Schon in meinem Artikel “Projekt Darmstadt 2021” habe ich als einen der Teile der Stadt Darmstadt, über den ich (schon jahrelang) immer wieder Beschwerden höre (ohne selbst Kunde zu sein), den Bauverein genannt. Ein besonders weitreichender und auffälliger Fall davon, den ich schon eine Weile verfolge und der eine Nummer größer ist. Während in den Medien bisher vor allem das Vorgehen und die (so behauptet: überzogenenen) Mieterhöhungen des Bauvereins in der Kritik standen, wird jetzt immer klarer, dass der Bauverein wohl tatsächlich nicht rechtmäßig gehandelt hat. Kevin Bettin berichtet:
Ich hab persönlich durch […] Bauverein Fehler einen mittleren vierstelligen Betrag zurück holen können. Die uns bekannte Umlage Matrix bestand aus gewürfelten Pauschalwerten und war keinesfalls individuell an den Maßnahmen vor Ort ausgerichtet, was diese in sich nichtig macht.
Insbesondere bei den Bau- und Revonvierungsmaßnahmen um den Rhön- und Spessartring scheint der Bauverein die MieterInnen über den Tisch zu ziehen. Nicht wenige scheinen Mieterhöhungen mit viel zu hohen Umlage-Werten (Scheinmodernisierung) erhalten zu haben. Was zu (unfreiwilligen) Auszügen von Senioren und einkommensschwachen Mieter:inne:n geführt haben soll (das ZDF berichtete und HR defacto), die sich die Bauvereinsmiete nicht mehr leisten konnten. Im Einzelnen ist das (für mich) kaum nachzuprüfen – doch aus der Summe der Stimmen (durchaus vertrauenswürdig), die ich dazu höre und den Medien-Berichten ist das plausibel.
Wichtig zu wissen für die Mieter: Erneuern Vermieter noch funktionstüchtige, aber schon in die Jahre gekommene Bauteile und Einrichtungen, dürfen sie dem Mieter nicht die vollen Kosten auferlegen. Der Bundesgerichtshof untersagt in einem Urteil die ungekürzte Umlage der Kosten auch dieser Bestandteile. Nach sechs Jahrzehnten sei die Lebensdauer der Bauteile bereits zu einem sehr großen Teil abgelaufen. Das müsse berücksichtigt werden und führe dazu, dass hier nicht mehr von einer Modernisierung gesprochen werden könne. Der Sinn und Zweck der Vorschriften über die Modernisierung und anschließende Mieterhöhung gebiete es, einen Abzug des Instandhaltungsanteils von den aufgewendeten Kosten vorzunehmen.
Ein Betroffener berichtet:
“Nachdem ich glaubhaft gemacht habe, dass es – einmal im Prozess – auch keinen Vergleich geben wird, damit es medial wirksam wird, besuchten mich zu Hause Prokurist und Anwalt des Bauvereins und binnen einer Woche war das Geld da.”
Natürlich können bei der Berechung der Umlage von Modernisierungskosten, bei der Berechnung von Mietminderungen und ähnlichem Fehler passieren. Sei es aus Unwissenheit oder menschlichem Versagen. Dass es erst die Einreichung einer Klage braucht, um eine Korrektur zu erwirken, ist traurig.
Anständig wäre, dann auch die Fehlerursache zu analysieren und daraufhin auch die Maßnahmen und Bescheide der anderen Mieter:innen zu überprüfen. Klug wäre, dass öffentlich und transparent zu machen.
Und normal wäre, sich auch (beim Betroffenen) für die Fehler zu entschuldigen. Aber leider gibt es in Unternehmen, in der Politik und (der Fisch stinkt vom Kopf) auch im Arbeitsleben eine Kultur, Fehler nur zuzugeben, wenn sie einem nachgewiesen werden können. Und dann nur den Einzelfall zu lösen, statt systematisch an der Fehlerursache (und damit an der Verbesserung der Gesellschaft) zu arbeiten.
