In Darmstadt wurde ein Haus besetzt. Das Justus-Liebig-Haus. Nach einer 800 Personen starken Demonstration zur Bildungspolitik haben bereits letzte Woche aufsässige Studenten  ein strategisch zentral gelegenes Gebäude der Stadt Darmstadt in ihre Gewalt gebracht und seither gehalten.

Seitdem ist jedoch weder ein allgemeiner Aufstand ausgebrochen, noch ist die Besetzung mangels Masse in sich zusammengebrochen und wurde auch nicht durch konterrevolutionäre Maßnahmen seitens der herrschenden Klasse gewaltsam beendet. Nachdem sogar das (*gähn*) Darmstädter Echo durchaus wohlwollend über diesen Akt der Rebellion berichtet hatte, wagte ich letzten Freitag selbst mutig den Vorstoß ins besetzte Haus, um mir persönlich ein Bild vom Stand der Rebellion zu machen.

Hier meine Foto-Reportage:

Zunächst einmal muss ich sagen, dass das die Auswahl des Objektes für die Besetzung eine strategische Meisterleistung ist. Während Studenten ihren Protest üblicherweise an oder in Gebäuden der Hochschulen oder studentischen Wohnvierteln artikulieren und so sowohl von den normalen Bevölkerung als auch den den Zentren der Macht fern bleiben, wurde hier ein Ort nahe am Zentrum der Macht und vor allem direkt am Weg der Bevölkerung zu den Tempeln des Konsums (Innenstadt, Weihnachtsmarkt) ausgewählt. Noch wichtiger jedoch: Durch die Wahl eines Gebäudes, in dem auch die Stadtbibliothek untergebracht ist, konnte ich meinen Besuch mit der Rückgabe entliehener Bücher verbinden und damit der Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerung durch Strafgebühren zuvorkommen.

Schon als ich mich den Ort der Besetzung näherte, begrüßte mich ein Plakat, das die (von mir sehr kritisch gesehenen) bildungspolitischen Schwerpunkte der hessischen Landesregierung zu Thema hatte:

Plakat: "Wenn ich groß bin, werd ich Humankapital"

Plakat am Justus-Liebig-Haus: “Wenn ich groß bin, werd ich Humankapital”

 

Hatte ich gar mit diesen jungen Menschen gar etwas gemeinsam? Würden wir uns näher kommen? Dann – über dem Eingang zum Justus-Liebig-Haus die nächste Überraschung. Hier gehts nicht um Protest oder Rebellion, hier geht es ums Ganze:

Plakat: Revolution

 

Jetzt war ich wirklich gespannt. Dennoch gelangte ich ohne Fragen, ohne Eintrittskarte und ohne Sicherheitskontrolle hinein ins Zentrum der Revolution. Merke: An jedem deutschen Fußballstadion und Flughafen wird strenger kontrolliert als bei der Revolution in Darmstadt.Drinnen die nächste Überraschung: Hier handelte es sich nicht um typische Studenten! Trotz der frühen Uhrzeit (10 Uhr) waren – bis auf einen – alle Besetzer bereits auf den Beinen. Dabei regt sich der typische Student – zumindest einem beliebten dt. Moderator zufolge (“Guten Abend liebe Zuschauer, guten Morgen liebe Studenten”) – ja zu solchen Zeiten noch lange nicht.

Nein, hier im Darmstädter Justus-Liebig-Haus sind die Studenten bereits aktiv und räumen Essens- und Getränkereste vom Plenum am Abend vorher weg.

Der Weg zur Stadbilbliothek wird lediglich durch einen Infotisch versperrt, den man mit wenigen Schritten und ohne Mühe umgehen kann. Oben in der Stadtbibliothek geht der Betrieb völlig unbeeindruckt weiter. Die städtischen Reinigungskräfte, die gerade dabei sind, Toiletten im Justus-Liebig-Haus zu reinigen, bewegen sich zwischen den – freundlich grüßenden – Revolutionären mit offenkundiger Befremdung.

