Arthur Mitter: HexenjagdZum Premiere hatte ich es vergeblich versucht, zur letzten Aufführung habe ich es vorgestern dann gerade noch geschafft: Arthur Miller “Hexenjagd” im Theater Moller Haus.

Fangen wir mit den schlechten Seiten des Abends an:

  • Leute, die nur ins Theater gehen, weil sie Bekannte der Leute sind, die auf der Bühne stehen und das ausreichend laut kundtun, können dem künstlerischen Anspruch und dem Stück ernsthaften Schaden zufügen. Leute: Wenn ihr schon Kulturbanausen seid, tut uns einen Gefallen: Haltet das Maul. Ein Theaterstück ist kein DSDS.
  • Zuschauer, die auch nach der Pause ihre unglaublich bedeutenden Gespräche noch unbedingt minutenlang fortsetzen müssen, obwohl auf der Bühne das Stück längst weitergeht. Peinlich. Respektlos. Daneben.

Los ging das Stück für mich dann ebenfalls mit gemischten Gefühlen: In der ersten Szene des Stückes ist da dieser Darsteller in studentischer Alltagskleidung (dunkle Jeans, blaues, über die Hose getragenes Hemd). Bei einem Stück, dass im Jahr 1692 spielt. In einer christlichen Gemeinde. Und er spielt den Pfarrer. Stirnrunzeln bei mir. Ich beginne im Kopf einen Verriss zu formulieren.

Doch nach und nach wendet sich der Eindruck – nicht nur dadurch, dass er sich beim Verlassen des Hauses eine Weste überzieht. Denn er spielt die Rolle des ortsfremden Pfarrers, der mühsam um Einfluss und Akzeptanz (und Privilegien) ringt, immer überzeugender. Und die Kleidung der nach und nach hinzukommenden Personen ist so dezent zwischen Historie und Gegenwart gewählt, dass sich bei mir der Verdacht einstellt, dass es sich hier um einen absichtlichen Brückenschlag zwischen damals und heute handelt. Einer, der die Distanz, die aus offensichtlicher Kostümierung entspringen würde, überwinden soll, ohne das Stück in die Gegenwart zu transplantieren.

Das Stück Millers verarbeitet reale Ereignisse des Jahres 1692. Im puritanischen Städtchen Salem an der Ostküste der USA wurden damals zwischen 150 und 300 Personen verhaftet, 30 davon unschuldig zum Tode verurteilt.  Viele weitere entgingen der Todesstrafe nur, weil sie Dinge gestanden, die sie nie getan hatten und andere belasteten. Höchst eindrucksvoll inszeniert die Darmstädter Aufführung, wie dieses unglaubliche Verbrechen in einer fatalen Mischung aus (diffusen und realen) Ängsten und (finanziellen und politischem) Eigennutz geschehen konnte.

Dieses Stück zu sehen war ein sich langsam und bedrohlich entwickelnder Einblick durch die Niederungen menschlichen Verhaltens – besonders intensiv dadurch, dass die einzelnen  Rollen – ohne Ausnahme – extrem glaubwürdig verkörpert werden. In meiner Wahrnehmung tatsächlich bis zur Identifikation, so intensiv hat das Stück auf mich gewirkt. Neben den Hauptprotagonisten hat mich vor allen Giles Corey (unglaublich gut gespielt von gespielt von Luca del Nero) extrem beeindruckt.

Dabei ist es der Inszenierung hoch anzurechnen, dass sie auf jeden Versuch, einen aktuellen Bezug herzustellen, konsequent verzichtet. Denn Millers Drama ist potent genug, diesen (in bester Shakespeare-Tradition) quasi selbst im Kopf des Zuschauers zu erzeugen. Ich musste während des Stückes immer wieder an die Hexenjagd denken, die derzeit von interessierte Kreisen in Deutschland gegen Vertriebene und Muslime veranstaltet wird. Wie im Stück wird zur Zeit wird mit Ängsten gespielt, es werden Lügen und Schauergeschichten verbreitet und es wird eine existenzielle Bedrohung erfunden, wo keine besteht:

Angst und Statuserhalt sind die Triebfedern der Jagd nach einem Schuldigen, den es vielleicht gar nicht gibt. Bereits vor dem Ereignis schwelende Konflikte werden im Kielwasser der Hexenjagd ausgetragen, verlagert und verklärt. Liebe, Hass, Raffgier und religiöser Fantatismus vermengen sich zu einem gefährlichen Gemisch, das jederzeit explodieren kann und dessen Kalkül vor nichts zurück schreckt. Was Wahn und Wirklichkeit unterscheidet, wissen die Mitglieder der Gemeinde bald selbst nicht mehr.

Das Schauspiel Studio “zum Stück”

Und so entdeckte ich in John Hathorne einen Horst Seehofer, in Richter Danforth einen Lothar de Maizière und Reverend Parris wäre sicher mit Lutz Bachmann ideal besetzt. Und diesen (am Ende hingerichteten) John Procter würden bestimmte Leute heute ganz sicher als “Gutmenschen” zu diffamieren versuchen.

Nicht weil das Stück (Miller starb 2005) oder die Inszenierung das in irgendeiner Weise nahegelegt hätten. Aber wie heißt es so schön: “Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen oder Gegebenheiten sind rein zufällig und nicht beabsichtigt” (ohne deshalb jedoch weniger bedrückend zu sein).

Noch sind wir in Deutschland erst am Ende des zweiten Aktes der Hexenjagd angelangt. Noch wurden (von der Bundesregierung) Todesurteile nur über Menschen im fernen Syrien verhängt. Und ein paar von denen, die nach dem neuen “Asylkompromiss” in sogenannte “sichere Herkunftsstaaten” abgeschoben werden dürfen. Wir werden also erst noch sehen, ob das “christliche Abendland” Europa die Hexenjagd bis zum bitteren Ende wieder aufführt.

Doch nicht nur diese Überlegungen haben mich bewogen, diese Besprechung auch nach Ende der Aufführungen noch zu publizieren (kann ja trotz meiner eindeutigen Empfehlung keiner mehr hingehen). Sondern folgende daraus resultierende Vorhaben meinerseits, die sicherlich auch für den Einen oder Anderen von euch interessant sein könnten:

Darüber hinaus sei dem Ensemble des Schauspiel Studio für diesen grandiosen Abend gedankt und mein Bedauern darüber ausgedrückt, das das Stück nicht mehr aufgeführt wird und dass es kein Video davon zu erwerben gibt.

Wer auf intensives Theater jenseits banaler Unterhaltung steht, dem sei unbedingt noch der “Hamlet” in der Inszenierung der Büchner Bühne Riedstadt ans Herz gelegt, der auch 2016 noch aufgeführt wird (nächste Aufführung: 27. Februar 2016).

 

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