KircheReligionsgemeinschaften(1), die ihren Mitgliedern vorschreiben(2), was sie zu tun und zu lassen haben, ist in meinen Augen eine problematische, aber immerhin interne Angelegenheit. Egal, ob es um Kleidungsregel, Essens-Angelegenheiten oder Verhalten geht. Es sind für mich immer Versuche, durch Macht Kontrolle über das Individuum aus zu üben. Aber wie gesagt, das ist deren interne Angelegenheit.

Problematisch wird es für mich, wenn Religionsgemeinschaften versuchen, ihre Regeln auch Anderen, anders- oder nicht-gläubigen Menschen aufzuzwingen. Diese Religionsgemeinschaften haben mich zum Gegner. Der schlimmste Fall ist, wenn Religionsgemeinschaften ihre Macht nutzen, um ihre Regeln in Gesetze zu fassen und die Macht des Staates ausnutzen, um “Fehlverhalten” (in ihren Augen) mit Geld- oder sogar Haftstrafen zu belegen.

Ich bin – obwohl und weil ich mich selbst als Christ bezeichne – strikt gegen solche Vermischungen von Staat und Religion. Denn während eine Religion eine Überzeugungsgemeinschaft darstellt (der normalerweise freiwillig beigetreten wird), stellt ein Staat eine territoriale Zwangsgemeinschaft dar, aus der niemand austreten darf. Daher hat ein demokratischer Staat (im Gegensatz zur Monarchie oder Diktatur) eine religiöse Neutralität zu wahren.

Gesetze, Verordnungen, Parteien und Religionsgemeinschaften, die diese Neutralität umgehen oder bekämpfen oder es versuchen, haben mich zum Gegner.

Die Tanz- und Filmaufführungsverbote in Deutschland an den sogenannten “stillen Feiertagen” sind für mich ein Beispiel dafür, wie Religionsgemeinschaften erfolgreich ihre Macht genutzt haben, um die gesamte Bevölkerung ihren Regeln zu unterwerfen. Die meisten dieser religiösen Gesetze sind zwar in vordemokratischer Zeit entstanden, doch besonders CDU und SPD haben diese bisher (mit oder ohne Druck der großen Kirchen) immer entschieden verteidigt.

Hessen (nicht Bayern) ist dabei übrigens der traurige Spitzenreiter. In Hessen gibt es insgesamt 15 stille Feiertage, an denen ganz oder über weite Zeiten des Tages erhebliche pauschale Verbote herrschen. Verboten sind pauschal u.a. öffentliche Musik und Tanzveranstaltungen und es gibt eine Liste von Filmen, die nicht öffentlich gezeigt werden dürfen. Pauschal heißt in diesem Fall: Solche Veranstaltungen sind verboten, egal, wo, mit wem sie stattfinden und wer davon betroffen ist.

Das Aberwitzige daran ist: Aus christlicher Sicht gibt es keinerlei Rechtfertigung für solche Verbote. Die Bibel hat weder den Auftrag erteilt, Menschen anderen Glaubens zu unterdrücken, noch hat sie überhaupt die Einrichtung von Feiertagen durch staatlich Macht nahegelegt. Noch weniger hat die Bibel Verbote von Aktivitäten wie Tanz oder Musik (oder Film) gefordert.

Historischer Hintergrund der “stillen Feiertage” ist jedoch das Misstrauen der mittelalterlichen Kirchenfürsten (die aus Machtgründen die Gläubigen mit Höllen-Drohungen und Furcht in Schach hielten) gegenüber den weltlichen Volksfesten, die sie nicht kontrollieren konnten.

Totensonntag

Besonders absurd ist die Situation beim evangelischen “Totensonntag”, der diese Woche (am 25.11.2018) “gefeiert” wird. Aus mehreren  Gründen:

1. Ein Trauertag für Verstorbene ist aus biblischer / christlicher Sicht völliger Unsinn. Denn echte Christen gelangen nach dem Tod zum ewigen Leben / aka. “in den Himmel” (insbesondere durch die Vergebung unserer Sünden, für die Jesus am Kreuz gestorben ist). Die sog. “Trauer” ist aus rein christlicher / biblischer Sicht eine egoistische (und wenig christliche, aber verständliche) Reaktion der Zurückgebliebenen. Wer an Jesus glaubt, trauert nicht, sondern jubiliert (aka feiert). Wer die frohe Botschaft versteht / ernst nimmt, für den ist der Tod ein Grund zur Freude.

Außer natürlich, der / die Verstorbene war kein Christ und man glaubt an die Hölle. Dann ist das natürlich ziemlich betrüblich. Aber auch dann kein Grund einen allgemeinen “stillen Feiertag” zu verordnen.

