Update 14.7.2016: Washington Post – Kommentar von Anne Applebaum:  New cabinet may signal Britain’s retreat as a Western power (man muss eine E-Mail Adresse angeben, um den Artikel lesen zu können):

Theresa May’s first set of appointments — Liam Fox will become minister for international trade, David Davis will run the exit negotiations, and Boris Johnson will be foreign secretary — make a lot of sense. She has put hard-line Brexit proponents in charge of negotiating Britain’s retreat from European politics. It will be impossible, from now on, for anyone to argue that voters were cheated. If these three men can’t manage the United Kingdom’s divorce proceedings, then nobody can.

[…]

But May’s choices also suggest a more profound change, visible for some time but only just now swimming into focus: Britain, or at least Tory Britain, no longer aspires to be a leading Western power.

 

Update 10.7.2016: Financial Times: Brexcuses – if Brexit goes bad

 

Travolta misses GBDer mehrheitliche Rückfall der Briten in den Nationalismus macht mich betroffen und traurig.

Ich gehöre zu Leuten, die nicht nur als überzeugter Internationalist, sondern (durch Beziehung und Freundschaften) auch persönlich vom Brexit betroffen sind.

Doch statt jetzt in Trotz zu verfallen (OK, eine Ausnahme: EM) lässt sich aus dieser Krise viel lernen und vielleicht sogar die Chance kreieren, ein neues, besseres Europa zu bauen. Denn überall um mich herum habe ich in den letzten Tagen erstaunliche (und emotionale) Bekenntnisse zur Idee der europäischen Einigung gehört. Bekenntnisse, die im drögen EU- Alltag untergehen. Und diese Menschen sehen in der EU zwar nichts Schönes und Ideales, aber doch wenigstens ein real-exitierendes, praktisches Instrument zur Erreichung einer solchen Einigung.

Doch bevor es dazu kommen kann, gibt es einiges zu verstehen und zu lernen. Dazu einige persönliche Überlegungen von mir und reichlich Links zu vertiefenden Infos. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit und letzte Weisheit. Ausgespeicherte Überlegungen halt. Kommentare gern gesehen.

Und da die Lage zwar hoffnungslos, aber nicht ernst ist, soll hier auch der Humor nicht zu kurz kommen.

Was antwortet ein englischer Nationalist, wenn ein französischer Fan befürchtet, gegen Island aus der EM auszuscheiden?
“Britain first!”

1.) Leanings

  • Demokratie funktioniert. Auch wenn das Ergebnis mir und vielen anderen nicht gefällt: Gegen alle Verschwörungstheorien (nach denen Wahlen und Umfragen eh manipuliert seien) und Behauptungen, dass man politisch gegen die Eliten (angeblich) nichts erreichen könne, wurde eindrucksvoll widerlegt. Ja, vielleicht ist das nicht das optimale Ergebnis. Doch mit jeder anderen bisher erprobten Regierungsform wäre so was wie die EU nie zustande gekommen. Keiner hat versprochen, das Demokratie immer zu (theoretisch) optimalen Ergebnis führt – aber das tun andere Staatsformen auch nicht.
  • Einige englische WählerInnen, die mit ihrer Stimmabgabe einfach nur “denen da oben” eins auswischen wollten und den Brexit eigentlich gar nicht wollen, mussten feststellen, dass man sich mit einer “Protestwahl” so richtig ins Bein schießen kann. Siehe auch: Adam is “worried” now. Vielleicht lernen ja auch in Deutschland ein paar AfD WählerInnen daraus. Wäre jedenfalls zu hoffen.
  • Klick für größere Variante

    Wie die US Republikaner mit Trump mussten jetzt auch die britischen Konservativen lernen, dass eine auf Machterhalt ausgelegte Schuld-Rhetorik  eine Dynamik in Gang setzen kann, die sich nicht mehr einfangen lässt. Schuld am Ergebnis ist die jahrelange Hetze (vor allem: konservativer) Politiker und (Boulevard-) Presse gegen die EU. Das hinterlässt tiefe, emotionale Abneigungen, die durch rationale Argumente kaum noch zu korrigieren sind. Ich habe zwar wenig Hoffnung, dass Seehofer und Springers Hetzblatt etwas daraus lernen, aber vielleicht ein Paar von Seehofers Parteifreunden und die Anzeigenkunden des Hetzblattes.

