Heute auf Twitter ist zwischen mir und @Trias_eine Diskussion (0,1,2,3,4,5,6) entstanden, ob sich ein negativer Zins (wie heute beobachtet und von der Presse bejubelt (1,2)) mit ökonomischer Theorie erklären läßt (er meint: Nein).

Ich finde, dasss das relativ einfach erklärbar ist, aber da 140 Zeichen dafür ein bischen knapp sind, hab ichs hier ins Blog verlagert.

Worüber reden wir

Der beobachtete negative Zinssatz wurde auf einen Teil-Markt beobachtet – dem Markt für deutsche Staatsanleihen.  Es ist keineswegs so, dass der durchschnittliche Zinssatz  – oder sogar alle Zinssätze in Deutschland ins Minus geplumpst sind. Also handelt es sich hier nicht um ein makroökonomisches, sondern um ein mikroökonomisches Phänomen. Wer es mit makroökonomischen Theorien zu erklären versucht, nutzt – in diesem Fall – das falsche Werkzeug.

Dazu, ob auch makroökonomisch (also für alle Geldmärkte in einem Land oder sogar weltweit) ein negativer Zinssatz möglich ist, habe ich im Augenblick noch keine Meinung, werde dazu aber am Ende dieses Artikels noch ein paar Überlegungen anstellen.

In der BWL sind negative Zinssätze übrigens ganz normal: Jedes Investment, dass (ex post) eine Verlust ausweist, hat einen negativen Zins. Und es kommt häufiger vor, dass sich ein Unternehmen schon vorab für ein Investment mit negativem Zins entscheidet – zum Beispiel aus strategischen Überlegungen.

 

Der Geldmarkt

Geld (zusätzlich zu seiner Funktion als Zahlungsmittel) ist augrund seiner relativ guten Wertaufbewahrungsfunktion ein Gut wie jedes andere.  Es gibt eine Nachfrage nach Geld und ein Angebot an Geld. Der Preis zu dem Geld gehandelt wird, wir üblicherweise als Zinssatz angegeben – genauso könnte man ihn jedoch auch in Euro oder Dollar angeben.

Der Markt für deutsche Staatsanleihen ist ein Geldmarkt (von vielen) mit ein paar Besonderheiten:

Das Geldangebot

Im folgenden Bild sei vereinfacht die blaue Kurve das Angebot an Geld. Das Anbebot an Geld endet bei einem bestimten Zinssatz x, weil es dann für alle Markteilnehmer interessanter ist, das Geld auf anderen Märkten anzulegen. Da die Anbieter selbst keine Staatsanleihen auflegen können, kann die Menge der Staatsanleihen auch nicht negativ werden. Auf der anderen Seite endet das Angebot theoretisch bei der Geldmenge M, bei der das ganze in Land vorhandene Geld in Staatsanleihen angelegt ist.

Die Geldangebotskurve verläuft relativ flach, da Staatsanleihen gut durch andere Anlageprodukte substituiert werden können.

Die Geldnachfrage

Die Nachfrag nach Geld ist rot eingezeichnet. Eine Aussage über sie ist nicht so einfach, da zwar einerseits der Bedarf an Geld von politischen Prozessen diktiert wird (und nicht – schon gar nicht kurzfristig) durch Zinsänderungen beeinflußt wird, die Nachfrager (Bund, Länder, Kommunen) aber andererseits ein Oligopol bilden und ihren Bedarf auch durch andere Quellen (Geldmenge, Steuern) decken können. Ansonsten gelten die gleichen Regeln bezüglich der Mengen (Menge der Staatsanleihen immer zwischen 0 und M) wie beim Angebot.

 

Die aktuelle Marktsituation

Die Geldnachfrage in Deutschland ist relativ stabil. Die Steuereinnahmen sind leicht steigend, die Staatsausgaben steigen nicht mehr als gewöhnlich. Die EFSF-Verpflichtungen sind zunächst nur Verpflichtungen, die noch keine Auswirkungen auf die Nachfrage nach Geld haben.

Dagegen ist das Geldangebot aufgrund der instabilen Situation auf den Weltmärkten stark steigend. Schauen wir uns die Substitute an:

Ausländische Staatsanleihen

Die Märkte für ausländische Staatsanleihen sind vielfach mit hohen Risiken behaftet, wogegen die deutschen Anleihen als verhältnismäßig solide gelten. Aufgrund der Sparpolitik in den gefährdeten Ländern geht die Nachfrage nach Geld dort zum Teil drastisch zurück und ein Investment dort ist mit der Gefahr des Totalverlustes behaftet.

Da aber viele institutionelle Anleger (Fonds, Banken, Unternehmensrücklagen) einen erheblichen Teil ihrer Gelder in sicheren Staatsanleihen unterbringen müssen (entweder gesetzlich oder durch Prospekt / Satzung vorgeschrieben), die kurzfristig liquidierbar sind, bleiben ihnen nur die finanziell stabileren Staaten – zu denen der größte Nachfrager der Vergangenheit – die USA – nur noch begrenzt gezählt wird.

