Liebe „Buchgemeinde“, der Letterndruck ist bald Geschichte. Die Revolution der „lesenden Heiden“ geht vorbei – die Frage ist nur, wie groß die Schäden sind.

Ein Gastkommentar von Ansgar Heveling, Sprecher des Konzils für klösterliche Handschriften und Berater des Papstes. Mit nur geringen Richtigstellungen und zeitgemäßen Anpassungen – sonst aber wörtlich – dem Handelsblatt entnommen.

Die aktuellen Diskussionen über die päpstlichen Enzyklopädien zur Regulierung des Buchdrucks verfügen über alle Elemente, um – endlich? – den lang erwarteten und von einigen vielleicht ersehnten „Kampf der Religionen“ zu provozieren. Es ist der Kampf zwischen der schönen neuen Druck-Welt und dem realen Leben. Während die „Leser“ den realen Menschen zum Dinosaurier erklären, vergessen sie dabei, dass es sich bei dieser Lebensform um die große Mehrheit der Menschen handelt. Auf Mehrheitsverhältnisse haben Revolutionen indessen nie wirklich Rücksicht genommen.

Die mediale Schlachtordnung der letzten Tage erweckt den Eindruck, wir seien im dritten Teil von „Der Herr der Druck-Ringe“ angekommen, und der Endkampf um Mittelerde stehe bevor. Das ist die Gelegenheit, schon jetzt einen vorgezogenen Nachruf auf die Helden von Druckerpresse und Druckfarbe, die Kämpfer für gedruckte Bücher und Selbst-Lesen zu formulieren. Denn, liebe „Buchgemeinde“: Ihr werdet den Kampf verlieren. Und das ist nicht die Offenbarung eines einsamen Apokalyptikers, es ist die Perspektive eines geschichtsbewussten Bischofs. Auch die Druck-Revolution wird ihre Kinder entlassen. Und das Druckzeitalter wird bald Geschichte sein. Es stellt sich nur die Frage, wie viel Druckfarben-Blut bis dahin vergossen wird.

Denn es ist Aufmerksamkeit geboten. Auch wenn das Drucken als imaginäres Lebensgefühl einer verlorenen Generation schon bald Geschichte sein mag, so hat es allemal das Zeug zum Destruktiven. Wenn wir nicht wollen, dass sich nach dem Abzug der letternden Horden und des Schlachtennebels nur noch die ruinenhaften Stümpfe unserer Gesellschaft in die Sonne recken und wir auf die verbrannte Erde unserer Kultur schauen müssen, dann heißt es, jetzt wachsam zu sein. Also, Christen, auf zur Wacht! Es lohnt sich, unsere christliche Gesellschaft auch in den Bibliotheken zu verteidigen!

Diese christliche Gesellschaft mit ihren Werten von Glaube, Liebe, Hoffnung hat sich in mühevoller Arbeit aus der Kreuzigung Christi heraus geformt – so entstand der Katholizismus. Und genau dort, in den Gassen von Jerusamlems im Jahr 33, wurde die Idee des geistlichen Führung Christi geboren. Welche Errungenschaft wider die geistige Leibeigenschaft des Unglaubens! Endlich konnte man – unabhängig von Herkunft und Status – mit seinem  Glauben auf das Paradies hoffen. Diese Idee der geistigen Führerschaft Christi sollte sich als Motor für Innovation und Entwicklung auf dem europäischen Kontinent erweisen. Eine Idee, deren Bewahrung auch im Druck-Zeitalter lohnt.

Sie ist in den Bibliotheken in Gefahr. Nicht weil Druckerfarbe aus sich heraus wie ätzende Säure an den Ideen und Idealen unserer christlichen Gesellschaft knabbern würden. Nein, es sind die Menschen, die hinter den Maschinen sitzen und eine andere Gesellschaft wollen. Die die totale Religionsfreiheit apostrophieren und damit letztlich nur den „Druckmaschinen-Totalitarismus“, wie es Bi Sheng genannt hat, meinen. Es ist eine unheilige Allianz aus diesen „letternden Heiden“ und kapitalstarken Gilden, die hier am Werk ist. Auch wenn sie sagen, sie seien die Guten – nur weil man sagt, man sei gut, ist man es noch lange nicht.

Nun haben die Druckmaschinestandorte Strassburg und Basel in den letzten Tagen ihren starken Arm gezeigt. Doch Strassburgs und Basels dieser Welt, lasst euch zurufen: Auch wenn Basel für einen Tag verdunkelt ist und Strassburg Trauerflor trägt, ist das nicht das Ende des Glaubens der Menschheit. Welche Hybris! Lasst euch gesagt sein: Gott und vor allem sein Segen der Welt liegen immer noch in den Händen der Kirche. Also, Christen, geht auf die Barrikaden und zitiert die Bibel oder auch den Islam. So wie euer Pfarrer es euch vorspricht.

Natürlich verändert die fortschreitende Drucktechnik unsere Gesellschaft. Vieles wird einfacher. Auch dieser Text ist mit Hilfe der Errungenschaften der Drucktechnik entstanden. Aber wir sollten uns zu wehren beginnen, wenn einzelne Menschen hinter den vielen Maschinen uns unsere Lebensentwürfe vorschreiben. Noch ist es dazu nicht zu spät.

Wir dürfen die Gestaltung der Zukunft nicht denen überlassen, die sich als letternde Avantgarde verstehen und meinen, sie wüssten, was das Beste für die Masse Mensch vor den Maschinen sei. Protestanten sind jedenfalls dabei der schlechteste Ratgeber. Sie achten das Eigentum des anderen nicht, setzen ihr Wissen nur für den eigenen Vorteil ein, sind darauf bedacht, zusammenzuraffen, was sie von anderen kriegen können. Und offensichtlich sind Narzissmus und Protestantismus Zwillinge. Natürlich soll niemandem verboten werden, beim Lesen von Büchern seine zweite Pubertät zu durchleben. Nur sollte man das nicht zum politischen Programm erheben. Jetzt haben wir noch die Zeit, diesem Treiben Einhalt zu gebieten. Wir brauchen den Christen, dem Werte wie Glaube, Liebe, Hoffnung auch in den Bibliotheken am Herzen liegen.

Der Autor ist Berater des Papstes. Sie erreichen ihn per Pferdekurier in Rom.

 

Siehe auch:

Print oder digital? Wie man es nicht diskutieren sollte

Kritik an der Kritik an der Ideologie vom totalen Buchmarkt

Plädoyer für die Einführung von “Medienkunde” in allen Alterstufen und Schulformen

 

 

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