
Eine Demo-Anmeldung aus dem rechtsextremen Spektrum in Darmstadt am 11.9. – dem Tag der Brandnacht in Darmstadt. Ein Provokation, vor der ich schon 2016 gewarnt hatte, weil die Brandnacht in den Diskusen aus der Verstrickung der Einwohner:innen Darmstadt mit den Nazis herausgerissen wird und sie auch in dem üblichen Gedenken pauschal wie Opfer behandelt werden.
Zwei typische Reaktionen: Die Repäsentanten der Stadt denken über einen Verbotsantrag nach und die Zivilgesellschaft über eine Gegendemo.
Problem mit der ersten Idee: Das Rechtsamt (CDU) schätzte die Erfolgschancen eines Vorbotsantrages als gering ein. Denn das Demonstrationsrecht ist in Deutschland gut gegen staatlich Willkür geschützt. Was gut ist. Dennoch stellt OB Benz (SPD) als oberster Vertreter der Stadt den Antrag bei Gericht. Politisch kann ich das verstehen: Man kann ihm nicht vorwerfen, dass er es nicht versucht hätte. Nachteil: Das zuständige Gericht lehnt sowohl Verbotsantrag in zwei Instanzen ab – und die Stadt Darmstadt (also wir Steuerzahler:innen) müssen die Verfahrenskosten tragen. Die Demo aus dem rechtsextremen Spektrum (angemeldet von Thomas Bernt und Uwe Franke (Echo, 12.9.2025) darf stattfinden.
Naheliegend ist der Vergleich zum Darmstädter Reißer-Skandal im Jahr 2016: Damals hatte der Darmstädter Rechtsdezernent Rafael Reißer (CDU) versucht allen Frankfurter Fussballfans die Fahrt zu einem Spiel in Darmstadt zu untersagen. Weil er Randale befürchtete. Und war damit gescheitert. Damals war mein Urteil eindeutig: Hier ist staatliche Willkür am Werk – und es ist schlimm, das Reißer damals nicht daraus lernen wollte.
Dieses Mal ist die Lage eine andere: Nicht nur steht die CDU auf der anderen Seite, sondern der Verdacht ist naheliegend, dass die Demonstranten als Ziel haben, unsere gesamte demokratische Grundordnung zu zerstören und ihre Demo ein Mittel sein soll, für ihre Ziele zu werben.
Das Problem: Weil die beiden Institutionen, die uns theoretisch mit Informationen über solche Bestrebungen versorgen sollten (die Presse und der Verfassungsschutz), versagt haben. Der hessische Verfassungsschutz sympatisiert mit rechtsextremistischen Bewegungen – und die Lokalzeitung „Echo“ wußte nicht mehr zu berichten, als das ein „Rechter“ (was schon deswegen verharmlosend ist, da das auch die CDU einschließt) die Demo angemeldet habe (eine öffentliche Einschätzung erfolgte erst nach dem 11.9.). Die Lokalpresse ist auf dem rechten Auge blind – hat keine Ahnung, was in der Stadt passiert. Selbst die Veranstalter der Gegendemonstration waren besser informiert, wer dahinter steckte. Das ist traurig.
Erst hinterher informiert das Echo: „Thomas Bernt sowie einer seiner namentlich bekannten Unterstützer Uwe Franke sind nach eigenen Angaben aktiv im Protestbündnis „Gemeinsam für Deutschland“, das Beobachter als neues Bündnis innerhalb des Querdenker-Lagers einordnen. Das Bündnis soll zuletzt an mehreren rechten Demos teilgenommen haben, hauptsächlich in Frankfurt, aber auch bei der Reichsbürger-Demo in Weiterstadt.“ (Echo, 12.9.2025). Gerade die Reichsbürger-Connection wäre beim Verbotsantrag ein gutes – möglicherweise entscheidendes – Argument gewesen (denn Rechsbürger lehnen nicht nur die Bundesrepublik ab, sondern auch ihre Gesetze und sind für Gewalt und Putsch-Phantasien bekannt).
Vorläufiges Ergebnis: Die Demo der Rechtsextremen durfte stattfinden (ca. 20 Teilnehmer), eine Gegendemonstration mit 500-750 Teilnehmer:inne:n verhinderte jedoch, dasss sie ihr Ziel erreichte. Die Gegendemonstration erreicht, was über juristische Schritte nicht möglich war.