  • Interessant wäre mal die Rolle des australischen Murdoch-Konzerns näher zu beleuchten, der nicht nur hinten vielen britischen (gegen die EU hetzenden) Boulevard-Zeitungen steckt, sondern dem auch der US Sender Fox News gehört, dem die Republikener blind folgen und der wesentlich zum Aufstieg Trumps beigetragen hat. In Deutschland gehört dem Murdoch Konzern übrigens u.a. der Pay-TV-Sender Sky.
  • Die EU Länder können aus dem Brexit lernen, dass individuelle Zugeständnisse auf Dauer nicht dazu führen, dass ein Land in der EU bleibt, sondern nur dazu, dass immer mehr gefordert wird bis dann doch der Austritt folgt. Zeit solche Sondernummer abzuschaffen. Sei helfen nicht, sie schaden nur.
  • Altersverteilung Brexit-Vote

    Klicken für große Ansicht

    Entschieden haben die Abstimmung die Briten über 65 Jahre: Nur dort gab es eine klare Mehrheit für den Brexit (siehe rechts). Die je jünger die Engländer und Waliser desto nur Pro-Europäischer und auch Pro-EU (Details: Süddeutsche Zeitung).

  • Nun haben einige geschrieben, die Alten hätten den Jungen die Zukunft geklaut. Was aber nur stimmen würde, wenn die Wahlbeteiligung etwa gleich verteilt wäre. War sie aber nicht. Wie man in der folgenden Graphik sehen kann, war die Wahlbeteiliung der jungen (pro-Europäischen) Leute nicht mal halb so hoch wir die der älteren Leute: Erstaunliche 83% der über 65-jährigen sind zur Abstimmung gegangen, während gerade mal 36% der 18-24-jährigen zur Abstimmung gingen. Eine Folge davon, dass immer mehr Menschen behaupten, Wahlen würden nichts verändern. Das wäre hiermit eindrucksvoll widerlegt.
Wahlbeteiligung bei der Brexit-Abstimmung

Wahlbeteiligung bei der Brexit-Abstimmung

 

Unbalanced view on migration - white supremacy?

Immerhin ist der britische Plan zur EU, den die Sendung Yes Minister zwischen 1980 und 1988 aufdeckte, nun fehlgeschlagen.

Sehenswert zum Thema auch das Video des “Reporters” Jonathan Pie :

2.) Wie geht es weiter?

Cameron: Human DesasterDie Abstimmung war nicht einfach eine Entscheidung – sie hat eine Reihe Entwicklungen ausgelöst, die jetzt erst beginnen

Austrittsverhandlungen: Die britischen Konservativen  sind schon am bremsen. Premier Camon will sein Amt erst im Oktober abgeben – erst dann will er die Austrittsverhandlungen beginnen lassen. Auch werden jetzt von einigen Seiten Überlegungen angestellt, wie der Brexit noch zu stoppen ist – denn rechtlich bindend für die britische Regierung ist die Abstimmung nicht (neues Referendum, Verschleppung) .  Klug wäre das nicht. Diese schöne Statement von Marina Weissbrand fasst das gut zusammen:

Ich bin gerade angegruselt, wenn ich zusehe, wie mit dem #Brexit etwas passiert, was in dieser Konsequenz fast keiner wollte, offenbar einschließlich der größten Hetzer für diese Sache. Wie viele haben aus reinem Protest für “Leave” gestimmt, um es “denen da oben mal zu zeigen” und einen Warnschuss zu geben. Wie viele sagen jetzt entsetzt in Kameras, dass sie nicht dachten, “dass meine Stimme zählt”.
Jetzt wollen viele ein zweites Referendum und sogar Johnson fängt schon an, von “no rush” zu sprechen.
Aber die Wahrheit ist, dass wir das jetzt durchziehen müssen. Obwohl alle erschrocken sind; obwohl alle verlieren. Wir würden noch mehr verlieren, wenn wir aus demokratischen Entscheidungen eine Spielveranstaltung machen würden, bei der es nicht wirklich um etwas geht.
Verantwortung lernt man nur, wenn man Verantwortung trägt. Wenn wir nicht wollen, dass morgen Leute schockiert sagen, dass sie nicht dachten, dass ihre Stimme Einfluss haben würde, dann müssen wir ihrer Stimme heute Einfluss geben. Auch wenn es wehtut.

