Everyday I'm Whovonian

Auf den 1. Januar 2020 habe ich lange gewartet. Und mich gefreut (auch wenn ich erst seit kurzem weiß, das das freudige Ereignis auf diesen Termin fallen wird). Mehr gefreut als auf Weihnachten. Oder irgendeinen anderen Termin im letzten Jahr, an dem ich nicht persönlich aktiv beteiligt gewesen bin.

Und der Grund warum ich mich darauf freue, ist nicht, weil ein neues Jahr beginnt (könnte mir nicht gleichgültiger sein). Sondern weil eine neue Staffel beginnt. Einer ganz besonderen Serie. Denn ich bin Teil einer weltweiten exklusiven Minderheit. Ich bin ein Whovonian.

Whovonians (oder verbreiteter: Whovians) nennen sich Fans der TV Serie „Dr. Who“. Eine skurille Serie mit skurilen Fans. Es handelt sich um ein von BBC (British Broadcasting Corporation) im Jahr 1963 (vier Jahre bevor ich geboren wurde) gestartetes Kinderprogramm (sic!):

The programme was originally intended to appeal to a family audience as an educational programme using time travel as a means to explore scientific ideas and famous moments in history.

Wikipedia

Auch wenn die Serie inzwischen – weltweit – auch andere Zielgruppen anspricht, so wird sie weiter im BBC Hauptprogramm BBC One als Vorabendserie ausgestrahlt und hat ihr Stammpublikum behalten. Ebenso wie ihre Mischung von wissenschaftlichen und historischen Themen. Vor allem aber ist sie – seit Anbegin der Zeit – unglaublich skurril und erzählt wunderschön-seltsame Geschichten.

Zugegeben: Es gibt bessere Filme und sogar TV-Serien – aus einer rein cineastischer Perspektive. Dr. Who wurde in seiner Geschichte oft sehr billig produziert und hatte nie den Anspruch, mit den großen Produktionen der Filmwelt mithalten zu können. Als ich – auf Empfehlung meines Nachwuchses übrigens – meine erste Episode sah, fand ich diese vor allem trashig. Im besten Sinne des Wortes. Doch irgendwas hat mich damals – vor wenigen Jahren erst – angesprochen. Und nicht wieder losgelassen. Ich will hier versuchen, zu erklären , was es ist, das Dr. Who (für mich und viele andere) zu etwas ganz besonderem macht, das weit über die Welt der Filme hinaus strahlt und wirkt.

A review of the very first episode "An Unearthly Child" from the Daily Mail, 25 November 1963.
A review of the very first episode „An Unearthly Child“ from the Daily Mail, 25 November 1963.

Im Zentrum der Serie steht „Der Doktor“. Er ist ein Außerirdischer der Spezies „Time Lords“ vom Planeten „Gallifrey“. Er ist von der Gestalt her mit den Menschen identisch, abgesehen davon, dass er zwei Herzen besitzt. Sein (bekannter) Name ist nur „der Doktor“ – der Titel der Serie leitet sich von diesem regelmäßig (variiert) vorkommenden Dialog ab:

„I am the Doctor“.

„Doctor who?“

„Just ‚the Doctor‘ „.

Dieser Doktor nun bereist seit 17:16:20 GMT am Samtag, 23. November 1963 Raum und Zeit (und England). Sein Mittel dazu ist eine Raumschiff-Zeitmaschine die Außen die Größe und das Aussehen einer britischen Telefon-Notrufzelle aus den 60ern besitzt. Innen ist sie größer („dimensional transcendentality“). Diese Raumschiff-Zeitmaschine heißt die TARDIS (für „Time and relativ Dimensions in Space“) und erscheint und verschwindet mit einem unverwechselbarem (für Fans und Companions: magischem) Geräusch. Allein die (mit einem gewissen Eigenleben ausgestattete) Tadris ist eine geniale Idee und lieferte Stoff für viele Storry-Turns und Abenteuer.