Das ist traurig und sollte nicht die Kultur sein, die wir in Darmstadt bei kommunalen Unternehmen wollen und akzeptieren. Der Bauverein hat als Reaktion auf die öffentliche Kritik (soweit mir bekannt) vor allem seinen Anwalt eingeschaltet und den Kontakt zu den Bauarbeitern untersagt. Siehe oben.
Bauverein: Profit-Unternehmen oder städtisches Instrument zur Milderung der exorbitanten Darmstädter Mieten?
Neben der individuellen Prüfung der Mieterhöhungen (bei denen die Anwohner-Initiative “Die Mietmeister” hilft) und Nebenkosten – zu der ich Bauvereins-Mietern unbedingt raten würde, sehe ich das Problem, dass der Bauverein ein städtisches Unternehmen ist, das besonders den Geringverdienern der Stadt verpflichtet ist. Also auch jene, die sich gegen Ungerechtigkeiten individuell schlechter zu wehren wissen (oder es gar nicht wagen).
Ein solches städtisches Unternehmen sollte daher zumindest die rechtlichen Rahmen nicht überschreiten (wie es fiese Kapitalisten ja gerne tun, darauf hoffend, das die Mieter aus Unwissenheit oder Konfliktscheu nicht dagegen klagen)1.
Und während ich dem Bauverein keinesfalls Vorsatz unterstellen will (was die Mietmeister – begründet mit ihren persönlichen Erfahrungen mit Vertretern des Bauvereins – durchaus tun) – doch wenn hier fehlerhaft berechnet wurde, dann sollte hier die (bei einem städtischen Unternehmen) Bereitschaft bestehen, eine solchen Fehler nicht nur dort zu korrigieren, wo jemand geklagt hat.
Aber selbst wenn es keine Fehler gab, bringt Regina Kamm, Mieterbund Darmstadt, das Problem im HR Interview auf den Punkt:
Eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft muss sich ja nicht am Mietenwahnsinn beteiligen.
Bauverein: Umgang mit Beschwerden
Ins Bild, dass ich mir vom Bauverein in den viele Jahren hier in Darmstadt habe machen können, paßt auch die Klage der Bewohner, das bei der Renovierung entstandene Schäden (zum Beispiel durch Wasser – siehe Medienberichte) vom Bauverein nicht behoben würden. Die Behauptung des Bauvereins, dass sie dafür keine Zugang zu den Wohnungen erhalten hätten (auch ein Muster, von dem ich schon mehrfach gehört habe) ist unglaubwürdig. Niemand läßt Reperaturarbeiten nicht zu, beschwert sich aber dann bei den Medien.
Ebenfalls beliebt bei Vermietern (und vom Bauverein praktiziert): Die Schuld an Schimmelbildung den Mietern zu geben. Bei Sanierungsmaßnahmen ist das jedoch simpel. Eine Begehung vor Beginn einer Sanierungsmaßnahme dokumentiert vorher bestehende Schäden (incl. durch die Mieter verursachten Schimmel). Wenn dann bei Sanierung mit Wasser abgestrahlt wird (wie am Spessartring geschehen) – und danach Schimmel auftritt, der vorher nicht vorhanden war, dann ist die Ursache eigentlich unbestreitbar. Und die Pflicht zur Beseitigung durch den Bauverein klar, Und ein Unterlassen eine Gesundheitsgefährdung durch den Bauverein.
Ebenfalls ins langjährige Bild paßt die herablassende und spärliche Kommunikation des Bauvereins mit den Mieter:inne:n. Auch davon habe ich aus anderen Objekten des Bauvereins vielfach gehört.
Mein Fazit: Der Bauverein Darmstadt verhält sich gegenüber seinen Mieterinnen wie eine unseriöses Immobilienunternehmen, das rein auf Gewinnmaximierung ausgerichtet ist und läßt gerade sozial Bedürftige fallen. Hinzu scheinen mir übertriebene Bürokratie und Intransparenz zu kommen.
