Politik ist die Gestaltung unseres Lebens(raumes) in Abstimmung mit den Menschen um uns herum (mehr).
Symbolpolitik ist die Diskussion über bestimmte politische Ansichten anhand der persönlichen Positionierung zu Symbolen.
Symbolpolitik
- vereinfacht (stark): Sie reduziert komplexe politische Themen auf simple Positionen (meist: für oder gegen das Symbol)
- ist fast immer an Emotionen orientiert – nicht an (relevanten) Tatsachen und Fakten
- polarisiert – es gibt nur „dafür“ oder „dagegen“ (und verhindert so Differenzierung, Lösungen und / oder Kompromisse)
- ist unterhaltsam (aus den o.g. Gründen)
- wird daher gern von Populisten genutzt
- wird aber leider auch gern von Journalisten genutzt
- lenkt leider fast immer von den wirklich wichtigen Fragen und Diskussionen ab (weil plötzlich nicht mehr inhaltlich diskutiert wird)…
Ich hatte letztes Jahr bereits dazu geschrieben, als ein Fußballer erfolgreich dazu benutzt wurde, um von der schmutzigen Realität der deutschen (CDU- und SPD-) Außenpolitik abzulenken. Ich habe selbst (schuldig!) Carola Rackete benutzt, um mich mit Symbolpolitik zum Thema Seenotrettung zu positionieren.
Zu Greta habe ich mich bisher weder hier noch sonst auf Social Media wirklich ausführlicher geäußert. Denn auch wenn sie – wie übrigens viele Andere auch, die diese Aufmerksamkeit aber nicht bekommen – die Aufmerksamkeit auf ein wichtiges Thema gelenkt hat, sie wurde sofort zum Symbol stilisiert und die Diskussion hat sich auf dieses Symbol verlagert.
Wie konnte das passieren?
Erstens:
Die Presse – Klimawandel ist ein komplexes Thema und (wenn es nicht gerade konkret um Regen oder die bisher ja nur in Ansätzen zu sehenden katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels geht) sehr trocken. Theoretisch. Studien. Prognosen. Wissenschaft Wirtschaftsdaten. Da schalten die meisten ZuschauerInnen / LeserInnen schnell ab (TV / geistig). Greta war die Lösung: Ein Gesicht, eine Story, eine Behinderung, kluge und treffende Sound-Bites und nette Bilder. Und all die oben genannten Vorteile. Nach den Gesetzen des Marktes: Die Presse konnte gar nicht anders: Sie musste Greta zur Anführerin der Klimaproteste hochschreiben.
Zweitens:
Die Selbstgerechten – Alle jenen, die keine Verändungen wollen und (selbst mit indirekter) mit Kritik an ihrer Lebensweise nicht klar kommen, sind froh, wenn sie ein einfaches (uns vermeintlich schwaches) Feindbild finden können. Kritik an jeder Diskussion über Klimaschutz und Klimaveränderung auf ein Lästern / Hass auf ein kleines Mädchen reduzieren zu können, erspart ihnen die inhaltliche Auseinandersetzung und gibt ein wohltuendes Überlegenheitsgefühl. Natürlich steigen sie darauf ein.
Drittens:
Die „Friday-for-Future“-Bewegung – Leider sehnen sich auch im liberalen / progressiven / linken Spektrum immer noch viele Menschen nach Anführern und Idolen. Greta hat der Bewegung unbestreitbar zu mehr Bekanntheit und Polulrität verholfen. Das sie gefeiert wird, ist verständlich und menschlich, aber schadet letztlich den eigenen Zielen (s.u.).
Viertens:
Die Öffentlichkeit – also wir: Auch wir neigen dazu, mehr über Menschen zu grübeln, lesen, diskutieren, als über Themen, Theorien, Maßnahmen und Ziele. Wir belohnen die Presse, Social Media und die selbstgerechten, wenn wir klicken, lesen und über Greta diskutieren.
Was hat das für Auswirkungen?
Ablenkung. Ablenkung. Ablenkung. Jede Minute, die über Symbole nachgedacht, gelesen und diskutiert wird, ist Zeit- und Energie-Verschwendung. Zeit, die wir (in diesem Fall) nicht haben. Energie, die wir nicht verschwenden sollten.
Es bedeutet, dass die For-Profit-Lobbys länger mit ihren Verbrechen davon kommen, die Politik länger lavieren kann und das mehr Menschen (und Tiere) sterben müssen.
Was können wir tun?
Den Greta-Diskus nicht mitmachen. Weder für Greta – noch gegen sie. Denn all die oben genannten Ursachen sind auf unsere Mitwirkung angewiesen. Symbolpolitik funktioniert nur, weil / wenn wir uns darauf einlassen. Das bedeutet: Nicht klicken, nicht lesen, nicht dikutieren – wann immer es um Symbole geht. Auch E-Autos sind übrigens solche Symbole.
Wichtig ist:
- Diskurs über die Ursachen des Klimawandels
- Diskurs über die Verursacher des Kilmawandels
- Gesetzliche Maßnahmen zur schnellen Verringerung des CO2-Ausstoßes (Verbote, Anreize, Förderung, Bepreisungen und Besteuerung – was auch immer am wirksamsten ist)
- Verhaltensänderungen (Verzicht,
- Konsumboykotte (VW z.B. bewirbt – gegen jede Vernunft- in Social Media gerade aktiv Cabrio-SUVs)
- Wahlverhalten
All das ist wirklich wichtig, und zwar nicht als entweder-oder, sondern als sowohl-als-auch.
Und da würde wohl Greta sogar zustimmen. 😉
Update 30.9.2019 – weil das in der Diskussion über diesen Artikel auftauchte: Ich habe kein Problem damit, dass jemand ein Problem allgemein-verständlich und ggf. auch mal plakativ darstellt. Das ist noch keine Symbolpolitik. Die fängt für mich an, wenn die News lauten „xyz fährt im Segelboot nach abc.“ oder „xyz macht ein mürrisches Gesicht“ oder „xyz trägt Blaue Kleidung lang“ und dann darüber diskutiert (egal ob positiv oder negativ) wird. Dann wird es Symbolpolitik – und lenkt vom Thema ab.
Update 8.10,2019: Margarete Stokowski kommentiert im Spiegel zum gleichen Thema:
Perfekt kann man immer noch werden
Der ganze Kommentar: https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/selbstverstaendnis-und-vorbildfunktion-perfekt-kann-man-immer-noch-werden-a-1290514.html
Einzelne wie Greta Thunberg verkörpern Bewegungen – doch die Konzentration auf ihre Eigenschaften lenkt von Inhalten ab und hemmt andere in ihrem Engagement. Dabei muss man nicht perfekt sein, um politisch zu handeln.
#1 by Werner Nieke on 29. September 2019 - 13:38
Guilty as charged (ich). Habe mich von den Populisten auch provozieren lassen in der irrigen Annahme, man könne auch diese zu einem ernsthaften Diskurs bewegen. Kann man nicht, weil sie sich weder selbst bewegen und schon gar nicht bewegen lassen wollen. (Ich nenne sie „Betonköpfe“ in einem mir selbst ausnahmsweise auch zugestandenen Ausflug in den Populismus …).
Zeit- und Energieverschwendung, Du sagst es.