Ein Gastbeitrag von wesbound

23. August, 2017

Grundriss

Meine Erfahrungen zur Wohnungssituation für sogenannte “sozial Schwache”, zu denen ich aufgrund unvorhersehbarer Lebensereignisse seit 2008 gehöre – die Hoffnung ist nach wie vor, dass das nicht für den Rest meiner inzwischen sehr überschaubar gewordenen Lebensspanne so bleiben möge:

Es ist mir wichtig, folgende Erkenntnisse aus inzwischen zehn Jahren mehr oder weniger fortlaufender und seit 2015 nochmals und wieder intensivierter Wohnungssuche im am heißesten umkämpften Wohnungsmarkt der Bundesrepublik Deutschland zu teilen.

“Am stärksten umkämpfter Wohnungsmarkt” heißt konkret: Bayern, noch genauer: München und Umland und inzwischen ausgedehnt auf alle um München liegenden Landkreise Süddeutschlands. Das bedeutet aber auch: Nicht repräsentativ für die gesamte Republik, aber m.E. relevant genug für den gesamten deutschen Wohnungsmarkt dennoch, da sich Parallelen auch zu anderen Bundesländer finden lassen und nach meiner Einschätzung und Recherche sich die Situationen nur graduell unterscheiden.

Hindernis Anmeldung

Fangen wir mit dem scheinbar leichtesten Sachverhalt bürgerlicher “Bringschuld” an: Dem Eintrag im Melderegister.

Es gibt die Verpflichtung seitens der Meldebehörden nach §17 und $19 des Bundesmeldegesetzes, das Melderegister stets aktuell zu halten. Das bedeutet: Der oder die Wohnungssuchende hat sich bei Wohnungsverlust – z.B. durch Eigenbedarfskündigung seitens des Vermieters wie in meinem Fall – innerhalb von zwei Wochen bei der Gemeinde abzumelden. Und – und nun kommt schon ein erstes “Bonbon”: Den neuen Wohnsitz dort schriftlich zu hinterlegen – sofern vorhanden – und sich ebenfalls in diesem Zeitraum bei der Gemeinde des neuen Wohnsitzes auch wiederum anzumelden sowie deren Meldebestätigung bei der “scheidenden” Gemeinde vorzulegen.

Obdachloser

Obdachlosigkeit ist oft die Folge, wenn Menschen unter der Hoffnungslosigkeit zerbrechen.

Ein neuer Wohnsitz ist auch und z.B. die Unterbringung bei Verwandten oder guten Freunden, die einen vielleicht sogar mietkostenfrei für eine Weile aufzunehmen bereit sind. Wer über diesen Luxus nicht (mehr) verfügt, kann mit Hilfe der Caritas oder des Diakonischen Dienstes eine Meldeadresse beantragen, auch – und das betrifft sehr viele Menschen in diesem Land inzwischen, u.a. auch sehr viele Akademiker – wenn man nicht wirklich eine feste Bleibe hat, also obdachlos ist. Die Caritas oder der Diakonische Dienst können eine Meldeadresse für einen Wohnungssuchenden bereitstellen, so dass er oder sie Post erhalten und die Konsistenz des Melderegisters sowie Korrespondenz mit Behörden, Gläubigern usw. gewährleisten kann.

Oder man findet eben einen oder eine Wohnungsgeber*in, die einem auch schriftlich bestätigt, dass sie dem/der Wohnungssuchenden vorübergehend Unterkunft gewährt. Bußgeld bei “Versäumnis” – weil z.B. krank, dement, in einer stationären Einrichtung: 1000,- EUR. Erste “Überraschung” in meinem Fall: Die zuständige Einwohnermeldestelle hat sich mehrfach geweigert, mich dort anzumelden, obwohl ich die geforderte und von der Vermieterin unterschriebene “Wohnungsgeberbestätigung” vorgelegt habe. Die zuständige Meldestelle hat mir die Erteilung der Meldebestätigung – ohne Angabe sachlich zutreffender Gründe – verweigert. Stattdessen behaupteten sie das glatte Gegenteil: Dass ich diese Wohnungsgeberbestätigung nicht vorgelegt habe, obwohl ich persönlich einbestellt worden war und zu diesem Termin jenes Formular auch mit mir führte und vorlegte.