Zustimmung. Auch die Regierungen von Frankreich scheint das so zu sehen. Die Süddeutsche Zeitung berichtet über Merkels Position.

 

3.) Roll Back?

Es gibt auch Stimmen, die hoffen, dass der Brexit noch zu verhindern ist. Oder wie dieser Beitrag im Independent, der voraussagt, kein Regierungschef würde den Austritt tatsächlich wagen. Jedoch:

Dann werden sich die WählerInnen vollkommen betrogen vorkommen und den Glauben an die Demokratie verlieren. PolitikerInnen wären zukünftig völlig unglaubwürdig. Sie werden – zu Recht! – den Verschwörungstheoretikern glauben und nächstes Mal Faschisten wählen. Es wäre das – zu Recht – Ende der Demokratie in Wales und England.

Man kann auch nicht die Abstimmung so oft wiederholen lassen, bis einem das Ergebnis passt, wie eine Online-Petiton fordert. Die Fakten lagen auf dem Tisch, die Diskussion lief seit Jahren.

Brexit Abstimmungs-Ergebnisse nach Regionen

Eine neue Abstimmung wäre nur möglich, wenn es tatsächlich neue Fakten gibt. Und dann müsste sie von den derzeitigen Gewinnern initiiert werden. Möglich wäre das z.B., wenn der Austritt nach §50 EU-Vertrag fertig verhandelt ist – dann könnte der britische Regierungschef dieses Ergebnis dem Volk zur Abstimmung vorlegen und die Britten könnten entscheiden, ob sie zu diesen Bedingungen die EU verlassen wollen, oder doch lieber drin bleiben.

Eine andere Alternative wären natürlich Neuwahlen. Wenn die Opposition diese mit einer klaren Pro-EU Kampagne gewänne, dann könnte sie das als Meinungsumschwung  darstellen. Ich glaube aber nicht, dass die Labour Party dazu in der Lage ist.

Aber zunächst ist der Auftrag der Bevölkerung sehr klar: Den Austritt aus der EU nach §50 EU-Vertrag erklären und Austrittsverhandlungen beginnen. Das ist der Kern von direkter Demokratie.

Im Gegensatz dazu stehen alle Versuche, das zu verhindern oder zu verzögern. Die Tagespresse karikiert das hervorragend: „Nichts überstürzen“: England will vorerst weiter bei EM mitspielen

4.) Zerfall des United Kingdom?

Vor zwei jahren hatten die pro-europäischen Schotten in einer ähnlichen Abstimmung dafür entscheiden, Teil von Groß Britanien zu bleiben. Unter der Annahme, das Groß Britanien in der EU bleibt. Nun haben die Schotten mit großer Mehrheit für den Verbleib in der EU gestimmt, wurde jedoch von Wales und England überstimmt. Schottlands Nationalpartei SNP, die mit absoluter Mehrheit regiert, angekündigt, dass Schottland sich zur Wehr setzen werde, wenn es gegen seinen Willen aus der EU herausgerissen werde.  Das gibt den schottischen Speratisten neuen Auftrieb und die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeonhat sogleich angekündig, nun ein neues Unabhängigkeitsreferendum zu starten – was von ihrem Kabinet einen Tag später bestätigt wurde.

Einer neuen Umfrage zufolge sprechen sich schon jetzt fast 60 Prozent für die Trennung von Großbritannien aus.

