Lange war ich nicht mehr im Theater in Darmstadt, obwohl ich seit meinem Studium ein Theater-Fan bin – durch meine Besuche im Stadttheater Konstanz (am eindrucksvollsten ist das Stück „Die Möve“ von Anton Tschechow in Ernnerung geblieben). Ich habe seit damals auch eine Inszenierung von „Warten auf Godot“ von Samuel Beckett im Kopf, die ich gern mal realisieren würde.
Mehr als andere Leidenschaften hat das Theater danach in meiner Aufmerksamkeit jedoch zu Leiden gehabt. Das lag an Dingen wie Familiengründung, der Konkurrenz zu meiner Leidenschaft Kino (die die Anspüche an das Theater massiv erhöht) und die Arbeit.
Erwähnenswert ist aus dieser Zeit eigentlich nur das Kleine Theater im Pförtnerhaus | Kindertheater München, dass es (erstaunlicherweise!) schaffte Otfried Preußlers „Der Räuber Hotzenplotz“ mit Dialogen zu inszenieren, die durch ihre Doppeldeutigkeit sowohl Kinderals auch begleitende Eltern perfekt unterhielten.
In diese Phase meines Lebens fällt auch der eindrückliche Film Being John Malkovich, der eine spannende Brücke zwischen meinen Leidenschaften Theater und Kino schafft.
Ab 2013 beschäftigte ich mich dann wieder mehr mit Theater, was hier zu Rezensionen von Anderwelt und Christian Wirmers „Leonce und Lena“ (eine unter dem Deckmantel harmloser Fröhlichkeit versteckte Polit-Satire) führte.
2015 bescherte mir das Theater dann ein großartiges Erlebnis: Mehr durch Zufall sah ich im Staatstheater Darmstadt eine Inszenierung der Büchner Bühne Riedstadt von Shakespeares „Hamlet“. Dieses Stück halte ich seither für das beste Theateraufführung, das ich je gesehen habe (und hoffe immer noch, eines Tages an eine Video-Aufzeichnung davon zu kommen). Hier eine ausführliche Rezension: Die Zeit ist aus den Fugen. Dreimal hab ich es mir angesehen und würde es jederzeit wieder tun. Genial.
Auch in 2015 habe ich das großartige Stück „Hexenjagd“ vom Arthur Miller im Theater Moller Haus gesehen und mich in die Diskussion zur die Promi-geschwängerten Datterich–Inszenierung mit Springer-Hetzer Döpfner eingemischt.
Danach sind jedoch zwei Dinge zusammen gekommen, die mich wieder vom Theater entfernt haben: Ich bin immer mehr meiner Tango-Argentino Leidenschaft erlegen. Und ich habe nur von wenigen Theaterstücken gehört, die mich wirklich interessiert hätten – jedenfalls nicht genug, um sie einer Tango-Tanzveranstaltung vorzuziehen. Und beides sind eben Veranstaltungen, die überwiegend Abends stattfinden.
Theater sah ich also für fast 10 Jahre nur noch von innen, wenn sie eine Tango-Milonga veranstalteten (wie das Staatstheater Wiesbaden, dass dort ab und an Live-Tango-Musik zum Tanzen zu Gast hat).
Also schon wieder eine lange Phase ohne Theater in meinem Leben. Das könnte sich nun diesen Herbst ändern.
Zum Einen inszeniert Theater Curioso ab 11. Oktober Die Tanzstunde – eine romantische Komödie von Mark St. Germain:
Ein berührendes und witziges Stück über ein ungleiches Paar, das nur mühsam denselben Takt halten kann. Eine Frau, die der Wahrheit nicht ins Gesicht sehen will, trifft auf einen Mann, der nicht lügen kann!
https://theatermollerhaus.de/production/die-tanzstunde/
Das klingt, als wenn ich da einiges aus meinen 10 Jahren Tango wiedersehen und reflektieren kann. Wie kann ich da widerstehen?
Und dann bringt die Büchner Bühne Riedstadt im November den „Woyzeck“ von Georg Büchner. Von und mit Christian Suhr, dem ich dort schon den Hamlet (s.o.) zu verdanken habe. Ein schwieriger Text um Wahn und Wahnsinn, dessen Inszenierung ein Stück Genie (und / oder Wahn) erfordern:
„Weißt Du auch, dass selbst der Geringste unter den Menschen so groß ist, dass das Leben noch viel zu kurz ist, um ihn lieben zu können?“
Büchner stellt diese Frage in seinem Lustspiel „Leonce und Lena“. Mit Woyzeck hat er einen solchen „Geringsten“ geschaffen.
Woyzeck, Soldat und Barbier, wird vom Hauptmann gedemütigt, vom Doktor für ein „wissenschaftliches Experiment“ missbraucht. Er tut es für Geld, das er Marie bringt, die ein Kind von ihm hat. Ist es wirklich von ihm? Woyzeck ist eifersüchtig auf den Tambourmajor, mit dem Marie ihn betrügt. Er versucht, sie zur Rede zu stellen und sich seinem Freund Andres mitzuteilen – doch niemand hört zu. Er beginnt, Stimmen zu hören.
https://buechnerbuehne.de/woyzeck/
Spannend auch- weil das darin enthaltene Thema Femizid inzwischen einen Stellenwert erhalten hat, der die Frage stellt, wie man damit (als Künstler und Publikum) in einem Stück von 1836 umgeht. Kenne den Text nur flüchtig, deshalb weiss ich nicht, was er zum Thema hergibt. Aber auch dran wird sich die Inszenierung messen lassen müssen.
Bin also sehr gespannt. Bisher nur ein Termin im Programm, ich hoffe, da bin ich da. Habe jedenfall wirklich mal wieder Lust auf Theater.
„Woyzeck lebt, wo der Hund begraben liegt, der Hund heißt Woyzeck. Auf seine Auferstehung warten wir mit Furcht und / oder Hoffnung, dass der Hund als Wolf wiederkehrt.“
Heiner Müller in seiner Dankesrede „Die Wunde Woyzeck“ zur Verleihung des Georg Büchner-Preises 1985.
Was soll nun das Theater?
Theater ist natürlich für jeden etwas anderes. Für mich ist es die intensivste Auseinandersetzung mit einem Thema oder einer Situation (nicht abstrakt, sondern von den vor mir agierenden Menschen). Auch weil die Ablenkung durch das Drumherum extrem reduziert ist (im Vergleich zum Kino, aber auch zur realen Welt) und damit das (nicht) gesprochene Wort in den maximalen Fokus rückt. Theater ist wie eine Lupe, die für 1-2 Stunden auf ein Thema und damit konfrontierte Menschen gerichtet wird. Im besten Fall ein Thema das mich interessiert und gesellschaftlich relevant ist.
Wenn es dann schlecht umgesetzt ist, sind es ein paar verschwendete Stunden.
Wenn es toll gemacht ist, dann ist es immer ein intellektuelles und emotionales Ereignis, das lange nachwirken kann.
P.S.: Falls die Büchner Bühne den Hamlet von damals wieder aufnehmen würde, wäre jetzt eine gute Zeit: Denn die Zeit ist mehr denn je aus den Fugen.