Die dortige Behörde hat mich also – m.E. völlig willkürlich – inkriminiert und so zum Tatbestand mindestens einer Ordnungswidrigkeit genötigt. Ob das häufiger so läuft, vermag ich noch nicht zu sagen, kann es aber aufgrund dieser Erfahrungen zumindest nicht ausschließen. Meine Nachforschungen haben ergeben, dass hier jede einzelne Meldestelle völlig frei und von jeglicher “höherer” Stelle unkontrolliert agieren kann. Die Gegenprobe bei einer anderen Meldebehörde ergab, dass die oben dokumentierte Handhabung nicht mit dem Gesetz im Einklang stünde

Was bei mir weitere Folgen hatte: Als ich dann schließlich eine dauerhafte Bleibe bei einem guten Freund gefunden hatte, bin ich mit der neuen Wohnungsgeberbestätigung zum zuständigen Einwohnermeldeamt gegangen. Dort erfuhr ich, dass ich wieder nicht in der Gemeinde angemeldet werden könne, da mein Verbleib während der vergangenen acht Wochen ungeklärt sei.

Es gelang mir schließlich – nur mit Hilfe in Aussicht gestellter Nötigungen meinerseits und unter einigem Schalldruck auf beiden Seiten – die Meldebestätigung schließlich noch im gleichen Termin zu erwirken. Andere Gemeindemitglieder mussten an diesem Tag unverrichteter Dinge und trotz Terminabsprache das Amt verlassen, da ich – aus reiner Notwehr um potentiellen Bußgeldforderungen zu entgehen – auf der Erfüllung und Bearbeitung meines legitimen Anliegens bestehen musste. Wer hier schon mental aussteigt: Kann man sich vorstellen, wie so etwas beispielsweise bei vorliegender Sprachbarriere läuft? Also wenn man unserer Muttersprache nicht mächtig ist? Aber das nur am Rande.

Wohnungssuche

In meinem E-Mail-Ordner zu diesem Thema befanden sich zeitweise mehrere hundert Nachrichten. Behalten habe ich immer nur meine ursprüngliche Kontaktaufnahme mit dem Vermieter bzw. – meistens – Makler*in und den jeweiligen Terminvorschlag zur Besichtigung – falls überhaupt Antwort kam.  Nach einer größeren “Aufräumaktion” befinden sich dort derzeit nur noch die zeitnächsten 92 Korrespondenzen, konkret also ca. 46 Objekte, die in den vergangenen 12 Monaten aufgelaufen sind.

Der Prozess läuft in der Regel so ab: Makler*in oder Hausverwaltungsgesellschaft schlagen einen Termin für die persönliche Besichtigung vor. Häufig – aber nicht immer – sind bereits im Vorfeld die nachzuweisenden bzw. mitzubringenden Unterlagen genannt. In der Regel sind dies die letzten drei Gehaltsnachweise – notabene: Gehalt, nicht etwa Honorar wie beispielsweise bei Erwerbstätigkeit als. Freiberufler -, (positive) Schufa-Auskunft, Mietschuldenfreiheitsbestätigung vom Vormieter, ggf. Bürgschaft.

Und das sind nur jene Vermittler, die sich tatsächlich an die gesetzlichen Bestimmungen halten. Alle anderen antworten entweder gar nicht oder – mit einer Absage – sehr verspätet, manchmal erst Wochen später. Viele Angebote sind oft nur für wenige Stunden und nur an einem Tag in den öffentlichen Suchportalen sichtbar, Stunden später dann bereits deaktiviert. Meine Vermutung hierzu: Die Wohnung war schon vorher unter der Hand vergeben, aber zur Wahrung des gesetzlich erforderlichen Anscheins schreibt man das Objekt halt einen (halben) Tag lang öffentlich aus.

