Der Tango „Malena“ ist einer der Klassiker des Tango. Das Lied basiert auf einem Gedicht von Homero Manzi, das eine weibliche Tango Sängerin preist (Links zum Text am Ende des Artikel). Mit der Komposition von Lucio Demare im Jahr 1941 (es gab wohl vorher schon eine brasilianische Komposition von 1920) wurde das Lied dann weltberühmt. [Mehr Infos zum Lied in Episode 8 von In 80 Tangos um die Welt]
„Malena“ war auch eines der zentralen Lieder im Film El viejo Hucha (1942) unter der Regie von Lucas Demare.
Nachdem Malena in der „Goldenen Epoche“ des Tango zum Repertoire einiger berühmter Tango Orchester gehörte, wurde es nach dem Niedergang des Tangos in Argentinien in zwei Richtungen „zerlegt“: Während SängerInnen sich vor allem an der Interpretation des poetischen Textes probierten (und die Musik neben der Gesangsstimme vernachlässigten), konzentrierten sich andere Interpretationen – vorwiegend von Jazz und Klassik inspiriert – auf Demares Komposition und ließen den Text/Gesang weg.
Erst mit dem Revival des Tango Argentino in Europa griffen Tango Nuevo Formationen und klassische Orchester das Stück (ab ca. 2000 – aber schwer genau zu datieren) wieder ganzheitlich auf und hauchten ihm neues Leben ein. Interpretationen aus anderen Musik Genres (über Tango, Jazz und Klassik hinaus) habe ich (anders als bei El Choclo) leider nicht finden können.
Auch wenn allmusic.com mehr als 1.000 Songs mit dem Titel „Malena“ auflistet, sind diese überwiegend nicht auf den Tango-Klassiker zurück zu führen – der Name scheint besonders in Ost-Europa durchaus beliebt zu sein. Nicht uninteressant finde ich dabei zum Beispiel den Rap „Malena“ von Elemental – muss echt mal probieren, wie sich darauf Tango tanzen lässt.
Hier eine (im Zweifel unvollständige) Zusammenstellung der musikalischen Geschichte von „Malena“ – in derzeit 54 (nach verschiedenen Vorschlägen jetzt:) 59 unterschiedlichen Versionen – mit herzlichem Dank an Thomas Kröter für die inspirierende Anregung, das mit „Malena“ zu machen:
Die „Original“ Aufnahme von Demare mit dem Sänger Juan Carlos Miranda aus dem Jahr 1942 – Demare hatte das Stück vorher natürlich sicher hunderte Male in den Clubs von Buenos Aires gespielt.
Im direkten Vergleich: Demare ging mit „Malena“ 1951 noch einmal ins Studio. Dieses Mal mit dem Sänger Hector Alvarado:
Für mich klingt die 1951er -Version zahmer, von der Stimme, aber auch (ein wenig) von der Musik.
Bereits 15 Tage vor Demare hat allerdings Anibal Troilo seine Version des Stückes veröffentlicht – mit dem Sänger Francisco Fiorentino:
Ich vermag nicht zu sagen, ob das Ausdruck der Kooperation oder des Konkurrenzkampfes zwischen den Orchestern war. Wissende Kommentare (unten) willkommen. Auch Troilo ließ 1952 (dieses Mal ein Jahr nach Demare) eine zweite Version – dieses Mal mit dem Sänger Raul Berón – folgen:
Troilo und Berón haben nach 1942 auch zusammen aufgenommen – allerdings habe ich keine frühere Version von „Malena“ von ihnen gefunden. Dafür gibt es eine Aufnahme von Malena gesungen von Rául Berón zusammen mit seinem Bruder Alfonso Berón (Gitarre) – ohne Jahr:
Das sind dann schon alle Versionen von „Malena“ aus dem sog. Goldenen Zeitalter des Tangos (ca. 1935 und 1955), die ich finden konnte. Zwei Protagonisten dieser Zeit haben uns jedoch spätere Versionen hinterlassen:
Miguel Caló 1965 (mit Raúl Del Mar) – leider hier mit einer allgemeine Erklärung zum Tango Argentino übersprochen:
Es gibt wohl aus dem gleichen Jahr auch noch eine von Roberto Luque gesungene Version von Miguel Caló, die ich aber auf YouTube nicht entdecken konnte. Und:
Osvaldo Puglieses Instumental – Version von Malena von 1974:
Lucio Demare hat übrigens 1957 noch eine Instrumental-Aufnahme von Malena veröffentlicht, die er solo am Kavier spielt – auch sehr schön, aber m.W. das erste Mal, das das Lied ohne den Text von Manzi aufgenommen wird:
Den Übergang in die Neuzeit bilden vielleicht die Aufnahmen von Roberto Goyeneche – mit Orquesta Tipica (de Garello – 1968):
und nur von Gitarre begleitet (1994):
Vermutlich auch aus den 60ern stammt diese Aufnahmen des Orquesta Mario Demarco mit Edmundo Rivero als Sänger (ohne Jahr), die 2015 / 2017 durch eine CD Veröffentlichung wieder auftaucht (und seither in mehreren Versionen auf YouTube existiert):
Auch der Großmeister Astor Piazzolla hat sich (in ganz unterschiedlichen Version an Malena versucht. Zwei habe ich gefunden: Bei der ersten ist der Sänger nicht genannt – falls jemand die CD hat und er dort genannt wird – bitte kommentieren!
