Mein Sohn und ich haben neulich darüber diskutiert, in welchem Land die Regierung wohl am geneigtesten ist, ihre Bürger ins Gefängnis zu stecken. Dass die Türkei da aktuell gerade eine ungesunde Neigung entwickelt hat, stand außer Frage. Doch bei den beiden Großmächten USA und Russland, die ja immer noch als so etwas wie gesellschaftliche Gegenentwürfe angesehen werden (ohne es wirklich zu sein), waren wir unterschiedlicher Meinung. Zum Glück läßt sich so etwas heute ganz einfach klären. Und auf der Seite „Welt in Zahlen“ fanden wir eine Statistik, die tatsächlich die Gefängnis-Insassen pro 1.000 Einwohner als „Bestenliste“ präsentiert (Stand: 2007).
Das Ergebnis ist immerhin so spannend, das ich es einen kleinen Blog-Beitrag wert fand. Natürlich sind die Daten von 2007 nicht die aktuellsten. Weitere – aktuellere – Quellen – bestätigen die Grundtendenz (1,2). Aber ich habe leider keine andere, ebenso umfassende Darstellung gefunden, daher nehme ich sie als Basis für die Darstellung und aktualisiere ggf. unter den Bildern.
Zuerst einmal die Top-5 von 2007:
Die Werte für die USA (2017: 6,66) und Russland (2017: 4,36) sind seither gesunken. Die Sychellen haben mit 7,99 die USA auf Platz zwei verdrängt, die Zahlen von Turkmenistan, El Salvador und Kuba sind über 5,00 gestiegen sodass Russland jetzt nur auf Platz 6 steht.
Von Surinam hatten wir schon mal gehört, mussten aber tatsächlich erst mal nachschauen, was das ist und wo denn das liegt.
Zum Vergleich dazu der Bereich der Liste, in der Deutschland rangiert:
Die Zahl für Deutschland lag 2015 bei 0,76, die Entwicklung dürfte für viele andere Länder ähnlich verlaufen. Die Zahlen für die Türkei spiegeln natürlich die Situation der Vor-Ergogan-Aera wieder – sie dürften sich derzeit drastisch verändern.
Weitere interessante Länder (alle Stand 2007):
Platz | Land | Gefängnis-Insassen pro 1.000 Einwohner |
15 | Singapur (Asien) | 3,82 |
48 | Brasilien (Südamerika) | 1,79 |
72 | Grossbritannien (Europa) | 1,38 |
82 | China (Asien) | 1,20 |
98 | Saudi-Arabien (Asien) | 1,03 |
Natürlich sind die Gründe für diese Zahlen sehr vielfältig (Armut, Kriminalität, Rechtssystem, Demokratie vs. Diktatur, autoritärer vs. liberaler Staat, usw.) und manche Zahlen werden auch etwas „geschönt“ sein. Aber trotzdem fallen ein paar spannende Punkte auf:
- Keines der eher „linken“ Erklärungsmuster (Armut/Wirtschaftssystem, Kriminalität, Rechtssystem, Demokratie vs. Diktatur, autoritärer vs. liberaler Staat) scheint in irgendeiner Weise dominant zu sein.
- Keines der eher „rechten“ Erklärungsmuster (Rasse, Herkunft, Religion, Kultur, „Zivilisation“) scheint in irgendeiner Weise relevant zu sein.
- Es gibt einen Dimensionsunterschied zwischen einer sehr kleinen Gruppe von Staaten mit sehr hohen Gefangenenzahlen und dem Welt-Durchschnitt
- Ein Gefängnis-Insasse pro 1.000 Einwohner scheint ungefähr das zivilisatorische Niveau zu sein, die die menschliche Rasse bisher fähig ist (über alle Kriterien, Datenfehler und Schwankungen hinweg)
- Die EU-Gründungs-Staaten liegen relativ eng zusammen in der relativen Nähe zu diesen Wert
- Die Vor-Erdogan-Türkei war gut dabei (dass der 2007er-Wert exakt identisch zu Deutschland ist, ist schon wieder skurril)
- Die EU-Neustaaten streuen stärker um diesen Wert
- Die Skandinavier machen auch hier (mal wieder) etwas richtig.
- Eine gewissen Korrelation mit der Lebenserwartung ist durchaus zu beobachten
Diese Auffälligkeiten schreien natürlich nach einer weiteren (wissenschaftlichen) Analyse. Die ich hier nicht leisten kann. Aber ich möchte eine These in den Raum stellen:
Die relative Gefangenenzahl ist ein guter Indikator für den gesellschaftlichen Zusammenhalt eines Landes über alle aktuen Probleme hinweg. Auch eine Diktatur oder ein ungerechtes Wirtschaftssystem kann (potentiell!) mit einem durch einen gesellschaftlichen Zusammenhalt ge-/er-tragen werden, wo hingegen auch in einer Demokratie oder einer egalitären Wirtschaft die Gesellschaft dramatisch auseinander laufen kann.
Oder kurz: Bei den Top-Staaten der Liste sehe ich eine akute Gefahr, dass diese Staaten zer- oder auseinanderbrechen.
Was dadurch, dass zwei Atomwaffen besitzende Supermächte dabei sind, nicht unbedingt beruhigend ist. Wobei die Tatsache, dass zumindest bei den Supermächten die Werte in den letzten zehn Jahren gesunken sind, das etwas abmildert.
Eure Meinung?
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#1 by Werner on 13. April 2017 - 14:05
Hm. Spannend. Was Deine These zum gesellschaftlichen Zusammenhalt anbelangt: Ich denke, da wäre ein geeigneter Ansatzpunkt, die Analyse zu vertiefen bzw. mal zu fragen, worin und wie gesellschaftlicher Zusammenhalt – wenn nicht durch Wohlstand, Rechtssystem usw. – begründet ist. Dazu können Soziologen vielleicht ‚was sagen. (Aber ich kann die Analyse auch nicht fortführen.)
Meine Meinung über die USA hat sich in den vergangenen 10-15 Jahren dramatisch geändert. Als beruflich Reisender oder Urlauber finde ich es zwar nach wie vor ein interessantes Reiseziel. Aber dort leben? Nur, wenn man es irgendwie schafft, auf Anhieb einen gut bezahlten Job in der Kategorie „gut situierte/obere Mittelschicht“ zu landen. Ansonsten denke ich, dass dort zu leben ein ziemlicher Albtraum sein kann. Das ist natürlich etwas übergeneralisiert. Es gibt auch hierzulande Ghettos, in die nicht mal mehr die Polizei einen Fuß setzt. Das liest man und hört man zwar nicht so häufig wie die Selbstbeweihräucherung zur guten Wirtschaftslage. Aber es gibt sie offenbar, also sog. „no go areas“.
Ich denke schon, dass wirtschaftlicher Wohlstand, eine gewisse Absicherung usw. den Zusammenhalt zumindest günstig beeinflusst. Man sieht zwar derzeit an der Migrationssituation, dass das kein Garant für den Zusammenhalt ist. Aber wirtschaftlich einigermassen abgesichert zu sein- oder sich wenigstens so fühlen zu dürfen – scheint die Menschen im allgemeinen schon etwas entspannter zu machen. My 2 cents und weil Du danach gefragt hattest 🙂