretiert, sondern von einem philharmonischen Orchester – und ging ab. Powervoll, verspielt, komplex. So wie ich Musik am liebsten mag. Wer meine Vorurteile teilt und von diesen Worten noch nicht überzeugt ist, möge unten gleich zur Version von Michael J Moritz Jr. & The Orlando Philharmonic Orchestra springen. Ich hab jedenfalls nach Ende der Milonga (also um 3 Uhr Nachts) gleich recherchiert und diese Version relativ schnell gefunden – und weitere tolle Versionen und sehr spannende (zu diesem Blog passende) Hintergrund-Infos, sodass diese Vergleichende Musik-Studie quasi unumgänglich wurde.

Meine Favorit bleibt auch nach der Recherche die Version von Michael J Moritz Jr. & The Orlando Philharmonic Orchestra, an zweiter Stelle folgt dann die 2021er Electro Swing Version von Betty Booom & J Fitz (2021). Aber fangen wir von Anfang an an:

Puttin’ on the Ritz ist der Titel eines US-amerikanischen Jazzstandards, der ca. 1927 von Irving Berlin komponiert, getextet und 1929 veröffentlicht wurde. Das Lied wurde durch den gleichnamigen Film Puttin’ on the Ritz aus dem Jahr 1930 berühmt.

Text und Melodie weisen ein sehr außergewöhnliches Versmaß auf; textliche Verschiebungen verursachen wiederkehrende Verwerfungen, die von der Melodie aufgefangen werden. Zu Details der „complex syncopation“ siehe A History and Analysis of “Puttin’ on the Ritz”.

Der Titel stammt aus der Umgangssprache und bedeutet wörtlich übersetzt „sich fürs Ritz anziehen“ resp. „sich in Schale werfen“; diese Wendung geht auf das mondäne Hotel Ritz zurück. Textlich fordert das Lied den gegebenenfalls traurigen Zuhörer auf, dorthin zu gehen, wo man sich modisch schick gekleidet zeigt.

Und schrieb Filmgeschichte: Im Fim „Idiots Delight“ von 1939 mit Clark Gabel ist „Puttin‘ on the Ritz“ die erste Tanznummer der (US-) Filmgeschichte, in der schwarze und weiße Tänzer zusammen tanzen (s.u.).

Das war jedoch erst der Anfang: Die ursprüngliche Textversion von Irvng Berlin wurde später (1946) als rassistisch empfunden, da sich der Text über Schwarze in Harlem lustig macht, die sich (weiße Reiche imitierend) schick anziehen und ihr letztes Geld in Nachtclubs fürs Vergnügen ausgeben (und dazu rassistische Stereotype verwendet). Für die 1946er Filmversion mit Fred Astair wurde deshalb der Text durch geschickte Änderung einzelner Formulierungen so überarbeitet, dass er nun eine positive Aufforderung wurde, sich schick anzuziehen und die Reichen zu imitieren. Referenzen auf Rasse wurden getilgt – übrigens vom Komponisten und Texter Irving Berlin höchstpersönlich selbst2.

Was vermutlich eng mit der damaligen Zeitgeschichte und der Herkunft Berlins zusammen hängt: Irving Berlin (eigentlich Israel Isidore Beilin) stammte aus einer jüdischen Familie im russischen Kaiserreich. Infolge der antisemitischen Pogrome in den 1880er Jahren im Russischen Reich wanderten Berlins Eltern mit ihren sieben Kindern 1891 in die Vereinigten Staaten aus. Zwischen der Entstehung des Liedes (und ursprünglichen Textes) und lag der Aufstieg der Nazis in Deutschland, der Holocaust und der 2. Weltkrieg gegen die Nazis. Möglicherweise hat allein schon dieses Irving Berlins (der in dieser Zeit ja auch noch die Hauptstadt der Nazis als Nachnamen trug) Sicht auf die rassistischen Aspekte des Textes verändert.

