Umgang mit Eseln in Krisenzeiten

Immer wieder haben Stimmen aus meinem (weiteren) Umfeld und in den Medien letzten Tagen und Wochen argumentiert, dass die Beschränkung den Rechten zwecks Eindämmung des Corona-Virus die Freiheits- und Bürgerrechte, die uns das Grundgesetz garantiert, unzulässig einschränken – ja sogar zur vollständigen Abschaffung dieser Rechte führen könnten. Darunter auch Menschen, die ich schon lange aus ihrem Engagement für die Piratenpartei und / oder die Bürger- und Freiheitsrechte kenne und schätze. Aber auch von Menschen, denen diese Rechte bisher völlig egal und ein entsprechendes Engagement dafür nicht mal einen “Gefällt mir”-Klick beim Gesichtsbuch wert waren.

Und während ich bestimmten Politiker:innen (nicht allen!) durchaus zutraue, diese Rechte abschaffen – oder wenigstens stark einschränken – zu wollen, so kann ich das bisher nicht erkennen. Was mich jedoch (als Teilzeit-Verfassungs-Patriot) bewegt hat und tut, ist die Frage der Verfassungsmäßigkeit von bestimmten Maßnahmen.

Nun bin ich kein ausgebildeter Staatsrechtler, doch seit meinen Vorlesungen zum Thema damals an der Uni Konstanz habe ich viele Debatten und Verfassungsgerichtsentscheidungen mit Interesse verfolgt und bin mit dem Thema zumindest so vertraut, dass ich mir eine Meinung zutraue, die mir fundierter erscheint, als vieles, was ich derzeit auf Social Media Plattformen und in den Medien lese. Und zu ähnlichen Fragestellungen habe ich hier ja auch schon geschrieben (Hessentrojaner / Staatstrojaner, Platzverweise für Eintracht-Fans in Darmstadt).

Grundsätzlich ist die Freiheit der Person in Deutschland ein Grundrecht gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und in Art. 104 Grundgesetz noch einmal explizit spezifiziert.

Unzweifelhaft schränken die Regeln zu Eindämmung der Corona-Pandemie dieses Recht sehr grundsätzlich ein. Das ist verfassungsrechtlich höchstens zulässig, wenn es ein konkurrierendes (verfassungsrechtliches) Recht gibt. Moralisch würden wir sicher sagen, dass die Gesundheit und das Leben der Gefährdeten ein höheres Gut ist. Verfassungsrechtlich lässt sich das nicht direkt ableiten. Zwar könnte man das aus Artikel 1, Absatz 1 ableiten: “Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.” – aber darauf können sich auch die Freiheits-Freunde berufen – auch ihre Würde könnte durch die Beschränkungen angetastet sein.

Jedoch beinhaltet Artikel 1, Absatz 2 ein starkes Statement: “Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.”

Die Menschenrechte sind kein abstrakter Rechtsbegriff – diese sind in der Allgemeine Erklärung der Menschenrechte festgehalten, der Artikel 1, Absatz 2 zu Verfassungsrang verhilft. Und hier heißt es in Artikel 25:

Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen gewährleistet sowie das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität oder Verwitwung, im Alter sowie bei anderweitigem Verlust seiner Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände.

Nicht nur moralisch, sondern so auch verfassungsrechtlich sind also Freiheit (zur Mobilität) und das Recht auf Schutz vor Krankheit (sowie das Recht auf ärztliche Versorgung – was durch überfüllte Krankenhäuser ausgesetzt wäre) konkurrierende Rechte.

In einem solchen Fall muss das Verfassungsgericht abwägen, wie viel Einschränkung des jeweiligen Rechtes angemessen ist. Dabei kommt es nicht nur auf die Folgen an – sonst wäre der bei einer Sache mit möglicher Todesfolge das Ergebnis klar: Schutz des Lebens geht vor Bewegungs- und Versammlungsfreiheit. Sondern auch um die Wahrscheinlichkeit, betroffen zu sein. Bei Grippe – auch eine hoch ansteckende Infektionskrankheit – kann man sich durch eine Impfung selbst schützen. Der Autoverkehr ist auch potentiell tödlich – aber ihn grundsätzlich zu verbieten scheint unangemessen, angesichts der eher geringen Wahrscheinlichkeit, dadurch (unverschuldet) zu Tode zu kommen. Bei beiden wären daher Beschränkungen der Mobilität unangemessen.

Die Wahrscheinlichkeit an Corona zu erkranken ist dagegen vergleichsweise sehr hoch und damit auch die Zahl der zu erwartenden Todesfälle. Hinzu kommen die Todesfälle, die im Falle überfüllter Krankenhäuser zu erwarten sind, weil andere Krankheiten und Unfälle nicht mehr (angemessen) behandelt werden. Auch kann eine Corona-Infektion eine eigentlich harmlose Grippe-Infektion tödlich werden lassen.

Deshalb ist zu erwarten, dass wegen Corona grundsätzlich gewisse Freiheitsbeschränkungen zulässig wären. Doch sie müssen zusätzlich auch angemessen sein. Da der Virus vor allem (wenn nicht sogar fast ausschließlich) durch direkten Kontakt zwischen Menschen übertragen wird, die sich in direkter räumlicher Nähe oder gemeinsam in geschlossenen Räumen aufhalten, würde ich sagen, dass entsprechende Beschränkungen – auch das Verbot von Gottesdiensten, Demonstrationen Festen, ect. – zulässig sind. Nicht mit solchen Überlegungen vereinbar wäre dagegen den alleinigen Aufenthalt im Freien (z.B. das alleinige Sitzen auf einer Parkbank) – davon geht keinerlei Infektionsgefahr aus und es wäre somit nicht angemessen. Genau das gleiche gilt für eine allgemeine Ausgangssperre – durch das reine Verlassen das Hauses (z.B. durch Joggen, Hund ausführen) besteht noch keine Gefahr, jemanden anzustecken.