Die wichtigste Eigenschaft des Doktors und der Serie wurde jedoch aus der Not heraus geboren. Als die Serie 1963 begann, waren weder ihr Erfolg noch die bald folgenden gesundheitlichen Probleme des Hauptdarstellers William Hartnell absehbar. Was damals – aus dem Bestreben des BBC die erfolgreiche Serie forführen zu können – als „renewal“ des Doktors für den Übergang zu Hartnells Nachfolger Patrick Troughton erfunden wurde, etablierte sich ab Serie drei als eines der wichtigsten Elemente: Wenn der Doktor stirbt, kann er sich im Inneren der TARDIS „regenerieren“ – ein schmerzhafter und komplexer Prozess, bei dem der Doktor einen neuen Körper bekommt -mit einem neuen Ausssehen, einem anderen (biologischem) Alter, einer neuen Stimme, potentiell auch mit einer neuen Haarfarbe(!) und einem anderen Geschlecht – und vor allem einem neuen Charakter. Aber immer bleibt der Doktor „the Doctor“ mit allen Erinnerungen (soweit er nicht etwas vergessen hat).

So hat der Doktor in den bisher 38 Staffeln (mit 851 Episoden) über 2.000 Jahre Lebenszeit überbrückt – verteilt auf 14 Inkarnationen (nicht verwirren lassen: der aktuelle Doktor ist der 13. Doktor, weil eine Inkarnation („the war doctor“) aus Gründen nicht mitgezählt wird). Um das ganze noch unübersichtlicher zu machen, hat die BBC mit dem Neustart der Serie im Jahr 2005 (obwohl die Geschichte fortgesetzt wurde) mit einer neuen Staffelzählung begonnen, sodass neben den aktuellen Staffeln 1-12 NuWho (Fan-Slang) noch 26 Staffeln Classic Dr.Who existieren.

Time Travel + Space Ships + Killer Robots

Verwirrt? Nun, Dr. Who liebt Verwirrung und Widersprüche und Paradoxien und Geheimnisse und Mysteröses:

First things first! But not nesseccarily in that order.

Classic Dr.Who, Staffel 18, Episode 2

Und während alle Staffeln zusammen die gemeinsame Geschichte des Doktors bilden, gibt es Story-Lines die sich über mehrere Doktoren, über die Lebenszeit einer Inkarnation, über eine Staffel oder über mehrere Episoden erstrecken oder auch solche, die mit einer Episode abgeschlossen sind. Es gibt (seltene) Episoden, in denen mehrere Inkarnationen auftreten (durch die Zeitmaschine oder durch Dimensionenbrüche oder sowas) und solche, die aus der Perspektive eines Außenstehenden erzählt werden, rückwärtslaufende Zeitlinien und allerlei anderen Mindfuck aus den Fingern der besten Drehbuch-Autoren Großbritanniens (u.a. Dougals Adams).

The Companions

Neben der TARDIS ist ein tragendes Element der Serie die wechselnde Schar von „BegleiterInnen“ (Companions), die in sehr unterschiedlichen Rollen und Funktionen in der Serie auftauchen, verschwinden und wiederkehren. Tolle, spannende liebevoll gestaltete Charaktere – mit immer anderen Stories und Eigenschaften. Manche reisen mit dem Doktor, andere bleiben auf der Erde (oder einem anderen Planeten), manche kreuzen den Weg des Doktors nur kurz, andere bleiben lange seine Begleiter. Manche tauchen nach einigen Staffeln wieder auf. Nicht wenige haben – weil sie und ihre Geschichte so gut ankamen – von der BBC eigene Serien („Spin-offs“) spendiert bekommen – „Torchwood“ dürfte die bekannteste davon sein.

Die Handlung von Dr. Who? Irgendwas muss immer gerettet werden. Mal ein paar Astronauten, mal ein Raumschifft oder ein Planet, ziemlich oft London oder England oder die Erde, manchmal gleich das ganze Universum oder die Zukunft oder die Zeit als solche. Oder der Doktor selbst wird von außerirdischen Gegnern ins Visier genommen.

