Am 17. April war Hajo Funke* in Seeheim-Jugenheim und hat einen bemerkenswerten Vortrag gehalten. Er war kurzweilig, faktenreich, interessant, erschreckend, humorvoll, spannend – so wie ein guter Krimi. Nur das Hajo Funke gar kein Krimiautor ist. Leider konnte ich selbst nicht teilnehmen, aber man hat mir die Aufnahme von Radio Darmstadt (RadaR) zugespielt und so kam ich in den Genuss der Aufzeichnung – deren Inhalt ich nun auch mit euch teilen möchte.
Hajo Funke berichtete aus laufenden Ermittlungen. Ermittlungen, in denen es um Morde, Nazis, verdeckte Ermittler, politische Verstrickungen und organisierte Kriminalität geht. Nicht nur, aber auch und besonders hier bei uns in Hessen. Definitiv spannender als ein Tatort.
Ich werde dass nicht alles auf einen Schlag verarbeiten können. Dieser Beitrag dient dazu, um euch die Aufzeichnung vorzustellen (also mehr als Inhaltsangabe) und bereitzustellen (Link zur Tonaufnahme siehe unten). In weiteren Artikeln werde ich in den nächsten Wochen / Monaten dann einzelne Themen vertiefen und Ausschnitte aus der auf den Vortrag folgenden Frage-Antwort-Session veröffentlichen.
Die vielleicht wichtigsten Erkenntnis aus dem Vortrag: Wann immer sich in Deutschland gewalttätige Nazis trafen und treffen – es waren und sind immer Menschen dabei, die auf der Gehaltsliste der Verfassungsschutzbehörden stehen. Sie halfen in den 90ern, im Osten Deutschlands junge Nazi-Kader auszubilden, sie finanzierten Treffen und Publikationen, sie erfanden eine Strategie der „autonomen Zellen“ um die Nazi-Strukturen weniger anfällig gegen staatliche Verbote und Strafverfolgung zu machen, sie halfen nach Verboten Nachfolgeorganisationen aufzubauen, sie halfen schlagkräftige gewaltbereite Nazis-Zellen aufzubauen, sie besorgten Waffen und sie halfen Nazis, gegen die ermittelt wurde, ungestraft davon zu kommen.
Was das Ziel dieses Einsatzes dort allerdings machen, versuchen die Verfassungsschutzämter um jeden Preis geheim zu halten. Sogar in dem sie Dienstakten schreddern, die Berichte über diese Tätigkeiten enthalten. Damit diese um keinen Preis in die Hände derer gelangen, die die Arbeit der Verfassungsschutzbehörden kontrollieren sollen.
Ziel war wohl offensichtlich nicht, Morde zu verhindern oder Menschen zu schützen. Denn Morde fanden statt. Am bekanntesten ist die Mordserie, die der NSU zugeschrieben wird. Und obwohl die Verfassungsschutzbehörden Kenntniss über Mordpläne und -absichten hatten, behielten sie diese Erkenntnisse für sich, verhinderten so die Aufklärung und ließen zu, das weitere Morde geschahen.
Was auch immer das Ziel gewesen sein mag: Ich finde diese aktive Unterstützung sehr gefährlich. Prof. Funke teilt diese Einschätzung ganz offensichtlich. Und wir können uns in guter Gemeinschaft wägen: Schon lange – so Funke – warnten verschiedene Polizeibehörden (bis hin zum Bundeskriminalamt) mehrfach und wiederholt vor den fatalen Folgen, die die Vorgehensweise der Verfassungsschützer nach sich ziehen konnte (und tat):
Wir warnen sie ausdrücklich, vor dem Brandstifter-Effekt, den SIE bewirken.
Bundeskriminalamt (ab min 48 im Vortrag)
Hervorhebung durch Funke
Ich habe – seitdem ich diesen eindrucksvollen Vortrag zu ersten Mal gehört habe – meine eigene Theorie entwickelt, warum die Dinge so gekommen sind, wie sie kamen. Doch ich werde diese erst am Ende dieses Artikels erläutern. Auch weil ich nicht von den – viel relevanteren – Ausführungen von Hajo Funke ablenken will.
Hajo Funke hat es zu seiner Aufgabe gemacht, die Aufklärung der NSU Mordserie und der Frage, wie es soweit kommen konnte, voranzutreiben. Dabei kann er sich auf einen Auftrag berufen, der von ziemlich weit oben kommt:
Als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland verspreche ich Ihnen: Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Daran arbeiten alle zuständigen Behörden in Bund und Ländern mit Hochdruck. Das ist wichtig genug, es würde aber noch nicht reichen. Denn es geht auch darum, alles in den Möglichkeiten unseres Rechtsstaates Stehende zu tun, damit sich so etwas nie wiederholen kann.
Angela Merkel, 23.2.2012 bei der Gedenkveranstaltung für die
Opfer rechtsextremistischer Gewalt
(Hervorhebung von mir)
So ein Versprechen ist keine kleine Angelegenheit. Trotzdem konnten sich die Untersuchungsausschüsse und kann sich Herr Funke bei seinen Nachforschungen keineswegs der Unterstützung staatlicher Organe sicher sein. Im Gegenteil: Er schildert eine Aussage des Staatsministers Klaus-Dieter Fritsche vor dem Untersuchungsausschuss , der einen Einblick in die Motivation und Vorgehensweise des Bundesamtes für Verfassungsschutz ganz offiziell verweigert mit der einfachen Begründung:
„Staatsgeheimnisse“
Unklar bleibt, ob Angela Merkel von diesem Rücktritt von ihrem Versprechen weiß. Oder ob sie von ihren Untergebenen vor der hässlichen Wahrheit geschützt werden soll, oder ob sie mit ihrer Geheimhaltungs-Taktik den Ausschüssen die Position der Bundeskanzlerin vertreten.
