Neun Mal Sechs

Home Office ist ja fine – ein Viertel (der Zeit) meines Lebens kann ich trotz der Corona Krise eigentlich ziemlich gut bewältigen. Das das beim Tango (einem anderen großen Teil meines Lebens) anders sein würde, war abzusehen, als es mit dem Lockdown ernster wurde. Und nicht nur für mich – Tango-Tänzer:innen, Lehrer:innen und Veranstalter:innen auf der ganzen Welt waren plötzlich nicht bloß von einem Hobby, sondern auch von ihren Kontakten, ihren Umarmungen und (nächtlichen) vertrauten Treffen abgeschnitten.

Die Tango Szene reagierte: Auf Gesichtsbuch enstanden binnen Stunden zwei Gruppen: “I’m not dancing tango so I did this instead” die dem Austausch in schwierigen Zeiten gewidment ist – und “virtual neolonga”. Bei virtual neolonga geht es darum, sich – statt irgendwo vor Ort gemeinsam zu einer Milonga zu treffen – virtuelle Milongas zu feiern: Ein DJ legt auf – jeder kann Zuhause zuhören, allein oder mit Parner tanzen, einen Wein trinken und chatten (“neolonga” steht dabei für eine Milonga mit Neo Tango Musik – also moderne Stücke aus allen Musikrichtungen, zu denen man Tango tanzen kann). Sicher gibt es noch mehr Gruppen, aber das sind die, die ich kenne – und so aktiv wie die sind, reicht mir das fast auch.

Für die Neo-Szene hat sich inzwischen http://tv.neotango.org/ als eine Plattform etabliert, auf der im Prinzip (fast) 24/7 Neo Musik läuft und auf der (fast?) jeden Abend etablierte DJs/DJanes Musik auflegen. Hier ist die Sound-Stream-Qualität aber zum Teil stark schwankend. Andere – wie El Cachivache – haben YouTube zum Streaming genutzt. Iwan Harlan spielt seine Elongas auf LiveSets.

Sie alle haben jedoch einen Nachteil: Letztlich ist es mehr oder weniger wie Radio (ggf. plus Chat).

Ich möchte (zusätzlich, nicht als Konkurrenz) eine Alternative vorstellen, auf die ich über die traditionelle Tango-Szene (Alexey & Usha TANGO) gestoßen bin und die ein deutliches Mehr an Verbindung ermöglichen: Virtuelle Milongas über Zoom.

Zoom ist ein Telefonkonferenz/Videokonferenz-Tool, dass für Firmen gedacht ist. Daher kenne ich es auch ursprünglich: Eine der Lieferanten bei einem vergangenen Projekt setzte Zoom für unsere Telefonkonferenzen ein. Der Kick für Milongas bei Zoom ist: Die Möglichkeit für alle Teilnehmer:innen ihr Video zu teilen, schafft (für mich) eine ganz andere Nähe zwischen den Teilnehmer:innen.

Ich habe jetzt an fünf solchen Events teilgenommen und war jedesmal hinterher super gut drauf (selbst als ich einmal Anfangs gar keine rechte Lust drauf hatte).

Das habe ich erlebt:

• Ich habe Paaren zusehen können, die Zuhause zur Musik getanzt haben
• Ich habe zusehen können, wie Leute solo zur Musk getanzt haben
• Ich habe erlebt, wie Leute zuhause mit einem Stofftier, einem Surf-Anzug, einem Besen, eine Kleiderpuppe, einen Kind, … getanzt haben.
• Ich habe zusehen können wie andere sich an der Musik und den Bildern erfreuten
• Wir haben uns zugeprostet
• Wir haben Botschaften ausgetauscht – auf selbstgemalte Schildern (lustiger) und im Chat (einfacher) und versteckte Botschaften an Einzelne durch Gesten und Mimiken (komplexer, aber viel Spass!)
• Wir haben zusammen gelacht und geschmachtet
• Ich habe versucht, alleine zu tanzen (zu Tango für mich eher schwierig)
• Ich habe mir einen Schrubber geholt (sehr nackt!) und ihn angezogen (siehe Foto) und so meine neue Corona-Tanzpartnerin geschaffen und sie Hallunzinelle getauft (nach Ijon Tichys treuer Begleiterin). Tanzen mit ihr ist ziemlich gut – sie folgt perfekt (OK, zu perfekt 😉 ). Ob das was für dich ist? Probier es aus!

