cloudDie Wolke ist das aktuelle Heils-Versprechen der Internet-Unternehmen für die Menschen. Zeitungen, Zeitschriften, Musik, Filme, Bücher, Spiele, Software – all kann ich aus der Wolke bekommen. Und meine eigenen Daten kann ich sicher in der Wolke speichern: Rechnungen, Steuererklärungen, E-Mails, Fotos, Adressen und Telefonnummern, Zugangscodes und Tagebücher. Wenn ich etwas davon brauche, bekomme ich es aus der Wolke geströmt, damit ich nichts davon lokal speichern muss. Und von überall Zugriff darauf haben kann.

Wolke klingt nicht cool, deshalb nennen sie es „Cloud“, weil sich das besser vermarkten lässt und statt strömen bekomme ich das natürlich “gestreamt”.

Ich bin kein Techniker, aber trotzdem Internet-Enthusiast der ersten Stunde und ein echter Dauernutzer. Wenn ich zuhause bin, läuft der Rechner und das Internet. Und natürlich habe ich mich auf die Versprechen der Cloud eingelassen. Noch nicht komplett, weil ich aufs Geld schauen muss, aber es nimmt zu. Das Konzept ist schließlich einfach überzeugend.

Beziehungsweise:

War es.

Mein Abschied aus der Wolke begann schleichend. Letzten Dienstag, an einem der ersten heißen Tage dieses Jahres, kam ich plötzlich nicht ins Netz. Der kleine Kasten bei mir hinter dem Schreibtisch an der Wand zeigte, dass er kein Netz hatte. Es war warm, es war sonnig, ich musste nicht ins Netz. Ich vermutete Überlastung durch Hitze und Dauerbetrieb. Ich gönnte ihm ein paar Stunden ohne Strom. Abends war er dann wieder in der Lage, mir mein geliebtes Netz zu liefern. Alles gut.

Dachte ich.

Bis Sonntag.

Das Problem wiederholte sich. Bereits vor dem Frühstück! Doch dieses Mal schien die Sonne nicht so überzeugend und auch die erprobte Ruhephase konnte meine kleine Access-Box nicht mehr dazu überreden, Kontakt mit dem Netz aufzubauen. Seine Leuchtdioden blinken weiter munter vor sich hin, doch das entscheidende LED mit der Aufschrift „Internet“ wollte einfach nicht leuchten.

Nun, ich bin ja jung, ich kann warten.

Gegen Mittag erwog ich, meinen Provider zu kontaktieren. Doch seine Telefonnummer, ja dafür musste ich in die Cloud. Oder zumindest auf seine Web-Seite.

Der Montag mit seinen normalen Arbeitszeiten bescherte mir die Telefonnummer, aber keine Information, wann ich denn wieder mit normaler Verbindung rechnen konnte.

Irgendwann waren 72 Stunden vergangen. Ich hatte freundliche Call Center Menschen kennen gelernt. Die mir sagen, dass das die Technik bearbeiten muss. Die Technik ruft aber nicht an. Ich bin stolz darauf, wie freundlich und beherrscht ich bleiben kann. Werde ich älter?

Ich habe immer noch kein Internet.

Alle Informationen, die ich in die Wolke verlagert habe, sind für mich unzugänglich. Alle Kontakte, die ich über das Netz pflege, sind unendlich fern. Alle Angebote, die ich über das Netz nutze, sind nicht existent.

Seit 72 Stunden kein Online Banking, kein Online Shopping, keine Nachrichten. Ich bin abgeschnitten von der Welt. Die kleinste Information –Veranstaltungen, Lexikon, Wörterbuch, Öffnungszeiten, Preise, Adressen, Karten, Telefonnummern – sind plötzlich ein Problem.

Ich kann diesen Text schreiben, weil ich noch keine Textverarbeitungssoftware aus der Cloud verwende. Aber ich kann ihn nicht mal veröffentlichen. Ich kann nicht einmal mein Leid über Social Media teilen, ich kann keine E-Mails schreiben, nicht skypen, nicht telefonieren (VoIP), keine Videos leihen. Fernsehen kann ich noch (Kabel, kein IPTV), aber da kommt nur Schrott.

Sogar das Sexualleben leidet. Die Online Dating Dienste sind unerreichbar und Pornos… ratet mal … liegen in der Wolke.

