Logo: Matthias Mischler

Logo: Matthias Mischler

Am 19. März 2017 steht in Darmstadt nach 6 Jahren regulärer Amtsperiode die Wahl des Oberbürgermeisters an (Bekanntmachung und Aufforderung zur Einreichung von Wahlvorschlägen).

Für die Grünen tritt dabei der Amtsinhaber Jochen Partsch wieder an. Der SPD Vorstand hat beschlossen Michael Siebel dafür zu nominieren – seine Kandidatur muss jedoch noch von einem Parteitag im November beschlossen werden. Soweit, so normal. Der Vorstand der CDU Darmstadt hat nun aber beschlossen, keinen eigenen Kandidaten und keine Kandidatin aufzustellen. Eine mutige, weil unkonventionelle Entscheidung. Seither tobt die Debatte, ob das so richtig und klug ist. Auf zwei Ebenen:

  • Einige CDU Mitglieder sind unzufrieden damit und kritisieren, dass der Vorstand diese Entscheidung getroffen hat, ohne sich vorher dafür ein Mandat der Mitglieder zu holen.
  • In den Medien und der Bürgerschaft wird diskutiert, ob das klug ist und vielleicht schädlich sein könnte.

Ein paar Gedanken dazu unter Würdigung der jeweiligen Argumente:

  • Zum internen CDU Prozess: Es ist in der CDU nichts ungewöhliches, dass weitreichende und grundsätzliche Entscheidungen von Vorstand gefasst werden. Die CDU ist immer eine Honoratioren-Partei gewesen, in der die Führung die Richtung vorgibt und die Mitglieder folgen. Basisdemokratie ist nicht ihr Markenzeichen. Und das funktioniert, solange im 21-köpfigen Vorstand die Mitglieder hinreichend repräsentiert sind. Es wird sich zeigen, ob die Kritik von ein paar Außenseitern kommt, oder ein allgemeines Unwohlsein repräsentiert. Grundsätzlich kann ein Parteitag die Entscheidung natürlich kippen. Noch ist genug Zeit dafür. Ein Rebell könnte sich sogar selbst als Kandidat in Stellung bringen – und mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen als über eine normale Kandidatur. Ein anderes Zeichen, dass der Vorstand hier nicht den richtigen Nerv getroffen hätte, wäre, wenn ein CDU Mitglied oder einE von CDU Mitgliedern unterstützteR KandidatIn im März antritt. Aber das alles wäre keine Katastrophe, sondern völlig normale Demokratie.
  • Profitiert die AfD? In einen Echo-Interview hat Björn Egner (wiss. Mitarbeiter der TU Darmstadt, FB Politikwissenschaft) eine gemischte Bewertung abgegeben, aber die Befürchtung geäußert, “die AfD könnte stramme CDU-Wähler abfischen” – ein Nebenaspekt, den das Echo dann leider sogar zur Überschrift aufwertet. Jörg Heléne widerspricht dem in seinem Blog entschieden. Ich selbst denke, jedeR WählerIn ist für seine eigene Wahlentscheidung verantwortlich und keiner kann der CDU die Verantwortung, dafür geben, wenn dumme Menschen wirklich glauben, von der AfD eine konservative Politik zu bekommen. Oder damit wirklich “Protest” ausdrücken zu können. Mehr dazu unten.
  • Das Profil der CDU: Braucht die CDU Darmstadt einen OB Kandidaten für ihr Profil? Oder braucht Darmstadts CDU eine (neues) Profil? Egner meint, er könne bei der CDU Darmstadt “kein eigenständiges schwarzes Profil” erkennen. Jörg Heléne äußert Verständnis für den strategischen Konflikt der CDU. Seine Empfehlung:

Einzig halbwegs sinnvolle Möglichkeit wäre gewesen, einen relativ jungen, unbekannten Kandidaten aufzustellen, um ihn für das übernächste Mal bei den Bürgern bekannt zu machen. Dazu hätte man sich innerparteilich aber auf jemanden einigen müssen, mit dem alle Flügel über viele Jahre hinweg zufrieden sind. Das ist an sich schon schwierig, die Erfolgsaussichten allenfalls mittelmäßig.