Wie geht es nun weiter? Zum Besichtigungstermin fahren, häufig hunderte Kilometer weit. Dafür fallen natürlich ganz erhebliche Reisekosten an, die jemand, der gerade am absoluten Existenzminimum lebt, nur unter Verzicht auf andere elementare Lebensgrundlagen wie Nahrung und Gesundheit aufbringen kann. Zum Vergleich: Ein normales Bahnticket von einem ca. 120 km von München entfernt liegenden Ort kostet ohne Ermäßigung ca. 40,-; nach Abzug aller aus dem Regelssatz zu erbringenden eigenen Kosten wie Strom, Telefon, Haftpflichtversicherung, weitere Restversicherungen aus der Erwerbstätigkeit, Aufrechterhalten von Anwartschaften in der Rentenversicherung, Krankenversicherung sowie der Deckung weiterer Leistungslücken seitens der Versicherungssysteme verbleiben im Monat de facto zwischen 120,- und 150,-; 40,- zusätzlich sind da einfach nicht drin ohne zu hungern oder – den demütigenden Gang zu den “Tafeln” antreten zu müssen.

Besichtigungstermin

In und um München werde ich mit durchschnittlich 50 Mitbewerbern aufwärts – und das bedeutet bis zu 150 pro Objekt je nach Stadtviertel, von denen noch immer ca. durchschnittlich 20 – “etappenweise” – zum Termin eingeladen. Siehe auch die Einblicke, die Spiegel und wohnungsboerse.net  bieten.

Türspalt

Der Besichtigungstermin ist oft nur ein trügerischer Hoffnungsschimmer.

Ich erscheine natürlich gepflegt und im Vollbesitz der deutschen Muttersprache sowie möglichst sympathisch wirkend. Erfahrungsgemäß wirke ich “sympathisch”, wenn ich möglichst helle, saubere, frisch gebügelte oder gereinigte Kleidung trage, die Schuhe geputzt sind, ich auf jegliche Kopfbedeckung verzichte, nicht etwa nach Zigarettenrauch rieche sowie auch sonst olfaktorisch angenehm, aber unaufdringlich wirke, gute Laune zeige, nicht zu viele Rückfragen stelle usw.….

Der erste Schritt: Mieterselbstauskunftsformular in Empfang nehmen – oder besser: Der Profi bringt das ausgefüllte Formular bereits mit und gibt es beim Termin mit den anderen üblichen Unterlagen ab. Befragungen im Plenum sind brav zu beantworten. Besondere “Zugaben” sind es, wenn der potentielle Vermieter den Wohnungssuchenden in bedürftiger Lebenslage dabei z.B. Offenlegung der jeweiligen persönlichen Situation auf nötigt – inklusive der damit verbundenen Demütigung und Wertung mit Aussagen wie z.B. “wenn ich das gewusst hätte [die Bedürftigkeit], hätten Sie gar keinen Termin bekommen”.

Danach: Zurückfahren und geduldig auf Antwort warten. Die kommt dann irgendwann zwischen “am folgenden Tag” und “nie mehr was gehört”.

Aber nochmal: Kann man sich in etwa vorstellen, wie so etwas abläuft, wenn man beispielsweise als Geflüchteter hier landet, der Asylantrag wurde positiv beschieden – d.h. man darf auch offiziell bleiben, Arbeit aufnehmen und natürlich eine Wohnung suchen – und sich nun angesichts dieser Verhältnisse um das Auffinden einer dauerhaften Bleibe bemüht? Nur um die Chance auf ein halbwegs gleichberechtigtes Leben zu erhalten, das man in Würde führen darf? Ich kann mir das sehr gut vorstellen. Will es mir aber angesichts meiner Erfahrungen gar nicht ausmalen müssen….

 

Fazit

Die Wohnungssuche in Deutschland im Jahr 2017 scheint zu einer Art “casting show” geworden zu sein. Wer sich nicht gut verkauft oder mit schwierigen Lebensumständen konfrontiert ist, ist ganz schnell aus dem “Rennen”. Vielen Mitbewerbern in ähnlicher Lage bleibt dann nur das Obdachlosenheim – und da gibt es auch Anträge zu stellen und Wartezeiten zu überstehen – oder eben: Obdachlosigkeit. Und wer da mal “angekommen” ist, benötigt ein oder mehrere Wunder um ihr wieder zu entrinnen.

 


 

wesbound war bis 2008 in verschiedenen Positionen bei internationalen Medienkonzernen tätig, zuletzt vorwiegend Fachjournalist, Übersetzer und Autor. Eine lebenslang bestehende, nie korrekt diagnostizierte Erkrankung führte 2008 in die Erwerbsminderung. Seither hat er sich wieder mehr seiner ersten Leidenschaft, der Musik, zugewandt. Seine Musik kann man hier kaufen.

 

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Siehe auch:

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