Um das Maximum aus Zoom-Sessions rauszuholen, ist ein bischen Kenntniss des Clients von Vorteil. Ich habe ein bisschen gebraucht, um alle hier stehenden Tricks & Kniffe rauszufinden, deshalb teile ich die mit euch:

Ganz einfach: Start der Session: Den Zoom-Link (sieht so oder ähnlich aus: https://us04web.zoom.us/j/343173711 ) im Web-Browser eingeben. Dann lädt die Software herunter und statet automatisch (keine Admin Rechte o.ä. notwendig, klappt auch auf meinem Super-geschützten Arbeits-Laptop). Evt. muss mit einem weiteren Klick dann der Start der Session bestätigt werden. Dann bist du drin (noch nicht probiert für Linux und Apple). Du siehst den Event-Bildschirm – hörst aber noch nichts. Und keiner hört dich. Auch dein Video ist deaktiviert.

Um was zu hören, mußt du jetzt dein Computer-Audio aktivieren. Bei normalen Telefon-Konferenzen würden dich die anderen dann auch hören können. Bei Milongas hat jedoch der Veranstalter die Teilnehmer immer stumm geschaltet – sonst könnte jemand einfach in die Musik reinquatschen. Will ja keiner. Jetzt solltest du die Musik oder den DJ quatschen hören. Klappt eigentlich fast immer. Falls ausnahmsweise mal nicht, die Audio-Einstellungen am unteren Bildschirmrand ausprobieren.

Video: wenn du dein Video aktivieren willst (und ich rate dazu, es ist viel mehr Spass und viel persönlicher), mußt du auf die Kamera am unteren Bildschirmrand klicken. Genauso einfach stellst du es auch wieder ab, wenn du zwischendurch mal unbeobachtet in der Nase popeln oder einen Joint rauchen willst.

Ein cooles Feature ist der virtuelle Bildschirmhintergrund. Hier kannst du ein beliebiges Foto einstellen und statt des Raumes, in dem du bist, wird das Bild hinter dir angezeigt. Tanze vor Hogwarts oder was auch immer dein Lieblingshintergrund ist.

Die drei Fenster von Zoom.

Das Hauptfenster zeigt a) entweder den DJ, oder b) ein von Dj ausgewähltes Teilnehmer Video – es liegt am DJ , wie gut er das managed.

Zwischen a und b kannst du selbst umschalten mit diesem kleinen Button hier:

Er versteckt sich rechts oben und ist leider nicht immer sichtbar.

Die Teilnehmer Übersicht – zeigt einige oder alle Teinehmer der Milonga. Ihr Video oder ihren gewählten Benutzernamen. Wieviele Bilder du gleichzeitig siehst, kannst du mit diesen drei Buttons bestimmen:

Wenn nicht alle Bilder auf die Seite passen, kannst du mit den Pfeilen rechts und links scrollen. Du kannst das Fenster auch an den Rändern größer ziehen.

Das dritte Fenster ist das Chat-Fenster. Zum Öffnen auf die Sprechblase am unteren Bildschirmrand klicken. Du kannst das Fenster auch an den Rändern größer ziehen. Aufmachen, mitlesen, deine Gedanken teilen.

Optimal wäre natürlich, diese Fenster auf drei Bildschirme verteilen zu können. Aber wer hat die schon Zuhause? Aber den Rechner an der Fernseher anzuschließen und das Hauptfenster auf dem TV Gerät zu sehen, kann viel Freue machen.

Weniger schön ist, dass Zoom von einer US-Firma betrieben wird. Das bedeutet, das die Nutzung der Software für die Veranstalter von Milongas kostenpflichtig ist. Ein weiteres Problem – das man nicht vernachlässigen sollte – ist dass Zoom in der Vergangenheit mehrfach negativ aufgefallen ist: durch Verstöße gegen europäisches Datenschutzrecht und durch mit der Software vebundene Sicherheitslücken. Ersteres sollte Gesichtsbuch- oder Whats-App Nutzer kaum stören, letzteres ist zumindest ein Grund die Software nicht auf Rechnern zu nutzen, die empfindliche Daten enthalten oder Zugang zu sicherheitsrelevanten Infrastrukturen haben.

Was nicht heißt, dass die am Anfang des Artikels genannten Alternativen sicherer sind – hier hat sich (soweit ich weiß jedenfalls) noch niemand die Mühe einer solchen Prüfung gemacht. Natürlich wäre es deshalb schöner, eine OpenSource Alternative zu haben. Aber die gibt es leider bisher nicht.

Mal selbst erleben? Wir tanzen Tango Armónico in Cyberspace – am Sonntag, 26.4.2020 ab 19 Uhr (UTC+2).
Wie immer ca. 1/3 trad. Tangos. 1/3 neue Tangos und 1/3 Non-Tangos. Tandas mit Cortinas. Von und mit DJ Librillo (aka Carsten) – Dance-Support: Die Halluzinelle.
Mit dieser Adresse kommst du in die Milonga: https://us02web.zoom.us/j/82392344404 übrigens auch prima für Nicht-Tänzer geeignet.

P.S.: Zoom dürfte sich wegen seiner Features übrigens auch sehr gut für den virtuellen Tango-Unterricht eignen.