Quelle: Spiegel Online

In Nordirland, wo ebenfalls eine Mehrheit für den EU-Verbleib gestimmt hatte, riefen Nationalisten zu einem eigenen Referendum für eine Wiedervereinigung mit dem EU-Staat Irland auf. Wie die nordirische Postbehörde am Samstag mitteilte, stieg zudem das Interesse am Antrag für die irische Staatsbürgerschaft. Die meisten Nordiren können Anspruch auf einen irischen Pass erheben.

Und Achtung – jetzt wirds ganz verrückt: Sogar walisische Nationalisten wollen Sich nun von Grossbritanien abspalten:

Plaid Cymru leader Leanne Wood says her party must now campaign for Welsh independence, rather than be part of a UK outside the European Union.[…] Leanne Wood argues that the vote to leave the European Union has “changed everything”. She argues that as Scotland and Northern Ireland could leave the UK, Wales must not become what she calls “a forgotten part of a right wing England and Wales”.

berichtet der Sender ITV nach einem Exklusiv-Interview.

 

Abnehmerländer von Exporten aus Grossbritannien5.) Rezession in Großbritannien?

Was bedeutet das wirtschaftlich für Großbritannien?

  1. Wenn in ca. zwei Jahren der finale Austritt erfolgt, schließt sich vermutlich der EU Binnenmarkt für britische Exporte. Natürlich kann weiter aus England importiert werden – aber es gelten die gleichen Handesbeschränkungen und Zölle wie für Unternehmen außerhalb der EU. Außerdem müssen britische Unternehmen müssen bei Ausschreibungen in der EU nicht mehr informiert und berücksichtigt werden. Das wird auf jeden Fall für einen Rückgang der Exporte sorgen und damit vermutlich für Arbeitsplatzverluste, wenn nicht sogar Bankrotte in den entsprechenden Industrien.
  2. Unternehmen, die existenziell auf den europäischen Binnenmarkt angewiesen sind, werden ihren Sitz in die EU verlagern. Das sind vor allem Banken und US-amerikanische (Handels-) Unternehmen, die derzeit in Großbritannien sitzen, weil für die die Kombination Binnenmarkt und englische Sprache attraktiv ist.
  3. Die derzeitige Abwertung des Pfund hat zwei Effekte: Einerseits macht sie britische Exporte für die EU Staaten attraktiver, andererseits verteuert es Importe aus der EU. Die Wirkung ist jedoch kurzfristig. Über die weitere Entwicklung des Pfund möchte ich nicht spekulieren, da sie von zu vielen Faktoren abhängt.
  4. Gleichzeitig wird die Trennung vom Binnenmarkt die Konkurrenz für britische Firmen verringern. Firmen, die in Großbritannien produzieren, nicht auf Zulieferungen aus der EU angewiesen sind und vor allem in Großbritannien verkaufen, werden sicher profitieren. Dadurch können auch zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. Andererseits werden sich die Preise vermutlich erhöhen, sodass die Verbraucher vermutlich darunter leiden werden.
  5. Britische Banken fallen nicht mehr unter Rettungsschirme der EU – wenn sie jetzt Mist bauen (z.B. faule Kredite vergeben), tragen die britischen BürgerInnen das Risiko alleine. Aber so etwas würden britische Banken natürlich nie tun.

 

Rinderwahn & Brexit - ein Zusammenhang?

Rinderwahn & Brexit – ein Zusammenhang?

Meine Einschätzung ist, dass Großbritannien einen ernsthafte wirtschaftlich Delle erleben wird. Hier eine Betrachtung der Felder, in denen Großbritannien derzeit international wirtschaftlich erfolgreich tätig ist:

  • Das Feld Finanzwirtschaft wird durch den EU Austritt stark getroffen. Denn er lebt zu einem nicht geringe Anteil vom Verkauf von EU-regulierten Finanzprodukten in die EU. Das wird sich in einer Verlagerung von qualifizierten Arbeitsplätzen auswirken – sowohl im Bereich Banking als auch in der IT (Datenschutz).
  • Der Bildungsbereich – der vor allem mit Asien Geschäft macht – wird zwar zunächst nicht beim Absatz betroffen sein, aber es wird ein massives Fachkräfte Problem geben. Derzeit kommen ca. 50% der qualifizierten Uni-Dozenten Großbritanniens aus anderen EU Ländern. Diese Fachkräfte (vor allem die besten von ihnen) zu halten und Neue anzuwerben, wird deutlich schwierig werden, da Großbritannien nun (auch durch den jetzt spürbar werdenden nationalistischen Rassismus) durch die fehlende Freizügigkeit deutlich unattraktiver wird. Langfristig wird das auch Auswirkungen auf die Qualität und Akzeptanz der Bildungs-Angebote haben.
  • Innerhalb des industriellen Sektors stellt die Automobilindustrie den größten Anteil, wenn auch alle großen Unternehmen mittlerweile in ausländischer Hand sind. Fünf von sechs im Land hergestellten Autos werden exportiert.
  • Mehrere große Unternehmen sind in der Schienenfahrzeugbranche tätig. Für sie wird die Beteiligung an EU-Ausschreibungen schwieriger.
  • Für die Unternehmen im Zivilluftfahrt- und Rüstungsbereich werden sich die Auswirkungen wohl eher in Grenzen halten – ihr Geschäft ist global und die Konkurrenz gering (Oligopole).
  • Ebenfalls wichtige Zweige des Industriesektors sind Elektronik sowie Audio- und Optikgeräte. Diese im Vereinigten Königreich vertretenen ausländische Unternehmungen stellen eine breite Palette von Fernsehern, Radios, Kommunikationsgeräten, optischen Instrumenten, Elektrogeräten, Büromaschinen und Computer her. Für sie dürfte die EU ein sehr wichtiger Absatzmarkt sein, insbesondere da sie heutzutage überwiegend asiatische Bauteile zusammensetzen und veredeln. Sie werden sicher über Töchter in der EU oder Standortverlagerungen nachdenken und bis Klarheit über Details des EU Austritt herrscht, ihre Investitionen erst einmal zurückfahren.
  • Ein wichtiges Standbein ist die chemische und insbesondere die pharmazeutische Industrie. Das zweit- und das drittgrößte Pharmaunternehmen der Welt haben ihren Hauptsitz im Vereinigten Königreich und betreiben hier auch umfangreiche Forschungs- und Fabrikationsanlagen. Auch sei werden Lösungen suchen, die ihnen eine einfachen Zugang zum Binnemarkt erhalten. Das wird sich zunächst in gebremsten Investionen und später in Standortentscheidungen niederschlagen.

Kurzfristig bedeutet das einiges an Veränderung für die britische Wirtschaft. Nicht auszuschließen, dass ausgerechnet die, die Altersgruppen, mehrheitlich für den Brexit gestimmt haben, besonders darunter leiden werden. Die Europa-freundlicheren jüngeren Generationen dürften flexibler sein und in jene Bereiche wechseln, in denen die Industrien von der Reduktion internationaler Konkurrenz profitieren.

Langfristig jedoch steht England vor der Wahl, sich von den internationalen Märkten zu verabschieden oder in die EU zurück zu kehren. Denn es ist als Markt nicht bedeutend genug, um den Aufwand bilateraler Verhandlungen und Sonderkonditionen zu rechtfertigen. Und die jüngeren Generationen werden neidisch auf die Freizügigkeit blicken, wenn sie sich bei der Einreise nach Europa mit Asiaten und Afrikanern in der Schlange für Nicht-EU-Bürger anstellen müssen.

 

6.) Schaden für Deutschland?

Ja, auch die deutsche Wirtschaft wird Nachteile hinnehmen müssen:

Für die deutsche Wirtschaft steht einiges auf dem Spiel. Nach den Angaben des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) liefert die deutsche Wirtschaft jährlich Waren für rund 90 Milliarden Euro nach Großbritannien. Etwa 750 000 Arbeitsplätze hingen davon ab. Britannien ist nach Frankreich der größte Importeur deutscher Produkte in der Europäischen Union.