Verfassungsbeschwerde abgelehnt
Pro-Tipp: Bei verfassungsbeschwerden aufpassen bei der Auswahl des Anwaltes

Allerdings können die Bürger:innen selbst eine Situation, in der das Verfassungsgericht eine Ausgangssperre nicht ablehnen würde: Wenn nämlich nach Wochen der Kontaktsperre belegt werden kann, dass diese Aufgrund des Verhaltens einer Minderheit der Menschen nicht durchgesetzt werden kann (wie derzeit in Bayern). Dann könnten sich die Verfassungsrichter einer entsprechenden Sicht anschließen – weil das dann die einzige angemessene Reaktion sein könnte. Denn die Angemessenheit orientiert sich immer daran, ob sie geeignet ist, das Ziel zu erreichen.

Ein Grenzfall ist für mich das Reiseverbot, dass mancherorts gilt. Auch wenn die Absicht einer solchen Regel einsichtig ist (nämlich die geographische Ausbreitung des Virus zu begrenzen), ist der Verfassungs-rechtlich nicht so einfach. Denn die Reise an sich schafft in der Regel noch keine Situation, die Personen infizieren kann. Jedoch ist eine Reise fast immer mit Begegnungen mit anderen Personen verbunden – sei es geplant oder ungeplant (z.B. aus einer Notsituation heraus) und schafft damit ein unnötig erhöhtes Infektions-Risiko. Hier würde ich keine Abschätzung wagen, wie das Bundesverfassungsgericht (BVG) urteilen würde.

Ein anderer Grenzfall wäre eine Ausgangssperre danach wie groß das Risiko einer schweren Erkrankung oder des Todes ist. Zum Beispiel eine Ausgangssperre für alle Menschen über 70 Jahren. Man könnte das als notwendige Maßnahme rechtfertigen, um Gesundheit & Leben der Betroffenen zu schützen.

Auch wenn das jetzt sehr weicher juristischer Boden ist, auf den ich mich begebe: Ich glaube aus bisherigen Urteilen ableiten zu können, dass das das BVG nicht bereit wäre, eine selektive Einschränkung der Freiheitsrechte einer Gruppe zu akzeptieren, die ja Opfer der Krankheit wird und sie eben in der Regel nicht / kaum weitergibt. Das wäre im Sinne der oben genannten Angemessenheit nicht passend, um die Pandemie einzudämmen.

Erschwerend kommt hinzu, dass ja nicht nur die Älteren gefährdet sind, sondern vor allem Menschen die länger einer starken Luftverschmutzung ausgesetzt waren sowie allem Menschen mit gewissen Vorerkrankungen. Solange man also nicht alle Arbeiter aus Bergbau und Schwerindustrie plus alle Menschen mit relevanten Vorerkrankungen ebenfalls mit einer Ausgangssperre belegt, wäre das eine massive Diskriminierung aufgrund des Alters – das klingt kaum verfassungsgemäß, wenn daneben ein die Rechte geringer einschränkendes Kontaktverbot für Alle die Alternative ist.

Gesichts-Masken-Pflicht: Unter dem Aspekt, dass Gesichtsmasken zwar nur gering vor Ansteckung, aber doch relevant davor schützen, das Infizierte andere Menschen anstecken und vergleichsweise die Freiheiten nur gering einschränken,, kann ich mir nicht vorstellen, dass das BVG eine solche Pflicht verwerfen würde.

Dennoch glaube ich, dass eine solche Pflicht kontraproduktiv wäre, weil sie – wenn nicht aus Überzeugung gelebt – leicht und unkontrollierbar zu unterlaufen wäre b.z.w. viele Menschen aus Unwissenheit verleiten würde, wichtigere Sicherheitsmaßnahmen (Abstand, Hände waschen) zu vernachlässigen. Hier wäre eine gute Promi-Werbekampagne sicher viel hilfreicher.

Noch eine Nachbemerkung: Egal welche Sicht jemand zu Corona oder zu den Regeln und Gesetzen dazu einnimmt: Jede Person ist vom Staat (und allen seine Organen) nach den gleichen Maßstäben zu behandeln. Jede:r hat das (verfassungsgemäße) Recht, die Regeln und Gesetze auf den gesetzlichen Wegen auf Verfassungskonformität überprüfen zu lassen – ohne Repressalien oder Drohung fürchten zu müssen. Aber: Wer in diesen Zeiten öffentlich oder implizt zu Demonstrationen oder der Verletzung der Regeln aufruft, sollte wegen (versuchter) Körperverletzung angeklagt werden.

Nachbemerkung 2: Wenn die Conona-Pandemie einmal abgeklungen und / oder eine Impfstoff verfügbar ist, gehe ich davon aus, dass das BVG – wie in den letzten 52 Jahren meines Lebens – einer der entschiedensten und verlässligsten Verteidiger unserer verfassungsgemäßen Freiheits- und Bürgerrechte sein wird (jedenfalls mehr als jede Partei) und auch jetzige Verschärfungen zurückweisen wird, falls versucht wird, sie dauerhaft zu implementieren. Insofern halte ich jede Panik oder Angst hinsichtlich einer “Abschaffung der Demokratie” (wie es manche – ganz uneigennützig??? – schon proklamieren) für völlig überzogen.

Updates immer in meinem Corona-Lockdown Tagebuch.

Siehe auch: