Es gibt in Deutschland zwei Arten von Nazis. Die einen, die durch die Straßen ziehen, Häuser anzünden oder beschießen, Leute zusammenschlagen, erschlagen und manchmal auch erschießen. Und nur sehr selten dafür ins Gefängnis müssen.
Und jene, die auf gut bezahlten Posten im Staatsapparat sitzen und von dort die Straßen-Nazis unterstützen, die Demokratie aushöhlen und von einem Umsturz und der Errichtung eines totalitären Regimes träumen.
Letztere geraten selten bis nie ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. Ihre wirklichen Ansichten äußern sie oft nur im Kreise von Vertrauten und wenn sie mal Mist bauen und ins den Blick der Medien geraten, stellen sich oft Vorgesetzte und konservative Politiker (aus falscher Solidarität) schützend vor sie. Ich selbst habe das bei zwei dieser Typen in meiner Schulzeit erlebt (Kausch Affäre).
Selten wird dieses so klar, wie in dem Interview, das dieser Helmut Roewer kürzlich gab. Drin
- wirbt er für Befehlsverweigerung im Falle eines rechtsradikalen Aufstandes
- will Wahlen abschaffen
- hält er einen Umsturz für eine naheliegende Option
- bezeichnet alle Politiker und Andersdenkende pauschal als „Kriminelle“, „Taugenichtse[n] und Schwätzer[n]“
- deutet an, sich an kritischen Journalisten im Amt gerächt zu haben
- ärgert er sich, dass er in der Vergangenheit nicht alle seine Möglichkeiten genutzt hat, um diese zu bekämpfen
Nun ist dieser Helmut Roewer nicht irgend jemand.
Sechs Jahre lang war er thüringischer Spitzenbeamter mit fast unkontrollierter Macht. Von 1994 bis 2000 war er Präsident des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz. Auch vorher war er bereits in Spitzenpositionen tätig:
Roewer nahm nach einer Ausbildung zum Offizier der Panzertruppe der Bundeswehr ein Studium […] auf, das er mit dem zweiten juristischen Staatsexamen abschloss. 1982 wurde er […] an der Universität Konstanz promoviert. Nach dem Staatsexamen war er zunächst als Rechtsanwalt tätig, trat aber nach einiger Zeit in den Staatsdienst und fand beim Bundesinnenministerium Verwendung im Bereich Verfassungsschutz, wo er zum Ministerialrat aufstieg.
Quelle: Wikipedia (3)
Interessant sind daran folgende Punkte:
- Roewer ist nicht etwas ein Ossi, sondern im Westen aufgewachsen
- Entstammt der Offizierslaufbahn der Bundeswehr
- Er hat an meiner Uni Konstanz Jura studiert und drin promoviert, ohne dass rechtssstaatliche Ideen einen bleibenden Eindruck bei ihm hinterlassen haben
- Er hat nicht nur lange im Innenministerium gearbeitet, sondern ist dort sogar bis zum Ministerialrat aufgestiegen, ohne dass seine antidemokratische Haltung gestört hätte oder aufgefallen war
Kein Wunder, dass während seiner Präsidentschaft beim Verfassungsschutz nicht nur eine Umorientierung stattfand: „Der Thüringer Verfassungsschutz gewichtete die Gefährdung durch Linksextremismus unter Roewers Führung sehr viel höher als die Gefahren des Rechtsextremismus.“ (Quelle: Wikipedia (3)). Sondern ausgerechnet und wohl kaum zufällig der Aufstieg der Terrororganisation NSU in Thüringen begann – obwohl (oder vielleicht sogar: weil) in deren Umfeld zahlreiche V-Leute vom thüringer Verfassungsschutz bezahlt wurden.
Roewer ist dann schließlich – nicht wegen einer Unterstützung der NSU, die man ihm nicht nachweisen konnte- wegen zahlreicher anderer Skandale (Missachtung von Vorschriften, selbstherrlicher Führungsstil, Unterschlagung, Ungehorsam, Trunkenheit im Dienst) (3, 4, 5) in den bezahlten Ruhestand entlassen worden. Die Aufklärung der Skandale hat er mit Attesten verschleppt, jetzt aber (wo alles vorbei ist) taucht er wieder aus der Versenkung auf.