Die Malena-Aufnahme von Susana Rinaldi & Astor Piazzolla (der sich natürlich nicht an die Komposition von Demare gebunden fühlt) von 1970 ist dann für eine Weile die letzte von Bedeutung, in der Musik & Text gleichbereichtigt nebeneinander stehen:
Die Aufspaltung
Dominanz des Gesanges
Im Folgenden wird Malena zunehmend in Versionen veröffentlicht, in denen Gesang & Text über die Musik dominieren – bis hin zu Versionen, die komplett ohne jede Begleitung auskommen. Eine Auswahl:
Rosanna Falasca & Orquesta Lito Escarso (1971)
Malena – Adriana Varela (1999)
Maricel Zambrano y Daniel Zambrano (basierend auf dem Arrangement für Gitarre von Andrés Calamaro)
Marcela De Gennaro canta „Malena“
Patricia Barone
2008 María José Mentana „Malena“
María Graña canta „Malena“
Miranda de Verdier – Malena
Nelson Pino
Osvaldo Requena (ohne Nennung der Sängerin):
Stark: María José Demare & Esteban Morgado
María José Demare ist übrigens die Nichte des Komponisten Lucio Demare und Tochter des o.g. Regisseurs Lucas Demare.
Kann leider nicht eingebettet werden; Lisette Grosso Schmid interpreta „Malena“ (Gesang & Bandoneon) bei eine TV-Talent-Wettbewerb.
Update 26.9.2019: Anja Stöhr nur vom Piano begleitet (ein Tipp von Daniela Zähl )
Zwei reine Gesangs-Versionen
Roxana Fontan
Danielle
Dominanz der Instrumente
Die andere Richtung – zunehmend vom Jazz inspiriert – dagegen fokussiert auf die Musik – Text und Gesang treten in den Hintergrund. Auch hier eine Auswahl:
Update 26.9.2019: Hugo Díaz auf der Mundharmonika (von Olli aus München empfohlen)
Die Caviar-Interpretation gefällt mir persönlich nicht, ist aber eine Interpretation, die in einer langen (Smooth-)Jazz-Tradition steht:
Quito Gato – MALENA
Valentino Jazz Bazar: Malena
Malena – Jazz Tango by Miguel De Caro
Miguel De Caro Quinteto – Malena
Auch der Elektro Tango greift das Stück natürlich auf: Hier die Version der Electronic Tango Group:
Die Wiedervereinigung (von Text und Musik)
Zusammengeführt wurden Musik & Gesang tendentiell dann (gefühlt ab 2000, vermutlich aber schon früher) wieder von den Bands des Contemporary Tango, die weniger konzertant unterwegs waren und sich wieder stärker auf die argentinische Tradition besannen (ohne deswegen die musikalische Innovation aufzugeben).
Ich beginne mit zwei Electro Tango Versionen (die ich nicht ganz so spannend finde – wobei ich schon gern wissen würde, wie Otros Aires, Gotan oder BachoFodo das Material interpretiert hätten). Dann komme ich zu dem interessanteren / innovativeren Material.
Electro Tango: Buenos Aires Ensemble
La Moscato
Update 26.9.2019: Juan Carlos Cácere (von Olli aus München empfohlen)
Las Maripositas – Malena Hier taucht endlich wieder ein Bandoneon auf:
Eduardo Moyano (ist als Tänzer auch in Show Videos zu sehen)
Esperanza Márquez
London Tango Orchestra
Trio Iguaçu – nur Gitarre, Cello und Gesang. Wunderschön.
Tango 44 – Malena mit Geige, Cello, Klavier und Gesang
Trio tanguero
TRIO BANDÓ – Gesang: Omar Lavadie
Und natürlich gibt es im Contemporary Tango auch wieder reine Instrumental-Versionen (die – für mich – aber näher am Origninal sind, als die o.g. Jazz-Interpretationen)
El Muro – Malena
Aires de Tango (instrumental) funk-en schön mit der Demare-Kompositon (Soundqualität leider beeinträchtigt):
Malena · Romulo Larrea: Spielt mit dem Material der Vorgänger-Versionen.