Hinzu kam, dass auch seine Musik und ihre Konsumenten von den Rassisten angegriffen wurde: Die deutschen Nazis (durch die Gestapo und den HJ-Streifendienst ) verfolgten auch die „schwarze Musik“ und die Swing-Jugend Deutschlands. Am 18. August 1941 trat die „Sofort-Aktion gegen die Swing-Jugend“ in Kraft, dabei wurden über 300 Angehörige der Swing-Jugend verhaftet. Die Repressionen reichten vom Abschneiden der langen Haare über Schutzhaft und Schulverweise bis zur Verhaftung angeblicher Rädelsführer und deren Deportation in Konzentrationslager. Die Swing-Jugend wurde dadurch politisiert und in vielen deutschen Großstädten zur oppositionellen Jugendkultur gegen die Nazis – besonders in Hamburg, Frankfurt und Berlin (mehr Infos). In diesem historischen Kontext erschießt sich „Puttin on the Ritz“ noch einmal neu.

Was dieses Lied plötzlich zu einem besonders passenden Thema für dieses Blog macht, da hier die Themen Musik, Film, Tanz, Rassimus, Antifaschismus zusammen kommen. Was mir bis voor wenigen Tagen überhaupt nicht bewußt war. Spannend, was man so lernt, wenn man sich näher mit was beschäftigt.

Doch jetzt zur Musik:

Den Rest des Eintrags lesen. »
  1. jede Musik, die kein Tango ist: Pop, Klassik, Rock, Jazz, RAP, Blues, Drum & Base, ….[↩zurück ↩]
  2. Für Details zu den ursprünglichen Formulierungen und den späteren, smarten Änderungen durch Berlin siehe A History and Analysis of “Puttin’ on the Ritz”[↩zurück ↩]

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Ermordet in Hanau, Deutschland

Lesung am Staatstheater Wiesbaden, Do 27 02 2025, 19:30 Uhr.

„Das zu kurze Leben meines Bruders Gökhan Gültekin und der Anschlag von Hanau“ – mit den Autoren Çetin Gültekin & Mutlu Koçak.

Rassismus tötet – eine bewegende Geschichte und ein aufrüttelnder Appell.

Am 19. Februar 2020 ermordete ein Attentäter in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven. Gökhan Gültekin war einer von ihnen – einer von denjenigen, die der rassistische Täter nicht in „seinem” Land ertragen wollte. Çetin Gültekin erzählt in seinem Buch die berührende Geschichte seines Bruders und zeigt: Wir sind nicht „die Anderen“, wir sind ein Teil der deutschen Gesellschaft.

In Gedenken an die Opfer des rassistischen Anschlags in Hanau vor fünf Jahren lesen die Autoren Çetin Gültekin und Mutlu Koçak im Kleinen Haus des Staatstheater Wiesbaden aus ihrem Buch.

Mehr Infos: Lesung im Staatstheater WiesbadenKarten kaufen

Besonders wichtig, nachdem nun die Hanauer Stadtverwaltung / Regierungskoalition (SPD, CDU, FDP) mit persönlichen Angriffen auf die Mutter eines Getöteten die rassistische Diskussion eskaliert hat.

Als deutscher Staatsbürger wiederhole ich hier gern die Vorwürfe der Mutter:

„Der Mörder hatte Briefe geschrieben, doch die Stadt Hanau ignorierte sie. Die Stadt wusste, dass die Notausgangstür verschlossen war, und unternahm [nichts]“

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Sag ihre Namen

Am 19. Februar 2020 wurden in Hanau neun Menschen tödliche Opfer von rassistischer Gewalt. Menschen, wie du und ich.

Die rechtsextremistische Tat kam trauriger Weise nicht überraschend, sondern ist vielmehr ein Zeichen der seit Jahren voranschreitenden Radikalisierung und erschreckendes Zeichen einer verhärtenden Gesellschaft in der Ausgrenzung, Hass und Gewalt immer noch zum brutalen Alltag gehören.

Noch immer müssen Menschen aufgrund ihrer (angenommenen) Herkunft, ihrer politischen Haltung oder ihres Glaubens mit der Angst leben angegriffen zu werden. In Deutschland. Ein Zustand, der unerträglich ist und es schon immer war.

