Darmstadt Links - Zeitung der Darmstädter Linken, Ausgabe Januar 2013Sehr geehrte Damen und Herren der Redaktion “Darmstadt Links”,

vielen Dank für Ihre Zeitung „Darmstadt Links“ , die ich im Januar in meinem Briefkasten fand. Auch wenn ich kein Anhänger Ihrer Partei bin, so muss ich doch sagen das ich Ihre Zeitung deutlich informativer, relevanter, besser zu lesen und unterhaltsamer fand als das Darmstädter Echo, das ich mir gerade am Samstag mal wieder gekauft hatte. Danke dafür.

Anlass für diesen Leserbrief ist Ihr Artikel „Grüner Wählerbetrug“ auf der Titelseite. Hintergrund ist die geplante Schließung der Stadtteilbibliotheken in Bessungen und Arheilgen. Darin werfen sie insbesondere dem Grünen Oberbürgermeister Jochen Pratsch vor, noch im Mai 2010 die – damals von der SPD geplante – Schließung mit den Worten: „Einsparungen an dieser Stelle würden zweifelsohne einen sehr großen Schaden hervorrufen, der durch nichts zu rechtfertigen ist“ abgelehnt zu haben. Ich nehme mal an, dass Sie ihn da auch korrekt zitieren.

Grüner Oberbürgermeister in Darmstadt: Jochen Partsch

Wählerbetrug? OB Jochen Partsch

Etwas im Wahlkampf auszuschließen, es dann aber selbst durchzusetzen, kann man tatsächlich als Wählertäuschung bezeichnen (Übrigens: Warum eigentlich nur an Männern?). Hoffentlich ist das Herrn Pratsch ordentlich peinlich.

Ich frage mich jedoch auch: Wie viele Menschen werden Herrn Pratsch ausgerechnet  wegen dieser Aussage gewählt haben? Ist das Thema für die Menschen in Darmstadt wirklich wichtig genug, um allgemein von Wählerbetrug zu schreiben?  Haben wir keine drängenderen sozialen Probleme, dass sodass Sie dieses Thema zum Leitartikel Ihrer Zeitung machen müssen? Dann klagen wir wahrlich auf hohem Niveau. Ich werde am Ende meines Briefes noch einmal darauf zurückkommen.

Doch nun zum Kern des Artikels und meines Leserbriefes. Darmstadt hat offensichtlich jahrelang über seine Verhältnisse gelebt und ist nun hoch verschuldet. Die Grünen waren zwar auch am vorherigen Magistrat beteiligt, aber nur als kleiner Partner einer dominanten und starrköpfigen SPD – das habe sogar ich mitbekommen, obwohl ich mich nicht wirklich mit der die Kommunalpolitik in Darmstadt beschäftigt habe. Dass sie nun – wo sie selbst die stärkste Fraktion stellen – Ernst machen mit dem Sparen, spricht erst einmal für sie.

Das Schöne beim Sparen ist ja, dass jeder dafür ist – solange es ihn nicht trifft. Insofern waren Proteste gegen jede Sparpolitik mehr als zu erwarten.

Wie schlimm aber ist nun die Schließung der Stadtteilbibliotheken wirklich? Auch für mich lag die Besserunger Bücherei näher als das Justus-Liebig-Haus, welches zudem von Süd-Westen aus nur umständlich mit dem Rad zu erreichen ist. Dennoch bin ich fast nie in die Besserunger Bücherei gefahren. Denn neben den für mich kaum nutzbaren Öffnungszeiten war auch die Auswahl der Bücher dort sehr, sehr beschränkt. Ich würde behaupten, für wirkliche Leseratten war die Stadtteilbibliothek kein attraktives Ziel.

Aber um uns Leseratten geht es in Ihrem Artikel ja auch gar nicht. Sie sprechen vor allem von SchülerInnen (der Mornewegschule)  und SeniorInnen, denen der Weg zum Liebig-Haus zu lang sei oder mit zu hohen Fahrt-Kosten verbunden sein könnte. Ich finde es nicht schlimm, wenn ein Schulausflug zur Stadtbücherei in der Grundschule statt 50 Minuten nun 90 Minuten dauert. Und auch für Senioren mögen drei Stationen Straßenbahn lästig sein, aber unzumutbar oder eine soziale Härte ist das nicht.  Zumal sind die Einkaufsmöglichkeiten in Bessungen eingeschränkt und die meisten Bessunger Senioren müssen sowieso regelmäßig die Innenstadt ansteuern. Und damit fallen natürlich Fahrtkosten an. Die dann den Geldbeutel belasten.

