Herzlichen Glückwunsch an Jochen Partsch & die Bündnis 90/Die Grünen Darmstadt und die CDU Darmstadt zum überragenden Wahlsieg bei der OB Wahl in Darmstadt!

Wahlergebnis OB Wahl Darmstadt 2017

Damit hat der amtierende Oberbürgermeister und die ihn unterstützenden Fraktionen von Grünen und CDU bereits im ersten Wahlgang ein starkes Mandat für die Fortsetzung ihrer bisherigen Politik erhalten. Nimmt man noch die undogmatisch-linke Wählergemeinschaft Uffbasse hinzu, die die Koaltion mitträgt, aber mit Kerstin Lau eine eigene Kandidatin ins Bürgermeister-Rennen schickte und 12,4 % der Stimmen erhielt, ergibt das 62,8% (Quelle: Vorläufiges Endergebnis).

Zur Erinnerung: 2011 holte Jochen Partsch im zweiten Wahlgang 69,1 Prozent und wurde der erste grüne Oberbürgermeister einer hessischen Großstadt. Bereits im ersten Wahlgang hatte Partsch, von 2006 bis 2011 Sozialdezernent in Darmstadt,  damals mit 37,4 Prozent gesiegt. Das ist nicht das erste Mal, dass ich einen grünen Oberbürgermeister erlebe, der nicht nur mit klarer Mehrheit gewählt wird, sondern im Amt auch erfolgreich ist. Horst Frank hat selbiges in den 90er Jahren in Konstanz geschafft.

Ein paar (unsystematische) Überlegungen (auch aus den Diskussionen vor der Wahl) dazu:

  • Man muss wohl schon Journalist beim Provinzblatt Darmstädter Echo sein, um bei einem Abstand von mehr als 30% zum nächsten Bewerber die Formulierung “äußerst knapp” zu verwenden (Quelle: Darmstädter Echo):