Sag ihre Namen - Hanau 2020: Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun,
Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, 
Kaloyan Velkov

Gökhan Gültekin,

Sedat Gürbüz,

Said Nesar Hashemi,

Mercedes Kierpacz,

Hamza Kurtović, 

Vili Viorel Păun,

Fatih Saraçoğlu,

Ferhat Unvar

Kaloyan Velkov


Update 19.2.2025:

Lesung im Staatstheater Wiesbaden: Lesung: Geboren, aufgewachsen und ermordet in Deutschland

Das zu kurze Leben meines Bruders Gökhan Gültekin und der Anschlag von Hanau – mit den Autoren
Çetin Gültekin & Mutlu Koçak Do 27 02 2025.

Rassismus tötet – eine bewegende Geschichte und ein aufrüttelnder Appell

Am 19. Februar 2020 ermordete ein Attentäter in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven. Gökhan Gültekin war einer von ihnen – einer von denjenigen, die der rassistische Täter nicht in „seinem” Land ertragen wollte. Çetin Gültekin erzählt in seinem Buch die berührende Geschichte seinesBruders und zeigt: Wir sind nicht „die Anderen“, wir sind ein Teil der deutschen Gesellschaft.
In Gedenken an die Opfer des rassistischen Anschlags in Hanau vor fünf Jahren lesen die Autoren Çetin Gültekin und Mutlu Koçak im Kleinen Haus des Staatstheater Wiesbaden aus ihrem Buch.

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#SAYTHEIRNAMESMehr

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Populismus 1: Die Ratlosigkeit der Ne­ti­zens

SkelettAuf dem Barcamp Hamburg 2016 gab es eine Session „Populismus aushebeln – Wie und wodurch? Werkzeuge für jeden von uns“. Ich war zwar nicht dabei, habe aber meine Finger an das Protokoll bekommen – auch in der Hoffnung, dort Anregungen zu finden.

Leider wurde ich enttäuscht. Die Schwarmintelligenz der dort versammelten Ne­ti­zens(1) offenbarte (m.M.) vor allem Ratlosigkeit und eine gewisse – freundliche – Naivität. „Werkzeuge“ kamen dabei nicht heraus. Trotzdem möchte ich die Ergebnisse hier mal mit meinem Senf bestreichen. Zum Einen, weil etwas – nur weil es dem eigenen Anspruch nicht gerecht wird – nicht gleich falsch sein muss. Zum Anderen, weil sich ja auch aus der Kritik etwas lernen lässt. Oder ich daran wenigstens meine eigene Position erarbeiten und schärfen kann. [alle folgenden Zitate ohne Quelle aus dem o.g. Protokoll]

– Mit Nazis diskutiert man nicht […]

Ich halte mich ungern an Regeln, die mir vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe. Mit überzeugten Nazis zu diskutieren macht aber m.M. tatsächlich keinen Sinn. Denn überzeugte Nazis folgen einer strikten Ideologie und haben nur das Ziel, dich zu überzeugen. Sie sind selbst nicht an Erkenntnis interessiert und nicht offen für Argumente. Genauso könnte man versuchen, die Zeugen Jehovas vom Atheismus zu überzeugen.

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Weltkatzentag

Heute, 8.8.2015 ist Weltkatzentag. Mein Beitrag dazu:

Weltkatzentag

 

Müssen Gutkatzen sein.
Fühle mich sehr verbunden.
🙂

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Ein Banker, ein BILD-Leser und ein Flüchtling

Ein Banker, ein BILD-Leser und ein Vertriebener sitzen am gleichen Tisch. Auf dem Tisch liegen 12 Kekse. Der Banker nimmt 11 davon und sagt zum BILD-Leser: „Pass auf, der Asylant will dir deinen Keks wegnehmen.“

unbekannt

War nicht dieser Herr Sarrazin auch eine Weile (Bundes-)Banker, bevor er seine Hetze publiziert hat?