Rafael Reißer

Rafael Reißer

Ich sehe im Gegensatz zu Egner durchaus ein eigenständiges Profil der Darmstädter CDU. Das ist das einer Partei, die diszipliniert und Lösungs-orientiert Sacharbeit leistet und aktiv eine Politik der kommunalen Haushaltssanierung ohne soziale Härten voran treibt. Eigentlich genau dass, was man von einer konservativen Partei (in der ursprünglichen Bedeutung) erwarten kann. Für mich ist die Darmstädter CDU fast wählbar geworden. Fast – wenn nicht der Ausrutscher von Herrn Reißer ein überkommenes Obrigkeitsdenken offen gelegt hätte, bei dem der Darmstädter CDU immer noch Befehl und Gehorsam wichtiger sind als die Prinzipien des Rechtsstaates.

Trotzdem befindet sich die Darmstädter CDU für mich auf einem guten Weg, einen sachlichen Konservativismus in die Moderne zu transformieren. Dass sie dabei auf Theaterdonner und machtpolitische Spielchen verzichtet, macht sie für mich um so glaubwürdiger. Da ist sie der Darmstädter SPD um einige Schritte voraus.

Dennoch muss sie noch lernen, ihre pragmatische und sachorientierte Herangehensweise auch als das, was sie ist, darzustellen (“verkaufen”). Als eine Haltung, die in der post-ideologischen Neuzeit angekommen ist und auf stetige, kontinuierliche Verbesserungen auf Basis des erreichten Wohlstandsniveaus setzt. Im Wahlkampf zur Kommunalwahl ist ihr das nicht gelungen. Möglich (und sinnvoll) ist es aber.

Das führt auch zu einer der Paradoxien der post-ideologischen Demokratie: Oft sind es die gleichen Leute, die lauthals die Macht- und Pöstchenkämpfe kritisieren und von den Parteien Sach- und Lösungsorientierung fordern, aber dann unzufrieden sind, wenn eine Partei das dann umsetzt. Weil sie ohne die natürlich viel wahrnehmbareren und unterhaltsameren Kämpfe plötzlich kein “Profil” mehr erkennen können. Das auch ein Politikwissenschaftler wie Egner so oberflächlich analysiert, ist allerdings schade.

Die Darmstädter DurchschnittswählerInnen sind jedoch durchaus in der Lage, das zu erkennen. Auch Jochen Partsch hatte, bevor er zum OB gewählt wurde, als kleiner Partner in der Koalition mit der SPD nicht unbedingt ein scharfes Profil. Dennoch haben die DarmstädterInnen seine sachliche Haltung und Politik belohnt. Und das bei der diesjährigen Kommunalwahl eindrucksvoll bestätigt, indem sie die Grünen wieder zur stärksten Partei gemacht haben.

Magistrat DarmstadtVielleicht ist das die gute Botschaft für die Darmstädter CDU: Die BürgerInnen der Stadt können konstruktive Sachpolitik durchaus erkennen und aus dem kleinen Koalitionspartner auch plötzlich den Großen machen. Und wenn man gerade keinen OB-Kandidaten hat, der es besser machen könnte als der Amtsinhaber, dann muss man auch nicht nur aus Prinzip einen Zählkandidaten aufstellen (und damit vielleicht sogar verbrennen). Und im Gegensatz zu Egners Einschätzung (“könnte die CDU auch bei den nächsten OB-Wahlen niemanden mehr aufstellen, weil das widersprüchlich aussieht.”) kann sich eine solche Einschätzung durchaus über die Zeit verändern. Weil Partsch nachlassen könnte und/oder weil eigenes Personal (hoffentlich) wächst und lernt.

Noch einige kritische Worte zu Jörg Helénes Beitrag – er schreibt darin:

Der AfD nützt vor allem, dass Politik wie Politologie und Medien die letzten 20-30 Jahre grundsätzlich darin versagt haben, einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung Verständnis für die Funktionsweisen einer Demokratie zu vermitteln.