Natürlich könnte es schlimmer sein. Zum Glück habe ich meine Musik nicht in der Wolke. Meine Fotos liegen lokal auf der Platte, meine Texte habe ich lokal gespeichert, meine Software läuft auch ohne Netz. Meine Videos müssen nicht erst untertänigst bei einem Online Dienst anfragen, ob ich denn auch wirklich das Recht, sie anzusehen. Und Bücher habe ich auch noch aus Papier. Keinen E-Book Reader. Zum Glück!

Und auch Essen und Trinken kann ich noch persönlich im Supermarkt einkaufen.

Noch.

Nach 94 Stunden ohne Internet erfahre ich durch einen weiteren Anruf bei der Hotline, dass ein Techniker bei mir im Haus war und die Störung behoben hat. Ohne sich bei mir zu melden, oder bei mir nachzufragen, ob es denn wieder geht.

Es geht nicht?

Dann müssen sie ein neues Ticket erzeugen. Das dauert aber, bis die Technik das bearbeiten kann. Da muss ich mich wieder hinten anstellen. Eine Ticket Nummer, mit der ich direkt in der Technik anrufen kann, gibt’s auch nicht, die vergibt die Technik erst, wenn das Ticket bei ihnen eingetroffen ist. Ich müsse also morgen noch mal anrufen. Damit ich die Ticket Nummer bekomme, mit der ich in der Technik anrufen kann, um zu fragen, wann sie denn gedenken, meine Störung zu beheben.

Ich überspringe jetzt ein paar wenig erfreuliche Telefongespräche (meine Contenance wankt) und komme zum Freitagmorgen, an dem man mir fröhlich einen Techniker Besuch ankündigt. Für Montag.

Jetzt fange ich tatsächlich an, mich aufzuregen. Kündige eine Veröffentlichung meiner Erfahrungen im Internet an. Und Schlimmeres. Kein Einlenken des sorgfältig geschulten Hotline-Mitarbeiters. Aber irgendwas davon scheint ins Management vorgedrungen zu sein.  Zwei Stunden später ein Anruf – es kommt doch am Freitag noch jemand. Um 17 Uhr.

Ich bin pünktlich um 17 Uhr zuhause. Kurz darauf sehe ich durchs Fenster den Wagen der Kabelfirma vor dem Haus parken. Doch bei mir meldet sich niemand. Scheinbar ist er direkt in den Keller des Mehrfamilienhauses eingedrungen und prüft die zentrale Verteilerstelle (oder wie das heißt). So wie sein Kollege es bereits am Mittwoch tat.

Rund 30 min später blinkt der Kabel-Modem wieder wie es soll – Internet ist wieder da. Nach langen 137 Stunden. Das mag nicht lange klingen, für jemanden, der es gelegentlich mal nutzt. Aber wer sich auf die Verheißungen  der Netzanbieter einlässt und seine beruflichen und privaten Dokumente, Daten und Unterhaltungsangebote in die Cloud verlagert, der ist dann ziemlich angeschmiert.

Dass mich übrigens nachdem die Störung behoben war, niemand darüber informierte, zeigt – neben den unerträglichen Entstörungszeiten – ein weiteres Problem: Der Service-Autismus der Anbieter. Wenn man schon tagelang hinterher telefoniert, um Hilfe zu bekommen und einen dann niemand informiert, wenn das Problem behoben sein sollte – dann fühlt man sich als Kunde nicht ernst genommen.  Ich habe in dieser Woche mindestens zwei- bis dreimal täglich meinen Provider angerufen. Und genau einen einzigen Anruf von ihm erhalten.

Verantwortlich ist in diesem Fall übrigens nicht der üblicherweise verdächtige Telekommunikationskonzern, sondern die Kabel-Konkurrenz von der Unity Media.

 

Doch zurück zur Cloud:

All die schönen Wolken-Visionen haben einen entscheidenden Nachteil: Den Zugang. Wenn er funktioniert, ist alles in Butter. Doch wenn er mal nicht mehr funktioniert (warum auch immer), dann ist alles Mist. Alles. Das ist kein Thema eines einzelnen Providers. Ich habe in den Jahren seit ich online bin, verschiedenste (große wie kleine) Anbieter genutzt und bei allen gab es – früher oder später – ätzende Probleme. Umzug – mit oder ohne Provider-Wechsel – ist sowieso immer ein Grund, um mit mindestens 2 Wochen, nicht selten auch mal zwei Monaten, offline-Zeit zu rechnen.

Deshalb verlasse ich die Cloud und werde meine Daten wieder verstärkt lokal halten.

Was mich übrigens besonders nervt: Die Vorstellung, dass die NSA und andere Geheimdienste in der Cloud besser an meine eigenen Daten herankommen, als ich selbst.