Quelle: Süddeutsche Zeitung

Wolfgang Eder des österreichischen Stahlkonzerns Voest Alpine erwartet er die Auswirkungen des britischen Austritts im Wesentlichen im Finanzmarkt und keineswegs bei der Industrie: Der Einfluss werde “nicht allzu massiv sein”, glaubt Eder, der auch Chef des Weltstahlverbandes ist. Es gebe stabile wirtschaftliche Beziehungen zwischen britischen und europäischen Unternehmen, “die sich ja nicht einfach in Luft auslösen werden” (Quelle: Süddeutsche Zeitung). Allerdings: Maschinenbau und Automobilbranche dürfte es überproportional hart treffen, denn sie exportieren verhältnismäßig viel nach Großbritannien. Insbesondere der angeschlagene Volkswagenkonzern (und seine Zulieferer) dürfte gar nicht erfreut sein. Hier würde ich mit einem deutlichen Stellenabbau rechnen.

Dennoch: Abgesehen von Unternehmen, die einen großen Anteil ihres Geschäfts mit Großbritannien abwickeln, bricht für deutsche Unternehmen schlimmstenfalls nur ein Exportland weg, während britische Unternehmen auf einen Schlag 27 bisher einfach zu beliefernde Zielländer verlieren.

 

7.) Wie weiter?

Auch die Tatsache, das sich die Briten mit dem Brexit vermutlich selbst ins Bein geschossen haben, kann nicht verbergen, das die EU eine Legitimationsdefizit hat, das es Populisten in allen Mitgliedsstaaten leicht macht, dagegen zu hetzen. Schuld ist daran ist auch die CDU und vor allem die CSU, die dieses Legitimationsdefizit regelmäßig verharmlosen, gleichzeitig aber zulässt, das einzelne Politiker aus den eigenen Reihen dieses für populistische Ausfälle gegen Brüssel nutzen, wenn es ihnen opportun erscheint.

Auch als pro-europäischer Mensch denke ich zuerst an Lobbyismus und Bürokratie, wenn das Wort “Brüssel” fällt. Dirk Müller formuliert das für N-TV sehr treffend:

Der Knall aus Großbritannien hätte lauter nicht sein können. Aber in Brüssel und Berlin scheint er ignoriert zu werden. Die Menschen in Großbritannien, Griechenland, Spanien, Portugal, Deutschland, Frankreich und all der anderen EU-Staaten sind mit überwältigender Mehrheit bekennende Europäer und wollen mit Begeisterung dieses Europa gemeinsam erschaffen und leben. Wir haben nach Jahrtausenden des Schädeleinschlagens verstanden, dass es friedlich und freundschaftlich in guter Gemeinschaft miteinander besser funktioniert. Aber die Politik aus Brüssel lässt die Menschen verzweifeln. Es ist eine Politik, die an den Interessen und Vorstellungen der Menschen komplett vorbeigeht. Eine Politik, die Interessen einflussreicher Lobbys und großer Konzerne vor die Bürgerinteressen stellt und diese dabei in überheblicher Arroganz übergeht.

Ohne hier fertige Antworten liefern zu können, sehe ich dringenden Bedarf zum Einem die europäischen Institutionen zu reformieren, aber auch den Widerstand der Europäer gegen nationalistische Ausfälle der deutschen Politiker zu organisieren.

Hier – um diese Diskussion anzustoßen – ein paar interessant klingende Diskussionsbeiträge zum Thema, ohne dass ich sie schon vollständig gelesen hätte (will ich aber noch tun):

Brexit: Europäischer Reform-Aufbruch gegen populistische Dominoeffekte von Sven Giegold

Europa braucht eine Graswurzelbehandlung -von Bruno Frey und Armin Steuernagel

Europas Linke fordern Neugründung der EU

Auf Kosten unserer Kinder – von Navid Kermani

Doch wir sollen auch immer bedenken: Nicht alles was Fehler hat, ist deshalb gleich schlecht:

Was hat die EU je für uns getan?

Krieg und Friedenszeiten für die EU Gründungsmitglieder

Krieg und Friedenszeiten für die EU Gründungsmitglieder – wobei ich finde, dass der Serbien-Krieg fehlt.

Aber auch nicht alles, was gute Seiten hat, ist deswegen schon perfekt!

 

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