Zu seinem 25 Jubiläum erlebte das Neue Theater Höchst auch eine echte Premiere. Denn zum ersten Mal beehrte der Autor dieser Worte das besagt Theater, von dessen langjähriger Existenz er noch 24h vorher nicht einmal etwas ahnte. Nun weiß er es besser (man lernt nie aus, wenn man sich auf Neues einlässt!).
Angelockt hatte mich das Gerücht, der berüchtigte Zauberer “Gaston” sei dort zu sehen. Nun, das Gerücht stellte sich – nach hektischer Anreise (ein Vorstellungsbeginn um 20 Uhr kann für viel gefragte Projektfuzzis eine echte Herausforderung sein!) nach Höchst (wo liegt das eigentlich?) in die Emmerich-Josef-Straße (zum Glück gibt es Navis! Wie fand man sowas eigentlich früher?) – bei der just-in-time-Ankunft als richtig heraus.
Allerdings hatte die Sachen eine (ungeahnten) Haken – wie alle guten Dinge. Denn Gaston stand nicht allein auf der Bühne, sondern wurde durch ein nicht unumfangreiches Varieté-Programm eingerahmt. Ich will euch die Bilder und Assoziationen ersparen, die mir beim Wort “Varieté” durch den Kopf gehen, aber doch betonen, dass es, nun, nicht unbedingt meine Sparte ist.
Aber wer schon den Weg nach Höchst nicht gescheut hat, der wird sich auch von ein bisschen Varieté nicht schrecken lassen. Immerhin besser als Zirkus (da sind die Bänke unbequemer und es gibt keinen Wein).
Nachdem ich mich also mit einem guten Wein versorgt hatte, wagte ich den Schritt ins Theater und wurde gleich von richtig netter Live-Musik begrüßt. Zu Füßen der Band saß ein lustig drein blickender Kerl, der zur Musik mit dem Kopf wippte und gelegentlich Menschen zuwinkte, die er im Publikum entdeckte. Offensichtlich der Intendant oder sowas. Und dieser Kerl schickte sich dann auch an, uns herzlich zu begrüßen.
Nett von ihm. Als er dann auch noch anfing zu zaubern, schwante mir, das es gar nicht der Intendant war, sondern eben jener Gaston. Zugegeben, er hatte vom Aussehen wenig von einem Zauberer. Um die Nase herum erinnerte er mich vielleicht ein wenig an Gollum (siehe oben rechts), aber er hat definitiv nichts von Gandalf. Null Prozent. Naja, OK, die Haare werden langsam grau. Tun meine Barthaare aber auch.
Also dieser Gaston ist schon toll. Zaubern kann er und wer sich nicht auskennt mit Zauberern (wie ich), der würde ihn vielleicht mit anderen Zauberern in einen Topf werfen und denken, die seien alle so. Wie mir aber in der Regel gut informierte Kreise (zumindest was Zauberei anbetrifft) versicherten, dann sieht das, was er da macht, nicht nur richtig gut aus, sondern ist auch wirklich richtig gut.
Achtung: “würde” habe ich gesagt! Wers nicht glaubt: Drei Zeilen zurück und nachlesen! Denn selbst ein magischer Ignorant wie ich muss feststellen, dass dieser Gaston ein fantastischer Schauspieler ist. Einer der seine Rollen geschmeidig wechselt wie andere Leute ihre Taschentücher zur Herbstzzeit. Und so einen Lacher nach dem anderen hervorzaubern kann. Fantastisch und absolut sehenswert!
Aber wir sind ja im Varieté, also müssten doch auch noch andere Schausteller auftreten. Und wirklich: Mit seinen Darbietungen hat Gaston die anderen Akrobaten nur anmoderiert. Da war ein Mann, der hat auf Körperteilen gestanden, die nicht dafür gemacht sind, in Haltungen, für die der Körper nicht gemacht ist. Einer hat Bälle in die Luft geworfen. Und wieder aufgefangen. Ein anderer hat seine Freundin in die Luft geworfen. Und wieder aufgefangen. Einer hat auf beeindruckendste Weise mit seinem Stock herum gewirbelt. Zwei Frauen haben die Gardinenreinigung mit ihren Körpern an hängenden Gardinen vorgenommen – weit oben über der Bühne. Ein Mann hat sich im Ring gedreht. Zwei Gangster haben einen vertaschten Ermittler vermöbeltet und er sie.
OK, dass ist reichlich banal dargestellt. Gebe ich ja zu. Schließlich war ich ziemlich begeistert von der Show und da verdienen die Acts auch eine ordentliche Würdigung. Also nochmal.
Meine Damen und Herren, die Acts beim Varieté-Herbst zum 25jährigen des NTH waren:
- Sergey Timofeev mit atemberaubender Handstandequilibristik und Kontorsion.
- Pavel Roujilo mit wunderschöner Tempojonglage vereint mit Tanz und Musik.
- Chris und Iris mit köstlicher Beziehungs-Ganzkörperakrobatik – sie steht echt auf ihn! Trotz (oder wegen?) des Größenunterschiedes.
- Markus Furtner als “heißer” Latino-Macho mit zwei Extreme-Devilsticks. Cool.
- Das Duo High Society am Vertikaltuch – auch hier stehen die Frauen aufeinander. Im ursprünglichen Wortsinn.Und in Positionen, wo ich Knochen brechen, Muskeln zerren und Sehen habe reißen sehen – allerdings nur vor meinem inneren Auge.
- The Chicagos, Kaskadeure, die Handvoltigen, Stunts und Akrobatik in eine Gangsterstory verpacken. Eine Art Akrobatik-Oper, wobei die Akrobatik den Gesang ersetzt und wie bei der echten Oper die Handlung eigentlich nur Vorwand für die Show ist. Hieran werden besonders Jungen zwischen 6 und 14 ihre helle Freude haben. Mein Rat: Don`t try this at home!
- Und schließlich mein persönlicher Favorit: Herr Benedikt im Cyr Wheel. Die Schönheit der komplexen Physik der Rotation, Fliehkraft und Schwerkraft im fließenden Einklang mit Musik. Ein einziger Fluss von Bewegung und Anmut.
Mein Fazit: Ich habe viel gelernt an diesem Abend (abgefahrene Worte wie: Handstandequilibristik, Kontorsion, Handvoltigen und Cyr Wheel, die ich bestimmt geschickt an unpassenden Stellen in langweilige Unterhaltungen einfließen lassen kann) und werde mein Bild davon, was Varieté ist, wohl revidieren müssen. Was nicht heißt, dass ich jetzt zum Varieté-Fan werde und jedes Varieté toll finde. Aber dieses ist absolut klasse und sogar ausnahmsweise eine Fahrt nach Höchst wert. Ehrlich.
Und zwar nicht nur für Varieté-Neulinge wie mich, sondern auch für Menschen, die begeisterte Varieté-Freunde sind und schon einiges in dieser Hinsicht gesehen haben. Wie mir ebendiese begeistert versicherten.
Der Varieté-Herbst des NTH ist so noch bis zum 25. November zu sehen.Danach nie wieder!
Artisten-Infos (Warnung: Nicht alle der verlinkten Webseiten werden in Gestaltung und Inhalt der Show gerecht, die in Höchst auf der Bühne zu sehen war. Davon nicht abschrecken lassen.)
Foto-Nachweis – in der Reihenfolge des Auftretens: Gaston Portrait von Gaston, Sergey Timofeev (1) von Carsten Buchholz, Herr Benedikt von Birgit Rücker.
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