Einige meiner Bekannten engagieren sich für diese Bundestagswahl als KandidatInnen oder UnterstützerInnen. Das finde ich toll (Warum? Darum: Politik ist…), auch wenn ich nicht unbedingt in Allem mit ihnen (oder ihrer Partei) übereinstimme.
In Wahlzeiten werben die Parteien für ihre Positionen und auch für ihre Köpfe. Dass es dabei manchmal emotional wird, ist zwar wenig hilfreich, aber nicht wirklich überraschend. JedeR kann (NUR in der Demokratie!) damit umgehen und darauf reagieren, wie er möchte: Sachlich, gläubig oder kritisch, mit Humor, mit platten Sprüchen, mit Er- und Aufregung, mit Ignoranz. Doch es gibt Grenzen. Und wenn diese überschritten werden, dann erfordert das Öffentlichkeit. Am vorletzten Wochenende ist es mehrfach passiert:
Laura Sophie Dornheim (Platz 5 der Berliner Landesliste der Grünen) berichtet aus Berlin:
Muss lesen, dass sowohl Erik Marquardt als auch Sasa Raber heute beim Wahlkämpfen von gewaltbereiten Nazis körperlich bedroht wurden.
Ich musste mich “nur” am Stand beschimpfen lassen, dafür, dass wir Grünen “mit den ganzen Ausländern Deutschland zerstören wollen”.
Ich will Optimistin bleiben, aber zu oft denke ich, dass es vor knapp 100 Jahren wahrscheinlich ganz genauso angefangen hat.
Nie wieder!
Danke Euch allen, die ihr Wahlkampf für die Demokratie, für Menschenrechte und Solidarität, gegen den Hass macht!
Auch hier in Darmstadt höre ich von Sabrina-Anna Hänsel (frauenpolitische Sprecherin und Referentin bei der Stadtverordnetenfraktion der Grünen in Darmstadt ) von einem verbalem Angriff:
Mal wieder einen besorgten Bürger am Telefon gehabt – zu Beginn begrüßte er mich mit “Sind Sie die Telefonistin der Grünen in Darmstadt?” da hatte er es ja schon direkt nicht leicht bei mir 😉 aber ich war wie immer freundlich und offen. Seine Themen waren “Flüchtlinge, der Islam und offene Grenzen sowie Gewalt und Verbrechen durch Ausländer”. Er habe zudem Angst vor Katrin Göring-Eckardt und generell vor Frauen in der Politik, sie wollten ein anderes Deutschland aus seiner Heimat machen. Er wähle deswegen voller Überzeugung die AfD! Ich habe dennoch mehrfach freundlich versucht ihm konstruktiv am Telefon zu begegnen, er schrie sich dann förmlich in Rage und lies einen respektvollen Austausch nicht mal ansatzweise zu, unterstellte mir aber ihm ins Wort zu fallen. Als ich dann freundlich sagte, dass ich für derartige Gespräche, in der eine Meinung schon so fest gebildet sei und auch nur Hass zu spüren wäre, keine Zeit und Kraft habe und er zudem sehr persönlich wäre, beschimpfte er mich mit den Worten “haben Sie mich einen Rassisten genannt?” … Ähm…?
– also da wird mir dann wirklich himmelangst wenn man bedenkt, dass solche Wutbüger auch in Darmstadt leben bzw. arbeiten.— schockiert.
Besonders vielsagend finde ich, dass sich die meisten der Attacken gegen Frauen richten. Die Auswahl hier ist zwar nicht repräsentativ, aber da ich in meinem erweiterten Bekanntenkreis eher mehr Männer habe, die sich in Sachen Politik engagieren, finde ich die Verteilung doch schon deutlich.
Ich möchte das hervorheben, weil das drei Schlaglichter auf die Täter wirft:
- Verlogenheit
- Etikettenschwindel
- Latente Angst vor Frauen
Ihr eigene Verlogenheit
Eines der Standardargumente, die aus der politischen Richtung der Täter kommen, ist, dass sie angeblich “unsere Frauen” oder “die deutschen Frauen” schützen wollen. Das das im Hinblick auf den Schutz vor Straftaten verlogen ist, habe ich hier: Gefährliche patriotische Sex-Phantasien schon ausführlich analysiert und will das nicht erneut vertiefen. Aber hier wird deutlich, dass ihre Verlogenheit noch weiter geht: Statt Frauen zu schützen, haben sie keine Problem, Frauen verbal und auch körperlich anzugreifen. Und wenn sie das bereits bei fremden (deutschen) Frauen tun – wie werden sie erst mit der “eigenen” Frau umgehen? Falls sie überhaupt (noch) eine haben.
Ettikettenschwindel
Gerne schmücken sich die Täter mit dem wort “konservativ” oder geben vor, die wahren Konservativen zu sein. Ein wirklich konservativer Mann jedoch würde jede Frau mit Würde und Anstand behandeln – unabhängig von ihren politischen Ansichten, ihrem Aussehen, ihrer Herkunft und völlig unabhängig davon, was er über sie denkt.
Gute Manieren und Umgangsformen sind der Kern des Konservativismus. Wer das nicht im Ansatz beherrscht, braucht erst garn nicht von politischem Konservativismus anzufangen – er hat ihn einfach nicht verstanden.