Deshalb muss Herr Funke ausholen, muss jene Zusammenhänge herstellen, die von offizieller Seite verschwiegen werden, die ihm aber aus Presse, Kontakten in die Szene und Whistleblowern aus den Sicherheitsdiensten zugetragen wurden und werden. Er mus zurück gehen bis in die Zeit vor der Wende, die Ausgangslage schildern, in der die Eroberung des Ostens durch (hessische und Süd-Niedersächsische) Nazis und V-Leute geplant und durchgeführt wurde. Jene Entwicklung, die (unter den Augen und mit Hilfe des Verfassungsschutzes!) vom Heimatschutz zur NSU Terrorgruppe führte.
Funke erzäht diese Geschichte unaufgeregt, humorvoll, spannend und mit vielen Namen und Details, die ihn als absoluten Experten ausweisen.
Da fallen dann Namen, die ich kenne. Zum Beispiel aus meiner Jugend in Südniedersachsen. Namen, die damals schon im Zusammenhang mit der Kausch-Äffäre in Hann-Münden gefallen sind. Namen von Nazis, die damals mit ihren Gangs Göttingen und die umliegenden Orte terrorisiert haben. Und Namen, die ich hier im Blog schon erwähnt habe. Aber auch viele neue Namen, von Männern, die Nazis, V-Leute und trotzdem Nazis waren und sind. Die Geld vom Verfassungsschutz erhalten und trotzdem nicht nur gegen unsere demokratische Grundordnung agieren, sondern auch Menschen terrorisieren, verletzen und sogar dabei helfen, Menschen zu töten.
Und Geschichten, von Staatsorganen, die das verhindern wollen, die aufklären wollen und von anderen Staatsorganen daran gehindert werden. Und als dann noch die organisierte Kriminalität (OK) zum Teil der Geschichte wird, hat man den Eindruck, nun sei man wirklich in Fiktion Genre über gewechselt – wenn nicht auch das schon hier und da in der Presse gewesen wäre. Stückchenweise. Nie den ganzen Zusammenhang erläuternd.
Angenehm auch: Funke will nicht überzeugen, er lässt uns an der Ermittlungsarbeit teilhaben, unterscheidet (ganz der Wissenschaftler) sauber zwischen Fakten und Vermutungen. Und Funke ist sich sicher: Der Skandal wird aufgeklärt werden. Es sei zu viel bekannt, zu viel passiert, als das die deutsche Gesellschaft ohne eine vollständige Aufklärung zur Ruhe kommen könnte. Auch wenn es noch etwas dauern wird.
Und es stellt sich heraus, dass auch so ein einstündiger Vortrag das Thema nicht annähernd abdecken kann. Funke muss immer wieder abkürzen, verweisen, wirft Namen in den Raum, ohne ihre Geschichte auch noch erzählen zu können. Aber es macht gespannt auf die Fortsetzung – in den Medien und hoffentlich auch irgendwann als Buch. Film? Ja der Stoff hat das Potential gleich für mehrere Filme. Definitiv.
Hier der Vortrag im Ganzen: Hajo Funke: Nazis in Hessen und die rechtspopulistischen Bewegungen (mp3, 44MB, 1h 3 min) (oder über: Dropbox). Die Weiterverbreitung des Vortrags ist im Sinne aller Beteiligten.
*Prof. Dr. Hajo Funke, geb. 1944, lehrte bis 2010 am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin (Vita).
In seinem Blog findet ihr regelmäßige Updates zum Thema und eine gute Presseschau.
Ich hatte oben meine eigene Theorie angekündigt, wie es zu dieser verworrenen und sehr problematischen Situation kommen konnte. Nun, es ist keine vollständige Theorie, mehr ein Eindruck, der sich noch verdichten müßte aber auch auflösen kann:
Ich habe den im Laufe meiner Beschäftigung den Einruck gewonnen, dass nicht der Verfassungsschutz die Nazi-Organisationen unterwandert hat, sondern dass sich der Verfassungsschutz beim Versuch dieses zu tun, mit der Weltanschauung und den Methoden der Nazis infiziert hat. Zumindest einige Mitarbeiter auf der Arbeitsebene scheinen mindestens eine Rechts-autoritäre, anti-demokratische Grundhaltung zu pflegen,die ihnen das Recht gibt, zu tun was sie wollen – ohne Rücksicht auf Gesetze. Verbrechen sind geschehen – und nun wird gemauert was das Zeug hält, denn wenn die Wahrheit herauskommt, denn werden alle Beteiligten, Mitwisser und Dulder mit in den „Abgrund“ (=rechtsstaatlich Aufarbeitung) gerissen, bis hinein in die Politik.
Nun,. wie gesagt, erst mal nur eine Arbeitshypothese, an der ich alles was ich in Zukunft darüber erfahre, messen werde. Und gern lasse ich mich vom Verfassungsschutz und der hessischen Landesregierung widerlegen. Bisher macht sie jedoch keine Anstalten, zur Aufklärung beizutragen oder auch nur eine schlüssige Erklärung zu liefern, warum denn alles geheim bleiben muss.
Siehe auch:
Der Film: „Die Kriegerin“ (Die Kriegerin- Trailer) stellt sehr authentisch die aktuelle Nazi-Szene in Deutschland dar. Sehr sehenswert!
Bündnis gegen Rechts im Landkreis Darmstadt-Dieburg
Wie verfassungstreu ist der (niedersächsische) Verfassungsschutz?