2. Selbst wenn man (aus völlig unchristlichen Gründen) bestimmten Menschen einen Tag im Jahr zum Trauern geben will, ist das überhaupt kein plausibler Grund, dieses für das gesamte hessische Staatsgebiet und alle dort ansässigen Menschen zu verfügen und mit Strafen zu belegen.

Portrait Friedrich Wilhelm III.

Friedrich Wilhelm III. – absolutistischer Monarch & Erfinder des Totensonntages

3. Der Totensonntag ist nicht nur kein christlicher Feiertag, sondern nicht mal ein echter kirchlicher Feiertag: Im evangelischen Glauben wurde solch ein Totengedenken-Feiertag lange abgelehnt. Grund dafür war (neben den oben genannten Gründen) auch Matthäus 8,22, denn dort heißt es: „Lasset die Toten ihre Toten begraben“. Dies wurde so gedeutet, dass die Lebenden sich auf das Hier und Jetzt besinnen, das Reich Gottes verkünden und sich nicht an Vergangenes klammern sollen. Erfunden wurde der Totensonntag  – ohne bekannte Begründung – 19816 von einem preußischen Monarchen (d.h. Diktator) und der Kirche einfach verordnet:

König Friedrich Wilhelm III. von Preußen bestimmte durch Kabinettsorder vom 24. April und Verordnung vom 25. November 1816. Für die evangelische Kirche in den preußischen Gebieten jeweils am letzten Sonntag des Kirchenjahres, dem letzten Sonntag vor dem 1. Advent, zum „allgemeinen Kirchenfest zur Erinnerung an die Verstorbenen“. Folgende Gründe kommen dafür in Frage: das Gedenken an die vielen Gefallenen der Befreiungskriege von 1813 bis 1815, die Trauer um die 1810 verstorbene Königin Luise, auch das Fehlen eines Totengedenkens im evangelischen Kirchenjahr und förderlich war sicher im Zeitalter der Romantik die Welle der Empfindsamkeit, die das Gedenken an die Verstorbenen verstärkt in Mode brachte. Die anderen evangelischen Landeskirchen übernahmen diese Bestimmung.

Quelle: Wikipedia

Auch die Nazis haben den Totensonntag – mit aktiver Hilfe der Kirche – instrumentalisiert:

Der Berliner Pfarrer Hoff rühmte sich, am Totensonntag 1931 als erster Geistlicher Berlins einen Gottesdienst für die »gefallenen Nationalsozialisten« gehalten zu haben. Goebbels hatte ihm ein Dankschreiben geschickt, Hoff reichte es stets stolz herum.

Quelle: Zukunft braucht Erinnerung

Das hessische Feiertagsgesetz hat dann diese monarchistische Verordnung brav in die heutige Zeit fortgeschrieben (wie es dazu kam, konnte ich nicht so einfach nachvollziehen – wäre aber sicher nicht unspannend). CDU und SPD hatten sich in Hessen aber so arrangiert, das es das Bundesland mit den meisten Verbots-Feiertagen wurde: Hessen hat dieser 15, sogar Bayern (zweiter Platz) lediglich 9.

In den letzten 10 Jahren ist dann eine öffentliche Diskussion um diese unzeitgemäßen Verbote aufgeflammt: Nachdem die Piratenpartei die Abschaffung der Verbote in ihr Programm aufnahm und mit Tanzdemos an den Feiertagen vor die Gerichte brachte (ohne Erfolg), starteten die Grünen 2012 in Hessen den Versuch einer Reform des Feiertagsgesetzes. Sie scheiterten jedoch, da nicht nur die CDU, sondern auch die SPD ihre Initiative ablehnten. Wobei sie ausgerechnet den monarchistischen Totensonntag erhalten wollten.

Nun bietet das Feiertagsgesetz zwei Schlupflöcher:

Absage Tango Milonga wg. Totensonntag in HessenSchlupfloch 1:  Es erlaubt Kommunen, Ausnahmegenehmigungen zu erteilen. Und da ich im schönen Darmstadt lebe, einer modernen Stadt, in der die Grünen-WählerInnen die stärkste politische Gruppe stellen, dachte ich, dass – wenn es schon im Landtag keine Mehrheiten gegen diese Unterdrückung gibt – doch meine Kommune vielleicht moderner ist. Gemäß dem Motto:

Wer tanzt, sündigt nicht.

habe ich beim Ordnungsamt brav um eine Ausnahmengenehmigung für eine kleine (Tango Argentino) Tanzveranstaltung – Musik nicht nach außen zu hören – angefragt. Doch nix mit modern – folgende Antwort erhielt ich (ohne jede Prüfung der tatsächlichen Umstände):

Sehr geehrter Herr Buchholz,

gemäß § 8 Absatz 1 Ziffer 1 des Hessischen Feiertagsgesetzes sind am Karfreitag, am Volkstrauertag und am Totensonntag öffentliche Tanzveranstaltungen verboten.