Auch seine Worte im aktuellen Interview hat der Jurist so geschickt gewählt, dass es für Nazi-Anhänger eine klare Aufforderung ist – ohne dass man ihm juristisch einen Strick daraus drehen könnte. Seine Absichten werden jedoch klar, wenn man zuhört, wie er seine Gegner herab würdigt und dagegen rechtsradikale Extremisten zu Vertretern des „Volkes“ ernennt.
Auch sein Rechtfertigungsbuch (6) hat er in einem Verlag mit rechtsextremem Programm veröffentlicht und sein aktueller Interviewpartner war und ist selbst in einschlägigen rechtsradikalen Netzen aktiv (7). Sowas „passiert“ einen Mann wie Roewer nicht einfach – dazu kennt er die Szene, in der er sich bewegt viel zu genau. Auch in andern rechtsextremistischen Publikationen wie der „Jungen Freiheit“, dem Compact Magazin und im Ares-Verlag publiziert Roewer seit seiner Entlassung. Des Weiteren ist er Referent des Veldensteiner Kreises.
Selbst als Einzelfall ist der Aufstieg Roewer ein Skandal und schreit geradezu nach Massiven Reformen in der Beförderungspraxis von Staatsbeamten und mehr Transparenz bei den Ämtern für Verfassungssschutz. Doch leider ist das kein Einzelfall. Über die Zustände beim niedersächsischen Verfassungsschutz habe ich selbst berichtet, andere sind im sehr interessanten Vortrag von Prof. Hajo Funke beschrieben worden – auch der Fall des hessischen Verfassungsschutz-Beamten und Hitler-Fan Andreas T., der im Verdacht steht, an einem der NSU Morde mitgewirkt zu haben (9). Oder das rätselhafte Sterben der NSU -Zeugen in Baden-Württemberg, bei dem die dortige Polizei (mit besten Verbindungen zum Klu Klux Klan) jedoch jegliche Fremdeinwirklung kategorisch ausschließt (10, 11, 12).
Langsam gewinne ich den Eindruck, dass nicht rechtsradikale Parteien und Gruppen die größte Gefahr für die Demokratie darstellen, sondern ausgerechnet jene Behörden, die eigentlich den Auftrag haben, unsere Verfassung zu schützen. So wie diese Ämter organisiert sind, funktionieren sie (und ihre Kontrolle) jedenfalls nicht. Und solange mir niemand einen ernsthaften Vorschlag macht, wie man das ändern kann, trete ich dafür ein, diese Ämter komplett abzuschaffen.
Denn nichts ist gefährlicher für die Demokratie, als selbsternannte Vertreter eines imaginären, undefinierten „Volkes“, die sich an keine Regeln und Gesetzen gebunden fühlen und demokratische Institutionen von innen aushöhlen um einen Umsturz vorbereiten, ohne vom Rechtsstaat und Kontrollen daran gehindert zu werden. Egal ob sie sich als VS, BND oder NSA tarnen. Nazis, die sich selbst mit verfassungswidrigen Symbolen kennzeichnen, sind dagegen einfach zu bekämpfen.
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Ich habe im Text jeweils zwischen detaillierteren Erklärungen (Links) und meinen Quellen (Nummern) unterschieden. Hier die Auflösung der Nummern in
Quellen:
(1) http://www.zeit.de/gesellschaft/2015-02/polizei-rechtsextremismus-bilanz-straftat
(2) http://m.taz.de/!5071510;m/
(3) https://de.wikipedia.org/wiki/Helmut_Roewer
(8) http://blog.neunmalsechs.de/2014/wie-verfassungstreu-ist-der-verfassungsschutz/
(10) http://blog.zeit.de/nsu-prozess-blog/2015/03/30/der-zufall-geht-um/
(11) http://www.taz.de/!5210324/
(12) http://www.taz.de/!5087701/
(13) https://www.youtube.com/watch?v=iGbo1gE9sko
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