Der städtische Bauverein braucht eine andere Kunden-Kultur
Wenn das von der Politik so nicht gewollt ist – was ich annehme – dann liegt das in unzureichender Kontrolle und Aufsicht des Eigentümers (also der Stadt) an seinem Einenbetrieb. Insbesondere brauchen die Mieterinnen einen unabhängigen Ansprechpartner zur Prüfung ihrer Beschwerden und Bedenken – eine Instanz, die unterhalb der juristischen Ebene liegt und sowohl das Vertrauen des Magistrats als auch der BewohnerInnen genießt. Und fachlich kompetent ist. Denn es kann und soll nicht sein, dass Mieter eines städtischen Wohnungsbauunternehmens so wenig Gehör finden, dass sie sich genötigt fühen, die Gerichte und Medien anzurufen.
Derzeit könnte ich jedenfalls niemandem raten, beim Bauverein Darmstadt eine Wohnung zu mieten oder diesen mit einen Wohnungsbauprojekt zu betrauen. Und eben nicht nur aufgrund der aktuellen Modernisierungen um den Rhön- und Spessartring, sondern weil sich diese nahtlos in vielen anderen Berichte über den Bauverein einfügen.
So eine Moderniserungsunternehmung ist nun ja nicht grundsätzlich falsch – und eine sehr komplexe Angelegenheit. Und ich bin beileibe kein Experte. Deshalb ist es möglich, dass ich hier das eine oder andere Detail unzutreffend darstelle2. Aber was ich auf jeden Fall unmöglich finde, ist der Umgang, den der Bauverein mit seinen Kund:inn:en (die gleichzeitig Büger:innen der Stadt sind – also seine Eigentümer:innen) praktiziert. Das ist inkazeptabel. Und muss sich ändern – und darauf werde ich auch in Zukunft Aufmerksam machen und hinwirken – als Mitglied von Uffbasse, als Blogger und als Bürger von Darmstadt.
Update kurz nach Veröffentlichung: Die Stadt hat wohl laut Presse eine Vereinbarung mit dem Bauverein zur Begrenzung der Modernisierungkosten und die Mieterhöhungen getroffen. Das nimmt diesem Artikel jedoch nicht die Bedeutung: Denn 1. sind noch keine Details bekannt, was das bedeutet und 2. darf es nicht sein, dass sowas jahrelange Proteste und Medienberichte bedarf – und all jenen nichts mehr nutzt, die bereits ausziehen mußten, weil sie sich die Mieten nicht mehr leisten konnten – für sie kommt die Vereinbarung viel zu spät. Es muss sich mehr ändern, damit sich sowas nicht wiederholen kann.
Gut ist allerdings, dass damit zumindest klar ist, dass nicht alles gut und richtig war, was der Bauverein getrieben hat.
Links mit weiteren Infos, Beiträgen und Meinungen zum Thema:
- Bauverein Darmstadt: Seit 2016 wird das Ensemble im Rhön-/ Spessartring überarbeitet
- Bauverein Sonderseite: Sanierungsmaßnahmen Rhönring und Spessartring in Darmstadt
- Die Mietmeister
- Mieterinitiative Rhönring und Spessartring
- Modernisierung verdrängt Mieter: Viele Menschen in Darmstadt können sich die gestiegenen Ausgaben fürs Wohnen nicht leisten. Heftige Kritik üben Betroffene am Vorgehen des Bauvereins. (Darmstädter Echo, 25.10.2018, kostenpflichtig)
- HR Defacto: 03.06.2019 (Video)
- ZDF Frontal 21: 17.09.2019 (Video)
- “Modernisierungen” im Spessartring/Rhönring: Die alten MieterInnen werden verdrängt die Bauverein AG saniert ihre Profite (politnetz-darmstadt.de)
- Fraglich ist natürlich auch, ob ein städtisches Unternehmen wirklich den ganzen legalen Rahmen ausschöpfen muss. Der Bauverein behautptet zwar, das nicht zu tun – die aktuellen Entwicklungen zeigen jedoch, dass das wohl nicht (ganz) der Wahrheit entspricht.[↩zurück ↩]
- Ich bin kein Profi-Journalist, der unendlich Zeit drauf verwenden kann, sich in alles im Detail einzuarbeiten – aber ich stellte auch fest, dass die Profis von Darmstädter Echo, FR, HR und ZDF das Vorgehen des Bauvereins ebenfalls sehr problematisch fanden.[↩zurück ↩]
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