Der Aktienmarkt

Mittelfristig könnte europäische Währungskrise in einer Rezession münden, die die Aktienkurse deutlich drücken würde. Daher werden langfristig orientierte Anleger nur vorsichtig im Aktienmarkt investieren, solange der Brand in Europa schwelt. Auch die USA boomen wirtschaftlich nicht, Russland hat sich wieder vom Markt verabschiedet und Japan kämnpft mit den Folgen der Erdbeben- und Atomkatastrophe. Auch Import-Nachfrage aus den Boom-Ländern wie China und Indien hat sich deutlich abgekühlt.

Aber auch kurzfristige Anleger finden zur Zeit keine besondere Blase oder Story, die massiv Investments treiben würde.

Der Immobilienmarkt

Hat sich noch nicht von der letzten Blase erholt. Kein gutes Karma.

Der Goldmarkt

Der Goldpreis ist im letzten Jahr aufgrund der Ängste rund um die Euro-Krise massiv gestiegen. Weitere Steigerungen sind kaum zu erwarten, solange sich die Situation nicht drastisch verschlimmert. Sobald sich die Krise allerdings beruhigt, wird eine Verkaufswelle entstehen (und der fallende Goldpreis sogar eine Massenflucht auslösen), die bei Anlegern zu massiven Verlusten führen kann, die den am Anleihenmarkt beobachteten negativen Zins lächerlich erscheinen ließen. Nein, Gold ist derzeit kein kluges Investment.

Die Rohstoffmärkte

Auch hier kühlt sich die vergangene Nachfrage aus den Boomländern gerade ab, während eine Rezession in Europa eine weitere Abkühlung bedeuten würde. Auch nicht gerade spannend als Investment.

Auf die Bank ? Unters Kopfkissen?

Dem Normalbürger bleibt das gute alte Sparbuch oder Tagesgeld als Alternative, wenn alle anderen Investments unattraktiv erscheinen. Und das ist- selbst wenn die Bank pleite geht – durch die Einlagensicherung abgesichert – jedenfalls jeder Betrag der durch ehrliche Arbeit im Laufe eines Lebens verdient werden kann.

Die Anleger, über die wir hier reden, wollen Summen anlegen, die weit, weit jenseits der gesicherten Beträge liegen. Und wenn die EU doch Griechenland oder Italien oder Spanien oder alle zusammen fallen läßt, dann wird mehr als eine Bank in den Konkurs rutschen – was den Totalverlust der dort angelegten Gelder zur Folge hätte.

Aus gleichem Grund ist auch Lischen Müllers Option, das Geld einfach unters Kopfkissen oder in der Kaffeedose zu verstecken, keine Option. Mal abgesehen von der Diebstahlgefahr und das selbst Dagoberts Geldspeicher dafür nicht ausreichen würde: Die vielen Millarden Buchgeld, die täglich aus Investment frei oder als Gewinne ausgeschüttet werden, ließen sich schon praktisch gar nicht in Banknoten auszahlen.

Zusammengefaßt:  Ein unüblich großer Anteil der täglich neu zu investierenden Geldmittel fließt zur Zeit in den Markt für deutsche Staatsanleihen, weil die Anleger hier ein verhältnismäßig geringes Risiko sehen. Aus Angst vor größeren Verlusten in anderen Märkten sind einige sogar bereit, dabei einen geringen Verlust in Kauf zu nehmen.

Oder so gesagt: Sie erkaufen sich damit eine anderes Gut – Sicherheit.

Auch aus Sicht eine Individuums ist das eine rationale Entscheidung:

1.) Ein Investor investiert auch in einen verlustbringenden Markt, wenn dort der erwartete Grenz-Verlust geringer ist als in anderen ihn zugänglichen Märkten, wenn nicht-Invest keine zur Verfügung stehende Option ist.

2.) Ein Investor streut bei Entscheidung unter Unsicherheit seine Investments so über verschiedene ihn zugängliche Märkte, dass der erwartete Gewinn maximiert (aka der erwartete Verlust minimiert) wird, wenn nicht-Invest keine zur Verfügung stehende Option ist.

 

Zwei traurige Lehren lassen sich daraus ziehen:

1.) Es gibt Personen und Institutionen, die über soviel Geld verfügen, dass sie gezwungen sind, es um jeden Preis anzulegen.

2.) Obwohl sie über soviel Geld verfügen, fließt das Geld nicht dorthin, wo es  am dringendsten gebraucht wird, sondern dorthin, wo es am wenigsten gebraucht wird.

 

Wie versprochen jetzt zur Frage:

Ist Makroökonomisch ein negativer Zinssatz möglich?