Latente Angst vor Frauen
Der Anrufer bei Sabrina Anna bringt es auf den Kern, wenn er sagt, er habe
Angst vor Katrin Göring-Eckardt und generell vor Frauen in der Politik
Mal ganz abgesehen davon, dass die AfD die Partei ist, die wie keine andere von zwei Frauen dominiert wird (Gauland ist ja vor allem ein seniler Alt-Nazi & Sprücheklopfer):
Hinter den Aggressionen der Männer stecken (nicht nur bei ihm) diffuse Ängste vor Frauen im allgemeinen. Dazu gibt es einen ganzen Haufen Literatur, die das besser analysiert , als ich das könnte. Aber interessant ist, dass die AfD ja nicht etwa offiziell fordert “Frauen raus aus der Politik” oder so etwas.
Dennoch scheinen viele in ihrern Männlichkeit verunsicherte Männer zu glauben, mit dieser Partei käme eine Zeit zurück, in der sie “ihren” (dt. Grammatik: besitzanzeigendes Fürwort) sagen können, was sie zu tun (und nicht zu tun) haben. Da spielt es keine Rolle, dass sich die gesellschaftlichen Veränderungen im Verhältnis der Geschlechter gar nicht mit Politik zurückdrehen ließe – die Politik spiegelt lediglich diese Veränderungen wieder. Schöner Beleg: Oft sind es gerade die konservativen Parteien, die zum ersten Mal einer Frau an die Spitze einer Regierung heben (z.B.: Deutschland: Merkel – CDU, England: Margaret Thatcher & Theresa May – Torries).
Wie auch bei anderen Themen, bei denen die Angst Menschen antreibt: Politik ist kein Mittel gegen Angst. Weil Angst irrational ist, Politik aber rational sein muss. Gegen Ängste helfen Ratio, Yoga und (in schlimmen Fällen) Therapie.
Update 19.9.2017: Sehr passend dazu ist eine Drohung, die heute in einem sozialen Netzwerk gegen die Journalistin Dunja Hayali veröffentlicht wurde. Hayali ist – anders als in der Drohung behauptet – eine in Datteln (NRW) geborene Katholikin. Sie ist die Tochter irakischer Christen aus Mossul. Ihre Mutter ist chaldäisch-katholische Christin, ihr Vater ist syrisch-orthodoxer Christ.
Aber was tun in solchen Fällen?
Seit ich 16 Jahre alt war, kenne ich – mehr oder weniger intensiv – die Konfrontation mit Nazis, Rechtsextremen und anderen verängstigten, erregten Spinnern. Nach meinen Erfahrungen sind bei persönlichem Kontakt folgende Vorgehensweisen sinnvoll:
1.) Politisch aktive Menschen müssen sich solchen Angriffen nicht aussetzen. Deshalb gilt Selbstschutz die höchste Priorität. Weggehen, auflegen, bei konkreten Drohungen oder gar Gewalt sofort die Polizei informieren.
2.) Was völlig sinnlos ist und sogar gefährlich sein kann, ist die emotionale Konfrontation. Wer sich zu emotionalen Reaktionen hinreißen lässt und z.B. mit Vorwürfen, Benennungen oder gar Beleidigungen hinreißen läßt, bestätigt im besten Fall lediglich die eindimensionalen Feindbilder des Gegenübers – und vergeudet Energie, die besser in andere Aktivitäten investiert wäre.
3.) Viele behaupten auch, dass es sinnlos sei, mit solchen Leuten sachlich zu diskutieren. Und wer erwartet, solche Typen direkt umstimmen zu können, der liegt auch sicher falsch. Dennoch ist nach meiner Erfahrung kein sachliches Argument mit diesen Leuten verschwendet. Denn auch wenn sie es weder in der jeweiligen Diskussion noch vermutlich kurzfriistig (oder jemals euch gegenüber) eingestehen werden: Das menschliche Unterbewußtsein ist eine erstaunliche Sache. Während sich das Bewußtsein durchaus aktiv gegen Ratio und Logik verschließen kann (und gern tut), kann das Unterbewusstsein das nicht.
Es ist jedoch reichlich einfach strukturiert und sortiert Informationen zunächst in die Kategorien “schädlich” oder nützlich”. Wenn mich jemand beschimpft, ist alles was von dieser Person kommt, schädlich und kann verworfen werden. Wenn ich jedoch von einer Person Wertschätzung erfahre – und die Wertschätzung für meine Person muss nicht Zustimmung zu meiner Meinung sein – dann wird meine Unterbewußtsein das Gehörte speichern und verarbeiten- egal ob mein Bewußtsein das will oder nicht.
Natürlich ist das viel komplizierter, aber sachliche Argumente wirken auf Dauer. Auf oft ungeahnten Wegen. Das beweisst für mich nicht zuletzt die recht hohe Zahl der Aussteiger, die seit Jahren selbst aus der Hardcore Nazi-Szene zu verzeichnen sind.
Mir ist klar, dass eine solche sachliche Auseinandersetzung nicht immer möglich ist und nicht jedeR das leisten kann. Aber ich bin mir sicher, dass es sich langfristig lohnt.
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Siehe auch:
Die AfD Darmstadt und die rumänischen Models
The big, fat, fake AfD Swindle: Anti-Euro-Partei mit Identitätsdiebstahl und Urheberrechtsverletzung
AfD Darmstadt aktiv gegen Meinungsfreiheit
Gefährliche patriotische Sex-Phantasien
Hajo Funke und die Verschwörung der V-Nazis
Populismus 1: Die Ratlosigkeit der Netizens