Gastbeitrag von Babett Knöfel

Fotos: Babett Knöfel Babett Knöfel ist Musikerin, Christin und zu einem Solidaritäts-Auftritt ins Flüchtlingscamp in Chemnitz gekommen. Hier ihre wichtigsten Eindrücke:

Kaum richtig drin, läuft mir Georgina (43) in den Arm. Sie ist Syrerin und katholische Christin. Ihre Flucht bewerkstelligte sie allein. Sie hat einen Onkel in Leipzig und hofft bald das Camp verlassen zu können.

Wir gehen, noch bevor ich zum Konzert aufbaue, zu ihrem Zelt. Da stehe ich nun, wo Flüchtlinge Wochen/ Monate täglich leben. Sie frieren alle, meint sie. Das werde ich (bei 14 Grad) an diesem Tag fast durchgängig von allen hören. Sie ist dankbar für ihre Rettung in Deutschland. Dennoch bittet sie mich um warme Kleidung. Stiefel, Pullover, Jacke. Sie gehörte bestimmt nicht zur Unterschicht, das sieht man. Als Sekretärin bei einem Arzt hat sie gearbeitet. Das möchte sie unbedingt wieder tun.

Jetzt steht Georgina unsicher neben mir. Bevor sie ihr Anliegen an mich richtet, entschuldigt sie sich am Laufband. Schließlich traut sie sich zu fragen, ob es auch Adidas Turnschuhe sein können. Mir bleibt etwas das Wort im Hals stecken. Nicht etwa weil Markenschuhe verwerflich sind, sondern weil dieser Wunsch für das steht, wozu viele Fremdenfeindliche aktuell hochfahren und auf die Straße gehen. Es stimmt, Georgina ist als Flüchtling gut gekleidet und ich ertappe mich ernstlich bei der Frage: Darf sie das?

Nun habe ich mir Zeit zum Nachdenken genommen. Ich selbst bin gelerntes DDR-Kind. Bei der Wende war ich 18 Jahre, also ausgewachsen und im Vollbegriff meiner Denkfähigkeit. Ich wollte weder in den Westen abhauen, noch so schnell wie möglich die andere Seite besuchen. Das hatte für mich etwas mit meiner Würde zu tun.
Aber eins war auch Fakt: In einer DDR-Jeans hätte ich keinen Westbesuch gestartet!

Ich verstehe Georgina, eine Frau im besten Alter, die aus einem völlig normalen syrischen Berufsleben kommt, durch die Chemnitzer Innenstadt schlendert vorbei an prallen Schaufenstern. Eine Frau, die sich noch bis vor wenigen Jahren Vieles leisten konnte. Wenn ich aus einem zerbombten Gebiet flüchten müsste, wäre mir die Klamotte auch egal. Aber wäre es mir egal, wenn ich in Sicherheit in einem wohlhabenden Land wäre?

Bekommen hat Georgina keine Markenschuhe. Aber die Frage, ob sie welche verdient, die zeigt eher auf, wer ein Armutszeugnis verdient hat.

Für MICH ist es SEHR wichtig selbst da gewesen zu sein und es mit eigenen Augen zu sehen: Das verpackte Fertigessen. Zelt an Zelt. Die Menschen sitzen wie auf einem schlechten Campingplatz. Manche nur in Schlappen. Ohne Aufgaben. Wartend. Die TOI-Toiletten bei so vielen Menschen normal sauber. Regnen sollte es der Zelte und Boden wegen besser nicht. Die Kinder sind ausgelassen. Die Erwachsenen die Zeit totschlagend. Freundlich. Gastfrei. Mit uns tanzend. Die deutschen Angestellten z. T. herab blickend.

Ich lerne kurz darauf Samir & Rim kennen. Eine syrische Familie mit 4 Kindern. Moslems. Die katholische Christin (Georgina) und die moslemische Familie unterhalten sich. Auf meine Nachfrage, ob es Probleme für sie als Frau und Christin im Camp gibt, verneint sie ungläubig.

Samir nimmt mich ebenfalls gleich mit zu seinem Zelt. Besorgt zeigt er mir, dass das Nachbarzelt 3 Lagen im Eingangsbereich für den Kälteschutz hat und sein Zelt nur 1 Lage. Sie frieren. Die Wäsche wird mit der Hand und dem Shampoo gewaschen. In Gegenwart seiner Frau sagt er, dass sie seit einigen Monaten als Ehepaar keine Privatsphäre mehr hatten. Er scheint die Tage zu zählen. Im Familienzelt schläft noch ein fremder Mann mit. Seine Ehefrau zieht seit Wochen ihr Kopftuch nicht aus, sie schlafen in Klamotten und leben ohne jegliche Intimität.

Es gab genau zwei Personen, die mir negativ auffielen:

  • Das war der sehr unpässliche und aggressive Polizist, der uns auf der Strasse vor dem Camp anmachte: Wir hatten das Warnblinklicht fälschlicher Weise an.
  • Und zum anderen sprach mich ein angetrunkener Jamaikaner aus den Niederlanden an. “Und warum bist du hier?”, war meine Frage. Die Polizei hätte ihn irrtümlicher Weise ins Lager gebracht, weil er alkoholisiert war. Kluge Idee?

 

Fotos: Babett Knöfel

 

Siehe auch:

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