Aus grundsätzlichen Erwägungen sind wir nicht bereit, Befreiungen von diesem Verbot zu erteilen.

Die von Ihnen beabsichtigte Veranstaltung ist auf Grund Ihrer Schilderungen als öffentliche Tanzveranstaltung anzusehen. Auch wenn Sie die Veranstaltung in einem Kellerraum durchführen wollen und der Auffassung sind, dass die Musik außerhalb des Raumes nicht zu hören sei, ist diese Veranstaltung alleine schon durch das Kommen und Gehen der Gäste öffentlich bemerkbar und potenziell geeignet, die Feiertagsruhe der Bewohner des Anwesens und der Nachbarhäuser zu stören.

Mit freundlichen Grüßen

Im Auftrag

xxx

Rafael Reißer (CDU)

Rafael Reißer (CDU) – für die Durchsetzung des Tanzverbotes in Darmstadt

Der Muff von 200 Jahren – immer noch aktiv in Darmstädter Amtsstuben. Wobei hier – muss ich fairer Weise betonen – die Grünen nicht Schuld sind. Das zuständige Ordnungsamt wird geleitet von Rafael Reißer – von der CDU.

Schlupfloch 2: Das Feiertagsgesetz gilt nur für öffentliche Veranstaltungen. Auf privaten Veranstaltungen darf sogar in Hessen am Totensonntag getanzt werden. Nicht nur Tango Argentino (das ja sogar der Papst tanzt), sondern auch richtig unchristliches Zeug. Und bei privaten Veranstaltungen ist es auch egal, ob das Kommen und Gehen der Gäste jemanden stört.

Daher werde ich am Totensonntag auf jeden Fall Tanzen. Nicht wie geplant, aber tanzen werde ich. Gegen die CDU.

Einige Leute haben mich gefragt: “Prima, warum machste denn dann so einen Aufriss?”

Weil das ein Geld-Thema ist. Manche Menschen können es sich halt leisten, eine private Veranstaltung am Totensonntag zu machen (oder sie werden eingeladen) und trotz stillem Feiertag zu Tanzen. Ich gehöre zu diesen Privilegierten. Ein Friedrich Merz (CDU) kann am Totensonntag sogar sein Flugzeug starten (macht auch Lärm) und dort tanzen. Das kann die “obere Mittelschicht”.  Alle normalen Menschen jedoch – die auf öffentliche Veranstaltungen angewiesen sind – sind dem Verbot durch das Feiertagsgesetz unterworfen. Das ist CDU (und SPD) Doppelmoral. Nicht OK.

Deshalb mache ich die völlige Abschaffung der “stillen Feiertage” im Allgemeinen – und des Totensonntags im Besonderen – zu meinem persönlichen Anliegen. Für eine Demo vor dem Gottesdienst einer ev. Kirche hat die Vorbereitungszeit dieses Jahr nicht gereicht – aber der nächste stille Feiertag kommt ja ganz bestimmt. Viele Gelegenheiten. Das notwendige Formular hab ich schon mal. Und wenn die JU / CDU mal wieder versuchen, Andere im Wahlkampf als Verbotspartei zu verunglimpfen, bekommen sie das prompt zurück.

Wer das unterstützen mag, möge diesen Artikel verbreiten, Kontakt aufnehmen und / oder  bei nächster Gelegenheit mindestens Grüne, besser aber Piraten wählen.

Letztlich wird sich natürlich irgendwann sowohl das Thema der Volksparteien (CDU, SPD) als auch der Kirchen demographisch lösen und das krampfhafte Festhalten an den Verboten zu den stillen Feiertagen ist ein aktiver Beitrag, den die Betroffenen dazu leisten. Denn es entfremdet vor allem solchen Menschen, die weniger zur politisch aktiven Bevölkerung (die Oberschicht kann sich ja behelfen, s.o.) gehören. Aber Geduld ist bis heute nicht meine Stärke.

Jesus hätte auch gern getanzt, wenn er es nicht so mit dem Kreuz gehabt hätte.

 

 

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Tango-Legende Flaco Dany (81) in Darmstadt & Frankfurt

Tango Griego

 

 

 

 


(1) Ich habe hier bewußt “Religionsgemeinschaften” geschrieben – nicht Religion. Eine Religion kann – rein logisch – keine Vorschriften machen.

(2) “Vorschreiben” meine ich hier nicht im Sinne von allgemeinen, niedergeschriebenen Verhaltensregeln wie “Du sollst nicht töten” (das ist vermutlich der Kern jeder Religion oder Überzeugung) – sondern wenn solche Regeln diese Zwang (Strafen) durchgesetzt werden sollen, auch wenn durch ihre Missachtung niemandem ein Schaden entsteht.