    19.30 Uhr:  […] Mit 50,4 Prozent verteidigt er äußerst knapp sein Amt gegen acht Herausforderer

  • Ich bin froh, dass es bei diesem klaren Ergebnis keine Stichwahl geben muss. Selbst der Kandidat und die Kandidatin, die sich anderes geäußert hatten, haben wohl nicht bedacht, dass sie in diesem Fall die Stimmen der AfD Wähler gebraucht hätten, um Partsch noch zu überholen. Eine so klare Führung hätte außerdem bei einer Stichwahl noch mal zu einer geringeren Wahlbeteiligung geführt. So haben wir das Geld und die Zeit gespart.
  • In manchen Online-Diskussionsforen hatte man ja teilweise das Gefühl, das Jochen Partsch kurz vor einer krassen Niederlage stand. Jedenfalls wenn man den Lautsprechern dort Glauben schenkte. Ich hielt das nie für realistisch und freue mich, so bestätigt worden zu sein. Merke: Je lauter die Leute krakelen, desto weniger realistisch sind sie.
  • Interessant ist der Unterschied zwischen Brief- und Urnenwahl, den Marc Wickel herausstellt. Hat sich da in letzter Minute noch ein Stimmungswandel angedeutet? Hätte ich meinen Artikel früher veröffentlichen sollen?
  • Jochen Partschs größte politische Leistung war sicher der freundliche Empfang und die organisatorische Meisterleistung beim Eintreffen der syrischen Vertriebenen ab 2015. Er hat nicht nur mehr Vertriebene in Darmstadt aufgenommen, als die Stadt verpflichtet gewesen wäre, sondern mit seinem persönlichen Engagement maßgeblich mit dafür gesorgt,  dass diese hier willkommen waren und sind. Nachteile oder gar die gern beschworenen Integrationsprobleme gab es in Darmstadt – trotzdem oder gerade deswegen –  in keinem nennenswerten Umfang. Auch die AfD hatte hier bereits bei der Kommunalwahl 2016 weniger als im Landesdurchschnitt punkten können (9,2%) – bei der OB Wahl 2017 kam sie jetzt nur noch auf 4% (Hans Mohrmann). Kante und Profil zeigen lohnt sich in Darmstadt und hilft gegen die Rechtsradikalen. Das ist gut so.
    An Partschs Ergebnis wird sich auch sein innerparteiliches Gegenstück Boris Palmer messen müssen, der sich als OB von Tübingen (etwa halb so groß wie Darmstadt) bundesweit mit Vertriebenen-feindlichen Positionen profiliert hatte. Er steht 2018 zur Wiederwahl.
  • Massiv vorangetrieben hat Jochen Partsch auch das Thema Bürgerbeteiligung (als institutionalisiertes System) und damit tatsächlich eine neue politische Kultur in Darmstadt eingeleitet. Daran, wie es organisiert ist, kann man sicher noch viel kritisieren und verbessern. Und die Bedenken der Stadtverordnetenversammlung – die fürchtet, entmachtet zu werden – sind daran nicht ganz unschuldig. Aber, dass die DarmstädterInnen die Mittel bisher weit hinter deren Möglichkeiten zurück bleibend nutzen, kann man Partsch nicht vorwerfen. Jedoch: Dass die Bürgerbeteiligung bei der Ansiedlung eines Aldi-Marktes im Arheilger Ortskern ganz vergessen wurde, schon (1). Das Thema Informationsfreiheitssatzung hatte Partsch auf die Landesregieung abgewälzt, wo es von Schwarz-Grün erfolgreich verschleppt wird.
    Ein gemischtes Bild also. Das die SPD  – eher gegen mehr Bürgerbeteiligung – davon nicht profitierte, ist nicht verwunderlich. Kerstin Lau könnte von den Unzufriedenen profitiert haben.
  • Bei den baulichen Großprojekten kann Jochen Partsch bisher auf keine gute Bilanz zurück blicken. Doch nach dem defizitären SPD-Abenteuer Darmstadium scheinen die Darmstädter von baulichem Größenwahn vorläufig geheilt zu sein. Mancher wird froh gewesen sein, dass einige Projekte sich NICHT weiter entwicklet haben. Geschadet hat es Jochen Partsch jedenfalls nicht.
  • Die Wohnraumsituation in Darmstadt hat sich in den letzten Jahren praktisch nicht entspannt – trotz vielfältiger Aktivitäten der Koalition. Hier kann die Politik mit dem Wachstum der Stadt noch nicht mithalten. Die WählerInnen haben hier scheinbar das Bemühen höher honoriert als die Erfolge. Doch mittelfristig (d.h. bis zur Kommunalwahl 2021) muss die Koalition hier an Effizienz zulegen, wenn sie auch nur ihre eigenen Ziele erreichen will.
  • Ich hörte (leider erst kürzlich), dass sozialpolitisch “unheimlich gute Arbeit gemacht und vor allem zugehört [wird] – auch den Menschen, die in unserer Gesellschaft viel zu wenig Stimme haben”. Das beruhe auf der Arbeit von Jochen Partsch und Barbara Akdeniz. Es fällt mir schwer, das zu würdigen, da hier wohl nicht nur die Kommunikation fehlt, sondern auch eine (für mich als nicht Betroffenen) wahrnehmbare Wirkung. Hier driften m.M. Innen- und Außenwahrnehmung auseinander.
  • Verkehrspolitik/Kommunikation: Dieses Thema hat ja dazu geführt, dass ich meine Stimme (trotz Sympathien) nicht an Jochen Partsch (und erst recht nicht an die SPD) vergeben habe. die Mehrheit der WählerInnen scheinen diese Mängel  (bisher) nicht gestört zu haben. Für mich ist es erfreuliche eine Bestätigung, dass ich mich in einer Minderheit mit 12,4% wiederfinde. Bin es je eher gewohnt, mit meiner Meinung bei um die 5% der Menschen zu liegen. Zum Beispiel damals, als wir die Grünen gegründet haben.
  • Die SPD hat weder den personellen noch den inhaltlichen Neuanfang geschafft, der notwendig gewesen wäre, um eine glaubwürdige Alternative darzustellen. Michael Siebel wurde zur Recht als “Zurück-zur-alten-Politik”-Kandidat verstanden. Klar unter 20% für ihn sind vor allem eine Quittung für die alte SPD Politik der Vor-Partsch-Ära. Dazu passt, dass die SPD den chancenlosen Achim Pfeffer (der als Unabhängiger antrat und 1,9% ereichte) kurz vor der Wahl aus der Partei ausschloß.
  • Die CDU war klug, keinen eigenen Kandidaten aufzustellen
  • Der innerparteiliche Zerfallsprozess (typisch für rechtsradikale Parteien) der AfD nimmt nun auch in Darmstadt Fahrt auf. Noch am Wahltag teilte AfD Kandidat Mohrman mit, das gegen ihn ein Parteiausschlussverfahren läuft. Heute, nur einen Tag später, teilt er seinen Austritt aus Fraktion und Partei mit und beklagt rechtsradikale Tendenzen in der AfD. Das er sich allerdings als Opfer inszeniert, passt nicht dazu, das er selbst Kritiker mehrfach mit Abmahnungen zum Schweigen zu bringen versuchte. Außerdem habe ich kurz vor der Wahl eine E-Mail von der AfD bekommen.
  • Lesenswert wie immer auch die Bewertung des Wahlergebnisses von Jörg Helène.

Interessant auch, was Konkurrentin Kerstin Lau (nach Glückwünschen) dem OB mit auf den Weg gibt:

Lieber Jochen, ich wünsche Dir, dass es Dir gelingt, Dich ein stückweit wieder aus Deinem Machtvakuum zu befreien. Die guten Leute in Deiner Umgebung sind nicht die, die Dich vorbehaltlos anbeten und diesen manchmal sehr verstörenden Jochen-Kult praktizieren. Die guten Leute sind die, die sich die Zeit nehmen und Dir Ihre Kritik, Anregungen, Inspirationen schenken. Ich wünsche Dir den Mut und die Kraft, genau diese zu hören und in Deine Nähe zu holen.

Quelle: Uffbasse-Webseite

Ich kenne einen solchen Effekt von Führungskräften in Unternehmen, die Speichellecker und Ja-Sager um sich herum positionieren. Und dann sehr schnell den Bezug zur Realität und die Bodenhaftung verlieren. Auch Freunde sind manchmal nicht die besten Berater.

 

Blogger-Kollege und Journalist Marc Wickel schlägt übrigens in eine ähnliche Kerbe.

Sehr erfreulich finde ich, das Jochen Partsch (trotz des furiosen Wahlerfolges) einige Kritik anzunehmen scheint:

Auf die Frage, was er in seiner zweiten Amtszeit anders machen wolle, sagte Partsch, er habe gelernt, “dass wir uns auf einige wenige Projekte konzentrieren müssen”. Als Hauptaufgaben nannte er die “gute Gestaltung” des dynamischen Wachstums der Stadt. Das gelte für den Wohnungsbau ebenso wie für die Lösung der Verkehrsprobleme.

Quelle: Darmstädter Echo

Eine gute Voraussetzung für den Start in eine zweite Amtszeit. Ich bin gespannt.