Das Beispiel zeigt, dass die von Ihnen angesprochenen Probleme meist ihre Ursachen anderswo haben. In Ihrem Artikel verpassen Sie die Gelegenheit auf diese Ursachen hinzuweisen und soziale Verbesserungen einzufordern, die viel weitreichender helfen und die genannten Unannehmlichkeiten vermindern, b.z.w. ganz beseitigen würden. Zum Beispiel:

  • Wenn es in Darmstadt (Alters-)Armut gibt, die den Kauf eines Fahrscheins problematisch macht, dann ist das eine erhebliche Einschränkung der Mobilität und einer reichen Gesellschaft wie der unsrigen nicht würdig. Eine Lösung: Den fahrscheinlosen Nahverkehr zu fordern (wie die Piraten das tun) – das würde bedürftigen Eltern und Senioren bei jeder Fahrt helfen und die Mobilität verbessern.
  • Für ein 3-Euro Ticket einen Antrag auf Fahrtkostenzuschüsse stellen zu müssen (wie sie schreiben) ist für betroffene Eltern entwürdigend und die Bearbeitung dieses Antrages erzeugt Kosten in vielfacher Höhe. Lösung: Schulausflüge kostenlos machen. Spart bestimmt mehr als es kostet. Allein an Bearbeitungskosten.
  • Die miese Fahrradweg-Anbindung Bessungens an die Innenstadt (und die Stadtbibliothek) zu verbessern und sicherer zu gestalten.
  • Verbesserung des Lehrerschlüssels in der Grundschule: Statt zu bejammern, dass zusätzliche Betreuungspersonen für den Büchereibesuch notwendig sind, wäre die Forderung nach insgesamt kleineren Klassen angebracht. Denn bereits heute sind die LehrerInnen der Grundschulen nicht in der Lage, sicherzustellen, dass alle SchülerInnen den Stoff verstanden haben.
  • Die Einrichtung einer ordentlichen, gut ausgestatteten Schulbibliothek an der Mornewegschule zu fordern – diese könnte viel öfter und besser genutzt werden.
Der öffentliche Bücherschrnak in Bessungen

Der öffentliche Bücherschrank in Bessungen – immer prall gefüllt

All diese Forderungen bringen einen deutlich höheren Gewinn, als eine Stadtteilbibliothek zu finanzieren, die eh nur 2 mal pro Woche für 4 Stunden geöffnet ist – aber Kosten an 7 Tagen in der Woche erzeugt.

Bessungen und Arheilgen sind nun auch nicht gerade soziale Brennpunkte. Darüber hinaus gibt es in Bessungen ja auch noch den öffentlichen Bücherschrank. Die Arheilger sind über die neue und gut ausgestattete Stadtteilbücherei in der Erich-Kästner-Schule in Kranichstein weiterhin gut versorgt.

Ein schwacher Trost? Aber was sollen die SchülerInnen im Verlagsviertel und in der Heimstädter-Siedlung sagen? Die haben keine Stadtteilbibliothek, die haben keine nahen Alternativen und die haben auch keine Straßenbahn-Anbindung, die sie schnell zum Justus-Liebig-Haus bringen könnte. Und gerade das Verlagsviertel hat eine Sozialstruktur, die eine Bibliothek dringender bräuchte, als das bildungsbürgerliche Bessungen.

Was mich zurück zu meiner Frage aus der Einleitung führt: Gibt es in Darmstadt keine dringenderen sozialen Probleme als die Schließung der Bibliotheken in überwiegend gutsituierten Stadtteilen? Ich meine schon und hätte auf der Titelseite ihrer Zeitung vor allem, prominent und dreispaltig das Thema Wohnungsnot und finanzierbaren Wohnraum erwartet. Das hätte den sozialen Problemen Darmstadts eher entsprochen. Der Skandal um die leer stehenden Wohnungen in der US-Kaserne ist immerhin so groß, das sogar das ZDF ihm einen langen Beitrag widmet. Statt dessen den grünen OB so prominent in die Mangel zu nehmen, hat leider den Geruch von reiner Parteipolitik und geht an den wichtigen und dringenden Bedürfnissen der DarmstädterInnen vorbei.

Trotzdem bin ich der letzte, der sich nicht einer Initiative zu Wiederbelebung der inzwischen geschlossenen Stadtteilbibliotheken anschließen würde – wenn klar ist, wo statt dessen gespart werden soll. Beides lässt sich übrigens auch journalistisch gut kombinieren, wenn die Sparvorschläge zum Beispiel Staatstheater (10 Mio städtische Zuschüsse für -Kultur, jede Eintrittskarte ist angeblich mit ca. 100 Euro subventioniert?) und die Defizit-Maschine Darmstadium einschließen. Das könnte in der Schlagzeile: “Krieg den Palästen, Hütten für alle!” münden (womit ich schon wieder beim Linksradikalen Georg Büchner gelandet wäre).

Aber warum gebe ich ihnen als jemand, der gar nicht Anhänger Ihrer Partei ist, solche Tipps? Weil ich eine gute, sachliche, Problem- und Lösungs-orientierte Politik will und mag. Deshalb bin ich gespannt auf die nächste Ausgabe ihrer Zeitung. Darauf, ob sie es besser machen. Und um zu sehen, ob sie sich trauen, einen kritischen Leserbrief abzudrucken.

Mit freundlichen Grüßen

Carsten Buchholz

 

Weiterführende Links:

ZDF -Bericht über den Wohnungs-Skandal in Darmstadt

Stadtbibliothek Darmstadt

Bürgerinitiative (BI) “Büchereien bleiben”

Pressemitteilung der Grünen zur Umstrukturierung der Stadtteilbibliotheken

SPD zur Schließung

Bei der CDU habe ich nichts gefunden

Die Fraktion DIE LINKE kritisiert viele der Kürzungsvorhaben der grün-schwarzen Stadtregierung als unsozial und unangemessen

Uffbasse gegen die Schließung der Stadtteilbibliotheken: “Vor Schließung bessere Lösung suchen