Die Gegner

Mit viel Fantasie (und geringem Budget) werden diese Gegner vom BBC entworfen und in Szene gesetzt. Oft an (oder jenseits) der Grenze zum Trash – was sie jedoch keineswegs weniger interessant macht. Manche kehren (immer) wieder, andere verzichten nach einer Begegnung auf weitere Kontakte zum Doktor. Die wichtigsten (wiederkehrenden) Gegner:

Dalek wartet auf den neuen Doktor:  Do yo realize how long I've waiting to see this new doctor?!
  • Die Daleks: Eine Rasse, die ihren schleimigen Biokörper in einem Pyramiden-ähnlichen Gefährt verbigt und nur zerstören will. Ältester und Erzfeind des Doktors.
  • Die Cybermen: Cyborgs, die den Menschen (und anderen Spezies) lediglich ein „Upgarde“ verpassen wollen, dass sie ebenfalls zu Cyborgs macht.
  • Die weinenden Engel („weeping angels“): Steinstatuen, die sich nur bewegen, wenn man nicht hinsieht. Aber dann blitzschnell. Die genialste Erfindung der Serie m.M.
  • Die Stille („the Silence“): Wesen, die man sofot wieder vergisst, sobald man den Blick von ihnen wendet.
  • The Master / Missy: Ein anderer Time Lord und früherer bester Freund des Doktors, der nun vor allem seine Überlegenheit beweisen will
  • Die Time Lords allgemein: Denn die eigenen Regierung ist dem Doktor gegenüber wenig freundlich eingestellt – schon seit er damals die TARDIS stahl.
  • und viele, viele mehr….

Und es geht nicht unbedingt um Gut und Böse:

Bill: Is everything out here evil?

The Doctor: Hardly anything is evil. But most things are hungry. Hunger looks very like evil from the wrong end of the cutlery. Or do you think that your bacon sandwich loves you back?

Staffel 10, Episode 1

Trotzdem sind die Gegner des Doktors selten mit Argumenten zum Aufgeben ihrer Absichten zu überreden. Doch statt in epischen Schlachten oder gewaltsamen Kämpfen werden die Gegner bei Dr.Who mit Beharrlichkeit, List, Technik, Intelligenz und Wissen besiegt.

“Doctor Who: You want weapons? We’re in a library. Books are the best weapon in the world. This room’s the greatest arsenal we could have. Arm yourself!

Staffel 2, Episode 2

Warum fasziniert mich Dr.Who so?

Ein wichtiger Teil ist sicher, das der Serie eine wilde Mischung aus Humor (immer), Sience Fiction (fast immer), Action (oft), Fantasy (oft), Historienfilm (manchmal) und (leichtem) Horror (manchmal) gelingt.

Noch wichtiger jedoch ist, wie die Showrunner und Autoren Geschichten erzählen – spannende Geschichten über das Leben. Über Menschen, Beziehungen, Freundschaft, Familie, Abschiede und das Weitermachen – das nicht Aufgeben, nie. Eine Art moderne Märchen könnte man sagen – nur lustiger. Viel lustiger. Und Dr. Who greift gerne aktuelle Themen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auf (manchmal auch unfreiwillig) – aber immer aus einem ungewöhnlichen Winkel – sodass ein Teil der Whovonians in den Online-Foren dann verschnupft reagiert. Großer Spass. 🙂

Bill: There’s, um, something I should explain… This is probably just a really difficult idea. I don’t like men… that way.

Lucius: What, not ever?

Bill: No. Not ever. Only women.

Lucius: Oh. All right, yeah, I got it. You’re like Vitus, then.

Bill: What?

Lucius: He only likes men.

Vitus:Some men. Better-looking men than you, Lucius.

Lucius: I don’t think it’s narrow-minded. I think it’s fine. You know what you like.

Bill: And you like… both?

Lucius: I’m just ordinary. I like men and women.

Bill: Well, isn’t this all very… modern.

Lucius: Hey, not everybody has to be modern. I think it’s really sweet that you’re so… restricted.

Bill: Cheers.

