Gastbeitrag von Irina Wartenpfuhl
Vor einer Weile kehrte mein zu dem Zeitpunkt 15jähriger Sohn von einem Auslandsaufenthalt in England zurück. Früh morgens verabschiedete er sich von seinen Freunden in seinem Internat in Dorset, reiste mehr als vier Stunden mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Heathrow, checkte dort ein, gab sein Gepäck auf, absolvierte Security, kaufte sich eine Cola und positionierte sich vor einer Anzeigetafel, um zu sehen, wann sein Gate für seinen Flug nach Frankfurt angeschlagen wird. Alles alleine, alles auf Englisch, alles am größten Flughafen Europas – alles entspannt und easy.
30 Minuten vor Abflug erhielt mein Sohn eine SMS von Lufthansa, sein Flug sei gecancelt. Daraufhin ging er zum nächsten Lufthansa Counter, um in Erfahrung zu bringen, wie es weitergeht. Vom ersten Lufthansa Counter wurde er zu einem anderen Counter geschickt… und dann zu einer weiteren Stelle – immer mit Wartezeit – bis man ihm nach Stunden schließlich mitteilte, er solle jetzt mal sein Gepäck abholen und den Security-Bereich verlassen, vielleicht könnten ihm die Lufthansa Kollegen draußen weiterhelfen.
(Inzwischen hatten wir natürlich bei Lufthansa in Frankfurt angerufen und gelernt: Lufthansa hilft dir nicht, interessiert sich nicht und bemüht sich nicht. Der O-Ton war: „Da kann man gar nichts machen, das ist alleine eine Sache von Heathrow.“ Ein einziges „Das tut uns leid“ hätte ehrlich gesagt in dem Moment auch schon ein bisschen geholfen).
Mein Sohn stand inzwischen mit seinem Gepäck in einer neuen Schlange an einem Lufthansa-Counter, als er plötzlich eine SMS von Lufthansa erhielt, er sei auf einen anderen Flug gebucht, Check in schon vorbei, Boarding in 20 Minuten. Also ging er an der langen Schlange genervter Lufthansa-Passagiere vor ihm vorbei, um sein Gepäck aufzugeben und den Flug noch zu erwischen. Beim Einchecken wird dann klar: Der Flug geht nicht nach Frankfurt, sondern nach Hamburg! Und das auch noch mit einem längeren Zwischenstopp in Zürich. Gelandet wäre mein Sohn nachts um 22.15 Uhr in Fuhlsbüttel – und das obwohl er schließlich nach Frankfurt reisen musste. Was soll denn ein 15jähriger Jugendliche, der in der Nähe von Frankfurt wohnt und deswegen nach Frankfurt fliegen soll, mitten in der Nacht in Fuhlsbüttel? Wie sollte er denn von da aus um diese Uhrzeit nach Frankfurt kommen?
Klugerweise weigerte sich mein Sohn diesen Flug anzutreten. Unfassbarerweise drängte ihn der Lufthansa-Mitarbeiter vor Ort einzuchecken und zu fliegen, aber mein 15Jähriger beharrte auf seinem Standpunkt („What am I supposed to do in Hamburg?“) und schleppte sich danach mit seinem kompletten Gepäck in den nächsten Costa’s Coffee um etwas zu essen und seine Situation zu überdenken (und mit uns zu telefonieren, wir hatten mittlerweile so etwas wie eine Standleitung). Inzwischen war er seit über 7 Stunden in Heathrow.
Im Folgenden versäumte die Lufthansa es weiterhin, sich in irgendeiner Weise um ihn zu kümmern: Ihm wurde keine Hilfe angeboten, keine Hotelübernachtung, keine Snacks, keine Empathie. Kurzum: Ein völliges Versagen auf ganzer Linie.
Mein Sohn hat sich dann selber und alleine eine Übernachtung über private Kontakte organisiert und kam statt Samstag nachmittags Sonntags abends spät an – mit einem Flug, den wir von Deutschland aus organsiert hatten, angeblich der erste verfügbare Flug an dem Wochenende von Heathrow nach Frankfurt. Insgesamt belief sich seine Verspätung auf 26 Stunden.
Als Eltern und Geschäftsleute ist es meinem Mann und mir absolut unbegreiflich, wie ein Unternehmen derart versagen kann. Ein Flug wird gecancelt – soweit, so alltäglich. Warum werden aber dann nicht automatisch Prozesse in Gang gesetzt, dass als allererstes die Minderjährigen außer Landes gebracht werden? Warum konnte nicht wenigstens ein Lufthansa-Mitarbeiter für die alleinreisenden Minderjährigen (bei diesem Flug waren es mindestens 5 Jugendliche) abgestellt werden, der sich um diese kümmert, ihnen zeigt, wo sie hingehen müssen, wie es weitergeht? Warum gibt es keine Verfahren für die Minderjährigen, die an dem Tag nicht mehr wegkommen? Und was sollte mein Kind in Hamburg?
All diese Fragen habe ich der Lufthansa gestellt und niemals eine Reaktion bekommen. Nachdem wir einen Anwalt eingeschaltet hatten, erhielten wir sehr schnell eine finanzielle Entschädigung. Auf die Beantwortung meiner Fragen warte ich seit vier Monaten.
Nachtrag Carsten Buchholz:
Drei Jahre sind seit meinem eigenen Beitrag Die unerträgliche Seichtigkeit des Lufthansa Kundenservice (2015) vergangen – geändert hat sich offensichtlich bei der Lufthansa nichts. Besser kann man eine fehlenden Willen (oder komplettes Management-Versagen) nicht belegen. Natürlich liegt das auch daran, dass Fliegen viel zu billig ist. Aber höhere Preise allein würden keine Verbesserung garantieren – hier handelt es sich um ein Beispiel von Marktversagen – unter dem wie immer die Schwachen einer Gesellschaft am meisten leiden, bei dem der Eingriff des Staates notwendig ist.
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