Überhaupt wirkt die Besetzung um diese Tageszeit ein wenig wie eine Real-Illustration zu der im gleichen Raum stattfindenden Ausstellung „Zigeunerbilder“ (über die übrigens zwar die FAZ ausführlich berichtet, aber auf den Web-Seiten der Stadt Darmstadt nix zu finden ist  … seltsam… aber andere Baustelle). Ich pirsche mich also vorsichtig an den erstbesten Revolutionär heran und… werde äußerst freundlich empfangen. Er trägt keine Waffe (Enttäuschung meinerseits) und ist sofort bereit, mir meine neugierigen Fragen zu beantworten.

Zuerst will ich als alter Ökonom natürlich die quantitative Seite beleuchten. 25 Nasen halten hier das Erdgeschoss des Liebig-Hauses besetzt (davon fünf um 10 Uhr Morgens anwesend), bei den Plenen Abends seien es so um die 50 Leute und 90 Leute seien auf der Mailingliste.

Und die Ziele? Die würde man gerade im abendlichen Plenum erarbeiten, sagt er und zeigt mit eine wilde Sammlung von Stichworten, die handschriftlich auf DIN A3 Bögen notiert von einer der vielen Stellwände auf dem Boden liegen:

Trotz der noch sehr unscharfen Ziele habe man aber schon etwas erreicht: Die Stadt Darmstadt habe zugesagt, für 250 Studenten in den leerstehenden Kasernen kurzfristig Wohnungen zu schaffen – das sei zwar weniger als die 600 möglichen Wohnungen, aber gemessen daran, dass die Stadt ursprünglich überhaupt nichts tun wollte, schon ein Erfolg.

Oberbürgermeister Jochen Partsch und Kämmerer André Schellenberg seien schon da gewesen und hätten das Gespräch gesucht.

Dennoch droht den Revolutionäre ein schmähliches Ende ihres Aufstandes: Für Donnerstag, den 1.Dezember  ist nun die Räumung angekündigt:

http://www.echo-online.de/region/darmstadt/Besetzer-im-Justus-Liebig-Haus-bis-Donnerstag-geduldet;art1231,2399733

Doch die Besetzer sind jetzt einfach spurlos verschwunden:

http://www.echo-online.de/region/darmstadt/Besetzer-verlassen-das-Liebighaus;art1231,2403079

 

Die Demo in Bildern

Die Demo in Bildern

 

Bildung leer wie Flasche voll?

Bildung leer wie Flasche voll?

Klick auf die Bilder für eine große Ansicht:

Schlafender Student

Wenigstens 1 typischer Student: Schläft um 10 Uhr vormittaqgs noch

 

Infotisch "versperrt" den Weg zur Stadtbibliothek

Infotisch “versperrt” den Weg zur Stadtbibliothek

 

Besetzung als Illustration zur Ausstellung ?

Besetzung als Illustration zur Ausstellung ?

 

Die soziale Hängematte?

Die soziale Hängematte ist gar nicht so bequem, wenn man immer drin schlafen muss

 

 

Revolutionäre im Gespräch

Revolutionäre im Gespräch

 

Frauen in der Minderheit: Liegts an der mangelhaften Kücheneinrichtung?

Frauen in der Minderheit: Liegts an der mangelhaften Kücheneinrichtung?

 

Die Regeln der Revolution

Die Regeln der Revolution

 

Stellwand: Nachrichten aus Darmstadt

Stellwand: Nachrichten aus Darmstadt

 

Carlo Mierendorf als Mahner für Ordnung "mißbraucht"

Der olle Carlo Mierendorf als Mahner für Ordnung “mißbraucht

Alle Fotos auf einen Blick (mit Dia-Show):
https://plus.google.com/u/0/photos/102564181222423805153/albums/5679432239797800289

 

Die Web-Seite der Besetzer:
http://www.komitee-darmstadt.de/

Bildungsstreik Darmstadt:

http://darmstadt.bildungsstreik.net/

TU-Asta fordert: Stadt muss mehr tun:

http://www.echo-online.de/region/darmstadt/studienortdarmstadt/technischeuniversitaet/unistart2011./TU-Asta-fordert-Stadt-muss-mehr-tun;art477,2331442

Echo-Kommentar: Leben im Liebighaus

http://www.echo-online.de/region/darmstadt/Kommentar-Leben-im-Liebighaus;art1231,2376817