Also: Ist es denkbar, dass in einem Land (oder sogar weltweit) der durchschnittliche Zinssatz (zumindest kurzfristig) negativ wird? Dazu ein paar vorläufige Überlegungen zur Diskussion (ohne Anspruch auf Vollständigkeit)

Wir haben gesehen, dass dieses auf einem Markt passieren kann, wenn

a)  Unsicherheit herrscht

b) Eine Rezession erwartet wird

c) die Option der Bargeld-Haltung für relevante Teile der Marktteilnehmer nicht besteht

 

I ) Fangen wir (ganz nach Lehrbuch) mit einer geschlossenen Volkswirtschaft (z.B. Nordkorea 😉 an.

Nehmen wir an, dass (wie oben) alle Finanzmärkte dieses Lande aufgrund von Unsicherheit und Rezessionserwartungen mit Verlusterwartungen belastet sind und die Nachfrage des Staat nach Liquidität relativ stabil ist.

Die Alternative zu den Finanzmärkten ist immer der Gütermarkt. Wenn sich auf Finanzmärkten keine gewinnversprechende Investitionsmöglichkeit bietet, werden Anleger verstärkt Land, Unternehmen, Maschinen, Rohstoffe u.a. kaufen, um damit Mittel – oder Langfrsitig Gewinne zu erwirtschaften. Das ist jedoch a) für reine Finanzinvestoren, die kurzfristig hohe Erträge anstreben, unattraktiv und b) erfordert Aufwand und Zeit (ist also keine kurzfistige Option zur Geldanlage).

Ein Finanzinvestor, der 100 Mrd. anlegen muss, wird sich verhältnismäßig schwer tun, diese so in Stückelungen von 1-2 Mio anzulegen. Je breiter das Kapital jedoch gestreut ist, desto einfacher ist dieser Weg zu beschreiten

Auch der Staat wird extrem niedrige Zinsen nutzen, um Maßnahmen zu Stimulierung der Wirtschaft zu ergreifen: Bau von Infrastrukturen, Investitionen in Forschung und Bildung, Ausweitung des Staatsapparates / des Beamtentums . Aber auch solche Maßnahmen brauchen Zeit, bis sie wirken und müssen von Menschen umgesetzt werden.  Eine dezentrale Staatsstruktur ist hier einem zentral organisierten Staatswesen klar überlegen.

Fazit:  In einen geschlossenen Volkswirtschaft könnte es in einer extremen witschaftlichen Situation für kurze Zeit zu einem negativen Zinssatz kommen. Dieses ist um so wahrscheinlicher und ggf. länger, je mehr der Reichtum in den Händen weniger gebündelt ist und je zentraler der Staat organisiert ist, da beides die Reaktionsgeschwindigkeit vermindert.

II) Eine offene Volkswirtschaft

Im diesen (realistischeren) Fall hat zumindest ein Teil der Investoren Zugang zu Märkten, die einem anderen Zyklus folgen, andere Erwartungen haben. Dort können sie investieren, während sie im Inland zu Nachfragern nach Kapital werden, d.h. das Über-Angebot an Geld abschöpfen.

Fazit: Die Wahrscheinlichkeit eines negativen durchschnittlichen Zinssatzes in einer offenen Volkswirtschaft ist sehr, sehr  gering.

III) Eine Weltwirtschaft

Wenn wir nun (rein theoretisch) annehmen, dass wir eine Welt bekommen, in der die Schranken zwischen Ländern und Märkten wegfallen und in der Informationen, Stimmungen und Erwartungen sich in Sekunden über elektronischen Medien weltweit verbreiten…  – dann haben wir eine Situation, die der einer geschlossenen Volkswirtschaft sehr, sehr ähnlich wird (zumindest bis wir außerirdisches Leben entdecken) .

In diesem fall, würde ich behaupten, dass die Erkenntnisse aus I) anzuwenden sind: Ja, eine negativer Zins ist (zumindest zeitweise)  möglich.

Nun könnte man – im Sinne Milton Friedmans – fragen, was denn an einem negativen Zinssatz so schlecht ist, das ein großes Aufheben davon gemacht wird. Aber die Diskussion ist eine andere…

 

Was meint ihr? Denkfehler meinerseits? Hab ich meine Ideen verständlich ausgedrückt?

 

Addendum: Jetzt hab ich noch mal bei Samuelson nachgelesen [Samuelson und Nordhaus (1989) Economics] und folgende Stelle (Appendix: 30, Seite 733) gefunden:

“Figure 30A-1 [wird nachgereicht] makes an additional intereting point. Note that there is no need for the intersection at E to show a graeter slope than 1. It could be relatively flat. But because the slope is equal to (1+r) – where r is the real interest rate – if for some reason the tangency came with a slope less than 1, the real interest rate would be negative. Such an outcome might result if people were very patient or if the PPF [ = production possibility frontier] showed no net return to sacrificing curretn cnsumption.”

Samuelson (basierend auf Irving Fisher – der! Monetarist) zeigt also zwei Ursachen für einen negativen Zins: Die Präferenzen der Menschen und die  Substituierbarkeit der Güter (wovon meine obige Diskussion ein Spezialfall  wäre).