Nachspielzeit
Der Darmstädter Rechtsdezernent Wanderney legte nun Beschwerde bei der Kommunalaufsicht gegen den eigenen OB ein. Der OB ist sehr betroffen davon und sagt, er sei davon ausgegangen, das der Magistrat (dem beiden angehören) sich „einig ist in der Bekämpfung rechtsextremer Tendenzen. Dies umschließt auch die Ausschöpfung aller rechtsstaatlicher Möglichkeiten.“ (Quelle: Echo, 15.9.2025).
Meine spontane Reaktion: Ok, Wahlkampf-Vorgeplänkel für die Kommunalwahl 2026.
Doch nach etwas Nachdenken komme ich zu ein paar Leanings, die es Wert sind, aufgeschrieben zu werden:
1.) Eine Beschwerde des Rechtsdezernenten Wanderney gegen den eigenen OB bei der Kommunalaufsicht klingt zwar wie Wahlkampf, ist aber angesichts der Tatsache, dass hier möglicherweise Steuergeld verschwendet wurde (Darmstadt hat die Prozesskosten zu tragen) der korrekte Weg. Er hatte weder in Vorfeld dagegen polemisiert noch hinterher die Öffentlichkeit gesucht, sondern in einer persönlichen Erklärung sogar verkündet, das er das Ziel der OBs teilt, nur das Mittel für falsch hält.
2.) Der OB schafft es nicht, den eigenen Magistrat von seinen Methoden und Vorgehensweisen zu überzeugen. was aber notwenig ist, da er in der Stavo über keine eigene Mehrheit verfügt. Dennoch handelt er nun zum zweiten Mal wie ein Alleinherrscher und riskiert einen handlungsunfähigen Magistrat. Und wenn Benz sich erst über die jurisitische Prüfung seines Rechtsdezernenten hinweg setzt und jetzt beleidigt tut, ist das eher Leberwurst als professionell. Davon profitieren im Zweifel immer die Extremisten. Was wir statt dessen bräuchten, wäre ein OB, der es schafft, Konsenz zubilden. In Darmstadt nicht die Stärke der SPD – an solchem Verhalten war damals schon das Bündnis zwischen Grünen und der SPD gescheitert. History repeating?
3.) Die CDU hat (von Darmstadt über Hessen bis in die Bundesregierung) kein Rezept zur Bekämpfung des Rechtsextemismus. Während ihr rechter Rand mehr oder weniger offen mit den Nazis sympatisiert, ihre Vertreter (Merz, Spahn, Söder) gern auch mal deren Parolen kopieren (und verbreiten und die Unzufriendenheit der Menschen noch verstärken), starrt die Basis (inklusiv die Kommunalpolitik) auf die Ereignisse wie das Kaninchen auf die Schlange: Bewegungsunfähig. Weder Verbote noch Demonstartionen – liebe CDU, was dann tun? Die Beschwerde mag vom Verfahren her OK sein, aber gegen Nazis hilft sie definitiv nicht. Falsche Prioritäten hat der Herr Wanderney auf jeden Fall.
4.) Die wichtigste Lektion aber: Provokation ist die Methode der Nazis. Eine symbolische Anmeldung und 20 lächerliche Demonstranten – aber die Alpha-Tiere zweier demokratischer Parteien bekämpfen sich öffentlich. Benz und Wanderney sind willig in die Falle der Nazis getappt und haben sich selbst (ungestoppt von ihren Beratern und Parteien) zu nützlichen Idioten gemacht, statt miteinander zu reden und einen gemeinsamen Weg zu finden.
5.) Jenseits aller Diskussionen um die Lösungen der ökologischen, wirtschaftlichen, sozialen Probleme unserer Zeit ist die Bedrohung unserer Freiheit, Menschenrechte und Demokratie durch Anti-Demokraten, die hemmungslos bereit sind, jede Schwäche, jeden Dissenz und jede Krise für ihre Ziele zu nutzen, die wohl größte Herausforderung. Und wir können uns nicht auf die Institutionen verlassen, um davor geschützt zu werden.
Denn festzuhalten beibt: Die Gegendemonstrantion der Zivilgesellschaft hat den Aufmarsch der 20 Nazis günstiger und effektiver gestoppt, als die Juristerei. Die Nazis sind eine Minderheit in Deutschland und es sind wieder (wie 1933) eher die politischen und staatlichen Institutionen, die anfälliger sind für Nazi-Positionen und eine Machtübernahme, als die Bürger:innen.