Gastbeitrag von Philip Krämer

Heidenbauer

Heidenbauer – In Beckenbauer sah Heidegger(3) das Führerprinzip auf ästhetische Art und Weise verwirklicht. Heidegger schätzte am Fußball vor allem die deutschen Tugenden.

Am Samstag findet das Fussballspiel von Darmstadt 98 gegen RB Leipzig statt. Fans und Vereinsführung veranstalten aus diesem Anlasss einen “Traditionstag”. Eine Kritik der Kritik an dem sächsischen Verein:

Am 13. Juni 2009 genehmigte der sächsische Fußballverband den Namenswechsel des SSV Markranstädt. Fortan sollte der Verein Rasenball, kurz RB, Leipzig heißen. Die Gründung wurde auf Initiative der Red Bull GmbH durchgeführt, was sich auch in der Abkürzung RB im Vereinsnamen wieder spiegelt. Ziel von Red Bull war es von Anbeginn, den Verein in die Erste Bundesliga zu führen und zu einem deutschen Topclub machen. Dahin sind sie im Herbst 2016 auf einem guten Weg, so rangieren sie momentan überraschend als Aufsteiger auf dem zweiten Tabellenplatz der Ersten Bundesliga und würden nach jetzigem Stand in der nächsten Saison international spielen.

Es handelt sich eigentlich um einen normalen Vorgang im Profisport, gäbe es da nicht die massiven Anfeindungen und Drohungen, denen der Verein seit seiner Gründung ausgesetzt ist: Bereits am ersten Spieltag der nordostdeutschen Oberliga in der Gründungssaison 2009/2010 zogen es die Leipziger Spieler nach dem Spiel vor, ungeduscht und nur unter Polizeischutz das Stadion zu verlassen, da sie durch gegnerische Fans von Carl-Zeiss Jena körperlich bedroht wurden. In der Saison 2014/2015 besetzten Fans des Karlsruher SC vor einem Ligaspiel das Mannschaftshotel und belagerten den Bus des sächsischen Vereins. Die Anhänger von Erzgebirge Aue gingen noch weiter und entrollten ein Spruchband, auf dem es lautete: „Ein Österreicher ruft und ihr folgt blind, wo das endet, weiß jedes Kind.“ Nicht nur, dass wir es mit einer Relativierung der NS-Vergangenheit zu tun haben, da der Red-Bull-Vorsitzende Dietrich Mateschitz mit Adolf Hitler gleichgesetzt wird, es findet hierbei ein Geschichtsrevisionismus statt, der aussagt, dass der Nationalsozialismus auf ausschließlich eine Person zurück zu führen ist, die das deutsche Volk wie ein Virus befallen hat. Nach 1945 dürfte es demnach keine Nazis mehr geben, da durch den Tod Hitlers die Quelle des Nationalsozialismus versiegt wäre. Der letzte Vorfall dieser Art ereignete sich Anfang der Saison in der ersten Runde des DFB-Pokals, wo Anhänger Dynamo Dresdens einen abgetrennten Bullenkopf auf das Spielfeld warfen.

Im Sommer 2014 gründete sich die bundesweite Initiative “Nein zu RB!”, die von Fangruppierungen einiger Vereine der Zweiten Bundesliga ins Leben gerufen wurde. Das übergreifende Motto „Nein zu RB: Für euch nur Marketing – Für uns Lebenssinn!“ zeigte schon recht präzise die Richtung, die Kritik an RB Leipzig von da an einschlagen würde. Fans des Karlsruher SC bezeichneten die Fans des vermeintlichen Konstrukts als „reine Werbeträger eines Marketingprodukts“ und fragten direkt: „Ist es wert, seine Seele zu verkaufen, nur um attraktiven Fußball zu sehen?“ Man sei gegen den modernen Fußball, der ausschließlich Kommerzialisierung und intensive Vermarktung mit sich bringe. Die Doppelmoral dieser Aussagen wird deutlich, wenn man sich die Vereine zweier Fanszenen anschaut, die Initiatoren der Kampagne sind: So konnte der VfR Aalen finanziell nur gerettet werden, da ihr Präsident, der nebenbei noch Vorsitzender der Firma ist, die die Namensrechte des Aalener Stadion erworben hat, dem Verein eine Bürgschaft über sechs Millionen Euro ausstellte. Der FC Ingolstadt auf der anderen Seite ist de facto die Werksmannschaft(1) des Autoherstellers AUDI. Die Kommerzialisierung des Fußballs ist also auch ohne RB Leipzig schon im vollen Gange.

Weiter heißt es bei „Nein zu RB!“: „Werte, wie Bodenständigkeit, Aufrichtigkeit, Vereinsloyalität und Tradition, welche wir als Fans in unserem Herzen tragen, tritt dieser Verein mit Füßen.“(2) In eine ähnliche Kerbe schlägt Philipp Köster, Chefredakteur des Fanmagazins 11 Freunde, wenn er sagt, dass man „sehr wohl unterscheiden [könne] zwischen Clubs, in denen Identität durch allzu viel Geschäftemacherei beschädigt wird und Clubs deren Identität die Geschäftemacherei ist.“

Es geht also um das Wesen des richtigen Fußballs und das Wesen des den Fußball zersetzenden absoluten Bösen, zu dem RB Leipzig stilisiert wird.