Solche Äußerungen tun mir in der Seele weh. Weil es die AfD-WählerInnen aus der Verantwortung nimmt und sie zu unmündigen Bürgern erklärt, die von Staat, Wissenschaft und Medien erst erzogen werden müssen. Das führt genau zu der Haltung, die von AfD bis hin zu Trump zu beobachten ist: Immer sind “Andere” für die eigenen Fehler verantwortlich – nie man selbst.

Fakt ist jedoch, dass ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung versäumt hat, Verständnis für die Funktionsweisen einer Demokratie zu entwickeln. Wie ich in Politik ist … schreibe:

Leider ist Demokratie kein „Produkt“ bei dem ein Anbieter dafür zuständig ist, uns optimal zu unterhalten. Bei dem wir uns beklagen können, wenn wir unzufrieden oder gelangweilt sind. Im Gegensatz zur Diktatur oder Monarchie. […] In der Demokratie ist die Verantwortung in unsere Hände gelegt. Und wir bekommen die Politiker und die Politik, die wir verdienen. Je weniger wir uns kümmern, desto schlechtere Politiker bekommen wir.

Wer sich aber zurücklehnen und unterhalten lassen will, der wird entweder in der Diktatur landen. Oder halt von einer aktiv demokratisch handelnden Mehrheit marginalisiert. Wer also (und sei es aus Protest) AfD wählt, darf sich nicht wundern, wenn er (mindestens von mir) als Demokratiefeind wahrgenommen und in der konstruktiven Politik übergangen wird.

Doch zurück zur Oberbürgermeisterwahl. In Politik ist … schreibe ich auch:

Eine wichtige Sache in der Demokratie ist die Auswahl. Je mehr Kandidaten wir zur Auswahl haben, desto besser. Denn nur eine Auswahl ermöglicht uns, auch Andere auszuwählen, statt immer über „die Politiker“ zu schimpfen und dann doch die Gleichen zu wählen (oder durch Nichtwählen einfach weitermachen zu lassen). Nur Auswahl ermöglicht uns, auch anderen, frischen Gesichtern eine Chance zu geben. Wenn die bitteren Klagen über „die da oben“ tatsächlich Recht haben, dann kann es ja kaum schlimmer werden. Gebt den Neuen eine Chance, wenn ihr unzufrieden seid!  Deshalb bin ich froh über jeden Menschen, der sich bei einer Wahl als KandidatIn anbietet. Weil das die Grundlage für eine parlamentarische Demokratie ist.

Deshalb rufe ich jeden, der glaubt, den Job des Oberbürgermeisters könne man besser machen, als Jochen Partsch das tut, dazu auf, bei der OB Wahl anzutreten oder sich mit anderen DarmstädterInnen zusammen zu schließen und einen geeigneten, besseren Kandidaten oder Kandidatin zu küren. Noch bis 9. Januar 2017 können Einzelbewerber, Gruppen und Parteien den Hut  in den Ring werfen.

Ich werde jedenfalls alle KandidatInnen ernsthaft prüfen und mich erst dann entscheiden, wen ich wähle. Und erwäge, wieder so eine KandidatInnen-Befragung zu machen, wie zur Kommunalwahl (vielleicht nicht ganz so ausführlich) – allerdings auf den tatsächlichen Handlungs- und Entscheidungsspielraum des OB beschränkt. Falls jemand Lust hat, daran mitzuwirken, möge er/sie sich melden.

 

Keinen Neun-mal-Sechs Artikel mehr verpassen: Das E-Mail Abo nutzen.

 

Siehe auch: 

Weitere Beiträge in der Kategorie “Darmstadt” – wie zum Beispiel:

Schlafende Kulturhauptstadt Darmstadt

Georg Büchner. Darmstädter Linksradikaler.

Drama in drei Akten: Wenn der Döpfner in Darmstadt den Datterich…