Bei Color Tango geht’s konzertant zu
Pablo Aslan – sehr experimentell, hier hat das Original nur noch als Inspiration gedient. Und auch tänzerisch mehr als nur eine Herausforderung. Die Platte heißt dann auch „Avantango“. P.S.: Wer nicht glauben mag, dass dieser Song „unsere“ Malena ist (und nicht eine eigenständige Komposition), möge wissen, dass Aslan auf dem Plattencover tatsächlich Demare als Komponisten nennt. 🙂
Das Stück gibt es auf Youtube keider nicht mehr, aber wer es hören will, findet es auf Pablo Aslans Album „Avantango“ (insgsamt hörenswert). Auch gut ist die Version, die Aslan zusammen mit Julio Frade und Raúl Jaurena aufgenommen hat (aber deutlich konventioneller).
Tarantino hat „Malena“ auch verfilmt – äh vertont. Also Osvaldo, nicht Quentin. Am Piano. Ohne Kunst- nur mit Herzblut. Hier Osvaldo Tarantino & Osvaldo Berlingieri:
Update 26.9.2019: Octeto Tibidabo (von Olli aus München empfohlen)
Tango Infinito
Tangomotán
Malena a la chill out: Rodrigo Gabriela Mediterranean Ensemble
Giuseppe Impagliazzo (Italienische Malena-Version)
Update 9.11.2019: Deutsch und nicht Text-getreu (trotzdem genial): Annette Postel: Malena kann kein Tango
Update 25.9.2019: Omar „El Aleman“ Fernandez mit Christian Gerber (Bandoneon) & Pablo Woiz (Piano) beim Contemporary Tango Festival CTF 2018 im Berliner Hbf (Dank an Thomas für die Bereitstellung & den Link):
Update 21.1.2020: Las Malenas (Paris): Malena
Update 21.7.2021: Conjunto Berretin – Malena
Rubén Juárez- Malena Improvisado
Tanzbeispiele
- Malena – Orquesta Anibal Troilo & Raul Berón – bailando de Pamela Ramos Aracena & Theddy Lizama
- Malena – Roberto Goyeneche – bailando de Noel Strazza & Pablo Pugliese
- Malena Fiamma Albieri – bailando de Monica y Nestor Castillo
- Malena – Pequeña Orquesta de Tango – bailando de María Martinez & Martín Soisa
Text
Der Text von Homero Manzi
Deutsche Übersetzung (und ein bischen was zur Legende)
Juan Amador – Malena en Inglés – eine lyrische Übersetzungs-Lesung
Weiter Infos zum Text: Auf Wikipedia – nur auf Spanisch
Trivia
- Der Film „Malena“ (unrelated) hat übrigens im Soundtrack auch sehr schöne Tango-tanzbare Lieder z.B. Cola von Lana del Rey.
- Quien es Malena? – Wer ist Malena?
- Almudena Grandes: Malena es un nombre de tango. Tusquets Editores, Barcelona 1994. ( Deutsche Ausgabe: Malena. Aus dem Spanischen übersetzt von Christian Rasche und Wanda S. Wild. Goldmann, München 1996, ISBN 3-442-43149-2) nimmt natürlich Bezug auf dieses Lied
Siehe auch hier im Blog:
Tango Argentino – allgemeine Infos über die Musik & vor allem den Tanz (work in progress)
El Choclo – ein Tango wird zur Legende: Alles nur Maiskolben
Orquesta Romantica Milonguera – Eine Liebesgeschichte in Musik
Tango-Legende Flaco Dany (81) in Darmstadt & Frankfurt
Alles andere als eindeutig: Über die Mehrdeutigkeit von Begriffen im Tango Argentino
#1 by Olli on 24. September 2019 - 9:17
Vielen Dank für die Zusammenstellung.
Demare war beim Label Odeón, Troilo bei RCA, die Plattenfirmen konkurrierten, nicht die Musiker, die meisten waren eng befreundet und arbeiteten zusammen.
Man kann die Versionen der 50er nicht mit denen der Vierziger vergleichen, das ist eine völlig andere Musik, in der Regel nicht mehr zum Tanzen bestimmt.
Berón sang erst in den 50ern bei Troilo vorher war er in anderen Orchestern.
Du könntest noch Versionen hinzufügen von:
Hugo Diaz (Mundharmonika)
Octeto Tibidabo
Juan Carlos Caceres
Liebe Grüße
Olli aus München
#2 by neunmalsechs on 27. September 2019 - 20:20
Hi Olli,
danke für die Info und deine Vorschläge (aufgenommen).
Berón & Troilo: Ich meine, ich hätte bei der Recherche Aufnahmen von beiden aus den 40ern gesehen. Habe da extra noch gesucht. Finde ich aber auf Anhieb nicht mehr. Wenn mir wieder über den Weg laufen sollte, kriegste ne E-Mail.
Liebe Grüße nach München
Carsten
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