Red Bull als ausländischer Konzern bedroht aus reiner Profitgier den bodenständigen, ehrlichen deutschen Fußball. Die authentische Fankultur fungiert laut ihren Vertretern als letzte Festung gegen die Werte-zersetzenden Einflüsse.

Diese Unterscheidung ist keine unbekannte: Sie stellt den vermeintlichen Widerspruch zwischen dem schaffenden (dem bodenständigen, ehrlichen, traditionellen) und dem raffenden (geschäftemachenden, zinstreibenden, trickreichen) Kapital dar, den die Nazis schon zwischen den ehrlichen Deutschen und den raffgierigen Juden bemühten. Und genau das ist es, was auch die scheinbar richtigen Fußballfans erreichen möchten. Im modernen Fußball ist das Stadion oder mittlerweile die Arena zu einem Ort geworden, an dem die Triebe nicht mehr unkontrolliert artikuliert werden können und man sich in einem gewissen Rahmen an die gesellschaftliche Sittlichkeit zu halten hat. Zudem entwickeln sich Fußballvereine hin zu Unternehmen, die wie andere Unternehmen eine Ware vermarkten und verkaufen: die Ware Fußball, für die unter anderem eben auch die Tradition den Umsatz steigert. All dies ist den traditionsbewussten Fans zuwider. Ohne allerdings die Entwicklung als eine notwendige zu erkennen, die dem Kapitalismus wesenhaft ist, da er immer wieder neue Felder der Kapitalakkumulation erschließen muss, werden all diese negativen Begleiterscheinungen in den Leipziger Verein projiziert.

Noch deutlicher wird das an einer Aktion der Fans von Union Berlin, die T-Shirts mit dem Aufdruck „Rattenball Leipzig“ und einem entsprechenden Logo als Protest druckten. Das Motto, das auf den Rücken gedruckt wurde, war sodann die Schädlingsbekämpfung. Die Struktur dahinter ist vergleichsweise trivial: So sollen durch Tiermotive komplexe gesellschaftliche und wirtschaftliche Zusammenhänge vereinfacht und personalisiert werden. Dabei haben eben diese Tiere eine unfassbare Macht und können dadurch die Entwicklungen lenken, während das einfache Volk, die traditionsbewussten Fußballfans, bedroht wird. Hierin ist eine dem Antisemitismus ähnliche Struktur nicht zu übersehen und sie passt auch auf weitere Zuschreibungen dem Verein gegenüber, der wahlweise als Kulissenschieber, als Simulation, als Retorte oder ähnliches bezeichnet wird. All diesen Aussagen ist immanent, dass sie die Sachsen als unehrlich und eben raffend bezeichnen. Passend dazu auch der Antiamerikanismus, der als Wegbereiter des Antisemitismus bezeichnet werden kann, wenn eben die amerikanische Kultur vermeintlich dabei sein soll, die bodenständige deutsche Fankultur zu zerstören. So wird bei der Kritik häufig auch vor amerikanischen Zuständen in der Bundesliga gewarnt, die die Veranstaltungen verstärkt auf den Konsum ausrichten würden. Das würde auch erklären, warum ein ähnliches Modell der Übernahme eines Vereins durch eine Firma zu keinerlei Protesten geführt hat: dem Leichtathletik Rasensport, kurz LR, Ahlen. Dieser wurde durch das Kosmetikunternehmen LR unterstützt, welches im Gegensatz zu Red Bull aber ein deutsches Familienunternehmen war und dementsprechend wohl von den fußballaffinen Kapitalismuskritikern als bodenständig und ehrlich angesehen wurde.

Die momentane Kritik an RB Leipzig und dem modernen Fußball muss also in jedem Fall auf ihre Substanz überprüft werden. Auch sollte nicht vergessen werden, dass gerade die Kommerzialisierung und Vermarktung des Fußballs, das Stadion zu einem Raum gemacht hat, in dem homophobe oder rassistische Rufe nicht immer unkommentiert bleiben und die zudem einen durchaus zivilisierenden Effekt auf das Publikum hatte. Es war also früher keineswegs alles besser…

 

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Photomontage: Matty Speck

Erstveröffentlicht in: lesezeichen. Zeitung des Allgemeinen Studierenden Ausschusses der Technischen Universität Darmstadt, Ausgabe “Ausgrenzung” (WS 15/16)  (PDF)

 


 

Fussnoten:

(1) Werksmannschaft bedeutet, dass ein Unternehmen Einfluss auf die Belange einen Vereins hat, da es Stimmanteile in der Mitgliederversammlung auf sich vereint.

(2) Quelle: http://www.nein-zu-rb.de/

(3) Martin Heidegger (* 26. September 1889; † 26. Mai 1976 ) war ein deutscher Philosoph. Als Begründer der philosophischen Richtung der Fundamentalontologie (publiziert 1927) wird er von Manchen als einer der einflussreichsten Philosophen des 20. Jahrhunderts gesehen. Gleichwohl ist sein Werk inhaltlich umstritten. Auch sein nationalsozialistisches Engagement ist und zahlreiche (auch private) antisemitische Äußerungen bis heute Gegenstand kontroverser Debatten – siehe auch den -selbstkritischen – Spiegel-Artikel zum Thema.

 

 

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Siehe auch:

Lilien Uffschtiech

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