Staffel 10, Episode 10

Aber – für mich – ist der Aspekt, der mich am meisten an Dr.Who anspricht, jene ikonischen Szenen, Dialoge und Monologe, die eine Bedeutung und Wirkung weit über die einzelne Episode, Staffel oder gar die Serie hinaus haben. Ja, man könnte sagen, eine universelle Kraft. Und gerade weil so oft etwas pathetisch und mit Humor und Augenzwinkern inszeniert sind, haben sie eine besondere Leichtigkeit – wie Lichtblitze zum Nachdenken, oder wie ein Spielzeug – und laufen nicht Gefahr, zum Phrase zu erstarren. Ein schönes Beispiel ist die Abschiedsrede des 12. Doktors:

The Doctor: [prior to regeneration] Oh, there it is, silly old universe. The more I save it, the more it needs saving. It’s a treadmill. Yes, yes, I know, they’ll get it all wrong without me. Well, I suppose one more lifetime won’t kill anyone. Well, except me. You wait a moment, Doctor! Let’s get it right. I’ve got a few things to say to you. Basic stuff first: never be cruel, never be cowardly, and never, ever eat pears! Remember, hate is always foolish, and love is always wise. Always try to be nice, but never fail to be kind. Oh, and you mustn’t tell anyone your name. No one would understand it anyway… except… except children. Children can hear it, sometimes, if their hearts are in the right place, and the stars are too, children can hear your name. But nobody else. Nobody else, ever. Laugh hard. Run fast. Be kind. Doctor… I let you go.

Staffel 10, Chrismas Special „Twice Upon a Time“ – Video-Excerpt
Über Whovonians (aus einem Dr. Who-Fan-Forum)
(aus einem Dr. Who-Fan-Forum)

Solche Leichtigkeit ist auch in den Kreisen der Whovonians verbreitet (allerdings nicht überall), die gern auch Serie, Schauspieler und andere Filme, in denen diese Mitspielen, in ihren Diskussion, Memes und Scherzen vermischen. Aber nicht nur die Fans – in der gesamten Filmbranche gibt es eine Subkultur von mehr oder weniger subtilen Dr. Who Anspielungen und Kreuzreferenzen. Eine der amüsantesten: Kurz bevor Peter Capaldi zum 12. Doktor wurde, spielte er im Zombie-Horror-Film „World War Z“ einen namenlosen „WHO Doktor“ (im Abspann explizit so ausgewiesen)*.

Doktor … wo?

Lust gemacht auf Doktor Who? Für die aktuelle Staffel braucht man leider einen VPN Server in GB, um sie live oder im Archiv beim BBC schauen zu können. Der Vorteil: Dort kann man auch immer noch alle NuWho Staffeln (1-12) von Anfang an schauen. Alternativ zeigt der ARD Sender „Eins Plus“ regelmäßig alte Folgen auf Deutsch – mit dem Nachteil, dass man mitten drin einsteigt und noch mehr verwirrt werden kann als sonst. Die ARD Mediathek bietet ein paar vergangene Folgen aus Dr. Who Classic, Staffel 3 und Staffel 4 – was aber auch nicht wirklich hilfreich ist. Wer es also systematisch angehen will, muss sich irgendwo die Staffel 1 auf DVD besorgen. Andere Dr.Who-Quellen gibts meines Wissens in Deutschland derzeit nicht.

Echte Fans haben eh andere Ideen:

I am going to watch dr. whi in chronological order by the time period teh traveled to,
Wie lange würde es dauern, alle Dr. Who Episoden zu schauen? 15 Tage, 12h, 43 min 54s - so viel waren es vor ein paar Jahren - wir sind jetzt beim 13ten Doktor.
15 Tage, 12h, 43 min 54s – so viel waren es vor ein paar Jahren – wir sind jetzt beim 13ten Doktor

Fußnoten:

* Weitere Beispiele (to be added):

  • Drakula (2019)
  • Leverage, Season 4, Episode 17: „The Radio Job“: „It’s a bow tie, bow ties are cool“ said by Hardison & when Parker suggests that Nate’s father time-travelled away to 1963 (min 34:04) , the music that plays in the background is a slight parody of the theme song of the show, Doctor Who, which first aired in 1963.