 

Jetzt gegen das Hetzblatt aktiv werden: Offener Brief: Werbung der Rewe Gruppe in der Bild

Wie der Hass entsteht – dank Springer

Mehr Informationen: #bildboykott

 

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Mobbing und Rassismus an der Carl-Zuckmayer-Realschule Nierstein

Zivilcourage an der SchuleUpdate 27.5.2013: : Die Grünen Rheinland-Pfalz haben das Thema aufgegriffen und Schulleiter Hans-Jürgen Pitzer um ein Gespräch gebeten (und mich von sich aus darüber informiert). Falls es weitere Neuigkeiten dazu gibt, werde ich natürlich darüber berichten.

 

Ich bin entsetzt über den Bericht über Mobbing und Rassismus an der Carl-Zuckmayer-Realschule in Nierstein und das abwiegelnde Verhalten des Rektors Pitzer. Was ist passiert? Ein Mädchen wird an der Schule wegen ihre Hautfarbe beschimpft. Auf Intervention des Vaters werden die Täter zur Rede gestellt und entschuldigen sich. Doch nach ein paar Tagen geht es wieder los und dieses Mal schlimmer: Es wird auch gespuckt und mit Gewalt gedroht. Offensichtlich haben die Lehrkräfte pädagogisch versagt – sie konnten ihren Schülern nicht klarmachen, warum solches Verhalten falsch ist und haben das Mädchen nicht ausreichend vor Mobbing und Rassismus geschützt.

Doch dann beginnt der eigentliche Skandal. Der Rektor verharmlost öffentlich die Taten und kritisiert statt dessen den Vater des Opfers. Rassismus und Mobbing verharmlosen geht gar nicht! Wer solche Äußerungen von sich gibt, ist nicht fähig, eine Schule zu leiten. Andere Eltern haben ja auch schon das Vertrauen in die Schulleitung verloren:

Maria Illig (53), Mutter einer anderen Schülerin der Realschule in Nierstein, hat bereits aufgegeben. „Meine Tochter wird auch ständig Nigger genannt, aber mit der Schulleitung oder Eltern darüber zu sprechen, bringt meiner Meinung nach nichts“, erzählt die Brasilianerin. „Ich bin einfach erstaunt, wie viel Rassismus es noch in Deutschland gibt“, sagt sie entsetzt.

Quelle: Allgemeine Zeitung – Rhein Main Presse, 15.5. 2913

Wo endet die Rauferei – und fängt Mobbing an?

Rassismus schadet bereits in kleine MengenSchulleiter Hans-Jürgen Pitzer: Für ihn sei es normal, dass zwischen elfjährigen Kindern gewisse Beleidigungen und Hänseleien vorkommen. „In diesem Alter über Rassismus zu sprechen, ist aber für mich total überzogen“, so der Rektor.

Mobbingberatung.de meint dazu: Bei einem normalen Streit streiten zwei gleich Starke gegeneinander. Beim Mobbing ist einer von beiden physisch und psychisch stärker. Der Täter will an Status gewinnen, indem er einen anderen gezielt fertig macht und andere dafür benutzt. Es liegt eine Asymmetrie der Macht vor, die die ganze Klasse in eine Schieflage bringt.

 

Der Rektor der Carl-Zuckmayer-Realschule in Nierstein hat nicht nur pädagogisch dabei versagt, Rassismus zu bekämpfen – er stellt sich auch auf die Seite der Täter. Kein Wunder wenn Eltern kein Vertrauen in ihn haben. Solche Schulen sind Brutstätten des Rechtsextremismus.

Patrick Gensing hat sehr gut beschrieben, wie die Morde der NSU mit dem Rassismus in der Mitte der Gesellschaft zusammenhängen:

Die Neonazis kommen aus unserer Mitte. […] Die NPD ist Symptom, nicht Ursache des Rassismus. Schaut man in den braunen Abgrund, spiegeln sich die Missstände der Mehrheitsgesellschaft wider, eine groteske Fratze, die höhnisch die Unzulänglichkeiten und Mängel aufzählt – wenn man ihr denn zuhören mag.Es ist wichtig, über die Neonazis zu berichten. Doch nun muss der nächste Schritt folgen. Wer ausschließlich über die NPD reden will, schweigt über den Rassismus und Antisemitismus der Mehrheitsgesellschaft. Dabei liegt genau hier der Schlüssel, um den Rechtsextremismus zu besiegen.

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